Entscheidungsstichwort (Thema)
Zusätzliche Zahlungen bei Auflösung eines Arbeitsverhältnisses
Leitsatz (NV)
Verspricht ein Arbeitgeber anläßlich der Auflösung eines Arbeitsverhältnisses einem Arbeitnehmer neben der Zahlung eines Abfindungsbetrages für den Fall längerer Arbeitslosigkeit weitere (spätere) Ausgleichszahlungen "in Höhe der zuletzt bezogenen Leistungen des Arbeitsamtes", so sprechen hinreichend gewichtige Gründe dafür, daß diese nach dem Auslauf des Arbeitslosengeldes gezahlten Ausgleichsbeträge nicht Teil einer einheitlichen Entschädigung i. S. des §24 Nr. 1 Buchst. a EStG sind.
Normenkette
EStG § 24 Nr. 1 Buchst. a, § 34
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Streitig ist, ob eine der Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) im Streitjahr 1993 zugeflossene Abfindung mit einem ermäßigten Steuersatz zu besteuern ist.
Die im Jahr 1936 geborene Antragstellerin war bei der M AG (AG) beschäftigt, die im Laufe des Streitjahres ihren Betrieb von A nach B verlegte. Im Zusammenhang mit der Betriebsverlegung vereinbarten die Geschäftsleitung und der Betriebsrat der AG einen Sozialplan, in dem u. a. Regelungen über Abfindungszahlungen für solche Mitarbeiter enthalten sind, deren Arbeitsverhältnis aufgrund eigener Kündigung oder Kündigung des Arbeitgebers, wegen eines Aufhebungsvertrags oder aus betrieblichen Gründen endet. In §3 des Sozialplans ist unter I. zunächst ein Sockelbetrag vorgesehen, der für Mitarbeiter vor Vollendung des 50. Lebensjahres 10 000 DM und für solche nach Vollendung des 50., aber vor Vollendung des 58. Lebensjahres 15 000 DM beträgt. Der jeweilige Sockelbetrag erhöht sich nach §3 II. um bestimmte Steigerungsbeträge, die abhängig sind vom Lebensalter, vom Monatsgehalt zuzüglich Nebenleistungen sowie von der Dauer der Betriebszugehörigkeit der einzelnen Mitarbeiter. Eine weitere Erhöhung ist in §3 III. geregelt für Arbeitnehmer mit Kindern, für unterhaltspflichtige alleinverdienende Mitarbeiter sowie für Schwerbehinderte. Die Obergrenze der gesamten Abfindung beträgt nach IV. 300 000 DM. §3 a des Sozialplans enthält Sonderregelungen für rentennahe Jahrgänge mit erhöhten Sockel- und Steigerungsbeträgen. Nach weiteren Regelungen zur Betriebsrente (§4) und zum Jubiläumsgeld (§5) ist in §6 ein "Ausgleich bei längerer Arbeitslosigkeit" vereinbart. Danach erhalten Mitarbeiter, die das 50. Lebensjahr vollendet, das 58. Lebensalter jedoch noch nicht vollendet haben und mindestens 5 Jahre dem Unternehmen angehört haben, nach Erschöpfung ihres Arbeitslosengeldanspruchs für längstens 12 Monate einen monatlich fälligen Betrag "in Höhe des zuletzt bezogenen Arbeitslosengeldes" (laut einem Nachtrag vom 9. Juni 1993 "in Höhe der zuletzt bezogenen Leistungen des Arbeitsamtes").
