Entscheidungsstichwort (Thema)
Persönlicher Geltungsbereich eines Manteltarifvertrages
Leitsatz (amtlich)
Von dem persönlichen Geltungsbereich des Manteltarifvertrages 1986 zwischen dem Reichsbund der Kriegsopfer, Behinderten, Sozialrentner und Hinterbliebenen e.V. und der Gewerkschaft HBV sowie der DAG werden auch Arbeiter erfaßt.
Normenkette
TVG § 3; MTV zwischen dem Reichsbund der Kriegsopfer, Behinderten, Sozialrentner und Hinterbliebenen e.V. und der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen und der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft v. 23. April/28. April/5. Mai 1986 § 1
Verfahrensgang
LAG Niedersachsen (Urteil vom 30.05.1991; Aktenzeichen 14 Sa 670/89) |
ArbG Göttingen (Urteil vom 21.03.1989; Aktenzeichen 1 Ca 448/88) |
Tenor
- Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 30. Mai 1991 – 14 Sa 670/89 – wird unter Aufhebung der Kostenentscheidung mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß hinsichtlich des Zahlungsantrages der Beklagte nur zur Zahlung von 4.878,45 DM nebst Zinsen verurteilt wird. Die weitergehende Klage wird auf die Berufung des Beklagten abgewiesen.
- Die Kosten des Rechtsstreits hat zu 5/6 der Beklagte und zu 1/6 die Klägerin zu zahlen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Mehrarbeitsvergütung für den Zeitraum vom 1. Oktober 1986 bis 31. Juli 1988.
Die Klägerin ist seit dem 1. Februar 1980 in dem Erholungsheim Bad S… des Beklagten als Beiköchin beschäftigt. Im Arbeitsvertrag vom 28. Januar 1986 haben die Parteien eine wöchentliche Arbeitszeit von 42 Arbeitsstunden in der Sechs-Tage-Woche vereinbart. Diese ist von der Klägerin in der Folgezeit auch geleistet worden. Die Klägerin erhielt in den Monaten Oktober bis Dezember 1986 eine Vergütung in Höhe von monatlich 1.919,-- DM brutto und in den Jahren 1987 und 1988 eine Vergütung in Höhe von monatlich 1.985,-- DM brutto.
Die Klägerin ist seit dem 1. Oktober 1986 Mitglied der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV). Diese Gewerkschaft und die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft (DAG) haben mit der Beklagten den Manteltarifvertrag vom 23. April/28. April/5. Mai 1986 (nachfolgend: MTV) mit Wirkung vom 1. Februar 1986 abgeschlossen.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finde seit Oktober 1986 der MTV Anwendung. Da die tarifliche Wochenarbeitszeit 38,5 Stunden betrage, habe sie wöchentlich 3,5 Stunden Mehrarbeit erbracht. Sie habe damit einen Anspruch auf Zahlung einer Mehrarbeitsvergütung für die im Zeitraum vom 1. Oktober 1986 bis zum 31. Juli 1988 geleisteten Mehrarbeitsstunden in Höhe von insgesamt 6.174,91 DM brutto erworben.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
- den Beklagten zu verurteilen, an sie 6.174,91 DM brutto zuzüglich 4 % Zinsen auf den sich daraus ergebenden Nettobetrag seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
- festzustellen, daß für das Arbeitsverhältnis der Parteien der Manteltarifvertrag vom 23.04/ 05.05.1986 maßgeblich ist.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Er hat die Auffassung vertreten, der MTV gelte für das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht, da die Klägerin gewerbliche Arbeitnehmerin in einem Erholungsheim sei. Der MTV beschränke seinen persönlichen Geltungsbereich auf Angestellte in Verwaltungstätigkeiten. Dies zeige auch der vom MTV in Bezug genommene Gehaltstarifvertrag, der in den Gehaltsgruppen ausschließlich Angestelltentätigkeiten aufführe. Die Klägerin habe daher keine Mehrarbeit geleistet, sondern die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit erbracht.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerin beantragt Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nur wegen der Höhe des Zahlungsantrages teilweise begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Mehrarbeitsvergütung in Höhe von 4.878,45 DM nebst Zinsen.
