Entscheidungsstichwort (Thema)
Geschäftsführerhaftung: Aufschlüsselung des Haftungsbetrages; Haftungsbeschränkung bei nicht ausreichenden Zahlungsmitteln
Leitsatz (NV)
1. In den Fällen der Geschäftsführerhaftung bedarf es für die inhaltliche Bestimmtheit des Haftungsbescheids (§ 119 AO 1977) nicht der Aufschlüsselung des Lohnsteuerhaftungsbetrags nach den einzelnen Steuerschuldnern (Arbeitnehmern).
2. Zur Frage der Haftungsbeschränkung, wenn der Geschäftsführer vorträgt, die von ihm vertretene GmbH habe nur über Mittel in Höhe der ausgezahlten Nettolöhne verfügt.
Normenkette
AO 1977 §§ 34, 69, 119
Tatbestand
Der Antragsteller, Beschwerdeführer und Beschwerdegegner (Antragsteller) war Geschäftsführer einer GmbH, die nach Ablehnung ihres Antrags auf Konkurseröffnung mangels Masse im Frühjahr 1983 aufgelöst worden ist. Mitgeschäftsführer waren zunächst der Kaufmann X und nach dessen Abberufung die durch Beschluß des Amtsgerichts vom 1. November 1981 zur Notgeschäftsführerin bestellte Kauffrau K. Der Antragsgegner, Beschwerdegegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt - FA - ) nahm den Antragsteller wegen angemeldeter, aber nicht abgeführter Lohnsteuer der GmbH für die Lohnsteueranmeldungszeiträume April bis Juni und September bis Dezember 1982 als Haftungsschuldner in Anspruch. Der Einspruch gegen den Haftungsbescheid blieb erfolglos; über die dagegen erhobene Klage hat das Finanzgericht (FG) noch nicht entschieden.
Der beim FG gestellte Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheids wegen eines Lohnsteuerbetrags für die Monate April bis November 1982 - hinsichtlich des Haftungsbetrages für Dezember 1982 hatte bereits das FA die Vollziehung ausgesetzt - hatte hinsichtlich eines Teilbetrages Erfolg.
Das FG führte aus, es sei ernstlich zweifelhaft, ob der Antragsteller aus den von ihm verwalteten Mitteln der GmbH die angemeldete Lohnsteuer in voller Höhe hätte entrichten können. Es bestehe Grund zu der Annahme, daß die GmbH im Haftungszeitraum jeweils nur die Nettolöhne hätte erwirtschaften können. In diesem Falle hätte der Antragsteller bei pflichtgemäßem Verhalten, nämlich Auszahlung eines gekürzten Nettolohns als Vorschuß oder Teilbetrag, nur die auf diesen Betrag entfallende Lohnsteuer an das FA abführen müssen. Für die darüber hinausgehende Steuerverkürzung (Differenzbetrag zwischen der angemeldeten Lohnsteuer und der auf gekürzte Nettolöhne entfallenden Lohnsteuer) wäre die Pflichtverletzung des Antragstellers (Auszahlungen der vollen Nettolöhne) demnach nicht ursächlich gewesen. Bei pflichtgemäßem Verhalten wäre vielmehr Lohnsteuer in Höhe dieses Differenzbetrags noch nicht einmal entstanden. Der Senat schätze die Nettolöhne auf das Vierfache der angemeldeten Lohnsteuer und die darauf (bei Behandlung als Bruttolohn) abzuführende Lohnsteuer auf . . . DM (20 v. H.). Dem angemeldeten Betrag von . . . DM stünde deshalb ein durch Haftungsbescheid zu beanspruchender Betrag von . . . DM gegenüber, so daß die Vollziehung des Bescheids in Höhe der Differenz von . . . DM auszusetzen sei.
