Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Transfer von im Verlustentstehungsjahr nicht ausgenutzten Tarifbegünstigungen auf Abzugsjahr
Leitsatz (NV)
1. Wird ein dem Grunde nach tarifbegünstigter Gewinn im Jahr seiner Entstehung durch Verluste vollständig ausgeglichen, so entfaltet die Tarifbegünstigung endgültig keine Wirkung. Sie wird nicht auf einen anderen Veranlagungszeitraum, in dem nicht ausgeglichene Verluste des Entstehungsjahrs übertragen werden, "transferiert".
2. Bilanzielle Wahlrechte können nach Bestandskraft der aufgrund der Bilanz erfolgten Veranlagung selbst dann nicht mehr ausgeübt werden, wenn die Bilanz einen Verlust ausweist und die Steuer auf 0 DM festgesetzt worden ist.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 2 S. 2, §§ 16, 34 Abs. 1; EStG 1975 § 10d S. 1
Gründe
Die Beschwerde ist nicht begründet.
Es kann dahinstehen, ob das Finanzgericht (FG) zu Recht die Klage als zulässig angesehen hat, weil eine Heilung der mangelhaften Bekanntabe des Änderungsbescheides vom 15. Juni 1993 nicht stattgefunden habe. Denn jedenfalls hat die Beschwerde deshalb keinen Erfolg, weil der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zukommt.
Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn eine Rechtsfrage zu entscheiden ist, deren Klärung das Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und der Handhabung des Rechts berührt. Die Rechtsfrage muß klärungsbedürftig und im Streitfall klärbar sein. Das Vorliegen der Voraussetzungen muß in der Beschwerdebegründung schlüssig dargelegt werden (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs -- BFH --; vgl. Beschlüsse vom 15. Juli 1966 VI B 2/66, BFHE 86, 708, BStBl III 1966, 628, und vom 13. September 1989 II B 77/89, BFH/NV 1990, 513). Für beide mit der Beschwerde vorgetragenen Rechtsfragen liegen diese Voraussetzungen nicht vor.
1. Die Frage, ob über § 10 d des Einkommensteuergesetzes (EStG) ein "Transfer" der Tarifermäßigung gemäß § 34 Abs. 1 EStG auf das Verlustabzugsjahr stattfindet, ist nicht klärungsbedürftig, weil sie sich -- wie der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) zutreffend ausführt -- unmittelbar aus dem Gesetz beantworten läßt. Nach § 10 d Satz 1 EStG in der für die Verlustentstehungsjahre 1979 bis 1981 geltenden Fassung des Einkommensteueränderungsgesetzes vom 20. April 1976 (BGBl I 1976, 1054, BStBl I 1976, 282) werden Verluste, die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte des Veranlagungszeitraums nicht ausgeglichen werden, wie Sonderausgaben vom Gesamtbetrag der Einkünfte des Veranlagungszeitraums abgezogen, auf den die Übertragung als Vor- oder Rücktrag nach den weiteren Regelungen des § 10 d EStG zulässig ist. Ein in andere Veranlagungszeiträume übertragbarer Verlust ergibt sich danach nur insoweit, als ein Ausgleich der Verluste mit positiven Einkünften im Entstehungsjahr der Verluste nicht möglich ist. Dabei müssen sowohl Verluste wie positive Einkünfte den Tatbestand einer der in § 2 Abs. 1 EStG genannten Einkunftsarten erfüllen. Steuerfreie Einkünfte bleiben demgemäß beim Verlustausgleich unberücksichtigt. Das gilt auch für den Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG, der eine materielle Steuerbefreiung darstellt (BFH-Urteile vom 16. Dezember 1975 VIII R 147/71, BFHE 117, 557, BStBl II 1976, 360, und vom 8. März 1989 X R 181/87, BFHE 156, 190, BStBl II 1989, 541). Steuerbegünstigte Einkünfte sind jedoch für den Verlustausgleich heranzuziehen (BFH-Urteil vom 6. November 1959 VI 9/58 U, BFHE 70, 126, BStBl III 1960, 47; FG Düsseldorf, Urteil