Entscheidungsstichwort (Thema)
NZB: Darlegung grundsätzlicher Bedeutung nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO; Fälligkeit eines Einkommensteuererstattungsanspruchs
Leitsatz (NV)
- Die Darlegung grundsätzlicher Bedeutung setzt nach allgemeiner, auch unter Geltung des neuen Rechts zu beachtender Auffassung u.a. voraus, dass die vom Beschwerdeführer aufgeworfene Rechtsfrage im Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts klärungsbedürftig und in einem künftigen Revisionsverfahren klärungsfähig ist (st. Rspr. vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 9. November 1999 VIII B 96/99, BFH/NV 2000, 473).
- Die Rechtsfrage, dass der sich aus dem Überschuss geleisteter Vorauszahlungen auf die Einkommensteuerschuld eines bestimmten Veranlagungsabschnittes ergebende Einkommensteuererstattungsanspruch erst mit Bekanntgabe des Steuerbescheides, der den Einkommensteueranspruch festsetzt, fällig wird (vgl. § 36 Abs. 4 Satz 2 EStG und z.B. BFH-Urteil vom 6. Februar 1990 VII R 86/88, BFHE 160, 108, BStBl II 1990, 523, 526) und nicht schon mit seiner Entstehung, ist geklärt.
Normenkette
AO 1977 § 220; EStG § 36 Abs. 4 S. 2; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, § 116 Abs. 3 S. 3
Tatbestand
I. Mit der angefochtenen Entscheidung hat das Finanzgericht (FG) den Abrechnungsbescheid des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt ―FA―) bestätigt, wonach die an den Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) abgetretenen Ansprüche auf Erstattung der mit Bescheiden vom 15. Februar 1999 festgesetzten Einkommensteuer und Solidaritätszuschläge für 1995 (Abtretung am 4. November 1996) und für 1996 (Abtretung am 2. Januar 1997) durch Aufrechnung mit einer Einkommensteuernachforderung gegen den Steuerschuldner (Zedenten) für 1990, die am 3. November 1997 fällig geworden ist, erloschen seien. Das FG führt dazu aus, die Aufrechnung sei gegenüber dem Neugläubiger wirksam erklärt worden und die Ausnahmetatbestände, die nach § 406 Halbsatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) die Aufrechnung hindern könnten, lägen nicht vor.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil richtet sich die Beschwerde. Der Kläger sieht eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache darin, dass das FG auf die Erstattungsansprüche des Steuerpflichtigen § 220 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung (AO 1977) angewendet und § 36 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) eine unzutreffende Bedeutung beigemessen habe mit der Folge, dass es das Vorliegen der Ausschlussvoraussetzungen des § 406 BGB für die Aufrechnung zu Unrecht verneint habe. Der Kläger vertritt demgegenüber die Ansicht, dass die Erstattungsansprüche analog § 271 Abs. 1 BGB zu behandeln seien und deshalb mit ihrer Entstehung am Ende des betreffenden Veranlagungszeitraums auch fällig würden. Anderenfalls seien sie zum Nachteil des Steuerpflichtigen durch Hinausschieben der Veranlagung manipulierbar. Hierzu fehle eine klärende Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH).
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unzulässig.
Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.d.F. des hier anzuwendenden Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze vom 19. Dezember 2000 (BGBl I 2000, 1757) setzt nach allgemeiner auch unter Geltung des neuen Rechts zu beachtender Auffassung unter anderem voraus, dass die vom Beschwerdeführer aufgeworfene Rechtsfrage im Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts klärungsbedürftig und in einem künftigen Revisionsverfahren auch klärungsfähig ist (zum neuen Recht s. Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 115 FGO Rz. 108 ff., m.w.N.; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 115 FGO Rz. 49 ff., und Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 115 FGO Rz. 92 ff.).
Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache muss, von dem hier nicht gegebenen Fall ihrer Offensichtlichkeit abgesehen, in der Beschwerdebegründung schlüssig und substantiiert dargelegt werden (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO). Dazu muss die Beschwerde eine konkrete Rechtsfrage und deren Klärungsbedürftigkeit herausarbeiten und auf ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung eingehen. Liegt, wie im Streitfall, bereits höchstrichterliche Rechtsprechung zu der herausgestellten entscheidungserheblichen Frage vor, sind Ausführungen dazu erforderlich, aus welchen Gründen und in welchem Umfang die Rechtsfrage umstritten ist; insbesondere welche Einwände in der Literatur und/oder in der Rechtsprechung der Instanzgerichte gegen die höchstrichterliche Auffassung erhoben werden (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 9. November 1999 VIII B 96/99, BFH/NV 2000, 473, und vom 23. Januar 1992 II B 64/91, BFH/NV 1992, 676, m.w.N.).
Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht. Nachdem der BFH entsprechend dem Wortlaut des § 36 Abs. 4 Satz 2 EStG als Sonderregelung zu § 220 AO 1977 in ständiger Rechtsprechung davon ausgeht, dass der sich aus dem Überschuss geleisteter Vorauszahlungen auf die Einkommensteuerschuld eines bestimmten Veranlagungsabschnittes ergebende Einkommensteuererstattungsanspruch erst mit Bekanntgabe des Steuerbescheides, der den Einkommensteueranspruch festsetzt, fällig wird (§ 36 Abs. 4 Satz 2 EStG, der insoweit der Regelung des § 220 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 entspricht; vgl. BFH-Urteile vom 6. Februar 1990 VII R 86/88, BFHE 160, 108, BStBl II 1990, 523, 526, und vom 19. Oktober 1982 VII R 55/80, BFHE 137, 146, BStBl II 1983, 162, m.w.N.), hätte der Kläger in der Beschwerdeschrift angeben müssen, von welcher Seite und mit welchen Gründen diese Auffassung bestritten wird. Hierzu bestand insbesondere deshalb Anlass, weil die vom BFH vertretene Auffassung ―soweit ersichtlich― sowohl von der Rechtsprechung der FG als auch in der Literatur geteilt wird (s. dazu Boeker in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, a.a.O., § 37 AO 1977 Rz. 53; Tipke/Kruse, a.a.O., § 37 AO 1977 Rz. 49, und Klein/Rüsken, Abgabenordnung, 7. Aufl., § 220 Rz. 4; Koch/Scholtz, Abgabenordnung, 5. Aufl., § 220 Rz. 6, und § 37 Rz. 8; Schwarz, Abgabenordnung, § 220 Rz. 9, und § 37 Rz. 8).
Dagegen wird die in der Beschwerde vertretene Auffassung des Klägers, dass Erstattungsansprüche, die sich aus Überzahlungen aufgrund geleisteter Lohnsteuervorauszahlungen ergeben, wie eine Zahlung ohne rechtlichen Grund auf einen nichtigen Steuerbescheid im Sinne der Rechtsprechung des BFH im Urteil vom 9. Juli 1996 VII R 136/95 (BFH/NV 1997, 10) anzusehen seien und deshalb in entsprechender Anwendung des § 271 BGB sofort mit ihrer Entstehung fällig würden, in Literatur und Rechtsprechung von niemandem geteilt; die hierzu angegebenen Verweisungen auf die Ausführungen bei Tipke/Kruse (a.a.O., § 220 AO 1977 Rz. 7) und "Klein" (Abgabenordnung, 6. Aufl., § 220 Rz. 4 a.E.) stützen diese Ansicht gerade nicht; insbesondere ist den Anmerkungen in "Klein" (a.a.O.) entgegen der Auffassung des Klägers nicht zu entnehmen, dass Ansprüche der Steuerpflichtigen immer mit ihrer Entstehung fällig werden.
Einer vom BFH bereits entschiedenen Rechtsfrage kommt aber nach ständiger Rechtsprechung in der Regel nur dann grundsätzliche Bedeutung zu, wenn gewichtige neue rechtliche Gesichtspunkte in der Rechtsprechung oder in der Literatur vorgetragen worden sind, die der BFH noch nicht geprüft hat (vgl. BFH-Beschlüsse vom 4. Oktober 1996 VIII B 2/96, BFH/NV 1997, 411, und in BFH/NV 2000, 473, m.w.N.). Daran fehlt es vorliegend. Die Darlegungen des Klägers lassen solche neuen Gesichtspunkte nicht erkennen, die eine erneute Prüfung und Entscheidung der Frage der Fälligkeit von auf Vorauszahlungen ―zu denen auch die Lohnsteuerabzugsbeträge gehören (vgl. BFH-Urteil vom 12. Oktober 1995 I R 39/95, BFHE 179, 91, BStBl II 1996, 87)― beruhenden Einkommensteuererstattungsansprüchen durch den BFH erforderlich machen. Das gilt auch im Hinblick auf die vom Kläger befürchtete Möglichkeit der Manipulation seitens der Finanzbehörde, die durch Verzögerung der Veranlagung und damit der Fälligkeit der Erstattungsansprüche eine für sie günstige Aufrechnungslage schaffen könnte. Diese Frage wäre in dem begehrten Revisionsverfahren schon deshalb nicht klärungsfähig, weil keinerlei Anhaltspunkte für ein solches Verhalten der Finanzbehörde vom FG festgestellt worden sind.
Die Einwendungen in der Beschwerdebegründung, die letztlich nur darstellen, dass und warum der Kläger die Entscheidung der Vorinstanz für unzutreffend hält, sind nicht geeignet, die grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfrage (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) oder die Erforderlichkeit einer (neuen) Entscheidung des BFH aus Gründen der Rechtsfortbildung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 erste Alternative FGO) darzulegen (vgl. z.B. Beermann, a.a.O., § 115 FGO Rz. 111, 112).
Fundstellen
Haufe-Index 675904 |
BFH/NV 2002, 471 |
BFH/NV 2002, 472 |