Die Antragstellerin erhielt entsprechend den Regelungen des Sozialplans im Juni 1993 eine Abfindung in Höhe von 161 872,20 DM, für die die AG die Lohnsteuer nach Maßgabe des §39 b Abs. 3 Satz 10 des Einkommensteuergesetzes (EStG) einbehielt. Von März bis Juli 1996 erhielt die Antragstellerin entsprechend der Regelung des §6 des Sozialplans wegen andauernder Arbeitslosigkeit eine Ausgleichszahlung von monatlich 1 490,88 DM, für die die AG die Lohnsteuer ohne Anwendung einer Tarifbegünstigung einbehielt. Die im Jahr 1996 gezahlten Beträge von insgesamt 7 605,86 DM überwies die Antragstellerin im Oktober 1996 an die AG zurück, weil bekannt geworden war, daß nach Auffassung der Lohnsteueraußenprüfung des Finanzamts I wegen dieser im Anschluß an das Arbeitslosengeld geleisteten Zahlungen die gewährte Steuerbegünstigung auf die erhaltenen Abfindungen nachträglich zu versagen sei.
Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt II -- FA --) schloß sich dieser Auffassung an und änderte dementsprechend den Einkommensteuerbescheid 1993 für die Antragstellerin gemäß §173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977). Über den dagegen eingelegten Einspruch hat das FA noch nicht entschieden; den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Bescheids hat es abgelehnt.
Das Finanzgericht (FG) hat den daraufhin bei ihm gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des geänderten Einkommensteuerbescheids 1993 vom 12. November 1996 in Höhe von 30 942,17 DM mit Beschluß vom 16. Juni 1997 ebenfalls abgelehnt. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des die Tarifbegünstigung versagenden Bescheids seien nicht begründet. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) müsse eine Entschädigung für entgangene oder entgehende Einnahmen in einem Betrag gezahlt werden, um nach §34 Abs. 1 EStG steuerbegünstigt zu sein. Im Streitfall stellten die im Jahr 1993 gezahlte Abfindung und die im Jahr 1996 gezahlten Ausgleichsbeiträge eine einheitliche Entschädigung dar. Die Zahlung dieser Entschädigung hätte deshalb nicht auf zwei Veranlagungszeiträume verteilt werden dürfen. An der Versagung der Tarifermäßigung könne die Rückzahlung der im Jahr 1996 erhaltenen Beträge nichts ändern, da die Antragstellerin damit lediglich über bereits zugeflossene Beträge verfügt habe.
Gegen diesen Beschluß wendet sich die Antragstellerin mit der vom FG zugelassenen Beschwerde. Entgegen der Auffassung des FG könne nicht von einer einheitlichen Entschädigung ausgegangen werden, weshalb erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Einkommensteuerbescheids bestünden. Lediglich die im Jahr 1993 gemäß §3 des Sozialplans geleistete Abfindung sei "für" entgangene oder entgehende Einnahmen gezahlt worden und stehe mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses in unmittelbarem Zusammenhang. Die Sonderzahlungen gemäß §6 des Sozialplans könnten nicht als Bestandteil dieser Abfindung angesehen werden, weil sie einen ganz anderen Zweck verfolgten. Dies werde aus ihrer Klassifizierung als "Ausgleich bei längerer Arbeitslosigkeit" deutlich sowie daraus, daß die entsprechende Regelung in einem eigenen Paragraphen und in einem Nachtrag zum Sozialplan niedergelegt sei. Die Sonderzahlungen stellten keine Abgeltung bestehender Ansprüche der Arbeitnehmer dar, sondern seien Ausfluß der fortdauernden Fürsorgepflicht des Arbeitgebers. Durch sie sollten die besonderen sozialen Beschwernisse der Arbeitnehmer, die nach dem Auslaufen ihres Arbeitslosengeldes weiterhin ohne Beschäftigung waren, abgefedert werden. Selbst wenn man die monatlichen Ausgleichszahlungen als Abfindung für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ansehe, sei eine zusammengeballte Zahlung der Abfindung anzunehmen, weil diese Beträge noch im Veranlagungszeitraum ihrer Zahlung wieder zurückgezahlt worden seien. Zur weiteren Begründung ihrer Auffassung legt die Antragstellerin ein Rechtsgutachten der Universität Y vor, das ebenfalls zu dem Ergebnis kommt, daß die eigentliche Abfindungszahlung und die nachträglich gewährten Sonderzahlungen unabhängig zu bewerten seien und letztere somit keinen Einfluß auf die Tarifermäßigung für die Einmalzahlung haben dürften.
