Entscheidungsstichwort (Thema)
Leistungsaustausch bei freiwilliger Gegenleistung (Halten von Vorträgen ohne Honorarvereinbarung)
Leitsatz (NV)
Die für den Leistungsaustausch erforderliche Zweckgerichtetheit des Handelns des leistenden Unternehmers ist auch gegeben, wenn der Unternehmer eine Leistung erbringt, die ihrer Art nach üblicherweise vergütet wird oder die nach den Umständen eine Vergütung erwarten läßt. Der Unternehmer leistet, weil er ohne rechtsgeschäftliche Verpflichtung des Leistungsempfängers zur Gegenleistung diese haben will oder zumindest bereit ist, eine solche entgegenzunehmen (Senatsurteil vom 7. Mai 1981 V R 47/76, BFHE 133, 133, BStBl II 1981, 495). Aus dem Urteil des EuGH vom 3. März 1994 Rs. C-16/93 -- Tolsma -- (Sammlung I 1994, 753) ergibt sich keine abweichende Rechtsauffassung, wenn der leistende Unternehmer zur Leistung rechtlich verpflichtet ist.
Normenkette
UStG 1980/91/93 § 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 1
Tatbestand
Der Antragsteller und Beschwerdegegner (Antragsteller) war von 1988 bis 1992 im Dienst einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft (im folgenden: Körperschaft). In den Streitjahren (1988 bis 1994) erhielt er Vergütungen für das Halten von Vorträgen.
Diese Vergütungen berücksichtigte er in seinen Einkommensteuererklärungen als Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit.
Der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt -- FA --) vertrat die Auffassung, die Vortragstätigkeit des Antragstellers unterliege der Umsatzsteuer. Das FA erließ am 7. August 1995 für die Jahre 1988 bis 1993 und am 11. August 1995 für das Jahr 1994 Umsatzsteuerbescheide. Als Bemessungsgrundlage berücksichtigte es die vom Antragsteller in seinen Einkommensteuererklärungen angegebenen Vergütungen aus der Vortragstätigkeit nach Umrechnung in Nettobeträge. Vorsteuerbeträge setzte es nicht an.
Der Antragsteller legte gegen die Umsatzsteuerbescheide Einspruch ein und beantragte gleichzeitig, die Vollziehung der angefochtenen Bescheide auszusetzen, da erhebliche Zweifel an deren Rechtmäßigkeit bestünden.
Zur Begründung der Einsprüche trug der Antragsteller vor, er übe seine Vortragstätigkeit ausschließlich im Dienste der Körperschaft aus. Die Vortragstätigkeit habe daher immer zum Ziel, praktische Öffentlichkeitsarbeit für die Körperschaft zu betreiben. Es existiere ein Beschluß der Körperschaft, wonach Mitglieder bei gewerblich organisierten und in der Regel hoch dotierten Seminarveranstaltungen grundsätzlich nicht auftreten sollten. Damit solle vermieden werden, daß die Vortragstätigkeit von den Mitgliedern zur Erzielung von Einnahmen ausgeübt werde. Der Antragsteller werde zum Teil selbst eingeladen vorzutragen, zum Teil erfolgten die Einladungen gegenüber der Körperschaft. In letztem Fall würden die Einladungen im Rahmen einer Sitzung an die einzelnen Mitglieder vergeben, soweit sie in deren Zuständigkeitsbereich fielen, oder -- bei geringerer Bedeutung -- an andere Bedienstete weitergegeben. Ein Entgelt werde in keinem Fall vereinbart. Falls ein Interessent nach dem Vortragshonorar frage, weise das Sekretariat darauf hin, daß Vereinbarungen über ein Entgelt unüblich seien. Es stehe im Ermessen des Veranstalters, wie er seine Anerkennung bekunde. Dies geschehe teilweise durch Dankschreiben, durch Übersendung von Presseartikeln, aber auch durch Überweisung von Vergütungen in vorher nicht bekannter Höhe. Im Jahre 1994 seien X Vorträge und im Jahre 1995 Y Vorträge unvergütet geblieben.