A.I. Die Feststellungsklage ist zulässig.
Das gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche rechtliche Interesse an der alsbaldigen Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses ist gegeben. Die Klägerin begehrt die Feststellung, daß auf ihr Arbeitsverhältnis mit dem Beklagten der MTV anzuwenden sei. Diese Frage betrifft ein Rechtsverhältnis i. S. von § 256 ZPO (Senatsurteil vom 20. März 1991 – 4 AZR 455/90 – AP Nr. 20 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz = NZA 1991, 736, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Durch die Entscheidung, ob der Manteltarifvertrag auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anzuwenden ist, werden eine Vielzahl von Einzelfragen dem Streit der Parteien endgültig entzogen und die tariflichen Rechte und Pflichten beider Parteien für die Zukunft grundsätzlich geklärt, was die Annahme eines rechtlichen Interesses rechtfertigt (BAG Urteil vom 20. März 1991, aaO, m. w. N.).
II. Die Feststellungsklage ist begründet. Der MTV findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung.
1. Die Parteien sind tarifgebunden, § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG. Die Klägerin ist seit Oktober 1986 Mitglied einer Tarifvertragspartei (HBV), der Beklagte ist selbst Partei des (Haus-) Tarifvertrages.
2. Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin dem persönlichen Geltungsbereich des MTV unterfällt, dieser ist in § 1 geregelt, welcher folgenden Wortlaut hat:
“Geltungsbereich
Der Geltungsbereich dieses Tarifvertrages erstreckt sich
räumlich:
auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland und West-Berlin
persönlich:
auf alle hauptamtlich gegen Lohn oder Gehalt vom Bundesvorstand, von den Landesverbänden des Reichsbundes und von sonstigen Einrichtungen des Reichsbundes Beschäftigten.”
a) Die Klägerin ist “hauptamtlich” i. S. des § 1b MTV tätig.
Der Begriff “hauptamtlich” stellt im Privatrecht nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch zum einen ein Synonym dar für hauptberuflich im Gegensatz zu nebenberuflich; zum anderen kann damit die Ausübung einer Tätigkeit gegen Entgelt im Gegensatz zu ehrenamtlich bezeichnet werden. Einer genauen Begriffsbestimmung bedarf es vorliegend jedoch nicht. Die Klägerin ist sowohl hauptberuflich als auch gegen Entgelt tätig. Demgemäß steht zwischen den Parteien auch außer Streit, daß die Klägerin “hauptamtlich” i. S. des § 1b MTV tätig ist.
b) Die Klägerin gehört auch zu den gegen Lohn oder Gehalt vom Bundesvorstand, von den Landesverbänden des Reichsbundes oder von sonstigen Einrichtungen des Reichsbundes Beschäftigten.
Der Terminus der “Beschäftigten” stellt einen Oberbegriff dar, dem im vorgegebenen und feststehenden Begriffsinhalt der Gesetzessprache (vgl. § 5 Abs. 1 ArbGG, § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG, § 4 BPersVG) jedenfalls alle Arbeitnehmer im Rechtssinne unterfallen. Daß die Tarifvertragsparteien diesen Sprachgebrauch zugrunde legten, zeigen insbesondere die Regelungen des § 2 Nr. 1 MTV, wonach mit jedem “Beschäftigten” i. S. des § 1 MTV ein “Arbeitsvertrag” abzuschließen ist und nach Ablauf der Probezeit ein “Arbeitsverhältnis” auf unbestimmte Zeit besteht, § 2 Nr. 2 MTV.
Die Klägerin ist Arbeitnehmerin und gehört damit zu den “Beschäftigten” i. S. des § 1b MTV.
