Entscheidungsstichwort (Thema)
Verhältnis einstweilige Anordnung - Aussetzung der Vollziehung
Leitsatz (NV)
1. Zur Zulässigkeit des Antrags auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung, durch welche dem FA untersagt werden soll, vor dem Ergehen einer gerichtlichen Entscheidung über den vom Steuerpflichtigen gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung zu vollstrecken.
2. Zum Anordnungsgrund.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 3, § 114
Tatbestand
Die Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) haben gegen einen Feststellungsbescheid über gemeinschaftliche Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung für 1980 in der Gestalt der gegen sie ergangenen Einspruchsentscheidung Klage erhoben. Ferner haben sie beim Finanzgericht (FG) beantragt, die Vollziehung des Feststellungsbescheids gemäß § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auszusetzen, nachdem zuvor ein beim Antragsgegner und Beschwerdegegner (Finanzamt - FA -) gestellter Aussetzungsantrag auch im Beschwerdeverfahren abgelehnt worden war. Das FG hat über die Klage und über den bei ihm gestellten Aussetzungsantrag bisher nicht entschieden.
Nachdem das FA zu erkennen gegeben hatte, daß es mit der Durchführung von Vollstreckungsmaßnahmen nicht bis zur gerichtlichen Entscheidung über den Aussetzungsantrag abwarten wolle, beantragten die Antragsteller beim FG unter Hinweis auf die Beschlüsse des FG Düsseldorf vom 3. Februar 1983 VIII 18/83 AE (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1984, 105) und vom 9. Mai 1984 XV 133/84 AE - U - (EFG 1985, 10) den Erlaß einer einstweiligen Anordnung ,,gerichtet auf die einstweilige Aussetzung der Vollziehung/Vollstreckung".
Das FG lehnte den Antrag mit folgender Begründung ab:
Im Streitfall fehle es an dem für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung erforderlichen Anordnungsanspruch (§ 114 Abs. 3 FGO i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). Nach § 258 der Abgabenordnung (AO 1977), der allein als Anspruchsgrundlage für einen Anordnungsanspruch der Antragsteller in Betracht komme, könne die Vollstreckungsbehörde die Vollstreckung einstweilen einstellen oder beschränken oder eine Vollstreckungsmaßnahme aufheben, soweit im Einzelfall die Vollstreckung unbillig sei. Die Antragsteller hielten die Vollstreckung allein deshalb für unbillig, weil die Entscheidung des Gerichts über ihren Antrag nach § 69 Abs. 3 FGO noch ausstehe. Der Senat folge nicht der Auffassung des FG Düsseldorf in den von den Antragstellern zitierten Entscheidungen, nach der Vollstreckungsmaßnahmen grundsätzlich unbillig seien, solange das FG über einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung noch nicht entschieden habe. Diese Rechtsansicht stehe im Widerspruch zur Grundentscheidung des Gesetzgebers, wonach ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung die Vollziehung eines Verwaltungsakts ebensowenig hemme, wie die Einlegung eines Rechtsbehelfs (§ 361 Abs. 1 AO 1977) oder die Erhebung der Klage (§ 69 Abs. 1 FGO). Solange die Vollziehung nicht ausgesetzt sei, dürfe grundsätzlich vollstreckt werden (§ 251 Abs. 1 AO 1977). Deshalb sei die Vollstreckung eines angefochtenen Verwaltungsakts vor der Entscheidung des Gerichts über einen bei ihm gestellten Aussetzungsantrag nach § 69 Abs. 3 FGO nicht grundsätzlich unbillig. Unbillig sei eine Vollstreckung in diesem Fall nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Nachteile, die über die nicht vermeidbaren Beeinträchtigungen hinausgingen, die jede Zwangsvollstreckung mit sich bringe und mit denen sich der Vollstreckungsschuldner abfinden müsse. Derartige außergewöhnliche Umstände - etwa Bedrohung der wirtschaftlichen oder persönlichen Existenz des Betroffenen - hätten die Antragsteller nicht dargetan.