vom 15. September 1971 IX 315/70 E, Entscheidungen der Finanzgerichte -- EFG -- 1972, 70, rechtskräftig; FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 18. Oktober 1982 5 K 121/82, EFG 1983, 358, rechtskräftig; Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 15. Aufl. 1996, § 10 d Rz. 10; Orth in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 21. Aufl., § 10 d EStG Anm. 168; von Groll in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 10 d Rdnr. B 290; Blümich/Horlemann, Einkommensteuergesetz u. a., 15. Aufl., § 10 d EStG Rz. 52; für Einkünfte i. S. des § 34 Abs. 1 und 2 EStG gl. A. auch Schick, Der Verlust rücktrag, München 1976, 38), allerdings im Range nach positiven laufenden Einkünften (Senatsurteil vom 26. Januar 1995 IV R 23/93, BFHE 177, 71, BStBl II 1995, 467, 470). Der Verlustausgleich im Entstehungsjahr hat dann, wenn die Verluste nicht vollständig ausgeglichen werden können, in jenem Jahr zur Folge, daß alle gemäß § 2 Abs. 4 ff. EStG nach Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte für die Ermittlung der Steuerbemessungsgrundlage sowie des Tarifs zu berücksichtigenden Beträge und Sachverhaltsumstände für die Festsetzung der Einkommensteuer keine Bedeutung mehr haben. Dementsprechend bleibt auch für den ermäßigten Steuersatz nach § 34 c Abs. 1 EStG kein Raum.
Für den Veranlagungszeitraum, in dem die nicht ausgeglichenen Verluste des Entstehungsjahres im Wege des Verlustrücktrags bzw. Verlustvortrags abgezogen werden sollen, folgt andererseits aus der systematischen Verknüpfung der übertragbaren Verluste mit dem Gesamtbetrag der Einkünfte des Entstehungsjahres, daß den Tarif betreffende Sachverhaltsumstände des Entstehungsjahrs auch für den Verlustabzug in anderen Veranlagungszeiträumen unberücksichtigt bleiben. Wird ein dem Grunde nach tarifbegünstigter Gewinn im Jahr seiner Entstehung durch Verluste vollständig ausgeglichen, so kann die Tarifbegünstigung dementsprechend auch nicht in einem anderen Veranlagungszeitraum, in den nicht ausgeglichene Verluste des Entstehungsjahres übertragen werden, zur Anwendung kommen.§
34 Abs. 1 EStG ist entgegen der Ansicht des Klägers nach der insoweit eindeutigen Regelung des Gesetzes eine reine Tarifvorschrift und keine Steuerbefreiung (allgemeine Meinung, vgl. etwa Blümich/Lindberg, Einkommensteuergesetz, § 34 Rz. 21, m. w. N.) und unterscheidet sich dadurch insbesondere von steuerbefreienden Normen wie z. B. § 16 Abs. 4 EStG (vgl. BFH in BFHE 117, 557, BStBl II 1976, 360). Im Rahmen des Verlustausgleichs hat sie deshalb nicht die Wirkung, daß die von ihr erfaßten Gewinne vom Ausgleich ausgeschlossen werden, sondern bewirkt lediglich, daß die begünstigten Gewinne im Rang nach den laufenden Gewinnen ausgeglichen werden.
Ein "Transfer" der Steuerermäßigung auf das Verlustabzugsjahr ist auch nicht nach dem Zweck der §§ 16, 34 Abs. 1 EStG geboten. Die Tarifermäßigung hat -- wie der Kläger zutreffend vorträgt -- zum Ziel, die infolge der zusammengeballten Realisierung stiller Reserven sowie des Zusammentreffens laufender mit einmaligen Gewinnen eintretende Progressionswirkung des Tarifs zu mildern. Dazu besteht aber kein Bedürfnis, wenn die Steuer auf 0 DM festzusetzen ist. Ein solches Bedürfnis fehlt auch in einem anderen Veranlagungszeitraum, auf den nicht ausgeglichene Verluste aus dem Jahr des begünstigten Gewinns übertragen werden, denn die im Übertragungsjahr eintretende Progression hängt ausschließlich von dem in jenem Jahr erzielten zu versteuernden Einkommen ab und wird durch den Verlustabzug sogar noch reduziert.