Die Klägerin ist auch “gegen Lohn oder Gehalt” i. S. des § 1b MTV beschäftigt. Sie erhält gemäß Satz 3 des Arbeitsvertrages der Parteien ein “Bruttogehalt”.
Partei des Arbeitsvertrages und damit Arbeitgeber ist der Beklagte selbst.
Nach dem Wortlaut des § 1b MTV gehört die Klägerin damit zu den “gegen Gehalt” vom Bundesvorstand des Reichsbundes Beschäftigten i. S. des § 1b l. Fallgruppe MTV.
3. Zu Unrecht meint die Revision, die Klägerin sei als gewerbliche Arbeitnehmerin (Arbeiterin) vom persönlichen Geltungsbereich des MTV ausgenommen.
a) Nach den bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts läßt sich nicht sicher beurteilen, ob die Klägerin Arbeiterin oder Angestellte ist.
Das kann jedoch dahingestellt bleiben. Auch wenn die Klägerin Arbeiterin ist, findet der MTV Anwendung.
b) Der Wortlaut des § 1b MTV ist eindeutig. Die Verwendung des Oberbegriffes “Beschäftigten” läßt erkennen, daß der Geltungsbereich des MTV gerade nicht auf eine bestimmte Arbeitnehmergruppe beschränkt ist, sondern für beide Gruppen gleichermaßen gilt. Die Aufzählung auch der “gegen Lohn” Beschäftigten zeigt, daß der MTV nicht nur für Angestellte gelten soll, sondern auch für Arbeiter. Nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch sowie der üblichen Rechtsterminologie bezeichnet der Begriff “Lohn” die Vergütung der Arbeiter, der Terminus “Gehalt” hingegen die der Angestellten (vgl. z. B. Staudinger/Richardi, BGB, 12. Aufl., Vorbem. zu § 611 ff. Rz 355).
Diese Auslegung wird bestätigt durch die Verwendung des Attributs “alle”, was nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch “sämtliche, jeder ohne Ausnahme” (vgl. Duden, Deutsches Universalwörterbuch A-Z, S. 90, Stichwort: alle; Brockhaus/Wahrig, Deutsches Wörterbuch, S. 164, Stichwort: alle) bedeutet. Der MTV gilt daher nach dem Wortlaut des § 1b MTV für sämtliche Beschäftigten ohne Ausnahme und damit auch für die Klägerin.
c) Aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang ergibt sich kein hiervon abweichender Wille der Tarifvertragsparteien.
Im gesamten MTV werden als Oberbegriffe stets und ausschließlich “Beschäftigte” bzw. “Arbeitnehmer” verwendet (vgl. z. B. § 2 Nr. 1, § 4 Nr. 2, § 5 Nr. 5, § 6 und § 12 MTV). Anhaltspunkte dafür, daß die Gruppe der Arbeiter nach dem Willen der Tarifvertragsparteien aus dem Geltungsbereich ausgenommen werden sollten, sind nicht ersichtlich.
Zu Unrecht meint die Revision, die Regelung des § 3 Nr. 1 MTV zeige, daß der MTV für Arbeiter in Erholungsheimen keine Anwendung finde, da deren Arbeitszeit 42 Wochenstunden bei 7 Wochentagen betrage. Diese Regelung hat folgenden Wortlaut:
“Arbeitszeit
1. Die Arbeitszeit beträgt ausschließlich der Pausen wöchentlich 38,5 Stunden. Arbeitstage sind die Tage von montags bis freitags.”
Der Geltungsbereich des MTV ist in § 1 MTV geregelt, während die §§ 2 ff. die Rechtsfolgen beim Vorliegen der Voraussetzungen des Geltungsbereiches regeln. Eine von § 3 Nr. 1 MTV abweichende tatsächliche Handhabung kann als tarifwidrige Praxis den Geltungsbereich nicht berühren. Im übrigen ist eine über 38,5 Wochenstunden hinausreichende Arbeitszeit ebenso wie Sonntags- und Feiertagsarbeit tariflich nicht schlechthin verboten, sondern nach der jeweiligen Bestimmung des § 4 MTV lediglich zuschlagspflichtig.