Das FA setzte die angefochtenen Umsatzsteuerbescheide bis einen Monat nach Bekanntgabe der außergerichtlichen Rechtsbehelfsentscheidung aus. Mit Einspruchsentscheidung vom 30. Oktober 1995 wies das FA die Einsprüche des Antragstellers als unbegründet zurück.
Das Finanzgericht (FG) gab dem vom FA abgelehnten erneuten Antrag des Antragstellers, die Vollziehung der angefochtenen Umsatzsteuerbescheide wegen ernstlicher Zweifel an deren Rechtmäßigkeit auszusetzen, statt. Zur Begründung führte es aus, im Hinblick auf die Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 3. März 1994 Rs. C-16/93 -- Tolsma -- (Sammlung 1994, I-753; Umsatzsteuer-Rundschau -- UR -- 1994, 399; Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht -- UVR -- 1994, 152) bestünden Zweifel, ob im Streitfall ein Leistungsaustausch vorliege, da es möglicherweise an einem unmittelbaren Zusammenhang zwischen Leistung und Gegenleistung im Sinne dieser Rechtsprechung fehle.
Hiergegen wendet sich das FA mit der vom FG zugelassenen Beschwerde. Es trägt zur Begründung vor: Der Antragsteller habe seine Vorträge im Rahmen von Dienstverträgen i. S. des §611 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) erbracht. Eine Vergütung gelte gemäß §612 Abs. 1 BGB als stillschweigend vereinbart, da die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten gewesen sei. Das Urteil des EuGH in Sammlung 1994, I-753 betreffe einen nicht vergleichbaren Einzelfall. Zwischen dem Antragsteller und den Veranstaltern habe jeweils ein Rechtsverhältnis bestanden, in dessen Rahmen die Leistung erbracht und ein -- der Höhe nach im Ermessen des Leistungsempfängers liegendes -- Entgelt gezahlt worden sei.
Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Aussetzungsanträge zurückzuweisen.
Der Antragsteller beantragt, die Beschwerde des FA zurückzuweisen. Er hält an seiner Auffassung fest, die Vortragstätigkeit sei nicht umsatzsteuerbar. Zur Begründung trägt er vor:
Auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) fehle es an einem Leistungsaustausch. Mit seinen Vorträgen sei er im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit der Körperschaft tätig geworden. Es sei nicht üblich, in dienstlicher Eigenschaft gehaltene Vorträge zu vergüten. Er habe kein Entgelt erwartet. Es sei für ihn weder bei Vorträgen vor gemeinnützigen Institutionen noch bei Verbänden oder Unternehmen vorhersehbar gewesen, ob ein Entgelt gezahlt werde. Bei einer größeren Zahl von Vorträgen habe er von vornherein um die Unentgeltlichkeit gewußt.
Auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH fehle es an einem Leistungsaustausch. Nach dieser Rechtsprechung erfordere der Leistungsaustausch ein Rechtsverhältnis mit gegenseitigen Leistungen und vereinbarter Vergütung. Eine Entgeltsvereinbarung fehle nach Ansicht des EuGH, wenn der Leistungsempfänger frei bestimmen kann, ob und wieviel er für eine Leistung zahlt. Im übrigen habe die erhaltene Vergütung nicht den tatsächlichen Gegenwert für seine Leistung gebildet, sondern sei oftmals nur eine Aufmerksamkeit gewesen.
Falls jedoch davon ausgegangen werde, daß ein Leistungsaustausch vorliege, sei die Leistung nicht ihm -- dem Antragsteller --, sondern der Körperschaft zuzurechnen. Die Vereinbarungen über die Vorträge seien zwischen den Veranstaltern und der Körperschaft zustande gekommen. Er -- der Antragsteller -- habe weder im eigenen Namen noch auf eigene Rechnung und eigenes Risiko gehandelt.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde des FA ist begründet. An der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Umsatzsteuerbescheide bestehen keine hinreichend ernstlichen Zweifel i. S. des §69 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Antrag des Antragstellers, die Vollziehung der Umsatzsteuerbescheide auszusetzen, war daher abzulehnen.
