Entscheidungsstichwort (Thema)
Verletzung des rechtlichen Gehörs; grundsätzliche Bedeutung
Leitsatz (NV)
- Der Anspruch auf rechtliches Gehör und die richterliche Hinweispflicht verlangen nicht, dass das Gericht die maßgeblichen Rechtsfragen mit den Beteiligten umfassend und in allen Einzelheiten erörtert. Auch ist das Gericht nicht verpflichtet, die einzelnen für die Entscheidung erheblichen Gesichtspunkte im Voraus anzudeuten. Mögliche Fehler des FG bei der Würdigung seiner Feststellungen können auch unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs nicht zur Zulassung der Revision führen.
- Zur schlüssigen Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer aufgeworfenen Rechtsfrage bedarf es der Darlegung, dass es im Revisionsverfahren tatsächlich zu ihrer Klärung kommen kann.
Normenkette
FGO § 76 Abs. 2, § 96 Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nrn. 1, 3, § 116 Abs. 3 S. 3; GG Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
FG des Landes Brandenburg (Urteil vom 04.06.2003; Aktenzeichen 2 K 137/01) |
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten um die Höhe einer Rückstellung für die Beseitigung von Umweltlasten sowie die Angemessenheit von Geschäftsführervergütungen.
Mit Kaufvertrag vom 15. September 1993 erwarb die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) von einem VEB, dessen alleinige Gesellschafterin die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben ―BvS― (als Nachfolgerin der Treuhandanstalt) war, neben verschiedenen Wirtschaftsgütern des Anlage- und Umlaufvermögens ein Betriebsgrundstück. Gemäß § 11 Abs. 3 des Kaufvertrages hatte die Klägerin die Kosten für die Beseitigung von Umweltschäden auf dem Grundstück bis zu einem Betrag von 400 000 DM selbst zu tragen. Von den darüber hinausgehenden Kosten sollte die BvS 80 % bis zu einem Höchstbetrag von 3 800 000 DM erstatten. Diese Klausel beruhte auf einem Schätzgutachten, wonach die zu erwartenden Kosten der Abwehr vorhandener Umweltschäden mit ca. 4 200 000 DM zu veranschlagen waren. In der Folgezeit erteilte auch der zuständige Landrat der Klägerin einen Freistellungsbescheid, wonach diese für die Beseitigung der auf dem erworbenen Grundstück vor dem 1. Juli 1990 verursachten Schäden einen Eigenanteil in Höhe von 400 000 DM (Sockelbetrag) selbst zu tragen habe, für die darüber hinausgehenden Kosten bis zu einem Betrag von weiteren 3 800 000 DM hingegen zu 80 % freizustellen sei.
Für die auf sie entfallenden Kosten der Beseitigung der Umweltschäden bildete die Klägerin zum 31. Dezember 1993 eine Rückstellung in Höhe von 1 160 000 DM (400 000 DM + [20 % von 3 800 000 DM]), die sie in den Folgejahren fortführte. Den der Rückstellung zugeführten Betrag berücksichtigte sie 1993 anteilig bei der Ermittlung der Anschaffungskosten für die erworbenen Wirtschaftsgüter, was in der Folge zu erhöhten Absetzungen für Abnutzung (AfA) führte.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) erkannte die Rückstellung mit der Folge erhöhter AfA-Beträge (für 1993) nicht an, da die zuständige Behörde keinen Beseitigungsanspruch geltend gemacht habe. Weiterhin behandelte das FA die Bezüge der Gesellschafter-Geschäftsführer der Klägerin in den Streitjahren 1994 bis 1996 als verdeckte Gewinnausschüttungen (vGA), soweit sie jährlich insgesamt 450 000 DM überstiegen.
Die hiergegen gerichtete Klage hatte teilweise Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied, die Klägerin habe die begehrte Rückstellung zum 31. Dezember 1993 in der ausgewiesenen Höhe bilden dürfen. Zu Recht habe sie den zurückgestellten Betrag als übernommene Verbindlichkeit auch anteilig den Anschaffungskosten der übernommenen Wirtschaftsgüter zugeschlagen; auf dieser Grundlage sei die AfA der erworbenen Wirtschaftsgüter zu bemessen.