Über diesen Betrag hinaus bestünden keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids. Der Antragsteller hafte, weil er die ihm als Geschäftsführer der GmbH obliegende Pflicht, Lohnsteuer an das FA abzuführen, grob fahrlässig verletzt habe (§ 69 i. V. m. § 34 Abs. 1 der Abgabenordnung - AO 1977 -). Er habe keine Vorsorge dafür getroffen, im Anmeldungszeitraum die Lohnsteuer abführen zu können, obwohl über mehrere Monate hinweg die Nettolöhne ausgezahlt worden seien. Der später von der Notgeschäftsführerin gestellte Konkursantrag ändere nichts an der schuldhaften Pflichtverletzung des Antragstellers. Für die Haftung sei entscheidend, daß die Steuer nicht rechtzeitig bezahlt worden sei; ob die Rückstände ohne den Antrag auf Konkurseröffnung bis Ende 1983 hätten getilgt werden können, sei unerheblich.
Die Ausübung des Auswahlermessens durch das FA zu Lasten des Antragstellers sei nicht zu beanstanden. Die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung, daß eine Inanspruchnahme der Arbeitnehmer nicht in Betracht komme (§ 42 d Abs. 3 Satz 4 des Einkommensteuergesetzes - EStG -), seien zutreffend. Weil aus der Sicht der Arbeitnehmer die Lohnsteuer vom Bruttolohn einbehalten und entrichtet sei und deshalb ein Rückgriff ausgeschlossen sei, sei auch eine Aufgliederung der Haftungsbeträge auf die einzelnen Arbeitnehmer nicht geboten gewesen. Es sei auch nicht zu beanstanden, daß das FA nicht die Notgeschäftsführerin, sondern den Antragsteller als regulären Geschäftsführer in Anspruch genommen habe. Dieser habe durch die Führung aller Verhandlungen mit dem FA deutlich gemacht, daß er derjenige war, der mit der Abführung der Lohnsteuer befaßt war und insoweit die Zahlungsmodalitäten beeinflussen konnte. Die von der Notgeschäftsführerin gegründete GmbH komme als Haftungsschuldnerin nicht in Betracht. Selbst wenn sie die Kunden der GmbH abgeworben haben sollte, bedeute dies noch keine Gesamtrechtsnachfolge. Die vom Antragsteller vertretene GmbH habe vielmehr ausweislich des Handelsregisters bis zur Auflösung als werbende Gesellschaft bestanden.
Gegen den Beschluß des FG, das die Beschwerde gegen seine Entscheidung zugelassen hat, haben der Antragsteller und das FA Beschwerde eingelegt.
Der Antragsteller macht geltend, der angefochtene Haftungsbescheid sei inhaltlich nicht hinreichend bestimmt (§ 119 AO 1977) und deshalb unwirksam, weil der Haftungsbetrag nicht auf die einzelnen Arbeitnehmer (Schuldner) aufgegliedert sei (Hinweis auf das Urteil des FG Düsseldorf vom 7. Juli 1987 I 36/82 H, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1987, 591). Der Bescheid sei damit nicht nachprüfbar. Ferner sei der Haftungsbescheid deshalb rechtswidrig, weil die Ermessensentscheidung des FA nicht ausreichend begründet sei. Aus der Einspruchsentscheidung gehe nicht hervor, weshalb allein der Antragsteller, nicht aber auch die beiden anderen Geschäftsführer als Haftungsschuldner in Anspruch genommen worden seien. Das Auswahlermessen sei auch fehlerhaft ausgeübt worden. Es hätten vorrangig die Notgeschäftsführerin K und die von dieser gegründete GmbH - letztere nach § 419 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) - in Anspruch genommen werden müssen. Denn Frau K habe die Kunden der vom Antragsteller vertretenen GmbH abgeworben und damit deren gesamtes wirtschaftliches Vermögen übernommen. Der Antragsteller habe schuldlos gehandelt, da ihm durch das Verhalten der Notgeschäftsführerin die Möglichkeit genommen worden sei, die Steuerrückstände zu tilgen.
Der Antragsteller beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Vollziehung des Haftungsbescheids in voller Höhe auszusetzen.
