Leitsatz (amtlich)
Tritt ein Gebrechlichkeitspfleger in einen vom Pflegebefohlenen erhobenen Prozeß ein, so sind Zustellungen ab Vorlage der Bestallungsurkunde an den Pfleger zu richten.
Normenkette
FGO § 62 Abs. 3 S. 2, § 58 Abs. 2 S. 2; ZPO § 53
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erhob am 30. Juni 1981 beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt -- FA --) Klage, die nach Auskunft des FA die Veranlagung zur Einkommensteuer und Umsatzsteuer 1972 bis 1974 sowie zur Vermögensteuer auf den 1. Januar 1969, 1. Januar 1972 und 1. Januar 1974 betraf.
Mit Schriftsatz vom 6. Oktober 1981 nahm der Prozeßbevollmächtigte des Klägers als dessen Gebrechlichkeitspfleger (§ 1910 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches -- BGB --) das Verfahren auf und legte eine beglaubigte Abschrift seiner Bestallung durch das Amtsgericht A vom 28. August 1981 vor, aus der sich ergibt, daß die Pflegschaft die Wahrnehmung der Wohnungsangelegenheiten sowie Vertretung bei Behörden und Gerichten einschließlich arbeitsrechtlicher Angelegenheiten des Klägers umfaßt.
Die Klage wurde nicht begründet. Zum Verhandlungstermin, zu dem der Gebrechlichkeitspfleger ordnungsgemäß geladen worden war, erschien für den Kläger niemand. Die Ladung enthielt den Zusatz, daß beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden könne (§ 91 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mangels hinreichender Bezeichnung des Streitgegenstandes als unzulässig ab. Das Urteil wurde dem Gebrechlichkeitspfleger des Klägers am 6. April 1982 zugestellt.
Am 6. Mai 1982 legte der Kläger, ohne sich durch einen Prozeßbevollmächtigten vertreten zu lassen, Revision ein und rügte die Verletzung rechtlichen Gehörs mit der Begründung, er hätte zur mündlichen Verhandlung neben dem Gebrechlichkeitspfleger persönlich geladen werden müssen. Mit dem am 8. September 1982 beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangenen Schriftsatz vom 6. September 1982 genehmigte der Gebrechlichkeitspfleger die von seinem Pflegling eingelegte Revision mit dem Antrag, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Er ist der Auffassung, die mit Einverständnis des Klägers erfolgte Bestallung zum Gebrechlichkeitspfleger habe eine ordnungsgemäße Ladung des Klägers zur mündlichen Verhandlung vor dem FG nicht entbehrlich gemacht. Vielmehr hätte der Kläger selbst gehört werden müssen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig; sie ist nicht ordnungsgemäß erhoben worden.
Nach Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFH-EntlG) vom 8. Juli 1975 (BGBl I, 1861, BStBl I, 932) in Verbindung mit dem Änderungsgesetz vom 4. August 1980 (BGBl I, 1147, BStBl I, 462) muß sich jeder Beteiligte vor dem BFH durch einen Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer vertreten lassen. Das gilt auch für die Einlegung der Revision (Art. 1 Nr. 1 Satz 2 BFH-EntlG). Das Erfordernis, sich durch einen Angehörigen der genannten Berufsgruppe vertreten zu lassen, ist eine Prozeßhandlungsvoraussetzung. Fehlt sie, so ist die betreffende Prozeßhandlung unwirksam.
Im Streitfall hat der Kläger die Revision ohne Mitwirkung einer zu den genannten Berufsgruppen gehörenden Person eingelegt und gehört diesem Personenkreis auch nicht selbst an. Daher ist die Revision als unzulässig zu verwerfen.
Die nachträgliche Genehmigung der Revisionseinlegung durch den Gebrechlichkeitspfleger des Klägers, der zu dem vertretungsberechtigten Personenkreis gehört, vermochte den Vertretungsmangel nicht zu beheben, da eine formgerechte Nachholung bei Rechtsmitteln nur innerhalb der für das Rechtsmittel vorgeschriebenen Frist in Betracht kommt (BFH-Beschlüsse vom 7. Februar 1977 IV B 62/76, BFHE 121, 171, BStBl II 1977, 291, und vom 10. Mai 1977 VII R 86/76, BFHE 122, 32, BStBl II 1977, 593) und die Revisionsfrist zum Zeitpunkt der Genehmigung bereits abgelaufen war. Die Frist für die Erhebung der Revision beträgt einen Monat. Sie beginnt mit der Zustellung des Urteils (§ 120 Abs. 1 Satz 1 FGO). Ist ein Bevollmächtigter bestellt, sind Zustellungen an ihn zu richten (§ 62 Abs. 3 Satz 3 FGO). Dies gilt auch, wenn ein Beteiligter im finanzgerichtlichen Verfahren durch einen Gebrechlichkeitspfleger vertreten wird.
