Entscheidungsstichwort (Thema)
Prozeßkostenhilfeantrag vor Einlegung eines Rechtsmittels; Fristversäumung im Prozeßkostenhilfeverfahren
Leitsatz (NV)
1. Zum Antrag auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe für ein Rechtsmittelverfahren, wenn das Rechtsmittel selbst noch nicht eingelegt worden ist.
2. Fristversäumungen im Prozeßkostenhilfeverfahren sind einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur im selben Umfang zugänglich wie im Rechtsmittelverfahren selbst.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 3 S. 1, § 120 Abs. 1 S. 1, § 142 Abs. 1; ZPO §§ 114, 117 Abs. 2
Tatbestand
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage des Klägers und Antragstellers (Antragsteller) in Sachen Einkommensteuer 1977 bis 1983 mit Urteil vom 4. Februar 1988 wegen unzureichender Bezeichnung des Streitgegenstandes als unzulässig ab. Das Urteil wurde dem Antragsteller am 5. März 1988 mittels Postzustellungsurkunde (im Wege der Ersatzzustellung durch Niederlegung bei der Postanstalt) zugestellt.
Der Antragsteller legte dagegen kein Rechtsmittel ein. Er hat mit Schreiben vom 8. August 1988 (beim FG eingegangen am 9. August 1988) lediglich gebeten, ihm - allgemein - Prozeßkostenhilfe zu gewähren.
Er führt dazu - soweit für die Entscheidung des Senats von Bedeutung - aus: Das Urteil des FG sei zwar am 5. März 1988 in seinem Büro zugestellt worden; doch habe er sich zu diesem Zeitpunkt auf einer Geschäftsreise befunden und im Anschluß daran, nämlich am 8. März 1988, habe er unmittelbar eine Haftstrafe angetreten. Postsendungen seien in der Justizvollzugsanstalt nur ,,stückchenweise" in seine Hände gelangt; das gelte auch für das Urteil des FG. Dieses habe er ,,sicherlich nicht vor Juni" erhalten. Er habe zwar den ihm bekannten Steuerberater A gebeten, sich der wichtigsten Dinge anzunehmen; was dieser im einzelnen unternommen habe, wisse er, der Antragsteller, jedoch nicht.
Entscheidungsgründe
Der Antrag auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe kann keinen Erfolg haben.
1. Gemäß § 142 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 114 der Zivilprozeßordnung (ZPO) ist Prozeßkostenhilfe zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Weitere Voraussetzung ist, daß der Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozeßführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten tragen kann.
2. Die Rechtsverfolgung bietet im Streitfall schon deswegen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil der Antragsteller kein zulässiges Rechtsmittel mehr einlegen kann. Er hat die Rechtsmittelfristen versäumt und kann auch nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erhalten.
a) Es ist zwar anerkannt, daß ein Beteiligter, der um Prozeßkostenhilfe für ein Rechtsmittelverfahren nachsucht, nicht innerhalb der Rechtsmittelfrist auch schon das in Betracht kommende Rechtsmittel selbst einlegen muß. Es genügt vielmehr, wenn er innerhalb dieser Frist den Antrag auf Prozeßkostenhilfe stellt (siehe hierzu den Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 5. November 1986 IV S 7/86 und IV B 49/86, BFHE 148, 13, BStBl II 1987, 62; auch Ruban in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 142 Tz. 12, mit Hinweisen auf weitere BFH-Entscheidungen).
Doch hat der Antragsteller weder den Antrag als solchen rechtzeitig gestellt noch die erforderliche vordruckgebundene Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (§ 117 Abs. 2 ZPO) überhaupt eingereicht.
