Entscheidungsstichwort (Thema)
Richterablehnung
Leitsatz (NV)
1. Es ist zulässig, einen Spruchkörper als Ganzes als befangen abzulehnen, wenn alle Mitglieder des Spruchkörpers unter Hinweis auf konkrete Anhaltspunkte in einer Kollegialentscheidung abgelehnt werden.
2. Ein Ablehnungsgesuch kann nicht insgesamt als unzulässig beurteilt werden, wenn es neben sachlichen Verunglimpfungen der abgelehnten Richter auch sachbezogene Angaben zu einer möglichen Voreingenommenheit der Richter enthält.
3. Ein Unterliegen in vorangegangenen Entscheidungen der abgelehnten Richter begründet eine Besorgnis der Befangenheit nur, wenn sich aus den Entscheidungen eine unsachliche Einstellung der Richter oder Willkür ergibt.
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1; ZPO § 42
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) führte in der Vergangenheit vor dem ... Senat des Finanzgerichts (FG) mehrere Verfahren im eigenen Namen oder als Prozeßvertreter seiner Ehefrau, in denen die Steuerpflichtigen jeweils unterlagen.
Der Kläger erhob außerdem Klage wegen Einkommensteuer 1984 und 1985, in dem er nunmehr die namentlich aufgeführten Berufsrichter des ... Senats des FG ablehnte und beantragte, daß in diesem Rechtsstreit ein anderer Senat des FG entscheiden möge. In sämtlichen Verfahren des Klägers und seiner Ehefrau seien die Entscheidungen des ... Senats des FG negativ ausgefallen. Die Entscheidungen beruhten auf Verdrehung, Verbiegung, Entstellung und bewußter Mißdeutung eindeutiger und bewiesener Sachverhalte. Die genannten Richter hätten aus Tatsachen Schlußfolgerungen gezogen und sich dabei meilenweit von der Wahrheit entfernt. Diese unwahrscheinlichen und unlogischen Feststellungen bzw. Schlußfolgerungen seien revisionssicher gemacht worden. Die Richter hätten dem Kläger nur finanziellen Schaden zufügen wollen. Während tatsächliche Feststellungen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu treffen seien, hätten die Mitglieder des ... Senats des FG Feststellungen getroffen, die an der Grenze des Unmöglichen lägen. Im Verfahren (Az.: ... ) sei dem Kläger sogar im Zusammenhang mit der Abtretung einer -- verzinslich angelegten -- Honorarforderung wider besseres Wissen strafbares und standeswidriges Verhalten zur Last gelegt worden, wenn dort ausgeführt werde:
"Bei summarischer Prüfung des Streitfalles könnte das extreme Mißverhältnis von Vorschußhöhe zum gegenüberstehenden jährlichen Leistungsumfang allerdings den Verdacht hervorrufen, daß es sich damals in Wahrheit nicht oder nicht nur um einen Vorschuß auf ... -leistungen des Ast. handeln sollte, sondern daß es dem Auftraggeber im wesentlichen darum ging, Gelder dem Zugriff des Fiskus oder anderen Gläubigern zu entziehen und dies durch das Schreiben vom ... und die Bezeichnung der Transaktion als Vorschuß zu kaschieren. Ein solches Geschäft zwischen Ast. und Auftraggeber könnte standeswidrig sein und zu einer Rückzahlungsverpflichtung des Ast. auch oder gerade hinsichtlich der hohen und durchweg noch die daneben erfolgenden Honorarabrechnungen übersteigenden Zinseinnahmen führen."
Der Kläger sei von den genannten Richtern auch bewußt und -- durch obiter dictum -- ohne Not diskriminiert worden. Klare Aussagen eines Zeugen seien in skandalöser Weise bewußt zum Schaden des Klägers verbogen worden, wenn die Richter in der Entscheidung (Az.: ... ) ausführten:
"Der Senat hat den Eindruck gewonnen, daß die Antworten des Zeugen auf die Frage des Kl. zu 1) nicht unbeeinflußt von dieser Feindseligkeit erfolgte und die Antwort des Zeugen möglicherweise von der Absicht getragen war, dem Kl. zu 1) zu schaden. Der Senat ist nämlich aus dem Gesamtergebnis der Vernehmung des Zeugen zu der Auffassung gelangt, daß der Zeuge glaubte, es schade dem Kl. zu 1), wenn sich durch die Beweisaufnahme eine Pflicht des Kl. zu 1) zur Abarbeitung auch der Festgeldzinsen ergebe."
Eine solche Beweiswürdigung sei gewissen- und verantwortungslos.
In einem Verfahren habe sich der ... Senat zu der unbegründeten Feststellung verstiegen, die Klägerin habe Zahlungen an Verwandte gemacht und ihnen damit etwas schenken wollen, obwohl hierfür keinerlei Anhaltspunkte vorgelegen hätten.
Die abgelehnten Richter seien steuerliche Ereiferer, die es sich zum Ziel gesetzt hätten, dem Fiskus in jedem Fall zum Sieg zu verhelfen. Eine unvoreingenommene Entscheidung im noch anhängigen Verfahren sei daher durch die abgelehnten Richter nicht mehr zu erwarten.
Das FG hat das Gesuch als unzulässig abgewiesen.
Gegen den Beschluß hat der Kläger Beschwerde eingelegt.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist als unbegründet zurückzuweisen.