Auch aus der Regelung der Vergütungsgrundlagen gemäß § 5 MTV ergibt sich nichts anderes. In der Überschrift haben die Tarifvertragsparteien die Bezeichnung Vergütungsgrundlagen gewählt. Im Wortlaut der Rechtsnorm im übrigen wird von Gehältern gesprochen. Dies kann auf sprachlichen Vereinfachungsgründen beruhen. Da jedenfalls der Tarifvertrag nicht zwischen Arbeiter- und Angestelltengruppe unterscheidet, kann in § 5 MTV nicht auf eine Einschränkung des in § 1 MTV geregelten Geltungsbereiches geschlossen werden.
Ebensowenig vermag der Gehaltstarifvertrag Hinweise auf eine Beschränkung des persönlichen Geltungsbereiches des MTV zu geben. Die Regelungen des Gehaltstarifvertrages sind für die Bestimmung des Geltungsbereiches des Manteltarifvertrages ohne Belang; der Gehaltstarifvertrag ist nicht Teil des Manteltarifvertrages, sondern es wird lediglich auf diesen verwiesen, § 5 Nr. 1 MTV. Der Geltungsbereich des Gehaltstarifvertrages stimmt im übrigen mit demjenigen des Manteltarifvertrages wörtlich überein; erfaßt werden gemäß § 1b Gehaltstarifvertrag auch die gegen Lohn und Gehalt Beschäftigten. In den Oberbegriffen der einzelnen Tätigkeitsgruppen des Gehaltstarifvertrages ist zwar begrifflich eine Beschränkung auf “Angestellte” enthalten. Das Landesarbeitsgericht hat jedoch zutreffend erkannt, daß in den Hauptbeispielen der Gruppe 2 auch Tätigkeiten aufgeführt sind, die nach der Verkehrsanschauung als Arbeitertätigkeiten eingestuft werden können (z. B. Telefonistin, vgl. BAGE 7, 86 = AP Nr. 12 zu § 59 HGB). Da bei der Erfüllung eines ausdrücklich aufgeführten Tätigkeitsbeispieles jedoch regelmäßig der tarifliche Oberbegriff als erfüllt anzusehen ist, kann mit der in den Oberbegriffen enthaltenen Bezeichnung der Beschäftigten als “Angestellte” keine Beschränkung des Gehaltstarifvertrages auf die Gruppe der Angestellten im Rechtssinne beabsichtigt sein.
d) Die Revision meint, aus der tariflichen Übung und der Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages ergebe sich die Herausnahme der Arbeiter aus dem Geltungsbereich des MTV.
Die Voraussetzungen einer im Rahmen der Tarifvertragsauslegung zu berücksichtigenden tariflichen Übung liegen jedoch nicht vor. Bei der Frage des Geltungsbereichs eines Tarifvertrages bzw. dessen Anwendbarkeit auf bestimmte Arbeitnehmergruppen kommt lediglich der Tatbestand einer nachträglichen Tarifübung in Betracht (vgl. hierzu Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., § 1 Rz 408). Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist eine nachträgliche Tarifübung für die Auslegung einer Tarifvertragsnorm jedoch grundsätzlich ohne Bedeutung (BAGE 18, 278 = AP Nr. 117 zu § 1 TVG Auslegung) und setzt in jedem Falle voraus, daß die Tarifübung in Kenntnis und mit Billigung beider Tarifvertragsparteien praktiziert wird (BAGE 40, 67 = AP Nr. 2 zu § 1 TVG Tarifliche Übung). Es ist jedoch nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich, daß die tarifschließenden Gewerkschaften die Praxis der Nichtanwendung des Manteltarifvertrages auf Arbeiter in Erholungsheimen gebilligt hätten.
