Entscheidungsstichwort (Thema)
Beiladung von Gesellschaftern einer „Vorgründungsgesellschaft“
Leitsatz (NV)
- Haben die Gesellschafter einer GmbH schon vor deren formwirksamer Errichtung den Geschäftsbetrieb der geplanten Gesellschaft aufgenommen, so bilden sie insoweit eine "Vorgründungsgesellschaft", die steuerrechtlich als Personengesellschaft anzusehen ist.
- Hat das FA Einkünfte aus Geschäften einer Vorgründungsgesellschaft zu Unrecht der später errichteten GmbH zugerechnet, so können im Klageverfahren der GmbH die Gesellschafter der Vorgründungsgesellschaft nach § 174 Abs. 5 AO 1977 beigeladen werden. Das gilt nur dann nicht, wenn eine spätere Steuerfestsetzung gegenüber den Gesellschaftern ‐ z.B. wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist ‐ offensichtlich nicht in Betracht kommt.
Normenkette
AO 1977 § 174 Abs. 4 S. 1, Abs. 5 S. 2; GmbHG § 2 Abs. 1 S. 1
Tatbestand
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist eine GmbH, die mit notariell beurkundetem Vertrag vom 29. Januar 1991 gegründet worden ist und ein …unternehmen betreibt. Ihre Gesellschafter sind die Beigeladenen.
Die Beigeladenen hatten schon vor Abschluss des notariellen Gesellschaftsvertrags den Geschäftsbetrieb der zu gründenden GmbH aufgenommen. Nach Einschätzung des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamts ―FA―) haben sie hierbei im Streitjahr (1990) nicht erklärte Einnahmen und Umsätze erzielt. Der Beigeladene zu 1 ist in diesem Zusammenhang im Jahr 1997 durch Strafbefehl rechtskräftig wegen Steuerhinterziehung verurteilt worden.
Das FA setzte gegenüber der Klägerin für das Streitjahr Körperschaftsteuer und Umsatzsteuer fest, wobei es Hinzuschätzungen zu den von der Klägerin selbst aufgezeichneten Beträgen vornahm. Die Klägerin hat die betreffenden Steuerbescheide mit einer Klage angefochten, über die das Finanzgericht (FG) noch nicht entschieden hat.
Im Verlauf des Klageverfahrens wies das FG die Beteiligten darauf hin, dass die Klägerin möglicherweise im Streitjahr nicht als Steuerrechtssubjekt bestanden habe. Daraufhin beantragte das FA, die Mitglieder der Vorgründungsgesellschaft gemäß § 174 Abs. 5 der Abgabenordnung (AO 1977) zum Klageverfahren beizuladen. Diesem Antrag folgte das FG. Gegen den demgemäß erlassenen Beiladungsbeschluss wenden sich die Klägerin und der Beigeladene und Beschwerdeführer mit ihrer Beschwerde, die Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, den Beiladungsbeschluss insoweit aufzuheben, als er sich auf den Beigeladenen und Beschwerdeführer sowie auf die Beigeladene zu 2 bezieht. Der Beigeladene und Beschwerdeführer beantragt ―ebenfalls sinngemäß― Aufhebung des gegen ihn gerichteten Beiladungsbeschlusses.
Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Der Rechtsstreit wegen Beiladung zum Verfahren wegen Umsatzsteuer ist an den V. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) abzugeben, der für Streitigkeiten wegen Umsatzsteuer und damit zusammenhängende Verfahrensfragen zuständig ist (Geschäftsverteilungsplan des BFH für das Jahr 2000, BStBl II 2000, 106, Abschn. A, V. Senat i.V.m. Nr. I. 2. der Ergänzenden Regelungen).
Hinsichtlich des Rechtsstreits wegen Körperschaftsteuer ist die Beschwerde unbegründet. Der angefochtene Beiladungsbeschluss ist insoweit zu Recht ergangen:
1. Nach § 174 Abs. 4 Satz 1 AO 1977 können, wenn ein Steuerbescheid aufgrund irriger Beurteilung eines Sachverhalts rechtsfehlerhaft war und deshalb aufgrund eines Antrags oder Rechtsbehelfs zu Gunsten des Steuerpflichtigen aufgehoben oder geändert worden ist, aus dem Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheids die richtigen Folgerungen gezogen werden. Eine solche "korrespondierende Folgeänderung" ist gemäß § 174 Abs. 5 Satz 1 AO 1977 auch einem Dritten gegenüber zulässig, wenn dieser an dem Verfahren beteiligt war, das zur Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Bescheids geführt hat. Schließlich bestimmt § 174 Abs. 5 Satz 2 AO 1977, dass die Hinzuziehung oder Beiladung des Dritten zu dem betreffenden Verfahren zulässig ist.
