Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Feststellung des Verschuldens des Haftungsschuldners und zum Mitverschulden der Finanzbehörde
Leitsatz (NV)
1. Es steht dem Finanzamt frei, ob es einen Haftungsbescheid neben § 69 AO 1977 auch auf § 71 AO 1977 stützt.
2. Das Finanzamt kann die Frage des Vorliegens eines Vorsatzes auf sich beruhen lassen und sich mit der Feststellung einer grob fahrlässigen Pflichtverletzung begnügen, die zumindest eine Inanspruchnahme nach § 69 AO 1977 ermöglicht.
3. Der Frage, ob und in welchem Umfang ein etwaiges Mitverschulden der Finanzbehörde im Rahmen einer haftungsrechtlichen Inanspruchnahme nach § 69 AO 1977 Berücksichtigung finden kann, ist bereits höchstrichterlich geklärt, so dass ihr keine grundsätzliche Bedeutung zukommt.
4. Solange das Bundesverfassungsgericht eine Steuerrechtsnorm nicht für nichtig erklärt hat, können auf eine lediglich behauptete Verfassungswidrigkeit der die Erstschuld begründenden Steuerrechtsnorm gestützte Einwendungen im Rahmen der nach § 191 Abs. 1 AO 1977 zu treffenden Ermessensentscheidung nicht berücksichtigt werden. Auf diesen Fall findet § 79 Abs. 2 BVerfGG keine Anwendung.
Normenkette
AO 1977 §§ 69, 71, 166, 191, 370; FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1-2; BVerfGG § 79 Abs. 2
Verfahrensgang
FG Münster (Urteil vom 21.09.2004; Aktenzeichen 15 K 3352/02) |
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger), der Geschäftsführer der X-GmbH (GmbH) war, wurde vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) für zurückgeforderte Vorsteuern, denen Scheingeschäfte zugrunde lagen, nach § 71 und § 69 der Abgabenordnung (AO 1977) als Haftungsschuldner in Anspruch genommen. Die GmbH war ihrerseits Komplementärin der inzwischen in Insolvenz gefallenen P-GmbH & Co., an der der Kläger als Kommanditist beteiligt war. Die P-GmbH & Co. betrieb als Vertragshändlerin eines Autoherstellers einen Kfz-Handel. Aufgrund von Feststellungen der Steuerfahndung und einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung versagte das FA hinsichtlich einer Vielzahl von Verkaufsrechnungen, denen Geschäfte mit einem Herrn M (M) zugrunde lagen, den Vorsteuerabzug. In ihrer Buchführung gab die P-GmbH & Co. vor, auf dem sog. grauen Markt erworbene Fahrzeuge durch Speditionen ohne Zwischenstation auf ihrem Betriebsgelände direkt in den Freihafen Hamburg verbracht und nach Japan ausgeführt zu haben.
Die gesamte Organisation und Abwicklung der angeblichen An- und Weiterverkäufe oblag M. Die angeblichen Lieferanten erteilten der P-GmbH & Co. Rechnungen mit Umsatzsteuerausweis, die ihrerseits unter Berücksichtigung eines Preisaufschlags Ausgangsrechnungen über steuerfreie Ausfuhrlieferungen an die von M vorgegebenen ausländischen Abnehmer erteilte. Zum Nachweis der Steuerfreiheit der fingierten Ausfuhrlieferungen hielt die P-GmbH & Co. im ersten Jahr der Transaktionen selbst erstellte Ausfuhrpapiere ohne entsprechende Vermerke der Grenzzollstellen und für die folgenden vier Jahre von den angeblichen Spediteuren nach amtlichem Muster erstellte Exportbescheinigungen vorrätig. Die Spediteure räumten im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ein, die der P-GmbH & Co. in Rechnung gestellten Transportleistungen nicht erbracht und ihr auf Anweisung von M fingierte Ausfuhrbescheinigungen erteilt zu haben. Aufgrund einer Verrechnungsvereinbarung über die Ansprüche aus den angeblichen Fahrzeuglieferungen an die P-GmbH & Co. und über deren Ansprüche aus den angeblichen Fahrzeuglieferungen in das Ausland ergab sich infolge des Preisaufschlages und der für die fingierten Exportgeschäfte in Anspruch genommenen Umsatzsteuerbefreiung stets ein Überschuss zugunsten des M in Höhe der Vorsteuer aus den Einkaufsrechnungen. Diese Differenz glich die P-GmbH & Co. durch die Lieferung von tatsächlich existierenden Vorführ- und Gebrauchtwagen an M aus, für die händlerübliche Preise berechnet wurden. Aufgrund dieses Sachverhalts erteilte das FA gegenüber der P-GmbH & Co. geänderte Umsatzsteuerbescheide, die inzwischen bestandskräftig sind.
