Entscheidungsstichwort (Thema)
Zeitliche Begrenzung des Verlustvortrags nicht unbillig
Leitsatz (NV)
Es ist nicht klärungsbedürftig, dass eine Steuerfestsetzung nicht deshalb unbillig ist, weil in Vorjahren erlittene Verluste infolge der zeitlichen Beschränkung des Verlustvortrags durch § 10d EStG a.F. in ihr nicht berücksichtigt worden sind (Abgrenzung zum BFH-Urteil vom 26. Oktober 1994 X R 104/92, BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297).
Normenkette
AO 1977 § 163; EStG § 10d; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) gegenüber die Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuer-Messbetrag für das Streitjahr aus Billigkeitsgründen abweichend festzusetzen sind.
Die Klägerin, eine GmbH, hatte in den Jahren 1978 bis 1989 Verluste erlitten. Die Verluste der Jahre 1978 bis 1984 waren bei den Veranlagungen für die Folgejahre nicht vollständig im Wege des Verlustvortrags berücksichtigt worden, da § 10d des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der bis 1984 geltenden Fassung nur einen zeitlich begrenzten Verlustvortrag vorsah. Zu Beginn des Streitjahres (1994) belief sich der nicht ausgeglichene Verlust bei der Körperschaftsteuer auf 626 284 DM und bei der Gewerbesteuer auf 633 944 DM.
Für das Streitjahr wurde die Klägerin erklärungsgemäß zur Körperschaftsteuer und zur Gewerbesteuer veranlagt. Nach Bekanntgabe der Bescheide beantragte sie innerhalb der Rechtsbehelfsfrist eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen gemäß § 163 der Abgabenordnung (AO 1977). Zur Begründung machte sie geltend, dass sie für das Streitjahr steuerlich belastet werde, obwohl handelsrechtlich der bestehende Verlustvortrag noch nicht abgebaut worden sei. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) lehnte den Antrag auf abweichende Steuerfestsetzung ab; die hiergegen gerichtete Klage hatte keinen Erfolg.
Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde macht die Klägerin geltend, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe. Hierzu verweist sie insbesondere darauf, dass der Bundesfinanzhof (BFH) in einem ähnlich gelagerten Fall die Erhebung der Steuer für unbillig erachtet habe (BFH-Urteil vom 26. Oktober 1994 X R 104/92, BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297).
Das FA ist der Nichtzulassungsbeschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet. Die Rechtssache hat nicht die von der Klägerin geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung:
1. Nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Revision gegen ein finanzgerichtliches Urteil zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Das ist nur dann der Fall, wenn die Entscheidung des konkreten Einzelfalls von der Beantwortung einer Rechtsfrage abhängt, die im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig ist (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 115 Rz. 7, m.w.N.). Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, wenn die entscheidungserhebliche Rechtsfrage bereits höchstrichterlich entschieden worden ist oder sich ihre Beantwortung unmittelbar aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu anderen Gestaltungen ableiten lässt. In einer solchen Situation kann eine grundsätzliche Bedeutung nur vorliegen, wenn gewichtige Gesichtspunkte vorhanden sind, die in der bislang vorliegenden Rechtsprechung nicht berücksichtigt worden sind und eine erneute Überprüfung jener Rechtsprechung erforderlich machen (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 9, m.w.N.).
2. Im Streitfall sieht die Klägerin ―kurz gefasst― die Frage als klärungsbedürftig an, ob das im Steuerrecht geltende Übermaßverbot und der Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit eine Berücksichtigung früherer Verluste im Billigkeitswege gebieten, wenn diese Verluste nur innerhalb bestimmter zeitlicher Grenzen vortragsfähig waren und sich deshalb im Ergebnis nicht steuerlich ausgewirkt haben. Diese Frage lässt sich indessen unmittelbar aus der bisherigen Rechtsprechung des BFH beantworten. Sie ist zu verneinen:
a) Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung kann die Erhebung einer Steuer nur dann sachlich unbillig sein, wenn die Steuerfestsetzung zwar dem Buchstaben des Gesetzes entspricht, jedoch im Einzelfall mit dem Sinn und Zweck des Gesetzes nicht vereinbar ist. In diesem Sinne muss ein Überhang des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers bestehen (BFH-Urteile vom 21. August 1997 V R 47/96, BFHE 183, 304, BStBl II 1997, 781, 782; vom 23. März 1998 II R 41/96, BFHE 185, 270, BStBl II 1998, 396, 397; Stöcker in Beermann, Steuerliches Verfahrensecht, § 227 AO Rz. 76, m.w.N.). Eine Unbilligkeit kann sich deshalb nicht aus Umständen ergeben, die der Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen hat. Anderenfalls würde durch die Gewährung von Billigkeitsmaßnahmen die vorgesehene Besteuerung außer Kraft gesetzt. Das steht weder der Finanzverwaltung noch den Gerichten zu (BFH in BFHE 185, 270, BStBl II 1988, 396, 397; BFH-Urteil vom 21. Oktober 1999 V R 94/98, BFH/NV 2000, 610, m.w.N.). Diese Grundsätze gelten gleichermaßen für die abweichende Steuerfestsetzung nach § 163 AO 1977 wie für den Erlass nach § 227 AO 1977 (vgl. BFH-Beschluss vom 30. August 1999 X B 67/99, BFH/NV 2000, 301, m.w.N.).