Die Darlegungen des Beklagten zur Tarifgeschichte enthalten keine Hinweise auf einen beschränkten Geltungsbereich des MTV. Der Vortrag des Beklagten zur Frage der Verkürzung der tariflichen Wochenarbeitszeit steht in keinem rechtlichen Zusammenhang mit der Regelung des Geltungsbereiches des MTV.
e) Schließlich ergeben sich keine Bedenken gegen die Einbeziehung der Klägerin als Arbeiterin in den Geltungsbereich des MTV. Denn die Klägerin ist Mitglied der HBV, die nach § 6 Abs. 1 ihrer Satzung zuständig ist für “alle im Organisationsbereich beschäftigten Arbeitnehmer”, also, auch für Arbeiter. Die HBV war damit auch zuständig zum Abschluß von Tarifverträgen ihres Bereiches, die Arbeiter erfassen.
4. Der MTV ist am 31. Januar 1987 abgelaufen (§ 18 MTV). Ein neuer Manteltarifvertrag wurde bisher nicht geschlossen. Auch eine sonstige, das Arbeitsverhältnis der Parteien erfassende andere Abmachung i. S. des § 4 Abs. 5 TVG wurde bisher nicht getroffen. Damit gilt der MTV kraft Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG für das Arbeitsverhältnis der Parteien.
B. Die Zahlungsklage ist nur zum Teil begründet, denn die Klägerin hat einen Anspruch auf Zahlung einer Mehrarbeitsvergütung, jedoch nur in Höhe von 4.878,45 DM.
I. Der insoweit anzuwendende § 4 MTV hat u. a. folgende Bestimmungen:
“Mehrarbeit
- Mehrarbeit ist die auf besondere Anordnung des Gehaltsträgers im Einvernehmen mit dem Betriebsrat über die regelmäßige tägliche Arbeitszeit gemäß § 3 hinaus geleistete Arbeit.
- …
- Die Vergütung je Mehrarbeitsstunde beträgt 1/167 des Monatsgehalts mit einem Zuschlag von 25 %.
- Die Vergütung für die an Sonntagen geleistete Arbeit beträgt je Arbeitsstunde 1/167 des Monatsgehalts mit einem Zuschlag von 50 %.
- Die Vergütung für die Arbeit an gesetzlichen Feiertagen sowie für Nachtarbeit (20.00 bis 6.00 Uhr) beträgt je Arbeitsstunde 1/167 des Monatsgehalts mit einem Zuschlag von 100 %.
- …
- Im Arbeitsvertrag kann anstelle der Überstundenvergütung eine Überstundenpauschale im Einvernehmen mit dem Betriebsrat vereinbart werden.”
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Mehrarbeitsvergütung gemäß § 4 Nr. 3 MTV, denn sie hat Mehrarbeit i. S. des § 4 Nr. 1 MTV erbracht.
Gemäß § 4 Nr. 1 MTV ist Mehrarbeit die auf besondere Anordnung des Gehaltsträgers im Einvernehmen mit dem Betriebsrat über die regelmäßige tägliche Arbeitszeit gemäß § 3 MTV hinaus geleistete Arbeit. Die tarifliche Wochenarbeitszeit beträgt 38,5 Stunden, § 3 Nr. 1 Satz 1 MTV. Die Klägerin hat unstreitig 42 Arbeitsstunden wöchentlich und damit 3,5 Stunden über die tarifliche Wochenarbeitszeit hinaus geleistet.
Von einer “besonderen Anordnung des Gehaltsträgers” ist auszugehen. Neben einer mündlichen, schriftlichen oder auch nur stillschweigenden Anordnung genügt es, wenn der Arbeitgeber die vom Arbeitnehmer geleistete Überstundenarbeit kennt und sie duldet (BAG Urteil vom 24. Oktober 1990 – 6 AZR 37/89 – NZA 1991, 378, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu B II 1 der Gründe).
