Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Zulässigkeit der Änderung von Verwaltungsvorschriften
Leitsatz (NV)
Die Beantwortung der Rechtsfrage, ob die Finanzverwaltung grundsätzlich frei ist, Verwaltungsvorschriften aufzuheben oder zu ändern, ergibt sich unmittelbar aus Art. 20 Abs. 3 GG und ist deshalb nicht gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO von grundsätzlicher Bedeutung.
Normenkette
GG Art. 20 Abs. 3; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) hatte in den Jahren 1971 bis 1975 an Auftraggeber im Währungsgebiet der DM-Ost Leistungen erbracht, die der Dienstleistungsvereinbarung mit dem Währungsgebiet der DM-Ost (Anlage 6 zum Berliner Abkommen) unterlagen.
Nach dem Erlaß des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 5. Januar 1968 IV A/2 - S 7435 - 44/67 (BStBl I 1968, 185 Tz. 1 a) wurde für derartige Leistungen ursprünglich keine Umsatzsteuer erhoben. Der Erlaß stand unter dem Vorbehalt des Widerrufs und beruhte auf § 26 Abs. 4 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1967.
Seit dem 1. Juli 1970 wurde für derartige Leistungen ein reduzierter Steuersatz angewandt (Erlaß vom 8. Mai 1970 IV A/2 - S 3435 - 10/70, BStBl I 1970, 394 unter II. Nr. 1). Leistungen, für die der Genehmigungsantrag bereits am 1. Juli 1970 eingegangen war, blieben steuerfrei. Ebenfalls steuerfrei blieben Leistungen, die allgemein genehmigt waren und bis zum 31. Dezember 1970 ausgeführt waren.
Die Klägerin verlangt die völlige Freistellung ihrer in den Jahren 1971 bis 1975 getätigten Leistungen entsprechend dem ursprünglichen Verwaltungserlaß vom 5. Januar 1968.
Ihr dahingehender Antrag hatte keinen Erfolg (Bescheide vom 20. Februar und 18. August 1978, Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion - OFD - vom 14. Juni 1989). Die anschließende Klage wies das Finanzgericht (FG) ab. Das FG meinte, die Verwaltung sei grundsätzlich frei, Verwaltungsvorschriften aufzuheben oder zu ändern. Es könne dahinstehen, inwieweit bei Änderung von Verwaltungsvorschriften Übergangsregelungen wegen des Vertrauens des Steuerpflichtigen auf die frühere Regelung getroffen werden müssen. Die in dem Erlaß vom 8. Mai 1970 vorgesehene Übergangsregelung sei ausreichend. Die Einbeziehung der von der Klägerin ausgeführten Leistungen in die ermäßigte Besteuerung nach dem Erlaß vom 8. Mai 1970 sei nicht willkürlich und verstoße nicht gegen Art. 3 des Grundgesetzes (GG).
Hiergegen hat die Klägerin Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Sie macht geltend, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung (vgl. § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -); außerdem weiche das FG-Urteil von einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) ab und beruhe auf dieser Abweichung (vgl. § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO).
Das FG stütze seine Entscheidung zunächst auf den Rechtssatz, daß die Verwaltung grundsätzlich frei sei, Verwaltungsvorschriften zu ändern oder aufzuheben. Aus Gründen der Rechtssicherheit und der einheitlichen Handhabung des Rechts bestehe aber ein Interesse der Allgemeinheit an der Klärung der Frage, unter welchen Voraussetzungen Verwaltungsvorschriften geändert oder aufgehoben werden könnten. Die Klärung dieser Voraussetzungen sei für eine Vielzahl von Sachverhalten bedeutsam. Außerdem stütze das FG seine Entscheidung darauf, daß der Erlaß des BMF vom 8. Mai 1970 nicht gegen Art. 3 GG verstoße. Die Klägerin habe in ihrer Klagebegründung dargelegt, daß das Rechtsstaatsprinzip und der allgemeine Gleichheitssatz in mehrfacher Hinsicht durch den Erlaß vom 8. Mai 1970 verletzt seien. Sie habe ausgeführt, daß vor allem der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der Grundsatz der Systemtreue sowie der Grundsatz des Vertrauensschutzes tangiert seien. Insbesondere zu der Typisierungsbefugnis der Verwaltung bei staatlichem Handeln unter dem Grundsatz der Systemtreue fehlten bisher Stellungnahmen des BFH. Der streitige Erlaß betreffe einen größeren Kreis von Steuerpflichtigen, deren Interesse an der einheitlichen Handhabung des Rechts berührt sei.