b) Im Streitfall beruht die Nichtberücksichtigung der Verluste, die die Klägerin für unbillig hält, auf § 10d Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes in der vor Inkrafttreten des Steuerreformgesetzes 1990 geltenden Fassung (EStG a.F.). Hiernach konnte ein Verlust, der weder im Veranlagungszeitraum seiner Entstehung noch im Wege des Verlustrücktrags ausgeglichen worden war, nur in den folgenden fünf Veranlagungszeiträumen vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden (§ 10d Satz 4 EStG a.F.). Dieser Zeitraum war im Streitfall hinsichtlich derjenigen Verluste, die die Klägerin bis 1984 erlitten hatte, verstrichen. Demgemäß sind bei den Veranlagungen der Klägerin für das Streitjahr jene Verluste außer Ansatz geblieben.
c) Dass in der Zeit bis 1984 entstandene Verluste unter bestimmten Voraussetzungen steuerlich unberücksichtigt bleiben, ist kein Umstand, der dem Zweck des Gesetzes oder den Wertungen des Gesetzgebers widerspricht. Es handelt sich vielmehr um eine zwangsläufige Folge der seinerzeit vom Gesetzgeber getroffenen Entscheidung, die Möglichkeit des Verlustvortrags nach § 10d EStG zeitlich zu begrenzen. Die damit verbundenen Härten hat der Gesetzgeber ersichtlich bewusst in Kauf genommen (ebenso BFH-Urteil vom 25. März 1988 III R 186/84, BFH/NV 1989, 426; Finanzgericht ―FG― Baden-Württemberg, Außensenate Stuttgart, Urteil vom 19. Februar 1993 9 K 142/92, Entscheidungen der Finanzgerichte ―EFG― 1994, 491; FG Baden-Württemberg, Außensenate Freiburg, Urteil vom 20. Juni 1996 14 K 601/91, EFG 1996, 1077). Das schließt nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen die Annahme aus, dass sich aus diesen Härten eine sachliche Unbilligkeit der Steuererhebung ergeben könnte. Dies bedarf keiner Klärung durch ein Revisionsverfahren.
d) Eine abweichende Beurteilung ergibt sich nicht aus der Entscheidung des X. Senats des BFH (Urteil in BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297), auf das sich die Klägerin zur Stützung ihres Anliegens beruft. Denn jene Entscheidung betrifft eine Gestaltung, die mit der hier vorliegenden nicht vergleichbar ist:
In dem damals entschiedenen Fall ging es um die früheren Kommanditisten einer KG, denen auf Grund der Auflösung ihrer negativen Kapitalkonten Gewinne zugerechnet worden waren. Die negativen Kapitalkonten waren in den Vorjahren durch Verluste entstanden, die sich aufgrund der Abzugsbeschränkung in § 10d Satz 4 EStG a.F. bei der Besteuerung der Kommanditisten nicht in vollem Umfang steuermindernd ausgewirkt hatten. Bei dieser Sachlage kam es zu einer Besteuerung der früheren Gesellschafter, der weder eine Mehrung ihres Betriebsvermögens zugrunde lag noch eine in den Vorjahren erzielte Steuerersparnis gegenüber stand: Der besteuerte Auflösungsgewinn war eine reine Rechengröße, mit deren Hilfe die voraufgegangene Bildung der negativen Kapitalkonten steuerlich rückgängig gemacht wurde, und jener rückgängig gemachte Vorgang war zuvor steuerlich ohne Auswirkung geblieben. Die früheren Gesellschafter wurden mithin nicht mit Rücksicht auf einen Zuwachs an Leistungsfähigkeit besteuert; der Ansatz des Gewinns hatte vielmehr allein die Funktion, eine in den Vorjahren erzielte Steuerersparnis auszugleichen, die aber bei den Gesellschaftern tatsächlich nicht eingetreten war. In dieser besonderen Situation verfehlte die Besteuerung des Gewinns aus der Auflösung der negativen Kapitalkonten letztlich ihren Zweck, weshalb der X. Senat sie für unbillig erachtet hat. Nur hierauf bezieht sich seine von der Klägerin zitierte Entscheidung.
Vor diesem Hintergrund ist auch im Hinblick auf jene Entscheidung nicht klärungsbedürftig, dass eine vom Gesetz vorgegebene Nichtberücksichtigung von Verlusten jedenfalls dann nicht zur Unbilligkeit der Steuererhebung führen kann, wenn die Steuerfestsetzung einen im Veranlagungszeitraum eingetretenen Vermögenszuwachs widerspiegelt. Das ist die im Streitfall gegebene Situation: Die Klägerin hat im Streitjahr einen Gewinn erzielt, und es ist weder aus dem FG-Urteil ersichtlich noch von der Klägerin selbst vorgetragen worden, dass dieser Gewinn auf einer Auflösung negativer Kapitalkonten oder einem ähnlichen schlichten Rechenvorgang beruht. Die Erfassung eines steuerpflichtigen Gewinns dient mithin hier nicht nur der Kompensation voraufgegangener (Buch-)Verluste, weshalb keine Veranlassung besteht, die Besteuerung im Billigkeitswege mit den steuerlichen Auswirkungen jener Verluste zu verknüpfen. Für diejenigen Erwägungen, die der Entscheidung des X. Senats zu Grunde liegen, ist daher im Streitfall von vorn herein kein Raum. Vielmehr muss es hier bei der Anwendung des allgemeinen Grundsatzes bleiben, nach dem eine gesetzlich angeordnete Verlustabzugsbeschränkung nicht im Billigkeitswege ausgehebelt werden darf.
3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs abgesehen.
Fundstellen
Haufe-Index 514994 |
BFH/NV 2001, 442 |