Entscheidungsstichwort (Thema)
Begrenzung der Amtsermittlungspflicht durch Mitverantwortung der Beteiligten
Leitsatz (NV)
Der Amtsermittlungsgrundsatz wird durch die Mitwirkungspflichten der Beteiligten nach § 76 Abs. 1 Satz 2 FGO begrenzt. Die Beteiligten trifft im finanzgerichtlichen Verfahren eine Mitverantwortung für die Sachaufklärung. Für die klagende Partei gilt dies in besonderer Weise bezüglich der ihrem Einflussbereich oder zumindest ihrem Wissensbereich zuzurechnenden Tatsachen.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 76 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
FG Berlin (Urteil vom 08.11.2005; Aktenzeichen 7 K 7341/05) |
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erklärte in den Streitjahren 2001 und 2002 neben steuerpflichtigen Umsätzen solche aus sonstigen Leistungen gemäß "§ 4 Nr. 5a" (2001) bzw. "§ 4 Nr. 5" (2002) des Umsatzsteuergesetzes (UStG).
Dem folgte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) im Anschluss an eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung nicht; das FA war der Auffassung, der Kläger habe nicht nachgewiesen, dass er --wie erläutert-- Vermittlungsleistungen in Bezug auf ausgeführte Gegenstände erbracht habe; es handele sich vielmehr um sonstige Leistungen, deren Leistungsort sich nach § 3a Abs. 1 UStG bestimme. Es änderte deshalb die Umsatzsteuerbescheide für 2001 und 2002 entsprechend.
Im Einspruchsverfahren machte der Kläger geltend, er sei im Bereich Marketing für die in Russland ansässige russische Firma T. tätig gewesen. Das FA wies den Einspruch zurück, nachdem der Kläger im Einspruchsverfahren lediglich Ablichtungen deutscher Übersetzungen --ohne russische Originale-- von gleichlautenden, als Abnahmeprotokoll bezeichneten Schriftstücken vorgelegt hatte, in denen die tatsächlich erbrachten Leistungen nicht genau beschrieben waren, und nachdem der Kläger erfolglos aufgefordert worden war, die Tätigkeitsfelder der Leistungsempfänger und die Art der Leistungen durch Vorlage von entsprechendem Schriftverkehr bzw. die behaupteten Werbeleistungen z.B. durch Vorlage entsprechender Entwürfe zu konkretisieren.
Die hiergegen gerichtete Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied, der Kläger habe nicht nachgewiesen, dass er im Inland nicht steuerbare Leistungen erbracht habe. Er habe weder die zunächst erklärten Vermittlungsleistungen, noch die später behaupteten Marketingleistungen nachweisen können. Die nur in deutscher Übersetzung vorgelegten Unterlagen seien so allgemein gehalten, dass ihnen in Bezug auf die Tätigkeit des Klägers praktisch nichts zu entnehmen sei. Die Prozessbevollmächtigte des Klägers habe in der mündlichen Verhandlung die Formulierung mit einer ungeschickten Übersetzung zu erklären versucht, ohne jedoch die Vorlage der Originalunterlagen in russischer Sprache und deren erneute Übersetzung anzubieten.
Der Kläger begehrt die Zulassung der Revision unter Hinweis auf Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg; Verfahrensmängel, auf denen die angefochtene Entscheidung beruhen kann, liegen nicht vor oder sind nicht in der erforderlichen Weise dargelegt worden.
1. Soweit der Kläger die Zulassung mit der Begründung begehrt, der vom FG der Entscheidung zugrunde gelegte Sachverhalt sei unrichtig, denn er habe die Originale in russischer Sprache während der Prüfung vorgelegt, legt er keinen Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO dar; denn Einwendungen gegen die Richtigkeit bzw. Vollständigkeit des im FG-Urteil festgestellten Tatbestandes sind nicht als Verfahrensmangel im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren zu rügen, sondern müssen ggf. zum Gegenstand eines Antrags auf Tatbestandsberichtigung (§ 108 FGO) gemacht werden (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 27. Mai 2005 VII B 38/04, BFH/NV 2005, 1496). Das ist nicht geschehen.
2. Soweit der Kläger vorträgt, die bis heute gültige Vereinbarung mit der Firma T. habe bereits der Umsatzsteuer-Sonderprüfung vorgelegen und deshalb nicht mehr beanstandet werden dürfen, macht er sinngemäß einen angeblichen Verfahrensfehler des FA geltend.
Als Verfahrensmängel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO kommen nur solche des FG, nicht dagegen solche des FA, in Betracht (z.B. BFH-Beschluss vom 10. November 1987 V B 20/85, BFH/NV 1988, 448). Mit dem Vorbringen der unrichtigen Anwendung der Änderungsvorschriften der Abgabenordnung (AO 1977) wird deshalb kein Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO bezeichnet.
3. Für eine schlüssige Rüge mangelnder Sachaufklärung wegen Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes durch das FG muss u.a. dargelegt werden, warum der Kläger --sofern er (wie hier) durch einen Prozessbevollmächtigten vor dem FG vertreten war-- nicht von sich aus entsprechende Beweisanträge gestellt hat, warum diese Beweiserhebung sich dem FG --auch ohne besonderen Antrag-- nach Lage der Akten als erforderlich hätte aufdrängen müssen und inwieweit die als unterlassen gerügte Beweisaufnahme --ausgehend von der insoweit maßgebenden materiell-rechtlichen Auffassung des FG-- zu einer anderen Entscheidung hätte führen können (Entscheidungserheblichkeit des gerügten Verfahrensmangels, ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschlüsse vom 10. Dezember 1998 VIII B 56/98, BFH/NV 1999, 804; vom 27. April 1999 III B 118/98, BFH/NV 1999, 1478).
Zwar hat das FG nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen. Der Amtsermittlungsgrundsatz wird aber durch die Mitwirkungspflichten der Beteiligten nach § 76 Abs. 1 Satz 2 FGO begrenzt (z.B. BFH-Beschluss vom 28. November 2003 III B 7/03, BFH/NV 2004, 645, m.w.N.). Die Beteiligten trifft im finanzgerichtlichen Verfahren eine Mitverantwortung für die Sachaufklärung. Für die klagende Partei gilt dies in besonderer Weise bezüglich der ihrem Einflussbereich oder zumindest ihrem Wissensbereich zuzurechnenden Tatsachen (BFH-Urteil vom 12. Dezember 2000 VIII R 36/99, BFH/NV 2001, 789, 790, m.w.N.; BFH-Beschluss in BFH/NV 2004, 645).
Der Kläger trägt vor, es wäre kein Problem gewesen, die Originale in russischer Sprache in der mündlichen Verhandlung vorzulegen, da sie in den mitgeführten Akten gewesen seien. Damit rügt er sinngemäß, das FG habe seine Sachaufklärungspflicht verletzt. Insoweit fehlt es zum einen an der Darlegung, weshalb der Kläger, wenn er sich --wie hier-- in der mündlichen Verhandlung auf angebliche Übersetzungsmängel beruft, nicht von sich aus die Vorlage der präsenten Originale und eine erneute Übersetzung angeboten hat. Vor allem hat der Kläger auch nicht vorgetragen, inwiefern dies zu einer anderen Entscheidung hätte führen können. Dies wäre erforderlich gewesen, denn das FG war der Auffassung, unabhängig von möglichen sprachlichen Ungenauigkeiten seien die vorgelegten Abnahmeprotokolle inhaltlich so allgemein gehalten, dass sie den Ansprüchen an ein Abrechnungspapier i.S. des § 14 UStG nicht genügten.
Fundstellen