Entscheidungsstichwort (Thema)
Begrenzter Dispens vom Vertretungszwang vor dem BFH bei Stellung eines PKH-Antrages
Leitsatz (NV)
Die (vorläufige) Befreiung von den Erfordernissen des Art. 1 Nr. 1 BFHEntlG zur Stellung eines PKH-Antrages im Rechtsmittelverfahren setzt u. a. voraus, daß der Rechtsuchende zumindest in laienhafter Weise seiner Darlegungspflicht i. S. des § 115 Abs. 3 Satz 3 bzw. des § 120 Abs. 2 FGO nachkommt.
Normenkette
FGO §§ 56, 115 Abs. 3 S. 3, § 120 Abs. 2, § 142; BFHEntlG Art. 1 Nr. 1; ZPO §§ 114, 117
Tatbestand
Die Antragstellerin wurde wegen Nichtabgabe von Steuererklärungen für das Kalenderjahr 1980 im Wege der Schätzung zur ESt und zur USt herangezogen. Der hiergegen eingelegte Einspruch wurde als unzulässig - weil verspätet - verworfen, der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (ebenfalls als verspätet - § 110 Abs. 2 AO 1977) abgelehnt.
Die Klage ist erfolglos geblieben, die Einspruchsentscheidung in beiden Punkten vom FG bestätigt worden.
Gegen das mit ordnungsgemäßer Rechtsmittelbelehrung versehene erstinstanzliche Urteil, in dem die Revision nicht zugelassen wurde, hat die Antragstellerin Revision ,,oder ein sonst gegebenes Rechtsmittel" eingelegt. Gleichzeitig hat sie Gewährung von ,,Armenrecht" sowie die Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragt. Zur Begründung hat sie vorgetragen, sie sei nicht in der Lage, die Kosten zu bezahlen. Sie sei seit vielen Jahren krank und verfüge über kein Einkommen. Dies sei amtsbekannt und ergäbe sich aus den Akten des FA. Sie sei ,,bettelarm" und bekomme von keiner Stelle Unterstützung. Sie könne nicht einmal den Krankenkassenbeitrag bezahlen. Hierfür trete ihr Vater ein. Weitere Angaben zu ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen hat die Antragstellerin nicht gemacht und sich im übrigen gegen die Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils gewendet.
Entscheidungsgründe
Dem Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe (PKH) für das Rechtsmittelverfahren kann nicht entsprochen werden.
Nach § 142 FGO i. V. m. § 114 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozeßführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Der Antrag auf Bewilligung der PKH ist bei dem Prozeßgericht zu stellen (§ 117 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Ihm sind eine Erklärung der Partei über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie entsprechende Belege beizufügen (§ 117 Abs. 2 ZPO). Hierbei hat sich der Prozeßbeteiligte der dafür eingeführten amtlichen Vordrucke zu bedienen (§ 117 Abs. 4 ZPO).
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Antragstellerin als bedürftig i. S. dieser Regelung anzusehen ist. Ihr Antrag ist allein deshalb unbegründet, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
Zwar sind die mangelnden Erfolgsaussichten i. S. des § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht schon darin begründet, daß sich die Antragstellerin nicht nach Art. 1 Nr. 1 BFHEntlG durch einen Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer hat vertreten lassen, weil diese Vorschrift für die Stellung eines PKH-Antrags nicht gilt (BFH-Beschlüsse vom 25. März 1976 V S 2/76, BFHE 118, 300, BStBl II 1976, 386; vom 18. Juli 1985 V S 3/85, BFHE 143, 528, BStBl II 1985, 499, und vom 28. Januar 1986 VII S 11/85, BFH / NV 1986, 626).
