Entscheidungsstichwort (Thema)
Berücksichtigung erstinstanzlichen Parteivortrages; Zur Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs
Leitsatz (NV)
- Der Beurteilung des Revisionsgerichts unterliegt nur dasjenige erstinstanzliche Parteivorbringen, das sich aus dem angefochtenen Urteil ergibt.
- Rügt ein Beteiligter lediglich, er habe zu einzelnen Feststellungen des FG in der mündlichen Verhandlung nicht Stellung nehmen können, muss er darlegen, dass bei Berücksichtigung des übergangenen Antrages oder Vorbringens eine andere Entscheidung in der Sache möglich gewesen wäre.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1, 3, Abs. 3 S. 3, § 118 Abs. 2, § 119 Nr. 3
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war im Streitjahr 1993 als selbständiger …berater tätig. Weil er keine Steuererklärung abgab, schätzte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) die Besteuerungsgrundlagen und setzte die Umsatzsteuer für 1993 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung fest. Bei einer Durchsuchung der Wohnräume des Klägers im Rahmen einer Fahndungsprüfung im November 1995 entdeckte das FA eine vom Kläger unterschriebene "Stichtagsbilanz 31.12.1993 lt. Saldenbilanz" (Jahresüberschuss 1 380 309,95 DM) und eine "Überschussrechnung lt. Saldenbilanz 31.12.1993" (Gesamtumsatz 2 572 302,48 DM) sowie eine Summen- und Saldenliste für die Monate Januar bis Dezember 1993, in der neben umsatzsteuerpflichtigen Erlösen auch steuerfreie Erlöse von insgesamt 260 423,96 DM aufgelistet waren. Beschlagnahmt wurden des Weiteren Ausgangsrechnungen und Stornorechnungen.
Bei einer anschließend durchgeführten, auch die Umsatzsteuer für 1993 umfassenden Umsatzsteueraußenprüfung stellte das FA fest, dass der Kläger ein hauseigenes EDV-System eingerichtet und die Abschlüsse jeweils selbst erstellt hatte. Weil die Buchführung jedoch mangelhaft war, setzte das FA im geänderten Umsatzsteuerbescheid für 1993 die Umsatzsteuer im Schätzungswege auf … DM fest. Ausgehend vom Inhalt der vorgefundenen Unterlagen ging das FA von steuerpflichtigen Erlösen in Höhe von 2 571 639 DM aus, und schätzte die Vorsteuerbeträge mit 127 500 DM. Steuerfreie Erlöse wurden bei der Veranlagung versehentlich nicht berücksichtigt.
Zur Begründung seines Einspruchs legte der Kläger eine Gewinn- und Verlustrechnung vor und gab die Umsätze mit insgesamt 1 397 464,99 DM an. Im März 1996 schließlich reichte der Kläger eine Umsatzsteuererklärung für 1993 ein, in der er Umsätze in Höhe von 1 137 041 DM und Vorsteuerbeträge in Höhe von 144 757,34 DM angab.
Mit der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage trug der Prozessbevollmächtigte des Klägers vor, letzterer habe nur eine Buchführung unterhalten. Deren Ergebnisse entsprächen nicht denen der aufgefundenen Stichtagsbilanz. Er, der Prozessbevollmächtigte, könne sich die Diskrepanz nur dadurch erklären, dass es sich dabei um eine Planbilanz oder eine vorläufige Bilanz handele. Das FA dürfe die Aufstellungen des Klägers nicht als "Bilanz" beurteilen, solange sie ihm, dem FA, nicht als solche vorgelegt worden sei.
Die Klage hatte ―mit Ausnahme der vom FA unstreitig gestellten Verminderung um die steuerfreien Umsätze (260 423,96 DM)― keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) gab dem Antrag des Klägers, ihm zur Stellungnahme zu der in der mündlichen Verhandlung vom FA übergebenen Liste der aufgefundenen Ausgangsrechnungen des Klägers eine Frist von sechs Wochen einzuräumen, u.a. nicht statt, weil sie nicht entscheidungserheblich sei.
Das FA habe sich für seine Schätzung zu Recht auf die beim Kläger aufgefundenen Unterlagen stützen dürfen. Die vom Kläger unterschriebene Stichtagsbilanz, die mit der Unterschrift den Entwurfscharakter verloren habe, sei ein ausreichender Anhaltspunkt für eine sachgerechte Schätzung. Die im Einspruchs- bzw. Klageverfahren nachgereichten Unterlagen widersprächen der vom Kläger unterschriebenen Bilanz. Dieser habe, obwohl er seine Bücher ohne fremde Hilfe geführt habe, die Abweichungen nicht erklären können, insbesondere auch nicht, weshalb er zunächst die vom FA geschätzten Vorsteuern als zutreffend beurteilt habe, später zu einem um rd. 20 000 DM höheren Betrag gekommen sei. Das FA habe das Erklärungsdefizit des Klägers nicht durch eigene Ermittlungen schließen müssen, sondern sei zur Schätzung berechtigt gewesen; eine Änderung der Bilanz sei nur unter bestimmten, hier nicht vorliegenden Voraussetzungen zulässig.
Mit der Beschwerde beantragt der Kläger die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung und Verfahrensmängeln.
Entscheidungsgründe
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg, weil der Kläger keinen Zulassungsgrund dargelegt hat (§ 115 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).
1. Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung muss der Beschwerdeführer u.a. die Klärungsbedürftigkeit einer konkreten, entscheidungserheblichen, über sein individuelles Interesse am Ausgang des Verfahrens hinausreichenden Rechtsfrage aufzeigen (z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 18. November 1998 VIII B 101/97, BFH/NV 1999, 650, m.w.N.).
a) Abgesehen von im Verfahren wegen Nichtzulassung der Revision von vornherein unbeachtlichen Einwänden gegen die Richtigkeit der dem angefochtenen Urteil zugrunde liegenden Rechtsauffassung (vgl. hierzu z.B. BFH-Entscheidung vom 25. August 1998 IX B 70/98, BFH/NV 1999, 213; Gräber, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., 1997, § 115 Rz. 58 und 62 f., jeweils m.w.N.) trägt der Kläger zur Begründung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache vor, die vom FA "in der mündlichen Verhandlung am 7. September 1999" vorgelegte Liste habe nicht berücksichtigt werden dürfen, weil sie entgegen der Behauptung des FA nicht von ihm, dem Kläger, stamme. Insoweit fehlt es schon daran, dass er keine im allgemeinen Interesse bedeutsame Rechtsfrage herausgearbeitet hat. Im Übrigen war ―wie das FG ausdrücklich auf S. 6 der Urteilsgründe erläutert― diese Liste nicht entscheidungserheblich.
b) Der Kläger hält des Weiteren für grundsätzlich bedeutsam die Frage, ob die Kopie einer Bilanz mit dem Original einer Bilanz gleichgesetzt werden dürfe. Ganz abgesehen davon, dass er auch hierzu im Wesentlichen nur fallbezogene Ausführungen macht, hat er nicht dargelegt, inwiefern diese Frage im Revisionsverfahren geklärt werden könnte. Dessen hätte es schon deshalb bedurft, weil Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei der im angefochtenen Urteil erwähnten vom Kläger unterschriebenen "Stichtagsbilanz 31.12.1993 lt. Saldenbilanz" und "Überschussrechnung lt. Saldenbilanz 31.12.1993" um eine Kopie gehandelt haben könnte, sich weder aus dem angefochtenen Urteil noch aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung ergeben. Der Beurteilung des BFH unterliegt aber nur dasjenige erstinstanzliche Parteivorbringen, das sich aus dem angefochtenen Urteil ergibt (§ 118 Abs. 2 FGO; vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 118 Rz. 27 ff., 29, mit Rechtsprechungsnachweisen). Die Rechtsfrage, die der Kläger für klärungsbedürftig hält, könnte der BFH deshalb im Revisionsverfahren nicht entscheiden.
2. Auch Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) hat der Kläger nicht hinreichend dargelegt.
a) Mit der Rüge, die Beweiswürdigung sei fehlerhaft, kann ein Verfahrensmangel nicht begründet werden, da die Grundsätze der Beweiswürdigung revisionsrechtlich dem materiellen Recht zuzuordnen und deshalb der Prüfung des BFH im Rahmen der Verfahrensrevision entzogen sind (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Gräber, a.a.O., § 115 Rz. 28, mit Nachweisen der Rechtsprechung).
b) Bei der vom Kläger erhobenen Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs handelt es sich zwar um einen absoluten Revisionsgrund, bei dem die Kausalität des Verfahrensmangels für das Urteil von Gesetzes wegen vermutet wird (§ 119 Nr. 3 FGO). Rügt der Kläger ―wie hier― lediglich, er habe zu einzelnen Feststellungen des FG (hier der vom FA in der mündlichen Verhandlung überreichten Liste) nicht Stellung nehmen können, muss er darlegen, dass bei Berücksichtigung des übergangenen Antrags oder Vorbringens eine andere Entscheidung in der Sache möglich gewesen wäre (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil vom 5. November 1991 VII R 64/90, BFHE 166, 415, BStBl II 1992, 425; BFH-Beschluss vom 10. Januar 2000 VIII B 71/99, BFH/NV 2000, 854). An der Entscheidungserheblichkeit des behaupteten Verfahrensmangels (das FG habe den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt, weil es ihm keine weitere Frist zur Stellungnahme zu der vom FA überreichten Liste eingeräumt habe), fehlt es schon deshalb, weil diese Liste nicht entscheidungserheblich war.
c) Der Kläger rügt, das FG habe aus der "Stichtagsbilanz" keine Folgerungen ziehen dürfen. Damit wendet er sich gegen die Würdigung des entscheidungserheblichen Sachverhalts und macht keinen Verfahrensfehler geltend. Soweit der Kläger dem FG in diesem Zusammenhang ungenügende Sachaufklärung vorwirft, fehlt die Bezeichnung der ermittlungsbedürftigen Tatsachen, der angebotenen Beweismittel und der dazu angegebenen Beweisthemen bzw. die substantiierte Darlegung, weshalb und in welchem Umfang das FG bei Zugrundelegung dessen sachlich-rechtlicher Auffassung auch ohne einen entsprechenden Sachvortrag des Klägers von sich aus Anlass gehabt habe, den Sachverhalt weiter zu erforschen (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 15. Oktober 1997 IX B 54/97, BFH/NV 1998, 481).
3. Nach § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO müssen die Gründe für die Zulassung der Revision innerhalb der Beschwerdefrist des § 115 Abs. 3 Satz 1 FGO dargelegt werden. Selbst wenn der Kläger in dem nach Ablauf der Beschwerdefrist eingereichten Schriftsatz vom 8. März 2000 einen Zulassungsgrund ausreichend bezeichnet hätte, könnte dieser Vortrag nicht mehr berücksichtigt werden, da er nicht lediglich einen innerhalb der Beschwerdefrist ausreichend dargelegten Zulassungsgrund ergänzt oder erläutert (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 1. Dezember 1994 III B 77/94, BFH/NV 1995, 980; vom 27. März 1992 III B 547/90, BFHE 168, 17, BStBl II 1992, 842).
4. Von der Bekanntgabe einer weiteren Begründung seiner Entscheidung sieht der Senat gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs ab.
Fundstellen
Haufe-Index 447536 |
BFH/NV 2001, 326 |