Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifierung von Sakralgegenständen; Vollziehungsaussetzung in der Revisionsinstanz
Leitsatz (NV)
1. Sakralgegenstände wie Pulte, Schreine und Leuchter mit dem Charakter von Handelswaren sind keine umsatzsteuerermäßigten "Originalerzeugnisse der Bildhauerkunst" im zolltariflichen Sinne.
2. Beurteilungsgrundsätze für die in der Revisionsinstanz wegen Zweifeln an der Rechtsmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheids beantragte Aussetzung der Vollziehung.
Normenkette
UStG 1980 § 12 Abs. 2 Nr. 1 S. 1; GZT Tarifnr. 99.03; KN Pos. 9703; FGO § 69 Abs. 3 S. 1, Abs. 2 S. 2, Abs. 4 S. 1
Tatbestand
Die Antragstellerin, eine selbständige Goldschmiedemeisterin, fertigte in den Jahren 1985 bis 1988 für den liturgischen Gebrauch bestimmte Sakralgegenstände (Tabernakel, Lesepult, Oster- und Altarleuchter) für eine Ordensgemeinschaft. Der Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) besteuerte die Lieferungen unter Anwendung des allgemeinen Umsatzsteuersatzes. Die von der Antragstellerin erhobene Klage, mit der die Anwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes für "Originalerzeugnisse der Bildhauerkunst"begehrt wurde, hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) bezog sich in seinem in Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht (UVR) 1996, 308 veröffentlichten Urteil vom 7. März 1996 14 K 1556/92 (Leitsatz in Entscheidungen der Finanzgerichte -- EFG -- 1996, 946), auf das im übrigen verwiesen wird, auf einen Katalog, aus dem sich ergebe, daß Sakralgegenstände ähnlicher Art im Handel vertrieben würden ("Handelsware").
Die Antragstellerin hat gegen diese Entscheidung Revision eingelegt (VII R 59/96), über die der beschließende Senat zu befinden hat. Zur Begründung ihres Rechtsmittels führt sie aus, das FG, das noch im Verfahren der Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Bescheide eine ihr -- der Antragstellerin -- günstige Rechtsauffassung vertreten habe (hinsichtlich Tabernakel und Lesepult), sei überraschend aufgrund des in der mündlichen Verhandlung erörterten Katalogs zu einer anderen Beurteilung gelangt. Diese Bewertung sei unrichtig, sie lasse die optische Unähnlichkeit des Tabernakels und des Lesepults mit den Katalogwaren sowie den sehr viel höheren Preis jener beiden Gegenstände unberücksichtigt, was bei rechtzeitiger Vorlage des Katalogs näher hätte dargelegt werden können.
Gestützt auf diese Erwägungen beantragt die Antragstellerin, die Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheides für die Dauer des Revisionsverfahrens auszusetzen.
Das FA beantragt sinngemäß, den Antrag abzulehnen.
Entscheidungsgründe
Der Antrag ist zutreffend bei dem Revisionsgericht als Gericht der Hauptsache (§ 69 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) gestellt; er ist, ohne daß es auf seine nach Ergehen der Vorentscheidung in der Hauptsache wiederholte Ablehnung durch das FA ankäme, schon im Hinblick auf die bereits früher ausgesprochene Ablehnung zulässig gemäß § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO (hierzu Senat, Beschluß vom 25. Oktober 1994 VII B 155/94, BFHE 175, 525, 527 f., BStBl II 1995, 131).
In der Sache kann der Antrag keinen Erfolg haben. Die Aussetzungsvoraussetzung ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts (§ 69 Abs. 3 Satz 1, 2. Halbsatz, Abs. 2 Satz 2 FGO) ist nicht gegeben. Ob ernstliche Zweifel vorliegen, ist bei einem in der Revisionsinstanz anhängigen Rechtsstreit nach revisionsrechtlichen Grundsätzen zu beurteilen. Dabei ist maßgebend, ob unter Beachtung der eingeschränkten Prüfungsmöglichkeiten des Revisionsgerichts ernstlich mit der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Verwaltungsakts zu rechnen ist. Bei vermutlichem Durcherkennen, wie es hier in Betracht kommt, sind die Erfolgsaussichten des Revisionsverfahrens zu prüfen (zu allem Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl. 1993, § 69 Anm. 87, m. w. N.). Diese bestehen indes nicht. Die Revision der Antragstellerin ist zwar zulässig gemäß § 116 Abs. 2 FGO, sie wird jedoch voraussichtlich als unbegründet zurückzuweisen sein (§ 126 Abs. 2 FGO).
Eine (ausdrückliche) Verfahrensrüge -- hier etwa nach § 119 Nr. 3 FGO im Hinblick auf die "überraschende" Heranziehung des Katalogs in der mündlichen Verhandlung -- hat die Antragstellerin nach Ansicht des Senats mit der Revision nicht erhoben. Wäre sie vorgebracht, so würde es jedenfalls an der erforderlichen Ausführung (vgl. § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO) fehlen, vor allem an der Angabe, aus welchem Grunde der vermeintliche Verfahrensverstoß nicht schon in der Vorinstanz gerügt worden ist.