Die Antragstellerin beantragt, den Beschluß des FG aufzuheben und dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung stattzugeben.
Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist zum überwiegenden Teil begründet.
1. Nach §69 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Steuerbescheids ganz oder teilweise aussetzen. Die Aussetzung soll erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (§69 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 FGO). Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des Bescheids anhand des aktenkundigen Sachverhalts neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umstände gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken (vgl. BFH-Beschluß vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182, seitdem ständige Rechtsprechung).
Entgegen der Auffassung des FG hält der Senat im Streitfall ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Einkommensteuerbescheids 1993 insoweit für gegeben, als darin der Antragstellerin die Tarifbegünstigung für die Abfindungszahlung versagt worden ist.
2. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH liegen außerordentliche Einkünfte i. S. des §34 Abs. 1, Abs. 2 EStG (nur) dann vor, wenn die Entschädigung für entgangene oder entgehende Einnahmen, die sich bei normalem Ablauf auf mehrere Jahre verteilt hätten, zusammengeballt in einem Betrag gezahlt wird (vgl. BFH-Urteil vom 2. September 1992 XI R 63/89, BFHE 171, 416, BStBl II 1993, 831, m. w. N.). Dabei ist eine aus Anlaß der Auflösung oder Beendigung eines Arbeitsverhältnisses als Ersatz für entgehende Einnahmen gemäß §24 Nr. 1 Buchst. a EStG gewährte Entschädigung grundsätzlich einheitlich zu beurteilen; das gilt auch für den Fall, daß sich die Entschädigung aus mehreren Teilen (in sachlicher oder auch in zeitlicher Hinsicht) zusammensetzt, z. B. indem unterschiedliche Auszahlungstermine vereinbart werden oder indem eine zunächst getroffene Vereinbarung modifiziert wird (vgl. BFH-Urteil vom 21. März 1996 XI R 51/95, BFHE 180, 152, BStBl II 1996, 416). Allerdings kann es in besonders gelagerten Fällen möglich sein, daß ein Steuerpflichtiger im Zusammenhang mit der Auflösung seines Arbeitsverhältnisses mehrere selbständige Entschädigungen erhält. Das ist z. B. der Fall, wenn neben eine Entschädigung i. S. des §24 Nr. 1 Buchst. a EStG eine Entschädigung für die Einhaltung eines Wettbewerbsverbots i. S. des §24 Nr. 1 Buchst. b EStG tritt (vgl. dazu BFH-Urteil vom 16. März 1993 XI R 10/92, BFHE 170, 445, BStBl II 1993, 497). Denkbar erscheint es auch, daß ein Arbeitgeber anläßlich der Auflösung eines Arbeitsverhältnisses einem Arbeitnehmer neben einer Entschädigung i. S. des §24 Nr. 1 Buchst. a EStG weitere (spätere) Zahlungen verspricht, mit denen er diesen nicht mehr unmittelbar "für" entgehende Einnahmen entschädigen will, sondern die er unter dem Gesichtspunkt einer fortdauernden Fürsorgepflicht für geboten hält. Welche (engen) Voraussetzungen dafür im einzelnen erfüllt sein müssen, kann im Rahmen dieses Aussetzungsverfahrens nicht entschieden werden, sondern muß einem eventuellen Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
3. Aufgrund der hier erforderlichen, aber auch ausreichenden summarischen Beurteilung sprechen hinreichend gewichtige Gründe für die von der Antragstellerin vertretene Auffasung, daß die im Jahr 1996 erhaltenen Beträge nicht als Teil einer einheitlichen Entschädigung nach §24 Nr. 1 Buchst. a EStG anzusehen sind.