Das gegen den Kläger eingeleitete Steuerstrafverfahren stellte die Staatsanwaltschaft ein. Dagegen wurde M wegen Betruges rechtskräftig verurteilt. In ihrem Urteil stellte die Strafkammer fest, dass die beteiligten Lieferanten und Spediteure Scheinfirmen gewesen seien und keines der von den Lieferanten der P-GmbH & Co. berechneten Fahrzeuge ausgeführt worden sei. Nachdem das FA sowohl M als auch die Komplementär-GmbH als Haftungsschuldner in Anspruch genommen hatte, erging auch gegen den Kläger ein Haftungsbescheid, den das FA darauf stützte, dass der Kläger durch sein unkritisches und grob fahrlässiges Verhalten den Betrug des M begünstigt habe. Der Einspruch führte im Laufe des finanzgerichtlichen Verfahrens zu einer geringfügigen Änderung des Haftungsbescheides; die Klage blieb indes erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) urteilte, dass der Kläger den Haftungstatbestand des § 71 AO 1977 i.V.m. § 370 Abs. 1 und Abs. 4 AO 1977 dadurch erfüllt habe, dass er als Geschäftsführer der Komplementär-GmbH Steueranmeldungen einreichte, die auf eine unberechtigte Anrechnung von Vorsteuer gerichtet waren. Zugleich sei darin ein zumindest grob fahrlässiger Pflichtverstoß zu sehen, der auch nach § 69 AO 1977 zur Haftung führe. Dafür spreche, dass sich der Kläger allein auf die buchmäßige Abwicklung der An- und Verkäufe beschränkt habe, ohne zumindest stichprobenartig die Existenz der eingeschalteten Firmen und die tatsächliche Ausfuhr der nicht auf dem Betriebsgelände der P-GmbH & Co. zwischengeparkten Fahrzeuge zu überprüfen. Die Umstände, dass sein Vertragspartner M nur über Handy in einem anderen Mitgliedstaat zu erreichen gewesen sei und dass die ausländischen Abnehmer der Fahrzeuge über mehrere Jahre keine Verbindung zur P-GmbH & Co. aufgenommen hätten, hätten dem im Kfz-Handel erfahrenen Kläger Anlass geben müssen, an der Existenz der Firmen zu zweifeln. Die Abrechnung derselben Fahrzeuge in mehreren Verkaufsrechnungen hätte eine Überprüfung der tatsächlichen Vertragsdurchführung erforderlich gemacht. Auch habe der Kläger sich fragen müssen, warum M nicht selbst die angeblich profitablen An- und Verkaufsgeschäfte tätigte. Schließlich hätte dem Kläger die Art der Bezahlung dieser Geschäfte zu denken geben müssen. Wirtschaftlich gesehen sei das Risiko der Vorsteuerabzugsberechtigung auf die P-GmbH & Co. verlagert worden. Für seine Untätigkeit sei der Kläger eine plausible Erklärung schuldig geblieben. Die Pflichtverletzung sei für den entstandenen Schaden auch kausal gewesen. Das Ziel des Klägers habe darin bestanden, durch pflichtwidrige Abgabe unrichtiger Steueranmeldungen den durch die gewährten Steuererstattungen erlangten Vorteil auf Dauer zu sichern.
