Entscheidungsstichwort (Thema)
Verstoß gegen Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme als Verfahrensmangel
Leitsatz (NV)
Der Grundsatz, dass Beweise vom Gericht in der mündlichen Verhandlung zu erheben sind, besagt nicht, dass das Gericht bei der Tatsachenfeststellung auf die in der mündlichen Verhandlung gemachten Angaben eines Zeugen beschränkt ist. Es darf vielmehr sämtliche Tatsachen und Hinweise sowie frühere Aussagen des Zeugen einer Gesamtwürdigung unterziehen.
Normenkette
FGO § 81 Abs. 1, § 96 Abs. 1, § 115 Abs. 2 Nr. 3
Verfahrensgang
FG Düsseldorf (Urteil vom 28.03.2007; Aktenzeichen 4 K 637/05 VTa,Z,EU) |
Tatbestand
I. Bei einer polizeilichen Durchsuchung der Wohnung des im späteren finanzgerichtlichen Verfahren als Zeugen vernommenen D wurden unversteuerte Zigaretten aufgefunden. In seinen Vernehmungen als Beschuldigter gab D an, dass ein gewisser A insgesamt 895 Stangen unversteuerte Zigaretten bei ihm untergebracht habe, die zu ihm mit einem Auto transportiert worden seien, dessen Fahrer der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) gewesen sei. Später sei dann A mit dem Kläger in unterschiedlichen Abständen bei ihm, D, erschienen, und habe aus dem Bestand jeweils Teilmengen abgeholt.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Hauptzollamt) setzte mit Steuerbescheid vom 17. November 2004 für 895 Stangen Zigaretten Einfuhrabgaben (Zoll, Tabaksteuer und Einfuhrumsatzsteuer) gegen den Kläger mit der Begründung fest, dass dieser neben A, D und einer weiteren Person Gesamtschuldner der Einfuhrabgaben sei, weil er durch seine Mithilfe unmittelbaren Besitz an den Zigaretten erlangt habe.
Die hiergegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) nach Vernehmung der drei übrigen Gesamtschuldner als Zeugen ab. Das FG urteilte, dass die Einfuhrabgabenschuld nach Art. 202 Abs. 1 Buchst. a des Zollkodex (ZK) entstanden sei, weil die Zigaretten unstreitig vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht worden seien. Der Kläger sei nach Art. 202 Abs. 3 Anstrich 3 ZK Abgabenschuldner, weil er die Zigaretten im Besitz gehabt habe, obwohl er im Zeitpunkt des Erhalts gewusst habe, dass diese vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht worden seien. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme und der aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung des Gerichts habe der Kläger in Kenntnis der tatsächlichen Umstände die Zigaretten gemeinsam mit weiteren Personen zu D befördert, dort entladen, in Müllsäcke verpackt und sie anschließend auf dem Dachboden des D deponiert. Bloßer Besitzdiener sei der Kläger dabei nicht gewesen.
Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers, welche er auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache und des Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 und 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) stützt.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unzulässig, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht schlüssig dargelegt sind, wie es § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO verlangt.
Mit der Rüge der Beschwerde, dass das FG hinsichtlich der Aussage des Zeugen D gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 81 Abs. 1 FGO) verstoßen habe, wird ein Verfahrensmangel nicht dargelegt. Das FG hat den Zeugen D in der mündlichen Verhandlung vernommen und hat somit § 81 Abs. 1 FGO beachtet. Dass Beweise grundsätzlich in der mündlichen Verhandlung zu erheben sind, bedeutet nicht, dass das FG bei der Feststellung des Sachverhalts auf die Angaben des vom Zeugen D in der mündlichen Verhandlung gemachten Angaben beschränkt war. Vielmehr war das FG nicht gehindert, sämtliche Tatsachen und Hinweise --auch frühere Aussagen des D im Ermittlungsverfahren-- einer Gesamtwürdigung (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) zu unterziehen und zu dem Schluss zu kommen, dass der Kläger beim Abladen der Zigaretten bei D sowie beim späteren Abholen Hilfe geleistet hat. Das FG hat ausführlich begründet (§ 96 Abs. 1 Satz 3 FGO), weshalb es die früheren Aussagen des D im Ermittlungsverfahren für glaubhaft gehalten hat, nicht aber die Angaben des D bei seiner Zeugenvernehmung in der mündlichen Verhandlung. Soweit die Beschwerde diese Beweiswürdigung rügt, legt sie keinen Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO dar, weil die Grundsätze der Beweiswürdigung dem materiellen Recht zuzuordnen sind (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 82 f.).
Soweit die Beschwerde meint, das FG hätte feststellen müssen, dass die Zigaretten --welche die Beschwerde selbst als "Schmuggelgut" bezeichnet-- in das Zollgebiet der Gemeinschaft eingeführt worden seien, verkennt sie, dass das FG diese Feststellung getroffen hat. Das FG hat diese Frage --offenbar in Anbetracht der Aussage des Zeugen D, wonach A die Zigaretten nach eigenen Angaben in Russland gekauft habe-- als unstreitig angesehen.
Anders als die Beschwerde meint, stellt auch "die rechtlich fehlerhafte Einordnung des Besitzes des Klägers" durch das FG keinen Verfahrensmangel dar. Insoweit wendet sich die Beschwerde gegen die materielle Richtigkeit der Entscheidung des FG, was jedoch nicht zur Zulassung der Revision führen kann, weil damit kein Zulassungsgrund gemäß § 115 Abs. 2 FGO dargetan wird. Das Gleiche gilt, soweit die Beschwerde im Gegensatz zum FG die Ansicht vertritt, dass der Kläger lediglich Besitzdiener gewesen sei. Im Übrigen ist der Ansicht der Beschwerde, dass der Kläger keinen Besitz an den Zigaretten gehabt habe, entgegenzuhalten, dass der Kläger nach den Feststellungen des FG die Zigaretten gemeinsam mit weiteren Personen zu D befördert, dort entladen, in Müllsäcke verpackt und sie anschließend auf dem Dachboden des D deponiert hat. Wie dies --wie die Beschwerde meint-- ohne Besitzwillen des Klägers geschehen sein soll, erschließt sich nicht. In Anbetracht dieser Feststellungen des FG sind auch die Ausführungen der Beschwerde nicht haltbar, wonach der Kläger "als ein an der Steuerhinterziehung Unbeteiligter" mit dem Schmuggelgut des A "in Berührung" gekommen sei.
Jedenfalls fehlt es an jeglichen Darlegungen der Beschwerde, warum es sich bei "der Frage des Besitzes aufgrund einer Gefälligkeit" oder der Frage, ob hinsichtlich der Beweislast der im Strafprozess geltende Grundsatz in dubio pro reo herangezogen werden müsse, um grundsätzlich klärungsbedürftige Rechtsfragen handeln soll. Die letztere Frage ist bereits nicht klärungsfähig, weil das FG keine Zweifel an der Tatbeteiligung des Klägers und an seinem zeitweiligen Besitz an den Zigaretten gehabt hat.
Fundstellen
Haufe-Index 1799046 |
BFH/NV 2007, 2133 |