Die Rechtsmittelfrist betrug im Streitfall jeweils einen Monat ab Zustellung des FG-Urteils, unabhängig davon, ob der Antragsteller Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision oder eine zulassungsfreie Revision gemäß § 116 FGO einlegen wollte (siehe § 115 Abs. 3 Satz 1 FGO und § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO). Diese Frist war am 9. August 1988, dem Tag des Eingangs des Prozeßkostenhilfeantrags beim FG, längst abgelaufen. Das Urteil war dem Antragsteller am 5. März 1988 zugestellt worden. Die Zustellung war mit der Niederlegung bei der Postanstalt wirksam. Auf die Kenntnisnahme von der Mitteilung über diesen Vorgang kommt es nicht an (siehe hierzu u. a. Koch in Gräber, a.a.O. § 53 Tz. 26, mit weiteren Hinweisen). Auch war die Wohnung des Antragstellers zum Zeitpunkt der Zustellung noch als ,,Wohnung" i. S. des § 181 ZPO anzusehen. Der Abwesenheit aufgrund der behaupteten Geschäftsreise kommt insoweit keine Bedeutung zu (s. hierzu das BFH-Urteil vom 4. Juni 1987 V R 131/86, BFHE 150, 305, BStBl II 1988, 392). Die Haftstrafe hatte der Antragsteller am 5. März 1988 noch nicht angetreten, so daß die Grundsätze des BFH-Urteils vom 20. Oktober 1987 VII R 19/87 (BFHE 151, 24, BStBl II 1988, 97), wonach bei Verbüßung einer nicht nur kurzfristigen Strafhaft eine Ersatzzustellung nach § 181 ZPO in der bisherigen Wohnung unwirksam ist, im Streitfall nicht zur Anwendung kommen.
Aber selbst wenn auf die Kenntnisnahme von der Niederlegungsmitteilung oder gar jene vom Inhalt des niedergelegten Schriftstücks abzustellen wäre, war die Rechtsmittelfrist im Streitfall am 9. August 1988 auch schon abgelaufen. Der Antragsteller hat seinem Vortrag nach spätestens im Juni 1988 vom Urteil des FG Kenntnis erlangt.
b) Schließlich liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, daß der Antragsteller an der rechtzeitigen Einreichung eines (vollständigen) Antrags auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe ohne Verschulden gehindert war und ihm deshalb - später auch wegen der Versäumung der Rechtsmittelfristen - gemäß § 56 FGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren wäre.
Jedenfalls wirkten möglicherweise ursprünglich vorhandene Entschuldigungsgründe nicht über den Zeitpunkt des Erhalts der vollständigen Urteilsausfertigung im Juni 1988 hinaus. Der Antragsteller hätte nunmehr wenigstens innerhalb von zwei Wochen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen und gleichzeitig den Antrag auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe stellen müssen (§ 56 Abs. 2 Sätze 1 und 3 FGO). Denn das Prozeßkostenhilfeverfahren ist insoweit gleichsam an die Stelle des Rechtsmittelverfahrens getreten; Fristversäumungen in ihm sind einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur im selben Umfang zugänglich wie im Rechtsmittelverfahren selbst (siehe hierzu insbesondere den Beschluß des BFH in BFHE 148, 13, BStBl II 1987, 62, Nr. 2 f der Entscheidungsgründe).
Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Zweiwochenfrist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO kommt im Streitfall nicht in Betracht. Der Antragsteller hat diese Frist schuldhaft verstreichen lassen. Er hätte sich spätestens ab dem Zeitpunkt der Kenntnis vom Inhalt des Urteils mit Nachdruck um die Wahrnehmung seiner steuerlichen Interessen kümmern müssen. Es genügte nicht, darauf zu vertrauen, der ihm bekannte Steuerberater A werde sich schon ,,der wichtigsten Dinge annehmen".
3. Ungeachtet der Fristversäumungen hat der Antrag des Antragstellers aber auch deswegen keinen Erfolg, weil er keine Ausführungen zur Sache und zu dem in Aussicht genommenen Rechtsmittel enthält. Der Senat kann dem Schreiben vom 8. August 1988 nicht entnehmen, ob und in welchem Umfang ein Rechtsmittel hinreichende Aussicht auf Erfolg hätte (siehe hierzu den BFH-Beschluß vom 2. Juni 1987 VII B 20/87, BFH/NV 1988, 261). Der Antragsteller hat - wie auch schon zuvor im Klageverfahren - nicht einmal mitgeteilt, in welchen Punkten er mit den angefochtenen Bescheiden nicht einverstanden ist. Weiter fehlt jeglicher Hinweis auf die Art des beabsichtigten Rechtsmittels (siehe hierzu Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs und § 116 FGO).
4. Eine Kostenentscheidung war nicht veranlaßt, da keine Gerichtsgebühren entstanden sind (§ 1 Abs. 1 Buchst. c, § 11 des Gerichtskostengesetzes).
Fundstellen
Haufe-Index 416067 |
BFH/NV 1989, 191 |