Schließlich weiche das Urteil des FG von dem Urteil des BFH vom 12. Januar 1973 III R 28/72 (BFHE 108, 471, BStBl II 1973, 427) ab. In diesem Urteil habe der BFH in den die Entscheidung tragenden Gründen die Änderung einer Verwaltungsvorschrift an Art. 3 GG gemessen. Das FG sei in der angefochtenen Entscheidung dieser Rechtsauffassung nicht gefolgt. Es habe vielmehr betont, die Verwaltung sei grundsätzlich frei, Verwaltungsvorschriften zu ändern oder aufzuheben. Da sich die Verbindlichkeit von Verwaltungsvorschriften nur mittelbar, insbesondere aufgrund der Selbstbindung ergebe, werde diese mittelbare Wirkung durch Aufhebung oder Änderung der Verwaltungsvorschrift beseitigt. Das FG gehe zwar an späterer Stelle noch auf einen Verstoß des Erlasses vom 8. Mai 1970 gegen Art. 3 GG ein, es berücksichtige dabei aber nicht, daß die Prüfung des Art. 3 GG hier besonderen Anforderungen genügen müsse, weil es sich um die Änderung einer Verwaltungsvorschrift handele.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist nicht begründet.
1. Eine Rechtssache ist von grundsätzlicher Bedeutung i. S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn die aufgeworfene Rechtsfrage
a) klärungsbedüftig und
b) klärbar ist und
c) ihre Klärung aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit oder der Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse liegt.
Die Rechtsfrage, ob die Verwaltung grundsätzlich frei ist, Verwaltungsvorschriften aufzuheben oder zu ändern, ist nicht klärungsbedürftig. Ihre Beantwortung ergibt sich unmittelbar aus Art. 20 Abs. 3 GG. Danach ist die vollziehende Gewalt an Gesetz und Recht gebunden. Dies gilt auch für die Aufhebung oder Änderung von Verwaltungsvorschriften. Die Verwaltung ist also nur insofern frei, Verwaltungsvorschriften aufzuheben oder zu ändern, als sich aus dem Gesetz und Recht nichts anderes ergibt.
Die Frage, unter welchen Voraussetzungen Verwaltungsvorschriften geändert oder aufgehoben werden dürfen, ist in dieser Allgemeinheit im vorliegenden Verfahren nicht klärbar. Im Streitfall war lediglich zu entscheiden, ob der Widerruf des Verwaltungserlasses vom 5. Januar 1968 aufgrund einer entsprechenden Änderung der Verwaltungspraxis (vgl. Maunz / Dürig / Herzog, Grundgesetz, Art. 3 Abs. 1 Rdnr. 432) sachlich gerechtfertigt oder willkürlich war und deshalb gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstieß. Aus der Beschwerdeschrift ergibt sich nicht, warum der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der Systemtreue und des Vertrauensschutzes dazu führen soll, daß die Klägerin von der Zahlung der gesetzlich geschuldeten Umsatzsteuer freigestellt werden muß. Die Frage, ob die Änderung eines Verwaltungserlasses und der damit zusammenhängenden Verwaltungspraxis gegen das aus Art. 3 Abs. 1 GG hergeleitete allgemeine Willkürverbot verstößt, hängt vielmehr wesentlich von der Änderung der tatsächlichen Verhältnisse ab, die zur Änderung der Verwaltungspraxis geführt haben. Art. 3 Abs. 1 GG gibt dem Steuerpflichtigen keinen Rechtsanspruch, daß eine ihm günstige Verwaltungspraxis aufrechterhalten wird. Insofern wirft der Rechtsstreit keine Rechtsfragen auf, deren Beantwortung aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und der Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse liegt. Die Tatsache allein, daß der Verwaltungserlaß vom 8. Mai 1970 einen größeren Kreis von Steuerpflichtigen betrifft, vermag die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht zu begründen (vgl. BFH-Beschluß vom 20. November 1969 I B 34/69, BFHE 97, 281, BStBl II 1970, 133).
2. Das FG ist mit der Vorentscheidung auch nicht von dem Urteil des BFH in BFHE 108, 471, BStBl II 1973, 427 abgewichen, da auch das FG geprüft hat, ob die Änderung der Verwaltungsvorschrift gegen das aus Art. 3 Abs. 1 GG hergeleitete allgemeine Willkürverbot verstößt. Daß die Änderung von Verwaltungsvorschriften ,,besonderen Anforderungen" genügen muß, ergibt sich aus dem Urteil des BFH nicht.
Fundstellen