Entscheidungsstichwort (Thema)
Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verbots der Saldierung von Sondergewinnen mit nicht ausgleichsfähigen Verlusten
Leitsatz (NV)
Es bestehen ernstliche Zweifel i. S. des § 69 FGO daran, ob die Finanzverwaltung im BMF-Schreiben vom 15. Dezember 1993 (BStBl I 1993, 976) zu Recht die Auffassung vertritt, daß nicht ausgleichsfähige Verluste aus dem Gesellschaftsvermögen nicht mit Gewinnen aus dem Sonderbetriebsvermögen saldiert werden dürfen.
Normenkette
EStG § 15a Abs. 1-2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Antragsteller und Beschwerdegegner (Antragsteller) zu 1 bis 5 sind die Kommanditisten einer GmbH & Co. KG, die Antragstellerin zu 6 ist deren Komplementärin. Nach den Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages standen den Gesellschaftern Tätigkeitsvergütungen in bestimmter Höhe zu, die ggf. an die Entwicklung der den fremden Arbeitnehmern gezahlten Vergütungen anzupassen waren. Im Streitjahr erhielten die Kommanditisten für ihre geschäftsführende Tätigkeit Vergütungen in Höhe von insgesamt 630 200 DM, die in der Gesellschaftsbilanz unter dem Posten "Personalaufwand" ausgewiesen wurden.
Die Bilanz der KG wies auf den 31. Dezember 1993 -- unter Berücksichtigung der an die Gesellschafter gezahlten Tätigkeitsvergütungen -- einen Jahresfehlbetrag in Höhe von 544 870 DM aus, durch dessen Verteilung die Kapitalkonten bei einigen Kommanditisten negativ wurden, bei anderen sich die negativen Kapitalkonten erhöhten.
In der beim Antragsgegner und Beschwerdeführer (Finanzamt -- FA --) eingereichten Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung der Besteuerungsgrundlagen 1993 wurden die Tätigkeitsvergütungen der Kommanditisten mit den auf sie entfallenden Verlustanteilen verrechnet, so daß sich ein Gewinn in Höhe von 62 987 DM ergab.
Demgegenüber vertrat das FA unter Bezugnahme auf § 15 a des Einkommensteuer gesetzes (EStG) die Auffassung, daß eine Verrechnung ausscheide und stellte unter Einbeziehung von weiteren, hier nicht strittigen Erträgen im Feststellungsbescheid 1993 einen Gewinn in Höhe von 644 870 DM fest. Die auf die Kommanditisten entfallenden Verlustanteile stellte das FA in der Anlage zu diesem Bescheid als verrechenbare Verluste fest.
Gegen diesen Bescheid legten die Antragsteller Einspruch ein, über den noch nicht entschieden ist. Außerdem stellten die Antragsteller beim Finanzgericht (FG) einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung. Diesem Antrag gab das FG gegen Sicherheitsleistung in Höhe der geschätzten steuerlichen Auswirkung statt.
Hiergegen richtet sich die vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassene Beschwerde des FA. Das FA beruft sich auf die im Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 15. Dezember 1993 (BStBl I 1993, 976) vertretene Auffassung, derzufolge die Saldierung von Verlusten aus dem Gesellschaftsvermögen mit Gewinnen aus dem Sonderbetriebsvermögen nicht möglich ist. Der Sonderfall, daß die Tätigkeit auf gesellschaftsrechtlicher Basis geleistet werde und die Vergütungen mithin zum Gewinnanteil gehörten, sei im Streitfall nicht gegeben, weil die Vergütungen in der Handelsbilanz als Personalaufwand ausgewiesen seien.
Das FA beantragt, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung abzulehnen.
Die Antragsteller beantragen, die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist nicht begründet. Das FG hat dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung zu Recht stattgegeben.
1. Die Gesellschafter sind antragsbefugt. Das gilt zum einen für die Kommanditisten, weil die Frage, ob Verluste ausgleichsfähig oder nur verrechenbar sind, die einzelnen Gesellschafter angeht (Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 19. Mai 1987 VIII B 104/85, BFHE 150, 514, BStBl II 1988, 5). Es gilt in entsprechender Anwendung des § 48 Abs. 1 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) a. F. aber auch für die Komplementär-GmbH, weil die Feststellung der verrechenbaren Verluste mit der einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung der Gesellschaft verbunden war (BFH-Urteil vom 30. März 1993 VIII R 63/91, BFHE 171, 213, BStBl II 1993, 706).
