Entscheidungsstichwort (Thema)
Unrichtiger Tatbestand des FG-Urteils
Leitsatz (NV)
Unrichtigkeiten im Tatbestand eines finanzgerichtlichen Urteils sind nicht im Rechtsmittelverfahren beim BFH, sondern grundsätzlich nur mit einem (fristgebundenen) Antrag auf Tatbestandsberichtigung beim FG geltend zu machen.
Normenkette
FGO §§ 108, 115 Abs. 2 Nr. 3
Tatbestand
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist eine in Frankreich ansässige Kapitalgesellschaft, die ein Bauunternehmen betreibt und von dem Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt ―FA―) zur Umsatzsteuer veranlagt wurde.
Nachdem das FA zu der Auffassung gelangt war, nicht für die Umsatzbesteuerung der Klägerin zuständig zu sein, hob es am 26. April 1995 die gegen die Klägerin ergangenen Umsatzsteuer-Bescheide für 1991 und 1992 auf.
Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) "belastete" das FA die Klägerin "mit diversen Säumniszuschlägen, u.a. auf die Vorauszahlungen zur Umsatzsteuer für Dezember 1991 bis November 1992".
Am 30. Dezember 1998 erhob die Klägerin Klage vor dem FG und beantragte, das FA zu verpflichten, die angefallenen Säumniszuschläge aufzuheben.
Das FG wies die Klage als unbegründet ab, weil bislang über die streitigen Säumniszuschläge noch nicht im Wege eines Abrechnungsbescheides nach § 218 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) entschieden worden sei. Dies sei bei einem Streit zwischen dem Steuerpflichtigen und der Finanzbehörde über die Entstehung und Verwirklichung von Säumniszuschlägen erforderlich (Hinweis auf Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 12. August 1999 VII R 92/98, BFHE 189, 331, BStBl II 1999, 751). Zwar habe die Klägerin mittlerweile einen solchen Bescheid beantragt; über diesen Antrag habe das FA aber noch nicht entschieden.
Die Klägerin wendet sich mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde der Klägerin ist unbegründet.
1. Nach § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Revision zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordert (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde angefochten werden (§ 116 Abs. 1 FGO). Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen; in der Begründung müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden (§ 116 Abs. 3 FGO).
2. Die Revision ist nicht ―was die Klägerin in erster Linie geltend macht― wegen eines Verfahrensmangels zuzulassen.
a) Soweit die Klägerin in mehrfacher Hinsicht Verletzung der Sachaufklärungspflicht rügt, genügen ihre Ausführungen nicht den Darlegungserfordernissen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO.
Wird die Rüge mangelnder Sachaufklärung infolge Verletzung der Amtsermittlungspflicht des Gerichts erhoben, muss in der Beschwerdeschrift dargelegt werden, welche Tatsachen aufklärungsbedürftig sind, welche Beweismittel zu welchem Beweisthema das FG nicht erhoben hat, warum diese Beweiserhebung sich dem FG ―auch ohne besonderen Antrag― als erforderlich hätte aufdrängen müssen, inwieweit die als unterlassen gerügte Beweiserhebung zu einer anderen Entscheidung durch das FG hätte führen können und schließlich warum dieser Mangel nicht bereits in der Vorinstanz gerügt worden ist (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 4. Juni 1998 VII B 67/98, BFH/NV 1999, 54; vom 21. November 2000 V B 156/00, BFH/NV 2001, 654).
Diese Anforderungen erfüllt die Beschwerdeschrift nicht. Insbesondere fehlt die Darlegung, warum die als aufklärungsbedürftig bezeichneten Tatsachen nach der insoweit maßgeblichen materiell-rechtlichen Auffassung des FG (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 26. März 2003 III B 92/02, BFH/NV 2003, 939) entscheidungserheblich waren.
b) Die Klägerin hat auch nicht schlüssig dargelegt, dass ―wie sie ferner rügt― das FG das Verfahren gemäß § 74 FGO aussetzen musste.
aa) Nach § 74 FGO kann ein finanzgerichtliches Verfahren ausgesetzt werden, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist.
Wird als Verfahrensmangel gerügt, das FG hätte das Klageverfahren nach § 74 FGO aussetzen müssen, so muss u.a. schlüssig vorgetragen werden, weshalb das dem FG hierfür eingeräumte Ermessen im Streitfall auf Null reduziert gewesen sein soll, die Aussetzung des Verfahrens also aufgrund der besonderen Umstände des Falles die einzige richtige Entscheidung gewesen wäre (vgl. BFH-Beschlüsse vom 19. Oktober 1995 II B 31/95, BFH/NV 1996, 237; vom 14. Dezember 2001 VII B 44/01, BFH/NV 2002, 655). Daran fehlt es.
bb) Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Verfahrensmangel durch Verletzung des § 74 FGO vorliegt, ist nach ständiger Rechtsprechung von der materiell-rechtlichen Auffassung des FG auszugehen (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 18. Februar 1994 X B 35/93, BFH/NV 1995, 120, zu II. 3.; BFH-Urteil vom 7. Juli 1998 VIII R 84/96, BFH/NV 1999, 318).