Das FA wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die teilweise Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheids durch das FG. Es vertritt die Auffassung, der Antragsteller hafte für die im Haftungsbescheid ausgewiesene Lohnsteuer in voller Höhe. Da er die Nettolöhne ungekürzt ausgezahlt habe, sei er verpflichtet gewesen, die gesamte darauf entfallende Lohnsteuer einzubehalten und abzuführen. Er sei auch in der Lage gewesen, über die erforderlichen Geldmittel zu verfügen, da er jeden Monat erneut den Nettolohn ausgezahlt habe, ohne die Nichtabführung der Lohnsteuer für die Vormonate zu korrigieren.
Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerden des Antragstellers und des FA werden gemäß § 73 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zu gemeinsamer Entscheidung verbunden.
Die Rechtsmittel beider Beteiligten sind zulässig, da das FG die Beschwerde gegen seine Entscheidung in dem Beschluß uneingeschränkt zugelassen hat (Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs - BFHEntlG - i. V. m. § 115 Abs. 2 FGO). Die Beschwerde des Antragstellers ist unbegründet (2.); die Beschwerde des FA dagegen begründet (3.).
2. Eine Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheids in vollem Umfang, wie sie der Antragsteller begehrt, kommt nicht in Betracht, weil an der Rechtmäßigkeit der Inanspruchnahme des Antragstellers als Haftungsschuldner keine ernsthaften Zweifel bestehen (§ 69 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 FGO).
a) Der Haftungsbescheid ist nicht bereits aus formellen Gründen unwirksam oder rechtswidrig, weil er keine Aufschlüsselung der Haftungssumme auf die einzelnen Arbeitnehmer der GmbH enthält. Der Bundesfinanzhof (BFH) geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß es in den Fällen der Geschäftsführerhaftung für die inhaltliche Bestimmtheit des Haftungsbescheids (§ 119 AO 1977) einer Aufschlüsselung des Lohnsteuerhaftungsbetrags nach den einzelnen Steuerschuldnern (Arbeitnehmern) nicht bedarf (zu den Anforderungen an die inhaltliche Bestimmtheit eines Lohnsteuerhaftungsbescheids vgl. das Urteil des Senats vom 8. März 1988 VII R 6/87, BFHE 152, 418, BStBl II 1988, 480, m. w. N.). Eine solche Aufschlüsselung ist dem FA nicht zumutbar, weil es den ihm vorliegenden Unterlagen (Lohnsteueranmeldungen) die einzelnen Arbeitnehmer und die auf sie entfallenden Steuerbeträge nicht entnehmen kann. Sie ist auch unter Berücksichtigung der Interessen des Haftungsschuldners nicht erforderlich, da diesem als Geschäftsführer der GmbH die Unterlagen der Lohnbuchhaltung leichter zugänglich sind als dem FA und ein Rückgriff auf den Steuerschuldner, dem der Nettolohn ausgezahlt worden ist - wie das FG zu Recht ausgeführt hat -, regelmäßig nicht in Betracht kommt (vgl. § 42 d Abs. 3 Satz 4 EStG). Eine andere Beurteilung mag in bestimmten Fällen der Arbeitgeberhaftung (§ 42 d Abs. 1 EStG) geboten sein (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 20. Mai 1980 VI R 169/77, BFHE 130, 461, BStBl II 1980, 669). Ein solcher Fall, der auch dem vom Antragsteller genannten Urteil des FG Düsseldorf in EFG 1987, 591 zugrunde lag, ist aber nicht Gegenstand des vorliegenden Aussetzungsverfahrens.
