Leitsatz (amtlich)
1. Seit dem 1. Januar 1977 ist nach den Vorschriften der AO 1977 zu prüfen, ob ein Verfahren wegen der noch fehlenden gesonderten Feststellung von Besteuerungsgrundlagen auszusetzen ist.
2. Die gesonderte Feststellung einkommensteuerpflichtiger und körperschaftsteuerpflichtiger Einkünfte, an denen mehrere beteiligt sind, unterbleibt nicht deshalb, weil die Steueransprüche gegen die Beteiligten, mit Ausnahme eines Beteiligten, verjährt sind.
Normenkette
AO 1977 § 179ff; FGO § 74; EGAO 1977 § 1
Tatbestand
Die Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin) war Gesellschafterin einer KG. Diese veräußerte ihr Betriebsvermögen an eine AG, an der sie mit Mehrheit beteiligt war, gegen Gewährung weiterer Aktien dieser Gesellschaft. Seitdem wurde die KG vom Beklagten und Beschwerdeführer (FA) und von den Gesellschaftern als Gesellschaft des bürgerlichen Rechts (GdbR) behandelt.
Diese veräußerte im Streitjahr 1966 ihre Aktien. Das FA erfaßte im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung 1966 der Klägerin einen Veräußerungsgewinn nach §§ 17, 34 EStG.
Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.
Auf die Revision hob der erkennende Senat das Urteil des FG auf und verwies die Sache an das FG zurück (Urteil vom 7. April 1976 I R 75/73, BFHE 119, 146, BStBl II 1976, 557). Der Senat gab dem FG auf, zu prüfen, ob die GdbR das Engagement der früheren KG in anderer Form fortgeführt habe. Da die KG nach den Feststellungen des FG ihr Vermögen "zu Buchwerten" an die AG veräußert und dafür Aktien erhalten habe, bestehe Anlaß, diese Frage zu untersuchen. Wörtlich heißt es in dem Urteil:
"Bei Fortführung des Engagements in anderer Form hätte die GdbR durch die Veräußerung der Aktien Einkünfte aus Gewerbebetrieb nach §§ 15, 16 EStG erzielt. Das hätte zur Folge, daß für 1966 eine einheitliche und gesonderte Gewinnfeststellung gemäß § 215 Abs. 2 AO stattfinden müßte. Das FA bestreitet allerdings, daß die KG ihr Vermögen 'zu Buchwerten' an die AG veräußert habe und behauptet, bei der damaligen Veräußerung sei ein Veräußerungsgewinn erzielt und besteuert worden. Das FG wird diese Frage prüfen. Sollte nach dem Vorliegen des Ergebnisses dieser Prüfung zwischen den Beteiligten weiter streitig sein, ob die Voraussetzungen für eine Fortführung des Engagements in anderer Form erfüllt sind, müßte das FG das Verfahren aussetzen, bis im vorgreiflichen Feststellungsverfahren entschieden worden ist (BFH-Beschluß vom 27. September 1972 I B 27/72, BFHE 107, 8, BStBl II 1973, 24; BFH-Urteil vom 10. April 1973 VIII R 132/70, BFHE 109, 342, BStBl II 1973, 679)."
Das FG führte eine mündliche Verhandlung vom 13. Dezember 1976 durch, in der die Streitsache in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht erörtert wurde. Aus den Unterlagen, die vorgelegt wurden, entnahm das FA, daß die GdbR das Engagement der KG nicht fortgeführt habe. Die Klägerin bestritt dies. Daher hat das FG beschlossen:
"Das Verfahren wird gemäß § 74 FGO ausgesetzt, bis das FA über die Erteilung eines einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellungsbescheides unanfechtbar entschieden hat."
Gegen diesen Beschluß richtet sich die Beschwerde des FA mit folgender Begründung: In der mündlichen Verhandlung vom 13. Dezember 1976 sei eindeutig klargestellt worden, daß ein Engagement in anderer Form nicht fortgeführt worden sei. Die Klägerin habe nichts Gegenteiliges vortragen können. Unter diesen Umständen verstoße die Aussetzung des Verfahrens gegen §§ 76, 96 FGO. Das FG habe nach § 76 FGO den Sachverhalt einwandfrei festgestellt. Wegen der in § 96 FGO festgelegten Entscheidungsbefugnis sei es unerheblich, ob der Sachverhalt zwischen den Beteiligten noch streitig sei.
Im übrigen sei § 215 der Reichsabgabenordnung (AO) nicht anzuwenden, wenn nur die Einkunftsart streitig sei. Abgesehen davon sei auf den Streitfall § 180 der Abgabenordnung (AO 1977) anzuwenden. Da die Einkommensteueransprüche 1966 der übrigen Mitglieder der GdbR verjährt seien, komme eine gesonderte Feststellung des Gewinns nicht in Betracht (§ 180 Abs. 3 AO 1977).
Das FA verweist schließlich darauf, daß das FG selbst durch Beschluß vom 8. März 1977 B IV 46-47/76 die Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Bescheides aufgehoben habe, weil nach den vorliegenden Unterlagen keine ernstlichen Zweifel daran bestünden, daß die Klägerin durch die Veräußerung der Aktien Einkünfte nach § 17 EStG erzielt habe.