Mit der Beschwerde machen die Antragsteller geltend, die Vorentscheidung stehe im Widerspruch zur Rechtsprechung des FG Düsseldorf, das die Vollstreckungsmaßnahmen grundsätzlich für unbillig halte, solange das FG über einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung noch nicht entschieden habe. Die unterschiedlichen Rechtsauffassungen der FG dürften sich wegen des Gleichheitsgrundsatzes nicht zu Lasten der Antragsteller auswirken, die sich ihr FG nicht aussuchen könnten.
Die Antragsteller beantragen, unter Aufhebung der Vorentscheidung ihrem Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung zu entsprechen.
Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Während des Beschwerdeverfahrens haben die Antragsteller, um einer Kontopfändung zu entgehen, einen Teil der Steuerrückstände und der rückständigen Säumniszuschläge an das FA gezahlt; dieses hat ihnen die Hälfte der Säumniszuschläge erlassen. Hinsichtlich der restlichen Rückstände (ca. 8 000 DM) haben die Antragsteller Anträge auf Verrechnungsstundung gestellt. Das FA hat über die Stundungsanträge noch nicht entschieden. Es hat aber die Beitreibung bis zur Entscheidung über die Stundungsanträge ausgesetzt und den Antragstellern zugesagt, daß im Falle der gerichtlichen Aussetzung der Vollziehung die gezahlten Beträge unverzüglich wieder freigegeben würden.
Die Antragsteller halten ihre Beschwerde und den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung mit der Begründung aufrecht, daß sie wegen der angekündigten Kontopfändung zur Zahlung genötigt worden wären und sie hierfür Kredite hätten aufnehmen müssen. Ihre wirtschaftliche und persönliche Existenz sei nunmehr bedroht.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist nicht begründet. Das FG hat den Antrag der Antragsteller auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt.
Der Senat neigt zu der Auffassung, daß der Antrag bereits deshalb unzulässig ist, weil die Antragsteller mit ihm denselben Rechtsschutz begehren, wie mit ihrem bereits beim FG anhängigen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Feststellungsbescheids. Wie der II. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) im Beschluß vom 11. Januar 1984 II B 35/83 (BFHE 139, 508, BStBl II 1984, 210) entschieden hat, fehlt für einen Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung, durch welche dem FA untersagt werden soll, vor Rechtskraft der Entscheidung über einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung zu vollstrecken, im Hinblick auf § 114 Abs. 5 FGO das Rechtsschutzbedürfnis, da das Gesetz mit dem Antrag nach § 69 Abs. 3 FGO einen ausreichenden Rechtsschutz zur Verfügung stellt. Zu Unrecht hält das FG Düsseldorf, das das Rechtsschutzinteresse für den Antrag nach § 114 FGO auch bei einer dem Streitfall entsprechenden Sachverhaltsgestaltung bejaht (EFG 1984, 105 und 1985, 10), die Entscheidung des II. Senats des BFH nur für anwendbar, wenn der Antragsteller neben dem Antrag nach § 114 FGO, anstatt den direkten Weg auf gerichtlichen Rechtsschutz nach § 69 Abs. 3 FGO zu suchen, nach vorherigem Antrag gemäß § 361 AO 1977 und erfolgloser Beschwerde die Verpflichtungsklage auf Aussetzung der Vollziehung erhebt. In dem vom II. Senat entschiedenen Fall war zwar der Antrag nach § 114 FGO während des Beschwerdeverfahrens über die bei der Verwaltung beantragte Aussetzung der Vollziehung gestellt worden. Der II. Senat hat jedoch in seinen Entscheidungsgründen keinen Zweifel daran gelassen, daß er das Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung in allen Fällen ablehnt, in denen § 69 Abs. 3 FGO eingreift, d. h. um so mehr gerade auch dann, wenn - wie im Streitfall - ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung beim FG bereits gestellt ist. Das Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag auf einstweilige Anordnung gerichtet auf die einstweilige Aussetzung der Vollziehung bis zur Entscheidung über den beim Gericht gestellten Aussetzungsantrag kann auch nicht aus der Eilbedürftigkeit einer gerichtlichen Entscheidung hergeleitet werden. Denn sowohl bei dem Antrag nach § 114 FGO als auch bei dem Antrag nach § 69 Abs. 3 FGO handelt es sich um Eilverfahren. Es ist für den Regelfall nicht ersichtlich, aus welchen Gründen das FG unter Berücksichtigung seiner Geschäftsbelastung mit Eilsachen insgesamt über den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung schneller sollte entscheiden können als über den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung.