b) Das FG hat nach der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Beurteilung die Haftung des Antragstellers für Lohnsteuerabzugsbeträge, die die GmbH während der Dauer seiner Geschäftsführertätigkeit für die Lohnsteueranmeldungszeiträume April bis November 1982 nicht an das FA abgeführt hat, dem Grunde nach zu Recht bejaht. Als Geschäftsführer der GmbH traf den Antragsteller die Verpflichtung, bis zum 10. Tag nach Ablauf eines jeden Lohnsteueranmeldungszeitraums (Kalendermonat) für die Abführung der von der GmbH einbehaltenen Lohnsteuer an das FA zu sorgen (§§ 35 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung - GmbHG -, 34 Abs. 1 AO 1977, 41 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 EStG). Von dieser Verpflichtung können den Geschäftsführer etwaige Liquiditätsschwierigkeiten der GmbH nicht befreien. Falls die zur Verfügung stehenden Mittel zur Zahlung der vollen Löhne einschließlich des Steueranteils nicht ausreichen, darf er die Löhne nur gekürzt als Vorschuß oder als Teilbetrag auszahlen und er muß aus den dann übrigbleibenden Mitteln die entsprechende Lohnsteuer an das FA abführen (so die ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. Urteil des Senats vom 20. April 1982 VII R 96/79, BFHE 135, 416, BStBl II 1982, 521). Dieser Verpflichtung zur gleichrangigen Befriedigung der Arbeitnehmer hinsichtlich der Löhne und des FA hinsichtlich der darauf entfallenden Lohnsteuer - notfalls unter anteiliger Kürzung beider Verbindlichkeiten - ist der Antragsteller nicht nachgekommen. Denn er hat während des Haftungszeitraums die Nettolöhne ungekürzt an die Arbeitnehmer ausgezahlt, die entsprechenden Abzugssteuern aber nicht an das FA abgeführt. Damit hat er den Haftungstatbestand des § 69 Satz 1 AO 1977 - wie das FG zu Recht entschieden hat - zumindest grob fahrlässig erfüllt.
Das Verschulden des Antragstellers wird durch das Verhalten der Notgeschäftsführerin nicht berührt. Es kommt nicht darauf an, ob ohne die behauptete Abwerbung der Kunden der GmbH und das Stellen des Konkursantrags der Antragsteller in der Lage gewesen wäre, die Steuerrückstände später zu begleichen. Denn der Haftungstatbestand des § 69 AO 1977 ist, wie sich aus dem Wortlaut der Vorschrift ergibt, nicht erst erfüllt, wenn eine Steuerschuld überhaupt nicht gezahlt wird, sondern bereits dann, wenn sie nicht rechtzeitig an die Finanzkasse abgeführt worden ist (vgl. BFHE 135, 416, BStBl II 1982, 521, 522).
c) Die Einwendungen der Beschwerde gegen die dem Haftungsbescheid zugrunde liegende Ermessensentscheidung der Verwaltung (§ 191 Abs. 1 AO 1977) greifen nicht durch. Das FA hat - entgegen dem Vorbringen des Antragstellers - in der Einspruchsentscheidung die Ausübung seines Auswahlermessens, allein den Antragsteller als Haftungsschuldner in Anspruch zu nehmen, hinreichend begründet. Es hat ausgeführt, daß bei mehreren Vertretern im Sinne des § 69 AO 1977 in erster Linie derjenige hafte, der nach der inneren Geschäftsverteilung für den kaufmännischen Bereich und somit auch für die Abführung der Lohnsteuer verantwortlich sei. Im vorliegenden Falle sei, wie sich aus seinem Gesamtverhalten ergebe, der Antragsteller mit diesen Aufgaben betraut gewesen. Denn er habe sowohl die Verhandlungen mit der Vollstreckungsstelle des FA als auch mit der Steuerberaterin geführt. Diese Ausführungen reichen als Begründung dafür aus, warum allein der Antragsteller und nicht auch die Notgeschäftsführerin K in Anspruch genommen worden ist, wenn auch die Notgeschäftsführerin bei der Abhandlung des Auswahlermessens nicht ausdrücklich genannt worden ist. Für die Nichtinanspruchnahme des Geschäftsführers X bedurfte es keiner Begründung, weil dieser bereits vor Beginn des Haftungszeitraums von seinem Amt abberufen worden war.