1. Der Antrag auf Richterablehnung war zulässig.
a) Ein Richter kann wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen (§ 51 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO -- i. V. m. § 42 Abs. 1 und 2 der Zivilprozeßordnung). Dabei kommt es darauf an, ob der betroffene Beteiligte von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger objektiver Betrachtung Anlaß hat, Voreingenommenheit zu befürchten. Dem Grundsatz der Individualablehnung entsprechend muß das Ablehnungsgesuch sich grundsätzlich auf bestimmte Richter beziehen. Es ist daher im allgemeinen unzulässig, einen Spruchkörper als Ganzes abzulehnen. Allerdings gilt dies nicht, wenn alle Mitglieder eines Spruchkörpers wegen Besorgnis der Befangenheit im Hinblick auf konkrete Anhaltspunkte in einer Kollegialentscheidung abgelehnt werden (vgl. z. B. Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 16. April 1993 I B 155/92, BFH/NV 1994, 637, m. w. N.). Da der Kläger sein Ablehnungsgesuch auch mit konkreten Umständen begründet hat, die die vom FG erlassenen Vorentscheidungen betreffen, ist der Antrag im Streitfall zulässig.
b) Das FG hat den Antrag unter Berufung auf den BFH-Beschluß vom 8. Mai 1992 III S 3/92 (BFH/NV 1993, 108) als unzulässig beurteilt, weil der Kläger die abgelehnten Senatsrichter als "steuerliche Ereiferer" bezeichnet habe, "die sich zum Ziel gesetzt hätten, dem Fiskus in jedem Fall zum Sieg zu verhelfen". Derartige Behauptungen sind zwar durchaus geeignet, Richter in unsachlicher Weise zu verunglimpfen. Solange aber von einem Beteiligten in seinem Ablehnungsgesuch neben derartigen Verunglimpfungen sachbezogene Angaben zu einer möglichen Voreingenommenheit der Richter gemacht werden, kann das Richterablehnungsgesuch nicht allein wegen der Verunglimpfungen insgesamt als unzulässig abgelehnt werden.
2. Das Ablehnungsgesuch war aber unbegründet. Der Senat kann insoweit auch ohne dienstliche Äußerung der abgelehnten Richter entscheiden, da der zur Entscheidung stehende Sachverhalt unstreitig feststeht (vgl. BFH in BFH/NV 1994, 637).
a) Die Tatsache, daß die abgelehnten Richter an Entscheidungen mitgewirkt haben, die zu Lasten des Klägers und seiner jetzigen Ehefrau ergingen, begründet keine Besorgnis der Befangenheit (vgl. z. B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 51 Rdnr. 41, m. w. N.). Dies würde selbst dann gelten, wenn die Entscheidungen, dem Vortrag des Klägers entsprechend, in verfahrens- oder materiell-rechtlicher Hinsicht rechtswidrig sein sollten, es sei denn, die Unrichtigkeit der Entscheidungen ließe auf eine unsachliche Einstellung oder Willkür der Richter schließen (vgl. hierzu z. B. BFH-Beschlüsse vom 1. Oktober 1993 III B 249-254/92, BFH/NV 1994, 487; vom 29. Oktober 1993 XI B 91/92, BFH/NV 1994, 489, m. w. N.; in BFH/NV 1994, 637). Hierfür sind aber keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich.
Soweit sich der Kläger auszugsweise auf den Beschluß vom 17. September 1992 (Az.: ... ) beruft, verkennt er, daß die Richter einen Gesichtspunkt für die von ihm begehrte Passivierung, also einen Gesichtspunkt zugunsten des Klägers, geprüft haben.
Auch aus dem Beschluß vom 22. Dezember 1992 (Az.: ... ), in dem die abgelehnten Richter der vom Kläger abgegebenen eidesstattlichen Versicherung nicht gefolgt sind, läßt sich die Befürchtung der Befangenheit nicht entnehmen. Dort heißt es -- soweit es nicht um die verspätete Glaubhaftmachung geht:
"Der Senat würdigt die vom Ast. abgegebene eidesstattliche Erklärung als eindringliche Parteierklärung (vgl. Hartmann in Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann, ZPO, § 294 Anm. 3 B). Diese vermag im Zuge der summarischen Prüfung am Ergebnis des Beschlusses vom 17. 9. 1992 nichts zu ändern."
Die Tatsache, daß Richter einer eidesstattlichen Versicherung nicht folgen, besagt unmittelbar nur, daß sie sich von der überwiegenden Wahrscheinlichkeit der behaupteten Tatsache nicht überzeugen konnten. Aus der für das Gericht bestehenden Unsicherheit kann nicht geschlossen werden, daß dem Kläger Lügen vorgeworfen werden.
Eine mögliche Unsachlichkeit der abgelehnten Richter ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, daß im Urteil vom 14. April 1994 (Az.: ... ) die Aussage des Zeugen X als widersprüchlich und voreingenommen beurteilt wurde. Da ausweislich der Urteilsgründe der Zeuge auf eine Frage des Klägers den Kläger mit dem Gehstock bedroht hatte, ist die Annahme der Richter, daß der Zeuge dem Kläger gegenüber feindselig eingestellt gewesen sei und daher dem Kläger habe schaden wollen, naheliegend.
Aus ähnlichen Gründen kann auch aus der Schlußfolgerung der abgelehnten Richter im Verfahren (Az.: ... ), Zahlungen an die Mutter und die Geschwister der dortigen Klägerin seien Schenkungen, kein Anhaltspunkt für eine unsachliche Einstellung der Richter abgeleitet werden. Wenn diese sich nicht davon überzeugen konnten, daß die nachträglich geltend gemachten Zahlungen im Zusammenhang mit einer Gegenleistung standen, begründet dies keinen Verdacht für eine Voreingenommenheit. Die Richterablehnung ist kein Mittel, unliebsame Sachverhaltswürdigungen durch den zuständigen Senat aus den Angeln zu heben.
Fundstellen
Haufe-Index 421428 |
BFH/NV 1996, 826 |
NVwZ 1998, 663 |