Selbst wenn im Streitfall ein bedingter Vorsatz des Klägers nicht angenommen werden könnte, sei das Verhalten als zumindest grob fahrlässige Pflichtverletzung zu werten, die nach § 69 AO 1977 zur Haftung führe. Aufgrund der einem üblichen Geschäftsgebaren im Autohandel widersprechenden Umstände hätte der Kläger erkennen können und müssen, dass die von M vorgeschlagenen An- und Weiterverkäufe in Wirklichkeit Luftgeschäfte gewesen seien und vorrangig der Erschleichung von Vorsteuererstattungen gedient hätten. Diese Schlussfolgerungen hätte der Kläger bereits deshalb ziehen müssen, weil er zumindest im ersten Jahr über keine formell ordnungsgemäßen Ausfuhrbescheinigungen verfügte. In den Folgejahren hätte er sich deshalb nicht mit einem nur buchmäßigen Ausfuhrbeleg der ihm unbekannten Speditionen begnügen dürfen.
Die Inanspruchnahme des Klägers sei auch ermessensgerecht, denn Vollstreckungsversuche seien sowohl bei M, als auch bei der P-GmbH & Co. und bei deren Komplementärin erfolglos geblieben. Eine Haftung des Klägers sei nicht deshalb ausgeschlossen, weil die der Fahndungsprüfung vorausgegangenen Umsatzsteuer-Sonderprüfungen nicht zur Beanstandung der Ordnungsmäßigkeit der Verkaufsrechnungen der Lieferanten geführt hätten.
Mit seiner im Wesentlichen auf grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) und auf Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) gestützten Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision.
Er macht geltend, dass das FG bei der Prüfung der Tatbestandsmerkmale des § 69 AO 1977 die Frage offen gelassen habe, ob es sich im Streitfall um eine vorsätzliche oder grob fahrlässige Begehungsweise handle. Es habe lediglich festgestellt, dass dem Kläger zumindest eine grob fahrlässige Pflichtverletzung vorzuwerfen sei. Da das FG hinsichtlich des Tatbestandes des § 71 AO 1977 zugleich ein bedingt vorsätzliches Handeln bejaht habe, sei von ihm die rechtliche Behauptung aufgestellt worden, dass ein vorsätzliches Handeln in jedem Fall auch ein fahrlässiges Verhalten beinhalte. Diese Schlussfolgerung stehe im Widerspruch zur strafrechtlichen Dogmatik, die eine strikte Abgrenzung beider Verschuldensformen verlange. Daher stelle sich im Streitfall die Frage von grundsätzlicher Bedeutung, ob das Gericht bei der Beurteilung von Steuerhinterziehungstatbeständen gemäß §§ 370, 71 AO 1977 und Haftungstatbeständen gemäß § 69 AO 1977 die Entscheidung zwischen vorsätzlichem Handeln und fahrlässiger Pflichtverletzung i.S. des § 69 AO 1977 in Entscheidungen in Haftungssachen dahingestellt sein lassen könne.
