Entscheidungsstichwort (Thema)
Verhältnis von § 68 FGO und § 365 Abs. 3 AO 1977
Leitsatz (NV)
Ergehen während eines laufenden Klageverfahrens nacheinander zwei Änderungsbescheide und legt der Kläger gegen den ersten Änderungsbescheid Einspruch ein, über den bei Ergehen des zweiten Änderungsbescheides noch nicht abschließend entschieden ist, wird letzterer nach § 365 Abs. 3 AO 1977 Gegenstand des Einspruchsverfahrens und kann nicht durch Antrag nach § 68 FGO zum Gegenstand des Klageverfahrens gemacht werden.
Normenkette
FGO § 68; AO 1977 § 365 Abs. 3
Tatbestand
I. Gegen die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) waren am 10. Mai 1996 bezüglich ihres Teileigentums Nr. 16 auf dem Grundstück … in Berlin Bescheide über den Einheitswert des Grundvermögens sowie über den Grundsteuermessbetrag auf den 1. Januar 1996 ergangen, gegen die sie nach erfolglosem Einspruch Klage erhob. Während des Klageverfahrens ergingen am 25. September 1998 teilweise abhelfende Änderungsbescheide, hinsichtlich derer die Klägerin keinen Antrag nach § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) stellte, sondern Einspruch einlegte. Der Einspruch führte am 19. Februar 1999 zu erneuten Änderungsbescheiden, die der Klägerin ein weiteres Stück entgegenkamen, ihrem Einspruch (und damit auch der Klage) jedoch nicht voll abhalfen. Hinsichtlich dieser Änderungsbescheide stellte die Klägerin einen Antrag nach § 68 FGO.
Daraufhin setzte das Finanzgericht (FG) mit Beschluss vom 27. April 1999 das Klageverfahren entsprechend § 74 FGO bis zur Rechtskraft einer Entscheidung über den Einspruch gegen die Bescheide vom 25. September 1998 oder eine sonstige Erledigung dieses Rechtsbehelfs aus. Dabei berief es sich auf den Beschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 11. Februar 1994 III B 127/93 (BFHE 173, 14, BStBl II 1994, 658). Der Antrag nach § 68 FGO bezüglich der erneuten Änderungsbescheide vom 19. Februar 1999 gehe ins Leere, da diese Bescheide gemäß § 365 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO 1977) automatisch Gegenstand des Einspruchsverfahrens geworden seien.
Gegen die Aussetzung des Verfahrens hat die Klägerin Beschwerde eingelegt. Sie hält das Einspruchsverfahren durch die Änderungsbescheide vom 19. Februar 1999 für abgeschlossen und ihren auf diese Bescheide bezogenen Antrag nach § 68 FGO für rechtswirksam.
Sie beantragt, den Aussetzungsbeschluss aufzuheben.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet.
Bereits aufgrund der erstmaligen Änderungsbescheide vom 25. September 1998 wäre das Klageverfahren entsprechend § 74 FGO auszusetzen gewesen. Daran haben die erneuten Änderungsbescheide vom 19. Februar 1999 sowie der bezüglich dieser Bescheide gestellte Antrag nach § 68 FGO nichts geändert.
1. Die Klägerin hat bezüglich der erstmaligen Änderungsbescheide vom 25. September 1998 keinen Antrag nach § 68 FGO gestellt, sondern gegen diese Bescheide Einspruch eingelegt. Daraus ergab sich für das anhängige Klageverfahren gegen die ursprünglichen Bescheide, dass abgewartet werden musste, ob die Änderungsbescheide Bestand haben werden oder nicht. Denn solange Änderungsbescheide Bestand haben, entfalten die ursprünglichen Bescheide keine Wirkung. Sie sind vielmehr suspendiert und treten erst wieder in Kraft, wenn die Änderungsbescheide aufgehoben werden (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 25. Oktober 1972 GrS 1/72, BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231, 233). Bis eine rechtskräftige Entscheidung über die Änderungsbescheide ergangen ist, kann daher ein Klageverfahren bezüglich der ursprünglichen Bescheide nicht endgültig abgeschlossen werden und ist auszusetzen oder ―bei übereinstimmendem Antrag der Beteiligten― zum Ruhen zu bringen. Daran hat sich durch die ab 1. Januar 1993 geltende Neufassung des § 68 FGO nichts geändert (vgl. BFH-Entscheidungen in BFHE 173, 14, BStBl II 1994, 658; vom 22. September 1994 IX R 30/93, BFH/NV 1995, 418, sowie vom 16. Dezember 1994 III R 201/94, BFH/NV 1995, 982). Demzufolge wäre das Klageverfahren gegen die ursprünglichen Bescheide vom 10. Mai 1996 bereits aufgrund der erstmaligen Änderungsbescheide vom 25. September 1998 auszusetzen gewesen.
2. An dieser Rechtslage haben die erneuten Änderungsbescheide vom 19. Februar 1999 ungeachtet des bezüglich dieser Bescheide gestellten Antrags nach § 68 FGO bis auf den Umstand nichts geändert, dass nunmehr diese Bescheide diejenigen sind, die für die Dauer ihres Bestehens bewirken, dass die vorhergehenden Bescheide suspendiert sind.
Zu Recht hat das FG darauf abgestellt, dass die Bescheide vom 19. Februar 1999 gemäß § 365 Abs. 3 AO 1977 ohne weiteres Gegenstand des Einspruchsverfahrens gegen die erstmaligen Änderungsbescheide vom 25. September 1998 geworden sind. Sie kommen damit für einen Antrag nach § 68 FGO nicht in Betracht. Hinsichtlich dieser Bescheide hatte die Klägerin keine Wahlmöglichkeit zwischen einem Einspruch einerseits und der Stellung eines Antrags nach § 68 FGO andererseits. Dieser Wahl war sie durch die zwingende gesetzliche Regelung des § 365 Abs. 3 AO 1977 enthoben. Die Anwendung des § 68 FGO auf den Streitfall verfehlte darüber hinaus den Zweck dieser Vorschrift. § 68 FGO soll verhindern, dass der Steuerpflichtige bei Änderung eines bereits durch Klage angefochtenen Steuerbescheides erneut ein Einspruchsverfahren durchlaufen muss (so Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 68 FGO Anm. 1). Da sich die Klägerin aber im Streitfall ohnehin ―aufgrund einer von ihr getroffenen Entscheidung― noch bzw. wieder in einem Einspruchsverfahren befand, entfällt der Gesichtspunkt, ihr ein weiteres Vorverfahren zu ersparen.
Fundstellen