Entscheidungsstichwort (Thema)
NZB: Verpflichtung des FG zur Einholung eines Ergänzungsgutachtens
Leitsatz (NV)
Sind die tatsächlichen Grundlagen eines Gutachtens unzureichend, weil dem Gutachter nicht sämtliche Beweismittel zugänglich gemacht worden sind, ist das FG regelmäßig verpflichtet, eine ergänzende Stellungnahme desselben oder eines anderen Gutachters unter Einbeziehung der vollständigen Beweismittel einzuholen, es sei denn, das FG kann aufgrund eigener Sachkunde beurteilen, dass auch die weiteren Beweismittel nicht zu einer anderen Einschätzung des Gutachters führen.
Normenkette
FGO § 76 Abs. 1, §§ 82, 96 Abs. 1 S. 1, § 115 Abs. 2 Nr. 3; ZPO § 412 Abs. 1
Gründe
Von einer Darstellung des Sachverhalts wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) abgesehen.
Die Beschwerde ist unbegründet.
1. Das Finanzgericht (FG) hat seine Aufklärungspflicht gemäß § 76 Abs. 1 FGO nicht verletzt. Während das FG die von den Verfahrensbeteiligten angebotenen Beweise grundsätzlich erheben muss, steht die Zuziehung eines Sachverständigen im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Hat es die nötige Sachkunde selbst, braucht es einen Sachverständigen nicht hinzuziehen (Bundesfinanzhof ―BFH―, Beschluss vom 9. Mai 1996 X B 223/95, BFH/NV 1996, 773). Gemäß § 412 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO), der über § 82 FGO auch für das finanzgerichtliche Verfahren gilt, kann das Gericht eine neue Begutachtung durch dieselben oder durch andere Sachverständige anordnen, wenn es das Gutachten für ungenügend erachtet.
Das dem Tatsachengericht bei der Bestimmung von Art und Zahl einzuholender Sachverständigengutachten zustehende Ermessen wird nur dann verfahrensfehlerhaft ausgeübt, wenn das Gericht von der Einholung weiterer Gutachten oder gutachtlicher Stellungnahmen absieht, obwohl sich ihm die Notwendigkeit dieser zusätzlichen Beweiserhebung hätte aufdrängen müssen. So verhält es sich, wenn die Grundvoraussetzungen für die Verwertbarkeit bereits vorliegender Gutachten insbesondere deswegen nicht gegeben sind, weil sie offen erkennbare Mängel aufweisen, von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgehen oder unlösbare Widersprüche enthalten, wenn ferner Zweifel an der Sachkunde oder Unparteilichkeit der Gutachter bestehen oder ihnen das einschlägige spezielle Fachwissen fehlt. Das Tatsachengericht ist hingegen nicht allein schon deshalb verpflichtet, ein weiteres Gutachten oder zusätzliche gutachtliche Äußerungen einzuholen, weil ein Beteiligter meint, das bereits vorliegende Gutachten sei keine ausreichende Erkenntnisquelle (BFH-Beschlüsse vom 29. März 2001 III B 57/00, BFH/NV 2001, 1243, und in BFH/NV 1996, 773, m.w.N.).
Das FG hat verfahrensfehlerfrei von der Einholung eines weiteren Gutachtens desselben oder eines anderen Sachverständigen abgesehen.
Es hat den Sachverhalt durch Einholung eines Sachverständigengutachtens und durch Zeugeneinvernahme aufgeklärt und hat die Handhabung der Antragstellung im Vorjahr, den von der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) geschilderten Geschehensablauf und die vorliegenden zeitnahen Unterschriften gewürdigt. Dabei hat es nicht die Überzeugung gewinnen können, dass die Unterschriften auf dem Antrag und der Anlage von der Klägerin stammen.
Der vom FG bestellte Gutachter des Zollkriminalamts (ZKA) hat ausgeführt, eine Aussage darüber, von wem die Unterschrift auf dem Investitionszulagenantrag stamme, sei wegen der Kürze und der Formauflösung der vorliegenden Vergleichsunterschriften oder Paraphen nur mit Einschränkungen möglich. Die ungewöhnlich große Variationsbreite der Unterschriften der Klägerin ―unterstellt, sie seien authentisch― führe zu deutlichen Einschränkungen in der Aussagemöglichkeit der schriftvergleichenden Analyse. Wegen dieser Einschränkungen könne eine Aussage nur mit dem niedersten vor dem "non liquet" liegenden Wahrscheinlichkeitsgrad getroffen werden. Danach sei davon auszugehen, dass die Unterschrift auf dem Investitionszulagenantrag eher von der Klägerin stamme. Durch Einbeziehung weiterer zeitnaher Unterschriften des Ehemannes der Klägerin könne die verbliebene Ungewissheit, von wem der Investitionszulagenantrag 1991 unterschrieben worden sei, vermindert werden.