Allerdings sei die Rückstellung zum 31. Dezember 1995 infolge des ergangenen Freistellungsbescheides des Landrats zu mindern, da die nunmehr zu erwartende Inanspruchnahme sich auf lediglich 400 000 DM + (20 % von [20 % von 3 800 000 DM]), damit 552 000 DM belaufe. Die Klägerin habe nämlich bereits gegen die BvS einen Anspruch auf Erstattung von 80 % von 3 800 000 DM, damit eines Betrages von 3 040 000 DM gehabt. Davon und von den zu erwartenden Gesamtaufwendungen von 4 200 000 DM ausgehend, ergebe sich neben dem Eigenanteil von 400 000 DM eine mögliche Belastung der Klägerin von lediglich 760 000 DM. Von letzterem Betrag sei sie aber zusätzlich vom Landkreis zu 80 % freigestellt worden. Die so erforderliche Kürzung der Rückstellung um 608 000 DM mindere allerdings nicht rückwirkend die Anschaffungskosten der im Jahre 1993 erworbenen Wirtschaftsgüter, sondern sei als a.o. Ertrag zu behandeln.
Hinsichtlich der Geschäftsführergehälter lägen insoweit vGA vor, als die Gesamtausstattung beider Gesellschafter-Geschäftsführer insgesamt 600 000 DM pro Jahr übersteige. Für die Angemessenheit der Bezüge von Gesellschafter-Geschäftsführern gebe es zwar keine festen Regeln. Im Streitfall sei aber u.a. zu berücksichtigen, dass die von der Klägerin gezahlten Gehälter 1995 und 1996 einen wesentlichen Teil des Gewinns beansprucht hätten. Insbesondere im Hinblick darauf, dass die Klägerin in den Jahren 1993 bis 1996 keinen Gewinn erwartet habe, wäre ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter bei der Bemessung des Festgehalts eines Geschäftsführers selbst dann zurückhaltend gewesen, wenn dieser zuvor bei einem eingeführten Unternehmen mit gesicherter Ertragslage ein höheres Gehalt bezogen habe. Da in der Anfangsphase des Unternehmens der Klägerin nicht erkennbar gewesen sei, ob es sich am Markt würde durchsetzen können, hätten sich die Geschäftsführergehälter insbesondere an den eigenen Gewinnaussichten der Klägerin ausrichten müssen.
Mit Ihrer Beschwerde begehrt die Klägerin die Zulassung der Revision.
Die Vorentscheidung beruhe auf einem Verfahrensmangel, zudem sei die Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung.
Das FG habe den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt. Es sei unter Bezugnahme auf den Freistellungsbescheid "völlig überraschend" zu dem Ergebnis gelangt, dass die (dem Grunde nach anzuerkennende) Rückstellung zu kürzen sei. Dieser Gesichtspunkt sei während des Verfahrens zu keinem Zeitpunkt angesprochen worden und auch bei fachkundiger Beratung nicht offenkundig gewesen. Hätte die Klägerin Gelegenheit gehabt, sich zu der vom FG vorgenommenen Auslegung des Freistellungsbescheides zu äußern, hätte sie klargestellt, dass eine Freistellung nur insoweit habe erfolgen sollen, als Dritte (BvS) keine Kostentragung übernommen hätten. Damit wäre der Klage in diesem Punkt in vollem Umfange stattzugeben gewesen.
Von grundsätzlicher Bedeutung sei die Frage, ob sich bei der richterlichen Schätzung der Angemessenheit einer Geschäftsführervergütung eine "Ermessensreduzierung auf Null" ergebe, wenn wie vorliegend die nunmehrige Tätigkeit des Geschäftsführers mit seiner früheren Tätigkeit vergleichbar und der Fremdvergleich bereits dadurch erbracht sei, dass ein fremder Arbeitgeber diesem Geschäftsführer für die vergleichbare Tätigkeit in einem vergleichbaren Unternehmen eine gleich hohe Vergütung bezahlt habe.