Ob das in § 4 Nr. 1 MTV aufgeführte Einvernehmen mit dem Betriebsrat (vgl. § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG) vorliegt, ist für den individualrechtlichen Vergütungsanspruch unerheblich. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts besteht ein Anspruch auf Vergütung ohne Rücksicht auf das Bestehen oder die Verletzung von Mitbestimmungsrechten stets entsprechend der tatsächlich geleisteten Arbeit (BAG Urteil vom 5. Juli 1976 – 5 AZR 264/75 – AP Nr. 10 zu § 12 AZO; BAG Urteil vom 4. Juni 1969 – 3 AZR 180/68 – AP Nr. 1 zu § 16 BMT-G II).
Eine gemäß § 4 Nr. 10 MTV zulässige Überstundenpauschale ist im Arbeitsvertrag nicht vereinbart.
Damit hat die Klägerin einen Anspruch auf Zahlung einer Mehrarbeitsvergütung dem Grunde nach für die geleisteten Mehrarbeitsstunden.
II.1. Das Landesarbeitsgericht hat die Mehrarbeitsvergütung in Höhe der Klageforderung als zwischen den Parteien “rechnerisch unstreitig” angesehen. Hiergegen sind Verfahrensrügen nicht erhoben worden. Eine Bindung des Senats nach § 561 ZPO hieran ist jedoch gleichwohl nicht eingetreten. Denn das Landesarbeitsgericht hat insoweit widersprüchliche Feststellungen getroffen. Die Klagesumme soll sich nach dem Vortrag der Klägerin aus der vertraglich vereinbarten Vergütung berechnen. Hiervon ist auch das Landesarbeitsgericht ausgegangen. Eine rechnerische Nachprüfung ergibt jedoch, daß die Mehrarbeitsvergütung lediglich 4.878,45 DM beträgt. Dabei ist auszugehen von 45 geleisteten Mehrarbeitsstunden im Zeitraum Oktober bis Dezember 1986, 180 Mehrarbeitsstunden im Jahr 1987 sowie 105 Mehrarbeitsstunden im Zeitraum von Januar bis Juli 1988.
Dann ergeben sich aber folgende Rechenschritte:
Mehrarbeitsvergütung Oktober bis Dezember 1986:
Vertragsgehalt: 1.919,-- DM
Vergütung je Mehrarbeitsstunde: 1/167 des vertraglichen Monatsgehalts sowie 25 % Zuschlag, § 4 Nr. 3 MTV
1.919,-- DM : 167 = 11,49 DM
zuzüglich 25 % Zuschlag = 14,36 DM (Vergütung je Mehrarbeitsstunde)
Gesamtvergütung: 45 × 14,36 DM = 646,20 DM
Mehrarbeitsvergütung für 1987:
Vertragsgehalt: 1.985,-- DM
Vergütung je Mehrarbeitsstunde: 1/167 des Monatsgehalts zuzüglich 25 % Zuschlag, § 4 Nr. 3 MTV
1.985,-- DM : 167 = 11,88 DM
zuzüglich 25 % Zuschlag = 14,85 DM (Vergütung je Mehrarbeitsstunde)
Gesamtvergütung: 180 × 14,85 DM = 2.673,-- DM
Mehrarbeitsvergütung für Januar bis Juli 1988:
Vertragsgehalt: 1.985,-- DM
Vergütung je Mehrarbeitsstunde: 14,85 DM (wie 1987)
Gesamtvergütung: 105 × 14,85 DM = 1.559,25 DM
Die Addition ergibt einen Gesamtbetrag in Höhe von 4.878,45 DM. Die Berechnung der Klagesumme erweist sich damit als fehlerhaft.
2. Der Klägerin können auch keine weitergehenden Beträge zugesprochen werden, weil die tarifliche Entlohnung die vereinbarte übersteigt. Da die Klägerin die ihr zustehende Vergütung allein nach der vertraglich vereinbarten berechnet hat, kann das Gericht ihr nicht mehr als beantragt zusprechen (§ 308 ZPO).
C. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Schaub, Dr. Etzel, Schneider, Wiese, Schamann
Fundstellen
Haufe-Index 838578 |
NZA 1993, 184 |
RdA 1992, 283 |