Entscheidungsstichwort (Thema)
Sachaufklärungspflicht des FG; Anspruch auf rechtliches Gehör; Tarifierung einer Ware bei mehreren in Betracht kommenden Positionen
Leitsatz (NV)
1. Das FG ist nicht verpflichtet, unsubstantiierten Beweisanträgen nachzugehen. Es muss auch substantiierten Beweisanträgen nicht nachgehen, wenn das Vorbringen des Beteiligten in unauflösbarer Weise widersprüchlich ist.
2. Der Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör verpflichtet das FG, ihre Ausführungen zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das FG ist jedoch nicht verpflichtet, sich in der Begründung seiner Entscheidung mit jedem Vorbringen der Beteiligten ausdrücklich zu befassen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gewährt auch keinen Schutz dagegen, dass das FG Vorbringen der Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts ganz oder teilweise unberücksichtigt lässt.
3. Die AV 3a ist nur anwendbar, wenn für die Einreihung einer Ware zwei oder mehr Positionen in Betracht kommen. In Betracht kommen nur Positionen, deren Voraussetzungen nach ihrem Wortlaut und erforderlichenfalls nach ihrer Auslegung grundsätzlich erfüllt sind.
Normenkette
FGO § 76 Abs. 1 S. 1, § 96 Abs. 2; KN Allg. Vorschr. 3 Buchst. a
Verfahrensgang
FG München (Urteil vom 17.03.2004; Aktenzeichen 3 K 4529/03) |
Tatbestand
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) beantragte bei der Beklagten und Beschwerdegegnerin (Oberfinanzdirektion --OFD--) die Erteilung verbindlicher Zolltarifauskünfte (vZTA) über die Einreihung von Ferritringen. Sie gab an, die Waren würden sowohl als Breitbandüberträger (Signaltransformatoren) als auch als Filter eingesetzt. Bei der Verwendung als Filter würden die Ferritringe entweder direkt zum Schutz vor elektromagnetischen Störungen über eine Leitung geschoben oder bewickelt, wodurch eine stromkompensierte Filterdrossel entstehe.
Mit den vZTA vom 12. August 2003 reihte die OFD die Ferritringe als andere elektrische Teile von Geräten, die in Kap. 85 der Kombinierten Nomenklatur (KN) anderweit weder genannt noch inbegriffen sind, in die Unterpos. 8548 90 90 KN ein.
Nach erfolglosem Einspruch (Einspruchsentscheidung vom 8. Oktober 2003) erhob die Klägerin Klage, mit der sie beantragte, die getroffenen Verwaltungsentscheidungen aufzuheben und die OFD zu verpflichten, die Ferritringe in die Unterpos. 8504 90 11 KN einzureihen.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab und bestätigte die Einreihung durch die OFD. Zur Begründung führte das FG im Wesentlichen aus, Ferritkerne seien in der Unterpos. 8504 90 11 KN zwar ausdrücklich genannt. In diese Unterposition könnten jedoch nur Ferritkerne für Transformatoren und Selbstinduktionsspulen eingereiht werden. Nach den Angaben der Klägerin in ihren Anträgen auf Erteilung der vZTA würden die Ferritringe nicht nur für Spulen verwendet, sondern auch auf elektrische Leiter geschoben bzw. aufgesteckt. Diese Art der Verwendung als elektrische Filter werde von der Unterpos. 8504 90 11 KN nicht erfasst. Wegen ihrer elektromagnetischen Eigenschaften seien die Ferritringe als elektrische Teile nach ihrer Materialbeschaffenheit einzureihen. Elektrische Teile seien Waren, die bei der Durchführung von elektrischen Vorgängen Verwendung fänden. Da die Ferritringe auf Grund ihrer Filterwirkung in unterschiedlichen Geräten eingesetzt werden könnten, die verschiedenen Abschnitten der KN zuzuweisen seien, seien sie in die Unterpos. 8548 90 90 KN einzureihen. Sie seien weder von Abschn. XVI oder von Kap. 85 ausgenommen noch würden sie von Anm. 2 Buchst. a und b zu Abschn. XVI erfasst. Sie könnten auch nicht einer der in Anm. 2 Buchst. c zu Abschn. XVI vorangenannten Positionen zugewiesen werden.
Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin. Die Revision sei zuzulassen, weil das FG mit seiner Entscheidung von dem Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 8. Mai 1974 Rs. 183/73 --Osram-- (EuGHE 1974, 477) abgewichen sei. Das FG habe sinngemäß den Rechtssatz aufgestellt, dass Waren, die einer unterschiedlichen Verwendung zugeführt werden könnten, auch dann in eine diese mehrfachen Verwendungsmöglichkeiten umfassende Auffangposition eingereiht werden müssten, wenn sie in einer Unterposition ausdrücklich genannt seien. Demgegenüber habe der EuGH entschieden, dass Positionen, in denen Waren namentlich genannt seien, im Verhältnis zu Auffangpositionen spezieller seien und eine Einreihung in eine Auffangposition nur in Betracht komme, wenn die Ware nicht zuvor namentlich genannt sei.
Die Vorentscheidung beruhe zudem auf Verfahrensmängeln. Sie habe mit Schriftsatz vom 11. März 2004 beantragt, Beweis durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu ihrer Behauptung zu erheben, dass die Ferritkerne nur dann eine Filterwirkung erzielen könnten, wenn sie als Teil einer Selbstinduktionsspule genutzt würden und dass sie deshalb nur als Teil eines Transformators oder einer Selbstinduktionsspule verwendet werden könnten. Diesen Beweisantrag habe das FG nicht übergehen dürfen. Das FG habe ihren Beweisantrag ferner weder zur Kenntnis genommen noch beschieden und in seinem Urteil auch nicht erwähnt. Hierdurch sei ihr Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden.
Die OFD ist der Beschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Revision ist nicht nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zuzulassen. Die geltend gemachten Verfahrensmängel liegen jedenfalls nicht vor.
a) Nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen. Zumutbarer Inhalt und Intensität der richterlichen Ermittlungen stehen notwendig im Zusammenhang mit dem Vorbringen der Beteiligten; diese haben eine Pflicht zur Förderung des finanzgerichtlichen Verfahrens (§ 76 Abs. 1 Satz 2 FGO). Das FG ist daher nicht verpflichtet, unsubstantiierten Beweisanträgen nachzugehen (vgl. Senatsurteil vom 21. Juni 1988 VII R 135/85, BFHE 153, 393, 396, BStBl II 1988, 841, 842; Senatsbeschluss vom 17. März 2003 VII B 269/02, BFH/NV 2003, 825). Der Beweisantrag der Klägerin war unsubstantiiert.
Die Klägerin hat in dem von ihr in Bezug genommenen Schriftsatz vom 11. März 2004 behauptet, die Bewicklung eines Ferrit-Ringkerns könne auch dadurch geschehen, dass der Kern direkt auf eine Leitung geschoben werde. Das Aufschieben auf eine Leitung komme der Herstellung einer Selbstinduktionsspule gleich. Die einzig mögliche Einsatzweise der Ferritkerne bestehe in der Herstellung eines Transformators oder einer Selbstinduktionsspule.
Dieses Vorbringen war bereits deshalb unsubstantiiert, weil die Klägerin nicht nachvollziehbar dargelegt hat, wie es zu der Bewicklung eines Ferritrings kommen kann, wenn dieser lediglich auf eine Leitung geschoben wird. Allein die Behauptung, die Windungszahl sei in diesem Fall 1, machte nicht verständlich, warum das bloße Aufschieben eines Ferritrings auf eine Leitung der Herstellung einer Selbstinduktionsspule gleichkommen soll. Die Klägerin hätte ihre Behauptung, die Ferritringe könnten nur bei der Herstellung eines Transformators oder einer Selbstinduktionsspule verwendet werden, insbesondere deshalb näher substantiieren müssen, weil sie mit ihren Angaben im Verwaltungsverfahren nicht zu vereinbaren war. In ihren Anträgen auf Erteilung der vZTA hatte sie noch angegeben, die Ferritringe würden nicht nur zur Herstellung von Signaltransformatoren und Filterdrosseln, sondern auch direkt als Filter zum Schutz vor elektromagnetischen Störungen verwendet, indem sie über eine Leitung geschoben würden. Da ein Tatsachengericht --selbst substantiierten-- Beweisanträgen nicht nachzugehen braucht, wenn das Vorbringen des Beteiligten in unauflösbarer Weise widersprüchlich ist (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 26. Oktober 1989 9 B 405.89, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 212), hätte die Klägerin nachvollziehbar darlegen müssen, wie dieser Widerspruch zu ihren Angaben im Verwaltungsverfahren zu erklären ist. Der bloße Hinweis in ihrem beim FG eingereichten Schriftsatz vom 15. Januar 2004 darauf, dass ihre Angaben bei der Antragstellung missverständlich gewesen seien, genügte hierzu nicht.
b) Das FG hat auch den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör (§ 96 Abs. 2 FGO; Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) nicht verletzt. Das Recht der Beteiligten auf Gehör verpflichtet das Gericht zwar, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das FG ist jedoch nicht verpflichtet, sich in der Begründung seiner Entscheidung mit jedem Vorbringen der Beteiligten ausdrücklich zu befassen. Es ist vielmehr grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gericht das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis genommen hat. Daher liegt eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nur vor, wenn sich aus den besonderen Umständen des Einzelfalles deutlich ergibt, dass das FG Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 1. Dezember 1999 XI B 88, 89/98, BFH/NV 2000, 730, 731; vom 7. Oktober 2003 III B 5/03, BFH/NV 2004, 164, 165). Das ist hier nicht der Fall.