Auch habe das FG im Streitfall die Erörterung der Problematik eines Haftungsausschlusses infolge eines Mitverschuldens der Finanzverwaltung umgangen. Es wäre nämlich dem FA aufgrund seiner Kenntnisse ohne weiteres möglich gewesen, im Anschluss an die bei der P-GmbH & Co. durchgeführten Umsatzsteuer-Sonderprüfungen durch entsprechende Kontrollmitteilungen etwaige steuerliche Auffälligkeiten bei M oder den Lieferanten festzustellen. Die Notwendigkeit solcher Kontrollmaßnahmen hätte sich dem FA bereits aufgrund der erheblichen Höhe der Vorsteuererstattungsansprüche aufdrängen müssen, so dass das FA an der Entstehung der Steuerschuld ein erhebliches Mitverschulden treffe. Im Ergebnis stelle das FG an den Kläger höhere Sorgfaltsanforderungen als an das FA. Es stelle sich somit die Frage von grundsätzlicher Bedeutung, ob es die Auslegung von §§ 69, 191 Abs. 1 AO 1977 hinsichtlich der Sorgfaltspflichten eines ordentlichen Kaufmannes gebiete, für den Vertreter einen strengeren Haftungsmaßstab anzulegen, als ihn die Finanzbehörden zum maßgeblichen Prüfungszeitpunkt hätten erfüllen können, wenn diesen vor dem Zeitpunkt des Vorsteuerabzugs bekannt gewesen sei, dass gegen den sogenannten "missing trader" Ermittlungen wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung durchgeführt würden, die sich als begründet herausstellten.
Im Streitfall käme darüber hinaus eine teleologische Reduktion der Vorschriften der § 15 Abs. 1 und § 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) sowie §§ 69, 191 Abs. 1 AO 1977 in Betracht, da es einen unerträglichen Zustand darstelle, dass ein durch einen "missing trader" getäuschtes Unternehmen, das gutgläubig einen Vorsteuerabzug vorgenommen habe, neben dem Verlust der dem "missing trader" zugewendeten Vermögenswerte auch noch für die geschuldete Umsatzsteuer hafte. Die Versagung des Vorsteuerabzugs beim gutgläubigen Rechnungsempfänger verstoße gegen das Neutralitätsgebot der Umsatzsteuer und gegen Verfassungs- und Gemeinschaftsrecht. Deshalb könnten dem Kläger trotz bestandskräftiger Festsetzung der Erstschuld die Rechtswirkungen des § 166 AO 1977 nicht entgegengehalten werden. Es stelle sich die Frage von grundsätzlicher Bedeutung, ob der Grundsatz des Neutralitätsgebots der Umsatzsteuer einen Ausschluss der Vertreterhaftung nach § 69 AO 1977 gebiete, wenn der Vertreter der Steuerschuldnerin im guten Glauben an deren Vorsteuerabzugsberechtigung nach § 15 Abs. 1 Satz 1 UStG Vorsteuerabzüge geltend mache, obwohl --was dem FA bekannt sei-- der bereits nach § 14 Abs. 3 UStG a.F. haftende "missing trader" die Umsatzsteuer für die zugrunde liegenden Geschäfte weder erklärt noch entrichtet habe.
Schließlich beruft sich der Kläger auf eine Verletzung der dem FG nach § 76 Abs. 1 FGO obliegenden Sachaufklärungspflicht. Denn das FG habe bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 71 AO 1977 und hinsichtlich der Feststellung eines vorsätzlichen Handelns weder M noch den Verkaufsleiter der P-GmbH & Co. oder weitere Zeugen vernommen und auch die Ermittlungsakten des gegen M eingeleiteten Strafverfahrens nicht beigezogen. Des Weiteren hätte das FG unter Ausschöpfung der gleichen Erkenntnisquellen aufklären müssen, ob der Kläger Mehrfachnennungen von Fahrzeugen in den Verkaufsrechnungen der Lieferantenunternehmen überhaupt hätte erkennen können und ob das FA ein Mitverschulden an dem eingetretenen Steuerausfall treffe. Hierzu hätte der zuständige Umsatzsteuersonderprüfer vernommen werden müssen.
Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde des Klägers hat keinen Erfolg, weil den darin aufgeworfenen Rechtsfragen mangels Klärungsbedürftigkeit bzw. Klärungsfähigkeit keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und weil der angebliche Verfahrensmangel nicht hinreichend dargelegt worden ist, wie dies § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO erfordert.
1. Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn sich die Antwort auf die streitige Rechtsfrage ohne weiteres aus dem Wortlaut und Sinngehalt des Gesetzes ergibt oder sie offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das FG in seiner Entscheidung getan hat, die Rechtslage also eindeutig ist (Senatsbeschlüsse vom 27. Oktober 2003 VII B 196/03, BFH/NV 2004, 232, und vom 2. März 2004 VII B 211/03, BFHE 205, 361).
Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Senats, dass der Haftungstatbestand des § 69 AO 1977 erfüllt ist, wenn der Vertreter die ihm obliegenden steuerlichen Pflichten zumindest grob fahrlässig nicht erfüllt hat (Senatsentscheidungen vom 20. Januar 1998 VII R 80/97, BFH/NV 1998, 814, und vom 11. Dezember 1990 VII R 85/88, BFHE 163, 119, BStBl II 1991, 282). Einer Feststellung, ob ein vorsätzliches Handeln ausgeschlossen werden kann, bedarf es daneben nicht. Für die haftungsrechtliche Inanspruchnahme des Vertreters ist es vielmehr ausreichend, wenn das Fehlverhalten zumindest auf eine der beiden Verschuldensalternativen zurückgeführt werden kann. Denn im Gegensatz zu strafrechtlichen Normen, bei denen der Sanktions- und Präventionsgedanke im Vordergrund steht, hat die Haftungsvorschrift des § 69 AO 1977 ausschließlich Schadensersatzfunktion. Die Haftung soll den durch die schuldhafte Pflichtverletzung entstandenen Vermögensschaden ausgleichen (Senatsentscheidungen vom 28. November 2002 VII R 41/01, BFH/NV 2003, 537, und vom 5. März 1991 VII R 93/88, BFHE 164, 203, BStBl II 1991, 678, m.w.N.). Dabei ist die Höhe der Haftung unabhängig vom Grad des Verschuldens; der Haftungsumfang ergibt sich vielmehr allein aus der Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für den eingetretenen Vermögensschaden (Senatsurteil vom 1. August 2000 VII R 110/99, BFHE 192, 249, BStBl II 2001, 271). Insbesondere darin unterscheidet sich die Haftungsnorm des § 69 AO 1977 von strafrechtlichen Tatbeständen, bei denen die Schwere der Schuld die Höhe des Strafmaßes entscheidend mitbestimmt.
Diese Grundsätze gelten auch für die Anwendung mehrerer Haftungstatbestände. Wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat, kann ein bestimmter Geschehensablauf gleichzeitig und nebeneinander die Haftung nach §§ 34, 69 AO 1977 und nach § 71 AO 1977 begründen (Entscheidungen des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 26. August 1992 VII R 50/91, BFHE 169, 13, BStBl II 1993, 8, und vom 26. April 1984 V R 128/79, BFHE 141, 443, BStBl II 1984, 776). In diesem Fall steht es dem FA grundsätzlich frei, ob es den Haftungsbescheid neben § 69 AO 1977 auch auf § 71 AO 1977 stützt (Senatsurteil vom 8. November 1994 VII R 1/93, BFH/NV 1995, 657). Daher bedarf es nicht in jedem Fall einer ausdrücklichen Entscheidung darüber, ob der Haftungsschuldner vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt hat. Insbesondere bei Nachweisschwierigkeiten hinsichtlich einer vorsätzlichen Pflichtverletzung kann die Finanzbehörde die Frage des Vorsatzes auf sich beruhen lassen und sich mit der Feststellung einer grob fahrlässigen Pflichtverletzung begnügen, die zumindest eine Inanspruchnahme nach § 69 AO 1977 ermöglicht. Daraus erhellt, dass der vom Kläger aufgeworfenen Frage, ob bei der Beurteilung von unterschiedlichen Haftungstatbeständen die Entscheidung zwischen vorsätzlichem Handeln und fahrlässiger Pflichtverletzung dahingestellt bleiben kann, keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weil sie durch die Rechtsprechung bereits so beantwortet worden ist, wie es auch das FG getan hat.