Das FA hält die Beschwerde für unzulässig.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet und war somit zurückzuweisen.
1. Ob die Klägerin den von ihr gerügten Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―) der Verletzung ihres rechtlichen Gehörs entsprechend den Erfordernissen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt hat, kann dahinstehen. Jedenfalls ist diese Rüge unbegründet.
Das Verbot von Überraschungsentscheidungen stützt sich auf Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), § 96 Abs. 2 FGO. Eine Überraschungsentscheidung in diesem Sinne liegt vor, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht rechnen musste (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 1. Juli 1998 IV B 152/97, BFH/NV 1998, 1511; vom 2. April 2002 X B 56/01, BFH/NV 2002, 947). Der Anspruch auf rechtliches Gehör und die richterliche Hinweispflicht i.S. des § 76 Abs. 2 FGO verlangen indessen nicht, dass das Gericht die maßgeblichen Rechtsfragen mit den Beteiligten umfassend und in allen Einzelheiten erörtert (BFH-Beschluss vom 14. Juni 1999 I B 127/98, BFH/NV 1999, 1609); das Gericht ist grundsätzlich weder zu einem Rechtsgespräch noch zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung verpflichtet. Auch auf nahe liegende rechtliche oder tatsächliche Gesichtspunkte braucht es jedenfalls dann nicht ausdrücklich hinzuweisen, wenn die Beteiligten fachkundig vertreten sind (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2002, 947; vom 11. Februar 2003 XI B 4/02, BFH/NV 2003, 802). Zudem ist das Gericht nicht verpflichtet, die einzelnen für die Entscheidung erheblichen Gesichtspunkte im Voraus anzudeuten (BFH-Urteil vom 28. Februar 1989 VIII R 303/84, BFHE 157, 51, BStBl II 1989, 711; BFH-Beschluss vom 30. Oktober 2001 X B 28/01, BFH/NV 2002, 342).
Der Freistellungsbescheid des Landrats war allen Verfahrensbeteiligten bekannt. Dass er für die Bemessung des Erfüllungsbetrags der Verpflichtung der Klägerin, die Aufwendungen zur Beseitigung der vorhandenen Umweltschäden zu tragen, von Bedeutung sein würde, war offensichtlich. Es konnte daher nicht überraschen, dass das FG ihn gewürdigt hat. Das Ergebnis der Würdigung, die der Bescheid durch das FG erfahren hat, ist dem Bereich seiner tatsächlichen Feststellungen zuzuordnen. Mögliche Fehler dabei können daher unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs nicht zur Zulassung der Revision führen (BFH-Beschluss vom 3. August 2001 IV B 28/01, BFH/NV 2002, 20).
2. Die von ihr geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) hat die Klägerin bereits nicht entsprechend den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt.
Eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung kommt in Betracht, wenn der Beschwerdeführer substantiierte und konkrete Angaben darüber macht, dass im Revisionsverfahren über eine klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage zu entscheiden ist und dass diese Entscheidung im Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Anwendung und Fortbildung des Rechts wesentlich ist (BFH-Beschluss vom 18. Februar 1998 VII B 253/97, BFH/NV 1998, 990). Zur Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage bedarf es der Darlegung, dass es im Revisionsverfahren tatsächlich zur Klärung der aufgeworfenen Rechtsfrage kommen kann (BFH-Beschluss vom 13. März 1998 VIII B 57/97, BFH/NV 1998, 993). Daran fehlt es vorliegend.
Das FG hat sein Urteil nicht entscheidend auf die von der Klägerin als grundsätzlich bedeutsam erachtete Rechtsfrage, inwieweit eine Vortätigkeit des Geschäftsführers zu berücksichtigen sei, sondern erkennbar darauf gestützt, dass in der Anfangsphase eines Unternehmens die Höhe von Geschäftsführergehältern vor allem an den eigenen Gewinnaussichten auszurichten sei.
Fundstellen