Entscheidungsstichwort (Thema)
Brückentage und Schulferien bei der Zugangsvermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO
Leitsatz (NV)
1. Zur Darlegung des Zulassungsgrundes der Divergenz zur Rechtsprechung des BFH reicht es nicht, wenn der Beschwerdeführer vorbringt, das FG habe tragende Rechtsausführungen eines BFH-Urteils fehlerhaft auf den Streitfall angewendet.
2. Es ist nicht klärungsbedürftig, dass der Lauf des Dreitageszeitraums der Zugangsvermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO nicht durch sog. Brückentage oder den Beginn und das Ende von Schulferien gehindert wird.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1-2, § 116 Abs. 3 S. 3; AO § 108 Abs. 3, § 122 Abs. 2 Nr. 1
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches FG (Urteil vom 17.07.2006; Aktenzeichen 1 K 235/05) |
Tatbestand
I. Streitpunkt ist, ob der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) fristgerecht Einspruch gegen einen Haftungsbescheid erhoben hat.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) nahm den Kläger mit am Dienstag, dem 3. Mai 2005 mit einfachem Brief zur Post gegebenem Haftungsbescheid für Steuerschulden einer vom Kläger als Gesellschafter-Geschäftsführer geleiteten, insolvent gewordenen GmbH in Anspruch. Der vom Kläger gegen den Haftungsbescheid erhobene Einspruch ging beim FA am Dienstag, dem 7. Juni 2005 ein. Das FA verwarf den Einspruch wegen Versäumung der Einspruchsfrist als unzulässig. Die hiergegen gerichtete Klage hat das Schleswig-Holsteinische Finanzgericht (FG) mit Urteil vom 17. Juli 2006 1 K 235/05 abgewiesen.
Der Kläger begehrt mit seiner Beschwerde die Zulassung der Revision gegen das Urteil.
Entscheidungsgründe
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der Kläger entgegen § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) das Vorliegen der geltend gemachten Zulassungsgründe nicht hinreichend dargetan hat.
1. Der Kläger stützt sein Begehren primär auf den Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO, weil das angefochtene Urteil von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) abweiche. Jedoch hat er eine Divergenz zu dem von ihm in Bezug genommenen BFH-Urteil vom 3. Mai 2001 III R 56/98 (BFH/NV 2001, 1365) nicht schlüssig dargelegt. Dazu wäre es erforderlich gewesen, einen das FG-Urteil tragenden abstrakten Rechtssatz einem ebensolchen Rechtssatz aus dem BFH-Urteil in der Weise gegenüberzustellen, dass die Abweichung erkennbar wird (BFH-Beschlüsse vom 21. Oktober 2005 VIII B 295/04, BFH/NV 2006, 339; vom 20. Dezember 2005 X B 10/05, BFH/NV 2006, 777; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 116 Rz 42, m.w.N.). Dem werden die Ausführungen des Klägers nicht gerecht.
a) Soweit der Kläger rügt, es stehe in Widerspruch zum redaktionellen Leitsatz Nr. 1 aus BFH/NV 2001, 1365, dass das FG hier die Angaben des FA zum Zeitpunkt der Übergabe des Haftungsbescheides zur Post ohne Überprüfung übernommen habe, fehlt es an jeglicher Wiedergabe von abstrakten Rechtssätzen sowohl aus dem in Bezug genommenen BFH-Urteil als auch aus dem angefochtenen FG-Urteil. Im Übrigen ergibt sich weder aus den Feststellungen des FG noch aus dem Vorbringen des Klägers, dass erstinstanzlich der Zeitpunkt der Aufgabe des Haftungsbescheids zur Post überhaupt in Streit gestanden hat.
b) Auch im Hinblick auf den geltend gemachten Widerspruch zum redaktionellen Leitsatz Nr. 2 des in Bezug genommenen BFH-Urteils lässt sich den Ausführungen in der Beschwerdebegründung nicht entnehmen, dass die angefochtene Entscheidung auf einer divergierenden Rechtsauffassung beruht. Der Kläger bringt insoweit vor, das FG habe die Anforderungen an seine Substantiierungslast im Hinblick auf den Vortrag zum Zugang des Haftungsbescheids überspannt, weshalb "objektiv" eine Beweislastumkehr eingetreten sei. Es fehlen aber jegliche Angaben dazu, welche abstrakten rechtlichen Anforderungen an die Substantiierungslast der Kläger dem in Bezug genommenen BFH-Urteil entnehmen zu können meint und inwiefern das angefochtene Urteil von davon abweichenden rechtlichen Voraussetzungen ausgeht. Der Kläger macht letztlich nicht eine Divergenz im Sinne der zuvor dargelegten BFH-Rechtsprechung geltend, sondern führt vielmehr aus, das FG habe "tragende Rechtsausführungen" des BFH-Urteils fehlerhaft auf den Streitfall angewendet. Selbst wenn dies zuträfe, läge in einer solchen "schlicht" fehlerhaften Anwendung der BFH-Rechtsprechung auf den Einzelfall kein Revisionszulassungsgrund (ständige Rechtsprechung, vgl. etwa BFH-Beschlüsse vom 13. Oktober 2003 IV B 85/02, BFHE 203, 404, BStBl II 2004, 25; vom 31. Mai 2005 III B 143/04, BFH/NV 2005, 1632; vom 17. Januar 2006 VIII B 172/05, BFH/NV 2006, 799); das gilt auch unter dem Aspekt der vom Kläger aus der geltend gemachten Fehlerhaftigkeit zugleich abgeleiteten greifbaren Gesetzwidrigkeit der angefochtenen Entscheidung.