2. Auch der Frage, ob es die Auslegung von § 69 i.V.m. § 191 Abs. 1 AO 1977 hinsichtlich der Sorgfaltspflichten eines ordentlichen Kaufmanns gebiete, beim Vertreter einen strengeren Haftungsmaßstab anzulegen, als ihn die Finanzbehörde zum maßgeblichen Prüfungszeitpunkt hätte erfüllen können, wenn dieser vor dem Zeitpunkt des Vorsteuerabzugs durch die Steuerschuldnerin bekannt war, dass gegen den sogenannten "missing trader" Ermittlungen wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung durchgeführt wurden, kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Den vom Kläger mit dieser Frage unterstellten Sachverhalt hat das FG seiner Entscheidung nicht zugrunde gelegt. Dies ergibt sich bereits daraus, dass es nicht festgestellt hat, dass dem FA vor der Geltendmachung des Vorsteuerabzugs durch die P-GmbH & Co. bekannt gewesen ist, dass gegen M wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung ermittelt wurde und dass sich dem FA eine geschäftliche Verbindung zwischen M und den angeblichen Lieferanten --die sich später als Scheinfirmen herausstellten-- hätte aufdrängen müssen, so dass es aus den strafrechtlichen Ermittlungen gegen M entsprechende Schlussfolgerungen hätte ziehen können.
In diesem Zusammenhang trifft die Behauptung des Klägers nicht zu, dass sich das FG mit der Frage eines etwaigen Mitverschuldens des FA nicht auseinander gesetzt hat. Vielmehr hat es unter Hinweis auf die von ihm angenommene vorsätzliche Steuerhinterziehung des Klägers und auf das BFH-Urteil vom 21. Januar 2004 XI R 3/03 (BFH/NV 2004, 1006) ausgeführt, dass ein etwaiges Verschulden der Finanzverwaltung durch eine eventuell pflichtwidrig unterlassene Beanstandung der Vorsteuerbelege keine Berücksichtigung finden könne. Im Übrigen hat das FG darauf verwiesen, dass es keine Anhaltspunkte für ein Mitverschulden des FA habe feststellen können, denn im Rahmen der Umsatzsteuer-Sonderprüfung hätten sich für das FA keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der erklärten Vorsteuerbeträge ergeben müssen. Mit diesen Ausführungen hat das FG auch in Bezug auf den Haftungstatbestand des § 69 AO 1977 eine Obliegenheitsverletzung des FA verneint. Da der BFH bei einer Entscheidung über die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage von einem anderen als dem vom FG festgestellten Sachverhalt ausgehen müsste, wäre er an einer Entscheidung gehindert (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 115 Rz. 30).
Im Übrigen ist höchstrichterlich geklärt, ob und in welchem Umfang ein etwaiges Mitverschulden der Finanzbehörde im Rahmen einer haftungsrechtlichen Inanspruchnahme nach § 69 AO 1977 Berücksichtigung finden kann; einer erneuten Entscheidung --auch unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Streitfalles-- bedarf es also nicht. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass ein auf § 69 AO 1977 gestützter Schadensersatzanspruch gemindert sein oder ganz entfallen kann, wenn der Gläubiger für den Eintritt des Schadens mitverantwortlich ist (BFH-Urteil vom 11. August 1978 VI R 169/75, BFHE 125, 508, BStBl II 1978, 683). Die Nichterfüllung von Obliegenheiten des FA kann zwar an der Erfüllung des Haftungstatbestandes durch den Haftungsschuldner nichts ändern, doch nach dem aus dem Grundsatz von Treu und Glauben entwickelten Rechtsgedanken des § 254 des Bürgerlichen Gesetzbuchs oder im Rahmen der Ermessensausübung nach § 191 AO 1977 bei der Bemessung der Haftungsquote Berücksichtigung finden (vgl. Senatsentscheidung vom 2. November 2001 VII B 75/01, BFH/NV 2002, 310).