1. Ernstliche Zweifel im Sinne der bezeichneten Vorschriften bestehen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung seit dem Beschluß des BFH vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182). Die Tat- und Rechtsfragen brauchen nicht abschließend entschieden zu werden. Andererseits muß die Prüfung soweit reichen, bis feststeht, ob gewichtige Gründe gegen die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes sprechen (vgl. BFH- Urteil vom 4. Mai 1977 I R 162--163/76, BFHE 123, 3, BStBl II 1977, 765, unter 1.; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., §69 Anm. 107).
Der BFH ist als Beschwerdegericht auch Tatsacheninstanz (BFH-Beschluß vom 12. Februar 1969 VII B 60/66, BFHE 95, 84, BStBl II 1969, 318). Das Gebot der Erforschung des Sachverhalts von Amts wegen (§76 Abs. 1 FGO) gilt aber aufgrund der summarischen und vorläufigen Natur des Aussetzungsverfahrens nur eingeschränkt. Im Interesse einer Beschleunigung und mit Rücksicht auf die vorläufige Natur der im Verfahren der Aussetzung der Vollziehung zu treffenden Entscheidung tritt der sonst das finanzgerichtliche Verfahren beherrschende Untersuchungsgrundsatz zurück (BFH-Beschluß vom 22. November 1968 VII B 165/67, BFHE 94, 472, unter 5). Mithin können der Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung in der Regel nur solche Tatsachen zugrunde gelegt werden, die sich aus dem angefochtenen Verwaltungsakt oder dem glaubhaft gemachten Vortrag der Beteiligten ergeben (BFH-Beschluß vom 28. Juli 1987 V B 68/86, BFH/NV 1988, 198).
2. Wie das FG zutreffend ausgeführt hat, ergeben sich auf der Grundlage der Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 7. Mai 1981 V R 47/76, BFHE 133, 133, BStBl II 1981, 495) keine ernstlichen Zweifel an der Steuerbarkeit der Vortragstätigkeit, soweit dafür von den Veranstaltern Zahlungen geleistet worden sind. Die nach der genannten BFH-Rechtsprechung für die Annahme eines Leistungsaustausches erforderliche Zweckgerichtetheit des Handelns des Unternehmers liegt u. a. auch dann vor, wenn der Unternehmer leistet in der erkennbaren Erwartung auf eine Gegenleistung. Einer solchen Erwartung steht gleich, wenn der leistende Unternehmer eine Leistung erbringt, die ihrer Art nach üblicherweise vergütet wird oder die nach den Umständen eine Vergütung erwarten läßt. In Fällen dieser Art leistet der Unternehmer zwar, ohne den Leistungsempfänger zuvor rechtlich auf eine Gegenleistung festgelegt zu haben, jedoch nur deshalb, weil er ohne eine rechtsgeschäftliche Verpflichtung des Leistungsempfängers zur Gegenleistung diese haben will oder zumindest bereit ist, eine solche entgegenzunehmen. An einer solchen Erwartungshaltung des leistenden Unternehmers fehlt es dann, wenn er den ernstgemeinten und den sich aus den Umständen ergebenden Willen hat, für diese Leistung kein Entgelt zu nehmen und er überdies die Möglichkeit der Entgegennahme einer Gegenleistung dem Leistungsempfänger gegenüber erkennbar ausgeschlossen hat. In Fällen dieser Art -- wie z. B. bei einem Geschenk, das ein Gegengeschenk auslöst -- ist zwar eine kausale Verknüpfung beider Leistungen gegeben; jedoch fehlt es an einer inneren Verknüpfung dergestalt, daß die Leistung um einer Gegenleistung willen erbracht wird.
Eine derartige Verknüpfung zwischen der Vortragstätigkeit und den Vergütungen ist im Streitfall gegeben. An der Gesamthöhe der dem Antragsteller zugeflossenen Honorare ist abzulesen, daß Vorträge dieser Art, wie sie der Antragsteller gehalten hat, zumindest von einer größeren Zahl in Betracht kommender Veranstalter auch vergütet werden. Im übrigen kann auch Aufwendungsersatz ein Entgelt darstellen.