Dieses Ergebnis ist wesentlich darin begründet, dass in die Untersuchung auch Unterschriften der Klägerin aus den Jahren 1996 und 1997 einbezogen wurden, als bereits Zweifel aufgekommen waren, ob die Unterschrift auf dem Investitionszulagenantrag 1991 tatsächlich von ihr stammt. Diese Unterschriften sind in ihren Grundzügen nur noch schwer von der Unterschrift ihres Ehemannes abgrenzbar, wohingegen die Unterschriften, die vor der Betriebsprüfung geleistet wurden, im Kern gleichbleibend sind und den abgekürzten Vornamen der Klägerin ausweisen. Das FG hat es versäumt, den Gutachter darüber zu unterrichten, dass hinsichtlich des Beweiswertes der verschiedenen Unterschriften eine zeitliche Differenzierung zwischen den vor und nach der Betriebsprüfung geleisteten Unterschriften geboten ist.
Die Grundlagen des Gutachtens waren demnach zum einen insoweit unzureichend, als dem Gutachter lediglich fünf Unterschriften des Ehemannes der Klägerin zur Verfügung standen und zum andern dem Gutachter nicht mitgeteilt wurde, dass hinsichtlich der Unterschriften der Klägerin zeitlich zu differenzieren sei. Sind die tatsächlichen Grundlagen eines Gutachtens unzureichend, ist das FG regelmäßig verpflichtet, eine ergänzende Stellungnahme des Gutachters einzuholen, sofern es in der Lage ist, die Mängel zu beheben.
Gleichwohl konnte hier das FG von der Einholung eines Ergänzungs- oder Obergutachtens ermessensfehlerfrei absehen. In den Akten befinden sich ausweislich der Feststellungen des FG lediglich sechs weitere zeitnahe Unterschriften des Ehemannes der Klägerin in Kopie. Das FG hat hierzu ausgeführt, diese Unterschriften ähnelten so stark der Unterschrift auf dem Investitionszulagenantrag, dass hieraus keine Folgerungen gezogen werden könnten, die Unterschrift stamme von der Klägerin. Auch von einem schriftkundlichen Laien kann erkannt werden, ob weitere Schriftproben eine offenkundige Ähnlichkeit mit der streitigen Unterschrift aufweisen, so dass die Schlussfolgerung gerechtfertigt erscheint, eine weitere Begutachtung unter Einschluss dieser weiteren Unterschriften des Ehemannes werde zu keiner wesentlich geänderten Einschätzung des Gutachters führen.
Es bedarf auch keiner besonderen Sachkunde festzustellen, dass die Unterschrift der Klägerin nach der Betriebsprüfung der ihres Ehemannes angenähert ist, dagegen zeitlich davor andere Charakteristika aufweist und sich deutlich von der Unterschrift ihres Mannes unterscheidet, und zwar bereits durch den ihrem Familiennamen vorangestellten abgekürzten Vornamen. Angesichts dessen lag es auf der Hand, dass sich die Einschätzung des Gutachters, die Unterschrift auf dem Investitionszulagenantrag stamme möglicherweise von der Klägerin, allenfalls zu Lasten der Klägerin geändert hätte.
Im Streitfall kommt die Besonderheit hinzu, dass die Klägerin in ihrem Schreiben an den Ministerpräsidenten am 13. September 1996 selbst ausgeführt hat, ihr Ehemann habe die Unterschrift auf dem Investitionszulagenantrag für das Streitjahr geleistet. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb die Klägerin diese Angaben gemacht haben sollte, wenn tatsächlich sie den Antrag unterschrieben haben sollte. Nicht zu beanstanden ist auch, dass das FG den Erklärungsversuch der Klägerin für dieses Schreiben, sie habe damit nur ausdrücken wollen, dass ihr Mann und nicht sie selbst den Antrag ausgefüllt habe, als nicht überzeugend beurteilt hat, zumal sie ausweislich der Feststellungen des FG zugegeben hat, der Investitionszulagenantrag für 1990 sei von ihrem Ehemann unterschrieben worden.
2. Das FG hat nicht gegen die Pflicht verstoßen, bei seiner Entscheidungsfindung die wesentlichen Teile des Gesamtergebnisses des Verfahrens zu berücksichtigen (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO). Entgegen dem Beschwerdevorbringen hat es nicht unterstellt, dem Gutachten lägen nur die in den Jahren nach der Betriebsprüfung gefertigten Unterschriften der Klägerin zugrunde. Vielmehr führt das FG aus, Grundlage des Untersuchungsergebnisses seien auch die erst nach Durchführung der Betriebsprüfung in den Jahren 1996 und 1997 gefertigten Unterschriften gewesen und diese hätten entscheidend zu der Annahme der Variationsbreite der Unterschrift der Klägerin beigetragen.
Aus S. 2 des Protokolls geht auch nicht ―wie von der Klägerin behauptet― hervor, dass der Ehemann der Klägerin in der mündlichen Verhandlung bestritten hat, den Investitionszulagenantrag 1990 unterschrieben zu haben. Ersichtlich ist lediglich, dass sich der Ehemann hieran nicht mehr erinnern konnte. Das FG führt hierzu in seiner Urteilsbegründung aus, die Klägerin habe zugestanden, dass ihr Ehemann den Antrag 1990 unterschrieben habe und der Ehemann habe bei seiner Zeugeneinvernahme dies nicht in Abrede stellen können. Das FG hat demnach auch insoweit seiner Entscheidung keinen unzutreffenden Sachverhalt zugrunde gelegt.
Fundstellen