Allerdings kann eine Berücksichtigung eines etwaigen Mitverschuldens der Finanzbehörde nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen, bei denen das finanzbehördliche Fehlverhalten ein solch erhebliches Ausmaß annimmt, dass demgegenüber das Verschulden des Haftungsschuldners nicht entscheidend ins Gewicht fällt (Senatsentscheidungen vom 11. Mai 2000 VII B 217/99, BFH/NV 2000, 1442; vom 28. August 1990 VII S 9/90, BFH/NV 1991, 290, und vom 2. Oktober 1986 VII R 28/83, BFH/NV 1987, 349, jeweils unter Hinweis auf die BFH-Entscheidung vom 26. Januar 1961 IV 140/60, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung, 1961, 109).
3. Soweit der Kläger hinsichtlich des Entstehens der Erstschuld und der Auslegung von § 15 Abs. 1 und § 3 UStG eine Frage von angeblicher grundsätzlicher Bedeutung in Bezug auf das geltende System der Umsatzsteuer aufwirft, ist auch diese im Streitfall nicht entscheidungserheblich und könnte folglich in einem Revisionsverfahren nicht geklärt werden. Denn wie der Kläger selbst einräumt, sind die die Erstschuld begründenden Umsatzsteuerbescheide durch die Abweisung der gegen sie gerichteten Klage bestandskräftig geworden. Mit Einwendungen gegen den Bestand der Erstschuld kann der Kläger im Verfahren über die Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides grundsätzlich nicht mehr gehört werden. Diese Rechtfolge ergibt sich aus § 166 AO 1977, nach dem der Vertreter eine dem Steuerschuldner gegenüber unanfechtbar festgesetzte Steuer gegen sich gelten lassen muss. Dies gilt auch für den Fall, dass der Vertreter und spätere Haftungsschuldner verfassungsrechtliche Zweifel hinsichtlich der Gültigkeit einer die Erstschuld begründenden Steuerrechtsnorm hegt. Diese sind im Einspruchs- und Klageverfahren gegen den Steuerbescheid geltend zu machen.
Eine Durchbrechung dieses Grundsatzes wird jedoch von § 79 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht erzwungen. Hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eine die Erstschuld begründende Steuerrechtsnorm für nichtig erklärt, schlägt dieser Rechtsmangel auf den Haftungsbescheid mit der Folge durch, dass von dem Haftungsschuldner keine Steuern angefordert werden dürfen, die bei einer Veranlagung unter Beachtung der Verfassungswidrigkeit der Vorschrift nicht angefallen wären (BFH-Urteil vom 26. April 1963 I 220/61 U, BFHE 77, 66, BStBl III 1963, 341). Entgegen der Ansicht des Klägers ist diese Rechtsprechung nicht auf die Fälle übertragbar, in denen die vermeintliche Verfassungswidrigkeit einer Steuerrechtsnorm vom Betroffenen lediglich behauptet wird, selbst wenn sich Teile des Schrifttums bereits mit der Problematik befasst und einen Verfassungsverstoß angenommen haben sollten. Solange eine Entscheidung des BVerfG nicht vorliegt, können auf eine behauptete Verfassungswidrigkeit der die Erstschuld begründenden Steuerrechtsnorm gestützte Einwendungen im Rahmen der nach § 191 Abs. 1 AO 1977 zu treffenden Ermessensentscheidung nicht berücksichtigt werden. Der vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfrage zur Gültigkeit der angeführten Umsatzsteuervorschriften kommt daher mangels Entscheidungserheblichkeit keine grundsätzliche Bedeutung zu. Auch eine vom Kläger angeregte Vorlage an das BVerfG hinsichtlich der Gültigkeit von § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG in den Fällen des § 14c Abs. 1 UStG n.F. kommt aufgrund der Präklusionswirkung des § 166 AO 1977 aus der Sicht des beschließenden Senats nicht in Betracht.