Das FG hat zutreffend ausgeführt, daß die Ermessensentscheidung des FA, die nur in den Grenzen des § 102 FGO gerichtlich nachprüfbar ist, nicht zu beanstanden ist. Eine vorrangige Inanspruchnahme der Notgeschäftsführerin war auch dann nicht geboten, wenn man das Vorbringen des Antragstellers als richtig unterstellt, diese habe der GmbH durch ihr Verhalten finanzielle Mittel entzogen. Die Auszahlung der Nettolöhne während des Zeitraums von April bis Dezember 1982 zeigt, daß der Antragsteller zumindest im Wege der Kürzung der Löhne auch in der Lage gewesen wäre, Lohnsteuer an das FA abzuführen. Die Ausführungen der Beschwerde hinsichtlich der von Frau K unter Abwerbung der Kunden neugegründeten GmbH sind zu wenig substantiiert, um eine Haftung dieser GmbH als Betriebsübernehmerin (§ 75 AO 1977) oder als Vermögensübernehmerin (§ 419 BGB) als möglich erscheinen zu lassen. Jedenfalls hatte das FA keinen Anlaß, eine derartige Haftungsmöglichkeit in seine Ermessenserwägungen einzubeziehen.
Die Beschwerde des Antragstellers ist somit als unbegründet zurückzuweisen.
3. a) Der Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheids hinsichtlich eines Teilbetrags durch das FG, gegen die sich die Beschwerde des FA wendet, liegt die Auffassung zugrunde, daß der Geschäftsführer bei auf die ausgezahlten Nettolöhne beschränkten Zahlungsmitteln der GmbH nur insoweit haftet, als er bei der gebotenen Kürzung der Löhne das FA anteilig hätte befriedigen können. Die Rechtsauffassung der Vorinstanz entspricht in diesem Ausgangspunkt der neueren Rechtsprechung des Senats. In seinem Urteil vom 26. Juli 1988 VII R 83/87 (BFHE 153, 512, BStBl II 1988, 859) hat der Senat für den Fall, daß die GmbH nur über Mittel in Höhe der ausgezahlten Nettolöhne verfügt hat, entschieden, daß der Schuldvorwurf im Sinne des § 69 AO 1977 gegenüber dem Geschäftsführer nicht hinsichtlich der in voller Höhe angemeldeten, nichtabgeführten Lohnsteuer erhoben werden kann, sondern nur hinsichtlich der Lohnsteuerbeträge, die er bei der gebotenen Kürzung der Nettolöhne an das FA hätte abführen können. Der Geschäftsführer kann deshalb nach den §§ 69, 34 Abs. 1 AO 1977 nur hinsichtlich der Beträge als Haftungsschuldner in Anspruch genommen werden, die bei der Behandlung der ihm zur Verfügung stehenden, an die Arbeitnehmer ausgezahlten Gelder als Bruttolöhne und der gebotenen anteiligen Befriedigung der Arbeitnehmer und des FA als Steuerabzugsbeträge angefallen wären. Insoweit stimmt also die vorgenannte Entscheidung des Senats, auf die wegen der Begründung im einzelnen Bezug genommen wird, mit der Vorentscheidung überein.
Der Senat hat aber weiter ausgeführt, daß die dargestellte Haftungsbeschränkung für die Lohnsteuer nur in Ausnahmefällen in Betracht kommt. Ein Geschäftsführer kann sich nicht darauf berufen, daß ihm während der Dauer eines sich über mehrere Kalendermonate erstreckenden Haftungszeitraums stets nur Zahlungsmittel in Höhe der ausgezahlten Nettolöhne zur Verfügung gestanden hätten und er deshalb nur insoweit hafte, als er bei der jeweils gebotenen Kürzung der Löhne das FA wegen der Lohnsteuer anteilig hätte befriedigen können. Aus der Tatsache, daß über mehrere Monate hinweg die Löhne immer wieder ungekürzt ausgezahlt worden sind, folgt, daß der Geschäftsführer jedenfalls über ausreichende Mittel verfügte, um jeweils die für den vorangegangenen Kalendermonat angemeldete und rückständige Lohnsteuer in voller Höhe an das FA zu entrichten. Wer in Kenntnis der für den Vormonat entstandenen, noch nicht abgeführten Lohnsteuer die Löhne für den laufenden Monat in vollem Umfang auszahlt, handelt vorsätzlich seiner Verpflichtung zuwider und haftet insoweit nach § 69 AO 1977 unbeschränkt (Niedersächsisches FG, Urteil vom 3. Februar 1981 XI 603/80, EFG 1982, 4; Klein / Orlopp, Abgabenordnung, 3. Aufl., § 69 Anm. 8).