Das FG hat im Tatbestand seines Urteils das Vorbringen der Klägerin --wenn auch verkürzt-- wiedergegeben, wonach im einfachsten Fall des Aufschiebens eines Ferritkerns auf einen Leiter dieser selbst die Bewicklung darstelle. Das spricht dafür, dass das FG auch ihren Beweisantrag zur Kenntnis genommen hat. Anders als die Klägerin meint, musste das FG ihren Beweisantrag in der Vorentscheidung nicht ausdrücklich erwähnen oder bescheiden. Denn der Anspruch auf rechtliches Gehör gewährt keinen Schutz dagegen, dass das Gericht Vorbringen der Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts ganz oder teilweise unberücksichtigt lässt (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Januar 1985 1 BvR 393/84, BVerfGE 69, 141, 143 f.; BFH-Urteil vom 12. April 1994 IX R 101/90, BFHE 174, 301, 304, BStBl II 1994, 660, 661). Da das unter Beweis gestellte Vorbringen der Klägerin --wie dargelegt-- unsubstantiiert geblieben ist und das FG deshalb nicht verpflichtete, den angebotenen Sachverständigenbeweis zu erheben, musste es auf ihren Beweisantrag nicht weiter eingehen.
2. Die Revision ist auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (Divergenz) zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO). Die von der Klägerin gerügte Abweichung von dem EuGH-Urteil in EuGHE 1974, 477 liegt jedenfalls nicht vor.
Der EuGH hat in seinem Urteil in EuGHE 1974, 477 (Rdnr. 12) ausgeführt, nach der Allgemeinen Tarifierungsvorschrift (ATV) 3a zum Schema des Gemeinsamen Zolltarifs (GZT) i.d.F. der Verordnung (EWG) Nr. 1/73 des Rates vom 19. Dezember 1972 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 1973 Nr. L 1/1) gehe die Tarifnummer mit der genaueren Warenbezeichnung den Tarifnummern mit allgemeiner Warenbezeichnung vor. Die Tarifst. 85.20 C GZT ("Elektrische Lampen …: Teile") sei spezieller als die eine Auffangfunktion erfüllende Tarifnr. 70.21 GZT ("andere Glaswaren").
Von diesen Grundsätzen ist das FG in der Vorentscheidung nicht abgewichen. Der vom EuGH angewendeten ATV 3a entspricht die Allgemeine Vorschrift für die Auslegung der KN (AV) 3a, die ebenfalls nur Waren betrifft, welche gleichzeitig die Voraussetzungen zweier oder mehrerer Positionen erfüllen (vgl. EuGH-Urteil vom 15. Dezember 1977 Rs. 63/77 --Poppe--, EuGHE 1977, 2473 Rdnr. 4). Denn die AV 3a ist nur anwendbar, wenn für die Einreihung zwei oder mehr Positionen in Betracht kommen. In Betracht kommen jedoch nur Positionen, deren Voraussetzungen nach ihrem Wortlaut und erforderlichenfalls nach ihrer Auslegung grundsätzlich erfüllt sind (vgl. Senatsurteil vom 6. November 1990 VII K 14/89, BFHE 162, 528, 531). Das FG hat indessen ausgeführt, die Ferritringe erfüllten nicht die Voraussetzungen der Unterpos. 8504 90 11 KN, weil sie nach den Angaben der Klägerin in ihren Anträgen auf Erteilung der vZTA nicht nur für Transformatoren und Selbstinduktionsspulen verwendet würden, sondern auch als Filter auf elektrische Leiter geschoben bzw. aufgesteckt würden. Da somit für das FG die Unterpos. 8504 90 11 KN nicht in Betracht kam, musste es auch nicht die AV 3a anwenden. Ob die Auffassung des FG zutreffend ist, kann dahinstehen. Denn eine unrichtige Rechtsanwendung im Einzelfall stellt als solche keine Divergenz dar (vgl. BFH-Beschluss vom 24. Januar 1990 V B 22/88, BFH/NV 1990, 717; Senatsbeschluss vom 15. November 2001 VII B 85/01, BFH/NV 2002, 920, 921).
Fundstellen
Haufe-Index 1332204 |
BFH/NV 2005, 932 |