Das FA beantragt, den Beschluß des FG aufzuheben und in der Sache zu entscheiden.
Die Klägerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist zulässig (§ 128 Abs. 1, 2, 2. Halbsatz, § 129 FGO), aber nicht begründet. Das FG hat mit Recht das Verfahren ausgesetzt, bis im vorgreiflichen Feststellungsverfahren entschieden worden ist, ob die Klägerin Einkünfte aus Gewerbebetrieb nach § 15 Nr. 2, § 16 EStG erzielt hat (§ 74 FGO).
1. Die Rechtsfrage ist nunmehr unter Berücksichtigung der Vorschriften der Abgabenordnung (AO 1977) zu prüfen.
Nach § 1 des Einführungsgesetzes zur AO 1977 werden - abgesehen von den gesetzlich vorgeschriebenen Ausnahmen - Verfahren, die am 1. Januar 1977 anhängig sind, nach den Vorschriften der AO 1977 zu Ende geführt. Das bedeutet, daß seit dem 1. Januar 1977 eine einheitliche und gesonderte Feststellung bestimmter Einkünfte nach § 215 AO rechtlich nicht mehr zulässig ist. Die Entscheidung des Senats im Urteil I R 75/73, daß unter bestimmten Voraussetzungen das Verfahren auszusetzen sei, bis eine einheitliche und gesonderte Feststellung des Gewinns nach § 215 Abs. 2 AO stattgefunden habe, ist insoweit durch § 180 AO 1977 überholt.
Das FG war in dem angefochtenen Beschluß vom 13. Dezember 1976 noch an die Rechtsauffassung des Urteils des BFH I R 75/73 gebunden (§ 126 Abs. 5 FGO), da die AO 1977 erst am 1. Januar 1977 in Kraft trat (§ 415 AO 1977). Dennoch erweist sich der angefochtene Beschluß des FG aus der Sicht der gegenwärtigen Rechtslage insoweit als unrichtig, als die Frage der Aussetzung des Verfahrens nach § 215 AO entschieden worden ist (vgl. dazu auch BFH-Urteil vom 8. Februar 1977 VIII R 50/74, BFHE 121, 379, BStBl II 1977, 516).
2. Die Prüfung der Rechtsfrage nach § 180 AO 1977 führt jedoch zum gleichen Ergebnis, zu dem das FG gelangt ist. Auch nach § 180 AO 1977 sind Einkünfte aus Gewerbebetrieb, die Mitunternehmer nach § 15 Nr. 2, § 16 EStG erzielen, gesondert festzustellen. Die Zuständigkeit des Betriebs-FA (§ 18 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977) beinhaltet - ebenso wie nach § 215 AO - die alleinige Entscheidungsbefugnis darüber, ob solche Einkünfte vorliegen. Daraus folgt, daß bei einem Streit der Beteiligten über diese Frage dieser Streit nur im Feststellungsverfahren nach § 180 AO 1977 zu entscheiden ist. Insoweit verbleibt es bei der Rechtsauffassung des Senats im Urteil I R 75/73.
Nach den Ausführungen des FG ist trotz Prüfung der Unterlagen zwischen den Beteiligten streitig geblieben, ob die Voraussetzungen für die Fortführung des Engagements und damit die Voraussetzungen von Einkünften aus Gewerbebetrieb nach § 15 Nr. 2, § 16 EStG erfüllt sind. Denn die Klägerin hat dies nach wie vor bestritten. Die gegenteilige Darstellung des FA ist nicht belegt. Andererseits wird die Feststellung des FG dadurch bestätigt, daß die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 13. Dezember 1976 den Antrag auf Aussetzung des Verfahrens gestellt hat. Aus dem Beschluß des FG vom 8. März 1977 B IV 46-47/76, durch den das FG die Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Bescheides aufgehoben hat, ergibt sich, daß sich die Klägerin nicht auf ein einfaches Widersprechen beschränkt, sondern ihre Ansicht, das Betriebsvermögen der KG sei damals zu Buchwerten übertragen worden, näher begründet. Ob diese Ansicht richtig ist, kann der Senat nicht prüfen, die Prüfung obliegt zunächst allein dem Betriebs-FA.
Entgegen der Auffassung des FA ergibt sich die Unrichtigkeit des angefochtenen Aussetzungsbeschlusses des FG nicht daraus, daß das FG die Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Bescheides aufgehoben hat. Denn das FG ist der Sache nach davon ausgegangen, daß auch das Betriebs-FA keine Fortführung der Buchwerte und damit auch keine Einkünfte aus Gewerbebetrieb nach § 15 Nr. 2, § 16 EStG werde feststellen können.
Die gesonderte Feststellung der gewerblichen Einkünfte ist im Streitfall nicht nach § 180 Abs. 3 AO 1977 ausgeschlossen. Denn diese Vorschrift regelt den Fall, daß nur eine der an den Einkünften beteiligten Personen im Geltungsbereich der AO 1977 einkommensteuerpflichtig (oder körperschaftsteuerpflichtig) ist. Auf die Frage, ob im Einzelfall die anderen Beteiligten nicht besteuert werden können, weil die Steueransprüche verjährt sind, kommt es dabei nicht an.
Fundstellen
BStBl II 1978, 265 |
BFHE 1978, 19 |