Dieses Ergebnis folgt daraus, daß sich das Maß des Verschuldens und damit die Berechnung der Haftungssumme nicht nach den Umständen der einzelnen Lohnzahlungszeitpunkte, sondern nach den Verhältnissen während des gesamten Haftungszeitraums bestimmt. Denn der Geschäftsführer ist verpflichtet, während dieses Zeitraums die Gläubiger der Gesellschaft - hier die Arbeitnehmer und das FA - gleichmäßig zu befriedigen. Eine betragsmäßige Beschränkung der Lohnsteuerhaftung kommt deshalb allenfalls für den oder die letzten Monate eines Haftungszeitraums in Betracht, wenn nachfolgende Lohnzahlungen - etwa wegen Konkurses - nicht mehr erfolgen und auch aus den für die letzte Lohnzahlung verwendeten Mitteln die Lohnsteuerrückstände des Vormonats nicht hätten beglichen werden können. Soweit nach den vorstehend dargestellten einschränkenden Grundsätzen eine Haftungsbeschränkung in Betracht kommt, trägt der Geschäftsführer die objektive Beweislast (Feststellungslast) für seine Behauptung, daß gerade noch die Nettolöhne in voller Höhe ausgezahlt werden konnten, sonst aber keinerlei Zahlungsmittel mehr vorhanden waren; denn insoweit beruft er sich auf einen außergewöhnlichen Sachverhalt (BFHE 153, 512, BStBl II 1988, 859).
b) Die Vorentscheidung steht mit der dargestellten Rechtsprechung des Senats hinsichtlich des Umfangs der Haftungsbeschränkung, die im Falle der auf die ausgezahlten Nettolöhne beschränkten Zahlungsmittel der GmbH in Betracht kommt, nicht in Einklang. Das FG hat verkannt, daß der Geschäftsführer, wenn ihm über einen längeren Zeitraum hinweg nur Gelder in Höhe der Nettolöhne zur Verfügung stehen, zunächst die für den jeweiligen Vormonat angemeldete und geschuldete Lohnsteuer in voller Höhe nachentrichten muß, ehe er erneut Löhne - wenn auch gekürzt - an die Arbeitnehmer auszahlt. Nur für den letzten Monat des Haftungszeitraums - wenn nachfolgend keine Lohnzahlungen mehr erfolgen, aus denen der Lohnsteuerrückstand hätte getilgt werden können - kann sich der Geschäftsführer darauf berufen, daß er nur in Höhe der Lohnsteuer hafte, die bei einer Kürzung der ausgezahlten Nettolöhne und anteiligen Befriedigung der Arbeitnehmer sowie des FA angefallen wären.
Im Streitfall ist der letzte Anmeldungszeitraum, für den unter dem Gesichtspunkt der Haftungsbeschränkung über die Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheids zu entscheiden ist, der Monat November 1982. Auch hinsichtlich der für diesen Monat angemeldeten Lohnsteuer kommt eine Beschränkung der Haftung des Antragstellers nach den vorstehenden Grundsätzen nicht in Betracht, weil nachfolgend - jedenfalls für den Monat Dezember 1982, für den das FA die Vollziehung des Haftungsbescheids selbst ausgesetzt hat - noch Lohnzahlungen erfolgt sind, aus denen die von der GmbH für November 1982 angemeldete Lohnsteuer in voller Höhe hätte entrichtet werden können. Die Vollziehung des Haftungsbescheids für die Monate April bis November 1982 kann somit auch nicht teilweise ausgesetzt werden, weil die rückständige Lohnsteuer jeweils aus den Mitteln hätte getilgt werde können, die in den Folgemonaten für die Auszahlung der Löhne verwendet worden sind. Auf die Beschwerde des FA war deshalb die Vorentscheidung aufzuheben und der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheids in vollem Umfang abzulehnen.
Fundstellen
Haufe-Index 416206 |
BFH/NV 1989, 424 |