Der Pfleger ist Bevollmächtigter des Pflegebefohlenen im Sinne der §§ 166ff. BGB, dessen Bevollmächtigung nicht auf der Erteilung einer Vollmacht, sondern auf einem Hoheitsakt beruht (Beschluß des Bundesgerichtshofs -- BGH -- vom 28. April 1967 IV ZB 448/66, BGHZ 48, 147ff., 161). Deshalb kann das Vertretungsverhältnis auch im Prozeß durch die Vorlage der Bestallungsurkunde bzw. -- wie hier -- durch beglaubigte Abschrift der Bestallungsurkunde nachgewiesen werden. Ergibt sich der Umfang der Vertretungsmacht wie z. B. bei der Prokura aus dem Gesetz, so ist anerkannt, daß die Bevollmächtigung prozessual durch Vorlage eines Auszugs aus dem Handelsregister nachgewiesen werden kann (Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 62 FGO, Rz. 12). Entsprechendes muß gelten, wenn die Vertretungsbefugnis auf einem Hoheitsakt beruht und der Bestallungsurkunde ihr Umfang entnommen werden kann. Da die Pflegschaft im Streitfall ganz allgemein die Vertretung bei Gerichten umfaßte, erstreckte sich die Vertretungsbefugnis des Pflegers auch auf das anhängige finanzgerichtliche Verfahren.
Durch die Anordnung einer Gebrechlichkeitspflegschaft wird die Prozeßfähigkeit eines unbeschränkt geschäftsfähigen Pflegebefohlenen nicht berührt, d. h. er kann selbst Klage erheben. Tritt aber der Pfleger in den Prozeß ein, so erlischt gemäß § 58 Abs. 2 Satz 2 FGO in Verbindung mit § 53 der Zivilprozeßordnung (ZPO) die Prozeßfähigkeit des Pflegebefohlenen. Dadurch wird erreicht, daß widersprechende Prozeßhandlungen des Pflegers und des Pflegebefohlenen vermieden werden (Tipke/Kruse, AbgabenordnungFinanzgerichtsordnung, § 58 FGO, Rdnr. 9). Zustellungen an den Pflegebefohlenen setzen dann eine Rechtsmittelfrist nicht mehr in Gang (BFH-Beschluß vom 3. Oktober 1972 VII B 152/70, BFHE 107, 163, BStBl II 1973, 84).
Die Revisionsfrist hat mit der Zustellung vom 6. April 1982 an den Pfleger zu laufen begonnen und mit Ablauf des 6. Mai 1982 geendet. Die am 6. September 1982 eingegangene Genehmigung der vor Ablauf der Revisionsfrist durch den nicht postulationsfähigen Kläger erhobenen Revision, die nicht zurückwirkt, konnte die Revisionsfrist nicht wahren.
Gründe, die eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) rechtfertigen könnten, sind nicht gegeben. In der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils war darauf hingewiesen worden, daß sich vor dem BFH -- auch bei der Einlegung der Revision -- jeder Beteiligte durch einen Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer als Bevollmächtigten vertreten lassen muß. Dem Bevollmächtigten des Klägers, einem Rechtsanwalt und Notar, ist mit Schriftsatz der Senatsgeschäftsstelle vom 7. Juni 1982 eine Abschrift der Revision vom 6. Mai 1982 übersandt worden, aus der sich ergab, daß die Revision dem Erfordernis des Art. 1 Nr. 1 BFH-EntlG nicht entsprach. Da etwaige Wiedereinsetzungsgründe nicht binnen zwei Wochen (§ 56 Abs. 2 Satz 1 FGO) vorgebracht worden sind, kam eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand schon aus diesem Grund nicht in Betracht.
Fundstellen
Haufe-Index 74417 |
BStBl II 1983, 239 |
BFHE 1982, 3 |