c) Soweit der Kläger Ausführungen dazu macht, welche tatsächlichen Umstände seiner Auffassung nach das FG hätten veranlassen müssen, am Zugang des Bescheides bereits am 6. Mai 2005 zu zweifeln, kann hieraus eine Divergenz zur Rechtsprechung des BFH nicht abgeleitet werden. Gleiches gilt für die Ausführungen des Klägers dazu, aus welchen Gründen er den Plausibilitätserwägungen des FG im Hinblick auf sein Verhalten nach Erhalt des Haftungsbescheids und auf die vom FG als sich widersprechend angesehenen Darlegungen des Klägers einerseits und seiner als Zeugin vernommenen Ehefrau andererseits nicht zu folgen vermag und demgegenüber den von ihm gegen einen Zugang innerhalb von drei Tagen nach Übergabe des Bescheids zur Post angeführten Gründen (Schulferien, "Brückentag") ein überwiegendes Gewicht einräumt. Es handelt sich hierbei sämtlich um einzelfallbezogene Fragen der tatrichterlichen Sachverhaltsermittlung und Beweiswürdigung, die eine Revisionszulassung nicht zu rechtfertigen vermögen.
2. Auch eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO hat der Kläger nicht hinreichend dargetan. Hierfür muss der Beschwerdeführer zunächst eine für die Entscheidung des Streitfalls erhebliche abstrakte Rechtsfrage herausstellen. Erforderlich ist des Weiteren ein konkreter und substantiierter Vortrag, aus welchen Gründen im Einzelnen die Klärung durch die angestrebte Revisionsentscheidung aus Gründen der Rechtssicherheit und/oder der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt (vgl. Senatsbeschluss vom 27. Juni 1985 I B 27/85, BFHE 144, 137, BStBl II 1985, 625; BFH-Beschlüsse vom 31. August 1995 VIII B 21/93, BFHE 178, 379, BStBl II 1995, 890; vom 24. Februar 1999 X B 33/98, BFH/NV 1999, 1220). Darüber hinaus sind Darlegungen dazu erforderlich, aus welchen Gründen die Rechtsfrage streitig ist, was wiederum eine Auseinandersetzung mit den in Rechtsprechung und Literatur zu dieser Frage vertretenen Auffassungen gebietet (BFH-Beschlüsse vom 24. August 2006 XI B 67/06, BFH/NV 2006, 2076; vom 14. Dezember 2006 II B 42/06, juris; Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz 32). Diesen Anforderungen ist der Kläger mit dem bloßen Hinweis darauf, es sei die Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, ob die "3-Tage-Fiktion" --gemeint ist die Zugangsvermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO)-- durch Feiertage, "Brückentage" oder den Beginn und das Ende von Schulferien durchbrochen werde, nicht gerecht.
Im Übrigen hat der BFH die Fristberechnung bei der Zugangsvermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO erst in jüngerer Zeit durch Anwendung des § 108 Abs. 3 AO, wonach eine Frist erst am nächstfolgenden Werktag abläuft, wenn das Fristende auf einen Sonnabend oder einen Sonntag bzw. einen gesetzlichen Feiertag fällt, auf eine neue Grundlage gestellt (BFH-Urteil vom 14. Oktober 2003 IX R 68/98, BFHE 203, 26, BStBl II 2003, 898; Senatsurteil vom 17. Dezember 2003 I R 4/03, BFH/NV 2004, 758). Vor diesem Hintergrund ist für die auf keinerlei gesetzliche Basis gestützte Erwägung des Klägers, der Lauf des Dreitageszeitraums des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO könne auch durch Schulferien und/oder sog. Brückentage gehindert werden, von vornherein kein Raum.
Fundstellen
Haufe-Index 1770485 |
BFH/NV 2007, 1619 |