Auch wird der mittellose Prozeßbeteiligte, was die beabsichtigte Rechtsverfolgung und hierbei einzuhaltende Fristen angeht, grundsätzlich bis zur Entscheidung über den PKH-Antrag als ohne sein Verschulden an der wirksamen Einlegung des Rechtsmittels verhindert angesehen (§ 56 FGO; Beschluß des BGH vom 19. Juni 1985 IVa ZA 16/84 VersR 1985, 889; BFH-Beschlüsse vom 11. Dezember 1985 I B 44/85, BFH / NV 1986, 557; vom 28. Mai 1986 VII B 30/85, BFH /NV 1987, 37, und vom 5. November 1986 IV S 7/86, IV B 49/86, BFHE 148, 13, BStBl II 1987, 62; Tipke / Kruse, AO / FGO, 12. Aufl., § 120 FGO Tz. 20, m. w. N.). Das gilt jedoch nicht ausnahmslos, sondern nur insoweit, als der Prozeßbeteiligte alles in seinen Kräften Stehende und ihm Zumutbare getan hat, um seinerseits die Hindernisse zu beseitigen, die einer rechtzeitigen und wirksamen Einlegung des Rechtsmittels, für dessen Verfolgung PKH begehrt wird, im Wege stehen (BFHE 148, 13, BStBl II 1987, 62, 63, m. w. N.).
Daran fehlt es hier jedenfalls insofern, als die Antragstellerin nicht in der erforderlichen und ihr zumutbaren Weise dargetan hat, welches Rechtsmittel sie mit welcher Begründung hat einlegen wollen. Zwar dürfen an die Darlegungspflicht in Fällen der vorliegenden Art nicht die gleichen Anforderungen gestellt werden, wie in Fällen der rechtskundigen Vertretung nach Art. 1 Nr. 1 BFHEntlG, weil dadurch dem mittellosen Prozeßbeteiligten der Zugang zur Rechtsmittelinstanz, der ihm durch (vorläufigen) Dispens vom Vertretungszwang eröffnet werden soll, alsbald auf andere Weise wieder erschwert würde. Andererseits aber sind solche Ausnahmen von zwingenden verfahrensrechtlichen Vorschriften nur in dem Maße gerechtfertigt, als sie unter dem übergeordneten Gesichtspunkt der Chancengleichheit zur Rechtsverfolgung unerläßlich sind. Die Rechtsuchenden sollen vor Nachteilen bewahrt werden, die allein auf Mittellosigkeit beruhen. Dagegen soll derjenige, der Mittellosigkeit geltend macht, nicht darüber hinaus Vorteile gegenüber anderen Rechtsmittelführenden erhalten. Darauf aber würde es hinauslaufen, wenn jemand, der für die Revisionsinstanz einen PKH-Antrag stellt, allein um deswillen von jeglicher Darlegungspflicht i. S. des § 115 Abs. 3 Satz 3 bzw. des § 120 Abs. 2 FGO entbunden wäre. Auch von dem (zunächst) auf sich allein gestellten Rechtsmittelführer muß daher verlangt werden, daß er - gemäß der hierzu im angefochtenen Urteil erteilten Belehrung - der Verpflichtung zur fristgerechten Substantiierung seines Begehrens zumindest in laienhafter Weise nachkommt.
Das ist hier trotz ordnungsgemäßer und vollständiger Rechtsmittelbelehrung nicht geschehen. Die Antragstellerin hat sich vielmehr darauf beschränkt, unter (teilweiser) Wiederholung ihres Vorbringens in erster Instanz die Richtigkeit des finanzgerichtlichen Urteils anzugreifen. Vor allem ein Zulassungsgrund i. S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO - ein Verfahrensmangel, auf dem das FG-Urteil beruhen könnte - ist nicht ersichtlich.
Die Verletzung der Darlegungspflicht steht einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und einem Erfolg des PKH-Antrages unabhängig davon entgegen, daß es die Antragstellerin außerdem versäumt hat, ihrem Begehren innerhalb der Beschwerde- bzw. der Revisionsfrist eine formularmäßige Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse beizufügen (§ 117 Abs. 2 und Abs. 4 ZPO). Wie dieser weitere Mangel zu werten ist und ob insoweit Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden könnte (vgl. dazu BFH-Beschlüsse vom 1. September 1982 I S 4/82, BFHE 136, 354, BStBl II 1982, 737; vom 27. Juni 1983 II S 2/83, BFHE 138, 526, BStBl II 1983, 644; vom 15. April 1985 VIII S 17/81, BFH / NV 1986, 355, und in BFHE 148, 13, BStBl II 1987, 62; ferner: BGH-Beschluß in VersR 1985, 889, und Beschluß des BVerfG vom 14. Juni 1983 1 BvR 277/83, Steuerrechtsprechung in Karteiform, FGO, § 142, Rspr. 33), kann daher hier unerörtert bleiben.
Fundstellen
Haufe-Index 415081 |
BFH/NV 1988, 179 |