Mit ihrer Sachrüge -- näher begründet nur im Hinblick auf die zur Umsatzbesteuerung der Lieferung des Tabernakels und des Lesepults ergangene Vorentscheidung -- wird die Antragstellerin voraussichtlich nicht durchdringen.
Umsatzsteuerermäßigt sind -- unter anderem -- Lieferungen von "Originalerzeugnissen der Bildhauerkunst" im zolltariflichen Sinne (§ 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes 1980, Anlage Nr. 47, Nr. 99.03 des Gemeinsamen Zolltarifs -- GZT -- bis 1987 bzw. Anlage Nr. 53 Buchst. c, Position 9703 GZT ab 1988). Für die Auslegung kommt es insoweit allein auf die zolltariflichen Vorschriften und Begriffe an (Senat, Urteil vom 20. Februar 1990 VII R 172/84, BFHE 160, 342, BStBl II 1990, 760). Maßgebend ist hier insbesondere Vorschrift 3 zu Kapitel 99/Anm. 3 zu Kapitel 97 GZT (Ausschluß von Bildhauerarbeiten mit dem Charakter einer Handelsware, z. B. handwerkliche Erzeugnisse). Aufgrund dieser Vorschrift hat der Senat z. B. entschieden (Urteile vom 20. Februar 1990 VII R 126/89, BFHE 160, 93, 95, BStBl II 1990, 763, und vom 28. April 1992 VII R 92/91, BFH/NV 1992, 851), daß von einem Goldschmied individuell gefertigte Schmuck teile nicht als Originalerzeugnisse der Bildhauerkunst im zolltariflichen Sinne anzu sehen sind.
Sakralgegenstände können ebenfalls den Charakter von "Handelswaren" haben (zutreffend FG München, Urteil vom 22. März 1996 14 K 1299/93, EFG 1996, 945). Hiervon gehen auch die zolltariflichen Erläuterungen (zu Position 7114 -- Harmonisiertes System -- Rz. 07.0) aus, die Kultgeräte aus Edelmetall zu dem betreffenden Stoff-Kapitel rechnen. Ob solche Geräte oder ob umgekehrt Originalerzeugnisse der Bildhauerkunst -- Nichthandelswaren -- vorliegen (bejaht etwa für bestimmte dreidimensionale Schöpfungen -- darunter Ambo -- eines akademischen Bildhauers von FG München, a.a.O.), ist weitgehend eine Frage der tatsächlichen Würdigung, die, falls verfahrensrechtlich einwandfrei zustande gekommen und denkgesetzlich möglich, für das Revisionsgericht gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindend ist.
Das FG (UVR 1996, 308) hat, ausgehend von einem richtigen Verständnis der maßgebenden Rechtsvorschriften, unter Berücksichtigung der von ihm angeführten einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) und unter Heranziehung von Fotografen sowie eines (Handels-)Katalogs über Sakralgegenstände erkannt, daß die von der Antragstellerin hergestellten Gegenstände, weil mit ähnlichen, handwerklich gefertigten Erzeugnissen in zumindest potentiellem Wettbewerb stehend, ungeachtet ihrer Herstellung nach individuellen Entwürfen und eines künstlerischen Ranges, nicht als "Originalerzeugnisse ... " im zolltariflichen Sinne zu werten sind. Diese Würdigung läßt einen Rechtsfehler nicht erkennen. Die vom FG in dem bei ihm anhängig gewesenen summarischen Aussetzungsverfahren ohne eingehende Begründung vertretene gegenteilige Auffassung steht der im Hauptverfahren gewonnenen Beurteilung nicht entgegen. Entgegen dem Revisionsvorbringen hat das FG die "optische Gestaltung" -- Besonderheiten der Ausschmückung von Tabernakel und Lesepult -- nicht außer acht gelassen. Es hat vielmehr ausdrücklich die "äußere Erscheinung" der Gegenstände berücksichtigt, zu der als tarifierungserhebliches Merkmal zwangsläufig auch der optische Eindruck gehört. Der Preis der Erzeugnisse ist, wie bereits vom EuGH (Urteil vom 18. September 1990 C-228/89, EuGHE 1990, I-3401, 3408) entschieden, kein Einreihungskriterium. Auch auf hohem Preisniveau ist im übrigen ein Wettbewerb möglich. Der Senat könnte aus diesen Gründen im Revisionsverfahren nicht zu einer anderen Beurteilung als das FG gelangen.
Fragen der Auslegung von Gemeinschaftsrecht werden sich im Hauptverfahren nicht stellen. Die Auslegung der maßgebenden Tarifvorschriften, wie geschehen, ist offenkundig, die Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH mithin nicht veranlaßt (vgl. dessen Urteil vom 6. Oktober 1982 Rs 283/81, EuGHE 1982, 3415, 3430).
Fundstellen