2. Auch die Frage, ob das Wahlrecht zur Bildung von Gewerbesteuerrückstellungen für Mehrsteuern nach einer Betriebsprüfung im Fall eines Verlusts im Prüfungsjahr nach Bestandskraft der diesbezüglichen Veranlagung im Jahr eines Verlustabzugs erneut ausgeübt werden darf, ist nicht klärungsbedürftig, denn sie ist vom BFH entschieden.
Der BFH ist seit dem Urteil vom 1. Februar 1966 I 275/62 (BFHE 85, 307, BStBl III 1966, 321) von dem Grundsatz ausgegangen, daß bilanzielle Wahlrechte auch im Wege der Bilanzänderung nach Bestandskraft der aufgrund der Bilanz erfolgten Veranlagung nicht mehr wahrgenommen werden können (BFH-Urteile vom 19. Mai 1987 VIII R 327/83, BFHE 150, 140, BStBl II 1987, 848, und vom 9. August 1989 X R 110/87, BFHE 158, 520, BStBl II 1990, 195; gl. A. entgegen der Auffassung des Klägers auch Ludewig, Der Betrieb 1986, 133, 138). Das gilt nach dem BFH-Urteil vom 25. April 1990 I R 136/85 (BFHE 160, 529, BStBl II 1990, 905) selbst dann, wenn die Bilanz einen Verlust aufweist und die Steuer auf 0 DM festgesetzt worden ist. Der Kläger trägt mit der Beschwerde nicht vor, daß gegen diese Auffassung des BFH in Literatur oder Rechtsprechung gewichtige neue Argumente vorgebracht worden sind, die Anlaß zu einer Überprüfung des bisherigen Rechtsstandpunkts geben könnten.
Das BFH-Urteil vom 25. Juni 1993 III R 32/91 (BFHE 171, 407, BStBl II 1993, 824) bedeutet keine Abkehr von der Rechtsprechung des BFH zu Bilanzierungswahlrechten. Es bezieht sich ausschließlich auf das Wahlrecht, eine bestimmte Veranlagungsform nach dem Einkommensteuerrecht zu wählen, das nicht in jeder Hinsicht mit einem Bilanzierungswahlrecht vergleichbar ist. Einerseits bedarf weder die erstmalige noch eine weitere Ausübung des Wahlrechts nach § 26 Abs. 1 EStG einer Zustimmung des FA, während die Bilanzänderung gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG von der Zustimmung des FA abhängig ist. Andererseits mag das Veranlagungswahlrecht auch Ausdruck des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes) sein, wie der Kläger meint, denn es betrifft nicht nur das Verhältnis der Behörde, sondern auch das Verhältnis der Ehegatten untereinander; für das Bilanzierungswahlrecht erscheinen Auswirkungen auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht eher fernliegend. Im übrigen ist zu berücksichtigen, daß in dem Fall, der der Entscheidung in BFHE 171, 407, BStBl II 1993, 824 zugrunde lag, noch keine umfassende Bestandskraft eingetreten war, denn der Bescheid war zunächst vorläufig gemäß § 165 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) ergangen. Die geänderte Ausübung des Veranlagungswahlrechts erfolgte im Einspruchsverfahren gegen den nach § 165 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 ergangenen Änderungsbescheid. Bereits aus diesem Grund kann die Entscheidung nicht als Änderung der Rechtsprechung zur Ausübung des Wahlrechts nach Bestandskraft angesehen werden.
Von einer weitergehenden Begründung wird gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs abgesehen.
Fundstellen
Haufe-Index 421807 |
BFH/NV 1997, 223 |