Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Wiedereinsetzung bei Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit eines vom Bevollmächtigten unterzeichneten Antrags auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist
Leitsatz (NV)
Der Bevollmächtigte muß einen Antrag auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist auf Richtigkeit und Vollständigkeit hin überprüfen. Er handelt nicht hinreichend sorgfältig, wenn er eine solche Prüfung im Vertrauen auf die Zuverlässigkeit seines Personals unterläßt oder wenn ihm trotz Überprüfung ein Mangel der Antragsschrift entgeht.
Normenkette
FGO § 56 Abs. 1, § 155; ZPO § 85 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, wie die Erstellung von Fotokopien im Selbstbedienungs-Automatenverfahren und die Vervielfältigung im sog. Offsetdruckverfahren umsatzsteuerrechtlich zu würdigen ist. Das Finanzgericht (FG) gab den Klagen der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) wegen Umsatzsteuer 1978 und 1979 nur zu einem geringen Teil statt. Die Urteile wurden der Klägerin am 19. Mai 1988 zugestellt. Nach Einlegung der Revision teilte die Klägerin mit Schreiben vom 18. Juli 1988, beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangen am 20. Juli 1988, mit, sie sei nicht mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden. Mit Schreiben vom 28. Juli 1988, dem Bevollmächtigten der Klägerin zugestellt am 2. August 1988, wies die Geschäftsstelle des Senats darauf hin, die Frist für die Begründung der Revisionen sei am 20. Juli 1988 abgelaufen. Die Klägerin beantragte mit Schreiben vom 3. August und 4. August 1988 (eingegangen am 3. August bzw. 5. August 1988) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist. Die Revisionsbegründungen gingen am 11. August 1988 beim BFH ein.
Zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsantrags trägt die Klägerin vor: Ihr Prozeßbevollmächtigter habe am 16. Juli 1988 handschriftlich ein Schreiben an den BFH entworfen. Dieser Entwurf habe neben der Erklärung über das Nichteinverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung auch den Antrag auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist enthalten. Durch ein menschliches (Büro-)Versehen sei nur der erste Teil des Entwurfs geschrieben worden (beim BFH eingegangen am 20. Juli 1988), nicht jedoch der zweite Teil (Antrag auf Fristverlängerung). Am 19. Juli 1988 habe sich die mit der Fristenkontrolle beauftragte Steuerberaterin im Sekretariat des Prozeßbevollmächtigten erkundigt, ob die Briefe, die der Prozeßbevollmächtigte entworfen habe, abgesendet worden seien. Dies sei bejaht worden. Dabei sei übersehen worden, daß die herausgegangenen Schreiben vom 18. Juli 1988 abweichend vom Entwurf nicht auch den Antrag auf Fristverlängerung enthielten. Im übrigen würden im Büro des Prozeßbevollmächtigten ein Fristenkontrollbuch und eine ständig aktualisierte Fristenliste geführt. Zur Glaubhaftmachung legte der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin eidesstattliche Versicherungen der Steuerberaterin sowie der Sekretärin vor, in denen die Richtigkeit des im Schreiben des Prozeßbevollmächtigten geschilderten Ablaufs versichert wurde.
Die Klägerin beantragt, ihr wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren und durch Zwischenurteil die Zulässigkeit der Revisionen auszusprechen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) beantragt, den Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abzulehnen und die Revisionen als unzulässig zu verwerfen.
Entscheidungsgründe
1. Der Senat hat die Revisionsverfahren V R 64/88 und V R 65/88 gemäß § 73 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) verbunden.
2. Zur Entscheidung über die vorliegenden Revisionen ist der V. Senat gemäß Abschn. A V des Geschäftsverteilungsplans 1990 des BFH berufen; es handelt sich um Umsatzsteuersachen, für die nicht gemäß Abschn. A VII Nr. 4 des Geschäftsverteilungsplans der VII. Senat zuständig ist. Es ist nicht lediglich streitig, welcher Nummer des Zolltarifs ein Gegenstand zuzuordnen ist. Denn zwischen den Beteiligten ist die Tarifierung von Fotokopien und Vervielfältigungen im Offsetverfahren an sich nicht streitig, wie sich aus den FG-Urteilen sowie aus den Revisionsbegründungen vom 9. August 1988 S. 2 Abs. 5 ergibt. Vielmehr geht der Streit um die Frage, ob es sich bei den Leistungen der Klägerin um sonstige Leistungen oder um Lieferungen handelt, für die gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1973 der ermäßigte Steuersatz anzuwenden ist oder nicht.
3. Die Revisionen sind unzulässig.
Die Klägerin hat die Revisionsbegründungsfrist versäumt. Gemäß § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO ist die Revision bei dem FG innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich einzulegen und spätestens innerhalb eines weiteren Monats zu begründen. Da die angefochtenen Urteile des FG dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin am 19. Mai 1980 zugestellt worden sind, endete die Revisionsfrist am 20. Juni 1988 (der 19. Juni 1988 fiel auf einen Sonntag). Die sich daran anschließende Revisionsbegründungsfrist endete am 20. Juli 1988. Die Revisionsbegründungen gingen erst am 11. August 1988 beim BFH ein.
4. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist kann nicht gewährt werden, weil die Klägerin nicht i. S. des § 56 Abs. 1 FGO ohne Verschulden verhindert war, die versäumte Frist einzuhalten. Das Verschulden des Prozeßbevollmächtigten steht dabei dem Verschulden der Partei gleich (§ 155 FGO i. V. m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO -).
Der Bevollmächtigte der Klägerin hat die an den BFH gerichteten Schreiben vom 18. Juli 1988 unterzeichnet. Mit der Unterschrift übernimmt ein Prozeßbevollmächtigter die Verantwortung für den Inhalt des unterzeichneten Schriftstücks. Ebenso wie bei einer Rechtsmittelschrift (vgl. dazu Beschlüsse des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 12. November 1986 IV b ZB 127/86, Versicherungsrecht - VersR - 1987, 486, m. w. N.; vom 25. Juni 1986 IV a ZB 8/86, VersR 1986, 1209) oder einer Rechtsmittelbegründung muß der Bevollmächtigte auch bei einem Fristverlängerungsantrag die Antragsschrift auf Richtigkeit und Vollständigkeit überprüfen. Er handelt nicht hinreichend sorgfältig, wenn er eine solche Prüfung im Vertrauen auf die Zuverlässigkeit seines Personals unterläßt oder wenn ihm trotz Überprüfung ein Mangel der Antragsschrift entgeht (vgl. Gräber/ Koch, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 56 Rz. 32, m. w. N.). Im vorliegenden Fall hätte der Prozeßbevollmächtigte selbst bei einer nur groben Überprüfung des Inhalts der Schreiben vom 18. Juli 1988 festgestellt, daß der Antrag auf Fristverlängerung - abweichend vom Entwurf - in der Ausfertigung fehlte.
Da somit dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin ein Verschulden bei Unterzeichnung der Schreiben vom 18. Juli 1988 anzulasten ist, braucht der Senat nicht zu erörtern, ob mit Rücksicht auf die Führung des Fristenkontrollbuchs oder auf die Art der Postausgangskontrolle ein weiteres (Organisations-)Verschulden des Bevollmächtigten vorliegt.
Fundstellen