Der erkennende Senat hat zwar entschieden, daß ein auf Aussetzung der Vollziehung nach § 69 Abs. 3 FGO gerichtetes Verfahren das Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage gegen die Ablehnung der einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung (§ 333 der Reichsabgabenordnung - AO -, § 258 AO 1977) nicht ausschließt (Urteil vom 3. November 1970 VII R 43/69, BFHE 100, 436, BStBl II 1971, 114). Er hat dies damit begründet, daß Anträge nach § 69 Abs. 2, 3 FGO und solche nach § 333 AO (§ 258 AO 1977) nicht dasselbe zum Gegenstand haben. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung zielt darauf ab, daß ein angefochtener bzw. noch anfechtbarer Verwaltungsakt im Hinblick darauf, daß noch nicht feststeht, ob er von Bestand sein wird, nicht in irgendeiner Weise vollzogen wird. Dagegen wendet sich ein Antrag nach den §§ 333 AO, 258 AO 1977 auf einstweilige Einstellung oder Beschränkung der Zwangsvollstreckung bzw. Aufhebung einer Vollstreckungsmaßnahme grundsätzlich gegen die Vollstreckung als solche, ohne Rücksicht auf die Rechtmäßigkeit des vorangegangenen Verwaltungsakts. Daraus folgert die Rechtsprechung des BFH, daß ein Verfahren nach § 69 Abs. 3 FGO auch ein Verfahren auf einstweilige Einstellung oder Beschränkung der Vollstreckung, welches im Wege des Antrags auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung verfolgt wird, nicht ausschließt (Beschlüsse vom 21. September 1982 VIII B 154/81, und vom 3. Februar 1983 V B 41/81 - nicht veröffentlicht -).
Der Senat hält dies grundsätzlich für zutreffend. Er hegt aber Zweifel am Vorliegen eines Rechtsschutzbedürfnisses für den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung, wenn mit diesem nicht ein eigenständiger, gegen die Vollstreckung als solche gerichteter Anspruch (§ 258 AO 1977) geltend gemacht wird, sondern - wie im Streitfall - der Antrag nach § 114 FGO lediglich dazu dienen soll, eine vorweggenommene - vorläufige - gerichtliche Entscheidung über die beim FG beantragte Aussetzung der Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts zu erlangen. Die Antragsteller leiten die Unbilligkeit der Vollstreckung gemäß § 258 AO 1977 allein daraus ab, daß über ihren Antrag auf Aussetzung der Vollziehung noch nicht entschieden ist, und sie begehren den Erlaß einer einstweiligen Anordnung nur bis zu dem Zeitpunkt des Ergehens einer gerichtlichen Entscheidung über ihren Aussetzungsantrag. Eine derartige Koppelung des Antrags auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung mit dem Verfahren nach § 69 Abs. 3 FGO dürfte jedoch entgegen der von den Antragstellern zitierten Rechtsprechung des FG Düsseldorf - wie sich bereits aus § 114 Abs. 5 FGO ergibt - unzulässig sein. Der Senat braucht aber die Frage der Zulässigkeit des Antrags nach § 114 FGO nicht zu vertiefen. Für den Streitfall fehlt den Antragstellern das Rechtsschutzbedürfnis für ihren Antrag zumindest deshalb, weil gegenwärtig eine Vollstreckung durch das FA nicht mehr droht.