2. Es bestehen ernstliche Zweifel i. S. des § 69 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 FGO an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes.
a) Der Senat läßt dahinstehen, ob der angefochtene Gewinnfeststellungsbescheid bereits deshalb rechtswidrig war, weil in der Anlage ESt 1, 2, 3 B die verrechenbaren Verluste überhaupt nicht erfaßt, sondern das laufende Jahresergebnis der Gesellschaft mit 0 DM festgestellt war (vgl. hierzu Senatsurteil vom 26. Januar 1995 IV R 23/93, BFHE 177, 71, BStBl II 1995, 467). Dieser Mangel kann dadurch geheilt sein, daß die verrechenbaren Verluste in der Anlage ESt 1, 2, 3 B (V) ausgewiesen waren. Der Gewinnfeststellungsbescheid gemäß § 180 Abs. 1 Nr. 2 a der Abgabenordnung (AO 1977) einerseits und der Feststellungs bescheid i. S. des § 15 a Abs. 4 EStG andererseits stellen zwar getrennte Verwaltungsakte dar; werden sie jedoch -- was zulässig ist -- zusammengefaßt, so liegt die Erwägung nahe, daß die einzelnen Anlagen zum zusammengefaßten Bescheid zur Auslegung beider Verwaltungsakte herangezogen werden können.
b) In materiell-rechtlicher Hinsicht ergibt sich bei summarischer Prüfung der Rechtslage indessen, daß neben den für die Rechtmäßigkeit des Feststellungsbescheides 1993 sprechenden Umständen auch gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe vorliegen, die Unsicherheit in der Beurteilung der Frage auslösen, ob das von der Finanzverwaltung für richtig gehaltene "Saldierungsverbot" Rechtens ist.
Die Frage, ob zu den Gewinnen, mit denen die nicht ausgleichsfähigen Verluste verrechnet werden können, auch die Gewinne aus dem Sonderbetriebsvermögen, insbesondere Tätigkeitsvergütungen, gehören, ist höchstrichterlich noch nicht entschieden. Das FG Münster hat sie verneint (Urteil vom 11. Dezember 1992 13 K 8730/88 F, Entscheidungen der Finanzgerichte 1992, 523). Dabei ließ sich das FG von folgenden gesetzessystematischen Erwägungen leiten: Nach § 15 a EStG soll der Ausgleich nur solcher Verluste zulässig sein, die den Kommanditisten wirtschaftlich belasten; bei einem negativen Kapitalkonto werden Verluste für den Gesellschafter erst be lastend, wenn spätere Gewinne im Gesellschaftsbereich anfallen, die er zum Ausgleich des negativen Kapitalkontos ver wenden muß. Gewinne im Sonderbetriebsvermögen sind aber nicht geeignet, die Verluste auf Gesamthandsebene zu einer gegenwärtigen Belastung werden zu lassen; sie müssen nicht zur Abdeckung eines Negativsaldos im Gesamthandsbereich verwandt werden, sondern verbleiben in der originären Rechtszuständigkeit des Kommanditisten (gl. A.: v. Beckerath/Feddersen in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 15 a Rdnr. B 321; Knobbe-Keuk, Steuerberater-Jahrbuch 1993/1994, 165, 177; Lempenau, Steuer und Wirtschaft 1981, 235; Bitz in Littmann/Bitz/Hellwig, Das Einkommensteuerrecht, § 15 a EStG Rdnr. 34; van Lishaut, Finanz-Rundschau -- FR -- 1994, 273, 280; Mücke, Deutsche Steuer-Zeitung -- DStZ -- 1994, 211; Förg, FR 1994, 181; Grögler, Deutsches Steuerrecht -- DStR -- 1994, 679).
Die Finanzverwaltung leitet dasselbe Ergebnis aus dem BFH-Urteil vom 14. Mai 1991 VIII R 31/88 (BFHE 164, 516, BStBl II 1992, 167) her, demzufolge Kapitalkonto i. S. des § 15 a Abs. 1 EStG nur das Kapitalkonto der Steuerbilanz der Gesellschaft (zuzüglich etwaiger Ergänzungsbilanzen) ist, das Sonderbetriebsvermögen jedoch außer Betracht zu bleiben hat.
Dieser Auffassung stehen jedoch andere Meinungen im steuerrechtlichen Schrifttum gegenüber, deren Argumentation im summarischen Verfahren nicht von der Hand zu weisen ist. Sie berufen sich insbesondere darauf, daß es sich bei Gewinnen im Bereich des Sonderbetriebsvermögens (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1, 2. Halbsatz EStG) beim Kommanditisten um "Gewinne aus seiner Beteiligung an der Kommanditgesellschaft" i. S. des § 15 a Abs. 2 EStG handle, unabhängig davon, ob das Sonderbetriebsvermögen das Kapitalkonto i. S. des § 15 a Abs. 1 EStG beeinflussen könne (Schmidt, Einkommensteuergesetz, 15. Aufl., § 15 Rdnr. 105; Söffing, DStZ 1992, 129, 132; Brandenberg, Der Betrieb 1993, 2301; Prinz/U. Thiel, DStR 1994, 341, 345; Bordewin, DStR 1994, 673, 678).
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen nicht nur dann, wenn der Erfolg des gegen ihn eingelegten Rechtsmittels wahrscheinlicher ist als der Mißerfolg. Daher war im Streitfall die Aussetzung der Vollziehung geboten, ohne daß es auf die im BMF-Schreiben in BStBl I 1993, 976 für erheblich gehaltene Frage ankäme, ob die Antragsteller ihre Tätigkeit auf gesellschaftsrechtlicher oder auf schuldrechtlicher Grundlage leisteten.
Fundstellen
Haufe-Index 421785 |
BFH/NV 1997, 109 |