Das FG hat die Klage deshalb als unbegründet abgewiesen, weil der von der Klägerin beantragte Abrechnungsbescheid bislang noch nicht ergangen war (vgl. Urteil, S. 6: "Die Klage kann keinen Erfolg haben, da bislang über die streitigen Säumniszuschläge noch nicht im Wege eines Abrechnungsbescheides entschieden worden ist."). Zwar habe die Klägerin mittlerweile einen solchen Bescheid beantragt; über diesen Antrag habe das FA jedoch noch nicht entschieden. Soweit ein Abrechnungsbescheid ergehe und in ihm weiterhin vom Anfall von Säumniszuschlägen ausgegangen werde ―so führte das FG weiter aus―, könne die Klägerin hiergegen Einspruch einlegen und ggf. Klage erheben. In Betracht kämen ggf. auch ein "Untätigkeitseinspruch" und eine Untätigkeitsklage.
Von daher bestand aus Sicht des FG für eine Aussetzung des Klageverfahrens kein Anlass. Es ging davon aus, dass die Klägerin gegen einen Abrechnungsbescheid ausreichende Rechtsschutzmöglichkeiten hatte und dass sie ggf. den Erlass eines solchen Bescheides auch erzwingen könnte.
c) Die weitere Rüge der Klägerin, das FG habe gegen den klaren Akteninhalt verstoßen bzw. einen Teil des Verfahrensstoffs nicht zur Kenntnis genommen, weil es zu Unrecht ausgeführt habe, sie (die Klägerin) habe "noch nicht einmal" einen Antrag auf Erteilung eines Abrechnungsbescheides gestellt, greift ebenfalls nicht durch.
Das FG ist ―wie dargelegt― davon ausgegangen, dass die Klägerin einen Abrechnungsbescheid beantragt hatte; es hielt das Fehlen eines Abrechnungsbescheides für entscheidend.
d) Die Revision kann auch nicht wegen des ferner von der Klägerin gerügten Verstoßes gegen § 96 Abs. 2 FGO, Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) zugelassen werden.
Insofern macht die Klägerin geltend, das FG habe eine unzulässige Überraschungsentscheidung getroffen, indem es der Klägerin "Haupt- und Hilfseinwendungen … ohne Aufklärung und Aussetzung" abgeschnitten habe.
Diese Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs ist nicht ordnungsgemäß erhoben worden. Da der geltend gemachte Verfahrensfehler nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens betrifft (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 3. September 2001 GrS 3/98, BFHE 196, 39, BStBl II 2001, 802), hätte die Klägerin nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO darlegen müssen, was sie bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 17. Oktober 2002 X B 15/02, BFH/NV 2003, 79, zu 1. a.). Daran fehlt es.
e) Die weitere Rüge der Klägerin, das FG habe einen Hilfsantrag im Tatbestand des Urteils nicht berücksichtigt und in den Entscheidungsgründen mit Stillschweigen übergangen, kann ebenfalls nicht zum Erfolg der Nichtzulassungsbeschwerde führen.
Unrichtigkeiten im Tatbestand des finanzgerichtlichen Urteils sind nicht im Rechtsmittelverfahren beim BFH, sondern grundsätzlich nur mit einem (fristgebundenen) Antrag auf Tatbestandsberichtigung (§ 108 FGO) beim FG geltend zu machen (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 12. März 2002 VIII B 2/01, BFH/NV 2002, 1273; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 108 FGO Rz. 3, 4).
3. Die Revision ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
a) Die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO kommt nur wegen einer Rechtsfrage in Betracht, die im Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts klärungsbedürftig und im Streitfall klärbar ist (z.B. BFH-Beschluss vom 21. März 2002 V B 87/01, BFH/NV 2002, 1012). Daran fehlt es im Streitfall.
b) Die von der Klägerin als rechtsgrundsätzlich angesehene Frage, "ob die Finanzbehörde gegenüber einem beschränkt Steuerpflichtigen, bezüglich dessen es sich vorher ausdrücklich für unzuständig erklärt" habe, "mit angeblichen Nebenleistungsansprüchen gegenüber einem unstreitigen Erstattungsanspruch des beschränkt Steuerpflichtigen verrechnen/aufrechnen" könne, obwohl "bei der vorherigen Steuerfestsetzung nichtige VAe gesetzt worden" seien, hat keine allgemeine Bedeutung, sondern kann sich nur nach den besonderen Umständen des vorliegenden Einzelfalles stellen.
4. Aus den vorgenannten Gründen rechtfertigt die aufgeworfene Rechtsfrage auch nicht die Zulassung der Revision zur Fortbildung des Rechts nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 FGO oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2. Alt. 2 FGO.
5. Schließlich kann die Revision auch nicht wegen der von der Klägerin gerügten Abweichung des FG-Urteils von BFH-Entscheidungen zugelassen werden.
Die Klägerin hat eine solche Abweichung nur behauptet, nicht aber durch Gegenüberstellung divergierender Rechtssätze dargelegt, wie dies nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO erforderlich gewesen wäre (vgl. dazu z.B. BFH-Beschlüsse vom 17. Januar 2002 V B 88/01, BFH/NV 2002, 748; in BFH/NV 2003, 939).
6. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO ab.
Fundstellen