Das FA hat, nachdem die Antragsteller während des Beschwerdeverfahrens den größten Teil der streitbefangenen Rückstände gezahlt haben, die verwirkten Säumniszuschläge zur Hälfte erlassen und die Beitreibung der restlichen Rückstände von insgesamt 8 000 DM bis zur Entscheidung über Stundungsanträge der Antragsteller ausgesetzt. Soweit ein eigenständiger Antrag der Antragsteller auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung (§ 258 AO 1977) gegeben sein sollte, ist dieser dadurch gegenstandslos geworden. Das Rechtsschutzinteresse für den von den Antragstellern aufrechterhaltenen Antrag ist damit entfallen, da nach der ausdrücklichen Zusicherung des FA bis auf weiteres keine Vollstreckungsmaßnahmen getroffen werden. Falls es den Antragstellern aber nur noch darum gehen sollte, die gezahlten Beträge zurückzuerhalten, könnten sie das im vorliegenden Verfahren auch nicht durch eine Änderung ihres Antrags erreichen. Der sachgerechte Antrag dafür ist der auf Aufhebung der Vollziehung nach § 69 Abs. 3 Satz 4 FGO. Ein Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung mit dem gleichen Ziel wäre nach § 114 Abs. 5 FGO unzulässig.
Überdies fehlt es auch an einem Anordnungsgrund. § 114 Abs. 1 FGO räumt dem Gericht keine schrankenlose Befugnis zum Erlaß einer Regelungsanordnung ein. Die ausdrücklich genannten Gründe (,,wesentliche Nachteile" und ,,drohende Gewalt") setzen Maßstäbe auch für die ,,anderen Gründe" im Sinne der genannten Bestimmung. ,,Andere Gründe" rechtfertigen eine einstweilige Anordnung nur dann, wenn sie für die begehrte Regelungsanordnung ähnlich gewichtig und bedeutsam sind, wie ,,wesentliche Nachteile" oder ,,drohende Gewalt" (vgl. BFH-Beschluß vom 26. Januar 1983 I B 48/80, BFHE 137, 235, BStBl II 1983, 233, 236). Den Antragstellern müssen daher Nachteile drohen, die über den allgemeinen Nachteil einer Steuerzahlung hinausreichen (vgl. BFH-Beschluß vom 21. Januar 1982 VIII B 94/79, BFHE 135, 23, 27, BStBl II 1982, 307, 309 mit Hinweis auf die Rechtsprechung). Die Antragsteller haben nicht vorgetragen und auch nicht glaubhaft gemacht, ob und inwieweit ein solcher Nachteil gegeben ist. Der Umstand allein, daß über den Aussetzungsantrag gerichtlich noch nicht entschieden ist, ist kein ,,wesentlicher Nachteil" oder ,,anderer Grund" i. S. des § 114 Abs. 1 FGO. Wegen dieser besonderen Voraussetzungen für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung kommt es deshalb nicht darauf an, ob die noch ausstehende Entscheidung über den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung - wie das FG Düsseldorf (EFG 1984, 105 und 1985, 10) meint - die Vollstreckung i. S. des § 258 AO 1977 unbillig macht.
Keine wesentlichen Nachteile in diesem Sinne stellen auch die Zinsbelastungen dar, die den Antragstellern infolge der zur Steuerzahlung aufgenommenen Kredite erwachsen. Daß die aufgenommenen Kredite ihre wirtschaftliche und persönliche Existenz bedrohen, haben die Antragsteller nicht glaubhaft gemacht (§ 114 Abs. 3 FGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO). Hierfür reichen angesichts der beruflichen und wirtschaftlichen Stellung des Antragstellers die vorgelegten Bankmitteilungen über eine nicht eingelöste Lastschrift in Höhe von 6 000 DM und eine Überziehung des eingeräumten Dispositionskredits um 4 000 DM nicht aus.
Fundstellen
Haufe-Index 414550 |
BFH/NV 1987, 96 |