Die der Antragstellerin und den übrigen betroffenen Arbeitnehmern in §3 und §3 a des Sozialplans zugesagte Entschädigung dient erkennbar der Abgeltung der durch den Verlust des Arbeitsplatzes eingetretenen Nachteile. Denn die Höhe der Entschädigung setzt sich zusammen aus einem Sockelbetrag sowie einem Steigerungsbetrag, der sich aus dem Jahresgehalt, dem Lebensalter und der Dauer der Betriebszugehörigkeit des jeweiligen Arbeitnehmers errechnet. Zusätzlich werden in §3 III. mit einem weiteren Erhöhungsbetrag besondere soziale Aspekte einzelner Arbeitnehmer berücksichtigt. §3 a des Sozialplans sieht darüber hinaus für rentennahe Jahrgänge einen höheren Sockelbetrag und einen besonderen Steigerungsbetrag vor. Die sich für die Antragstellerin aus den einzelnen Beträgen ergebende Gesamtentschädigung ist ihr als Abfindung in einem Betrag ausgezahlt worden.
Die zusätzlichen Ausgleichszahlungen bei längerer Arbeitslosigkeit sind im Sozialplan in einer eigenen Bestimmung (§6) im Anschluß an die Bestimmungen über die Betriebsrente (§4) und die Jubiläumsgelder (§5) geregelt. Die Höhe der nach §6 zu zahlenden Beträge richtet sich nach der Höhe der zuletzt bezogenen Leistungen des Arbeitsamtes; sie hängt damit nicht -- wie die Entschädigung in §3 -- von Kriterien ab, nach denen durch den Arbeitsplatzverlust entgehende Einnahmen annähernd bestimmt werden können. Da die entgehenden Einnahmen bei Arbeitnehmern mit gleichem Alter, gleichem Gehalt und gleicher Betriebszugehörigkeit auch gleich hoch sind (und da die Länge der Arbeitslosigkeit auf die Höhe der entgehenden Einnahmen aus dem früheren Arbeitsverhältnis keinen Einfluß hat), erscheint der Schluß möglich, daß die zusätzlichen Zahlungen nach §6 des Sozialplans keinen Ersatz für entgehende Einnahmen darstellen, sondern daß der Grund für diese Zahlungen in besonderen fürsorgerechtlichen Erwägungen des früheren Arbeitgebers zu suchen ist. Für den Fürsorgecharakter der Zahlungen sprechen auch der Zahlungszeitpunkt und die Zahlungsweise. So beginnen die Ausgleichszahlungen erst, nachdem für den betroffenen Arbeitnehmer der Bezug von Arbeitslosengeld ausgelaufen ist, und sie werden wie das Arbeitslosengeld monatlich (für insgesamt ein Jahr) erbracht.
4. Der vorliegende Fall ist nicht vergleichbar mit den von Offerhaus in Deutsche Steuerzeitung (DStZ) 1997, 108, 110 und DStZ 1994, 225, 228 angesprochenen Fällen der "nachträglichen Aufstockung einer Entlassungsentschädigung". Wenn in diesen Fällen die Höhe der Abfindung von künftigen Lohnerhöhungen oder Zuwendungen für die weiterbeschäftigten Arbeitnehmer abhängig gemacht wird, handelt es sich auch bei den nachgezahlten Erhöhungsbeträgen um einen Ersatz für entgehende Einnahmen aus dem aufgelösten Arbeitsverhältnis.
Die Tarifermäßigung führt zu einer Minderung der Einkommensteuer 1993 in Höhe von 26 113 DM. Die Antragstellerin hat beim FG die Aussetzung der Vollziehung des Einkommensteuerbescheids 1993 in Höhe von 30 942,17 DM beantragt. Dieser Antrag bezieht offensichtlich die nachgeforderten Beträge an Kirchensteuer und Zinsen mit ein. Insoweit hat jedoch eine Aussetzung der Vollziehung der diese Abgaben betreffenden Bescheide von Amts wegen zu erfolgen (§69 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 2 Satz 4 FGO, §361 Abs. 3 Satz 1 AO 1977; vgl. auch BFH-Beschluß vom 16. März 1995 VIII B 158/94, BFH/NV 1995, 680).
Fundstellen