4. Soweit der Kläger eine unterlassene Zeugenvernehmung und das Absehen von der Beiziehung von staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten rügt, wird mit diesen Ausführungen das Vorliegen eines Verfahrensmangels nicht in der nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO erforderlichen Weise belegt. Der darin zum Ausdruck gebrachte Vorwurf der mangelnden Sachverhaltsaufklärung bezieht sich nämlich ausschließlich auf die Annahme des FG, der Kläger habe infolge einer vorsätzlichen Pflichtverletzung den Tatbestand des § 71 AO 1977 erfüllt. Unberücksichtigt lässt der Kläger bei seiner Argumentation, dass das FG seine Entscheidung auch auf § 69 AO 1977 gestützt hat. Der Hinweis des FG, dass die Haftung nach § 69 AO 1977 eingreife, wenn der Bewertung der Handlung des Klägers als bedingt vorsätzlich nicht zu folgen sei, lässt eine Deutung der Ausführungen zur Tatbestandsverwirklichung des § 71 AO 1977 als obiter dictum zumindest als möglich erscheinen. In Anbetracht dieses Befundes ist der Beschwerde nicht zu entnehmen, dass die Entscheidung des FG auf der vom Kläger mit der Verfahrensrüge angegriffenen Feststellung, er habe bedingt vorsätzlich gehandelt und dadurch den Tatbestand des § 71 AO 1977 erfüllt, beruht. Ein Vortrag zur Alternativbegründung des FG wäre jedoch zur Darlegung eines nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO geltend gemachten Verfahrensmangels erforderlich gewesen (Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz. 48, m.w.N.).
Dies gilt auch für die Ausführungen des FG, dass die Abrechnung derselben Fahrzeuge in mehreren Verkaufsrechnungen eine Überprüfung der tatsächlichen Vertragsdurchführung erforderlich gemacht hätte. Die dem Kläger anzulastende grob fahrlässige Verletzung seiner Geschäftsführerpflichten hat das FG neben einer Vielzahl weiterer Argumente auch auf den Umstand gestützt, dass der Kläger zumindest im ersten Jahr der Fahrzeugexporte über keine formell ordnungsgemäßen Ausfuhrpapiere verfügte. Die Erwägungen hinsichtlich der Mehrfachabrechnungen ergänzen die Urteilsbegründung, ohne sie jedoch vollständig zu tragen. Auch der Beschwerde ist nicht zu entnehmen, dass das Urteil auf diesen Ausführungen beruht; der Kläger stellt lediglich die Behauptung auf, dass das FG die Haftung aus § 71 AO 1977 im Wesentlichen auf diese Ausführungen gestützt habe.
Ergänzend weist der beschließende Senat darauf hin, dass die Rüge der Verletzung der Sachaufklärungspflicht auch deshalb keinen Erfolg haben kann, weil ausweislich des Sitzungsprotokolls die Nichtvernehmung der benannten Zeugen in der mündlichen Verhandlung nicht gerügt worden ist. Denn zur ordnungsgemäßen Darlegung des Verfahrensfehlers mangelhafter Sachaufklärung gehört nach ständiger Rechtsprechung der Vortrag, dass die nicht zureichende Aufklärung des Sachverhaltes in der mündlichen Verhandlung gerügt wurde oder weshalb eine solche Rüge nicht möglich gewesen ist (vgl. BFH-Urteil vom 20. April 1989 IV R 299/83, BFHE 157, 106, BStBl II 1989, 727, und Senatsbeschlüsse vom 16. Dezember 2003 VII B 10/03, BFH/NV 2004, 529, sowie vom 17. Dezember 1999 VII B 183/99, BFH/NV 2000, 597).
Fundstellen