Der Antragsteller war auch zumindest bereit, für seine Vorträge eine Vergütung entgegenzunehmen. Wenn sein Sekretariat Veranstalter auf die Frage nach dem verlangten Vortragshonorar darauf hingewiesen hat, daß Vereinbarungen über ein Entgelt unüblich seien, so bedeutet dies nur, daß keine ausdrücklichen Vereinbarungen getroffen worden sind und die Honorierung dem Veranstalter überlassen worden ist. Daß auch in den Fällen, in denen eine Vergütung gezahlt worden ist, dem Veranstalter gegenüber die Möglichkeit der Entgegennahme einer Gegenleistung erkennbar ausgeschlossen worden ist, hat der Antragsteller nicht behauptet.
3. Entgegen der Ansicht des FG folgen aus dem Urteil des EuGH in Sammlung 1994, I- 753 keine hinreichenden ernstlichen Zweifel an dieser Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide. Nach Auffassung des EuGH wird eine Dienstleistung gegen Entgelt erbracht, wenn zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis besteht, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden, wobei die vom Leistenden empfangene Vergütung den tatsächlichen Gegenwert für die dem Leistungsempfänger erbrachte Dienstleistung bildet. Der EuGH hat bei den Darbietungen eines Straßenmusikanten ein solches Rechtsverhältnis mit der Begründung verneint, die Passanten hätten freiwillig eine Vergütung gezahlt. Nach Auffassung des Senats besteht im Streitfall ein derartiges Rechtsverhältnis. Es ist davon auszugehen, daß der Antragsteller sich dem jeweiligen Veranstalter gegenüber zu dem Vortrag verpflichtet hatte, so daß ein Rechtsverhältnis zwischen dem Leistenden und den Veranstaltern bestand, in dessen Rahmen die Leistungen ausgetauscht worden sind. Diese standen in dem vom EuGH geforderten notwendigen Zusammenhang. Anders als im Falle des Straßenmusikanten, in dem die Passanten nicht um die Leistung gebeten hatten und die Beträge aus persönlichen Motiven (Mildtätigkeit) gezahlt haben, sind im Streitfall die Vorträge von den Veranstaltern angefordert und die Vergütungen als Gegenleistung für die Vorträge gezahlt worden.
4. Bei summarischer Beurteilung der Sach- und Rechtslage im vorläufigen Verfahren ist davon auszugehen, daß Rechtsbeziehungen nur zwischen den Veranstaltern und dem Antragsteller bestanden haben und der Antragsteller als leistender Unternehmer zu beurteilen ist, wie sich aus nachfolgenden Umständen ergibt. Die Vortragstätigkeit des Antragstellers ist von seinem Sekretariat betreut worden. Er hat die Vorträge persönlich gehalten. Die Vergütungen sind an ihn gezahlt worden. Er hat sie in seinen Einkommensteuererklärungen als Einkünfte aus selbständiger Arbeit berücksichtigt. Im Hinblick auf diese Beweisanzeichen für seine Unternehmereigenschaft hätte der Antragsteller seine Behauptung, die Leistungen (Vortragstätigkeit) seien der Körperschaft zuzurechnen und er sei nur als Bediensteter der Körperschaft tätig geworden, glaubhaft machen müssen. Er hat aber weder auf diesbezügliche Vertragsunterlagen, z. B. Vereinbarungen mit den Veranstaltern oder seinen Anstellungsvertrag mit der Körperschaft, Bezug genommen, noch dargelegt, aus welchen Gründen die Vergütungen an ihn und nicht an die Körperschaft gezahlt worden sind und weshalb die Vergütungen als Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit und nicht als lohnsteuerpflichtiger Arbeitslohn berücksichtigt worden sind. Daß der Kläger aus seinen Rechtsbeziehungen mit der Körperschaft verpflichtet gewesen sein könnte, im Interesse der Öffentlichkeitsarbeit der Körperschaft Vorträge zu halten, ist unerheblich. Hieraus ergäben sich nur die Motive für sein Handeln, aber keine zwingenden Folgerungen über die Art und Weise der Durchführung.
Fundstellen
BFH/NV 1998, 357 |
UR 1998, 382 |