Aus diesen Vorschriften folgt, dass im Streitfall die Gesellschafter der Klägerin zum Klageverfahren beigeladen werden dürfen: Nach den von den Beteiligten nicht angegriffenen Feststellungen des FG hat die Klägerin im Streitjahr zivilrechtlich noch nicht bestanden, da sie noch nicht formwirksam (§ 2 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung ―GmbHG―) errichtet worden war. Es handelte sich mithin um eine "Vorgründungsgesellschaft", die aus steuerlicher Sicht als Personengesellschaft zu behandeln ist (Senatsurteil vom 8. November 1989 I R 174/86, BFHE 158, 540, BStBl II 1990, 91). Als solche ist sie nicht Subjekt der Körperschaftsteuer; die von ihr erzielten Einkünfte unterliegen vielmehr der Einkommensbesteuerung bei den Gesellschaftern. Hieraus ergibt sich die Möglichkeit, dass zwar der angefochtene Körperschaftsteuerbescheid zu Unrecht ergangen ist, jedoch die bislang der Klägerin zugerechneten Einkünfte richtigerweise bei den Gesellschaftern der "Vorgründungsgesellschaft" erfasst werden müssen. Dies müsste ―im Anschluss an eine ggf. durchgeführte Gewinnfeststellung― durch den Erlass von Steuerbescheiden gegenüber den Beigeladenen geschehen. Solche Bescheide könnten verfahrensrechtlich auf der Grundlage des § 174 Abs. 4 AO 1977 erlassen werden, was die Beiladung einerseits bedingt (§ 174 Abs. 5 Satz 1 AO 1977) und andererseits ermöglicht (§ 174 Abs. 5 Satz 2 AO 1977). Ob zugleich die Voraussetzungen des § 60 der Finanzgerichtsordnung (FGO) vorliegen, ist in diesem Zusammenhang unerheblich, da § 174 Abs. 5 Satz 2 AO 1977 einen eigenständigen Beiladungstatbestand darstellt (BFH-Urteil vom 25. August 1987 IX R 98/82, BFHE 151, 506, BStBl II 1988, 344, 346).
2. Zu einer abweichenden Beurteilung führt nicht der Vortrag der Klägerin und des Beigeladenen und Beschwerdeführers, dass diesem und der Beigeladenen zu 2 gegenüber die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer 1990 abgelaufen sei. Denn für die Beiladung genügt regelmäßig die bloße Möglichkeit, dass es im Anschluss an die Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Bescheids zu einer "korrespondierenden Folgeänderung" kommt; ob eine solche letztendlich zulässig ist, kann nicht im Beiladungsverfahren, sondern nur in dem sich ggf. anschließenden Änderungsverfahren geprüft werden (von Wedelstädt in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 174 AO Rz. 127, m.w.N.). Das gilt auch hinsichtlich der Frage, ob dem Erlass eines Steuerbescheids gegenüber dem Dritten der Ablauf der Festsetzungsfrist entgegensteht (BFH-Beschluss vom 20. April 1989 V B 153/88, BFHE 156, 389, BStBl II 1989, 539, 540, m.w.N.).
Eine Ausnahme von dieser Regel gilt lediglich in denjenigen Fällen, in denen ein späteres Vorgehen gegenüber dem Dritten offensichtlich ausscheidet und deshalb die Interessen des Dritten vom Ausgang des Verfahrens eindeutig nicht berührt sein können (BFH-Urteil vom 5. Mai 1993 X R 111/91, BFHE 171, 400, BStBl II 1993, 817). Das kann namentlich dann der Fall sein, wenn dem Dritten gegenüber zweifelsfrei die Festsetzungsfrist abgelaufen ist (BFH-Beschluss vom 30. Januar 1996 VIII B 20/95, BFH/NV 1996, 524; von Wedelstädt, a.a.O., § 174 AO Rz. 128, m.w.N.). Eine solche Gestaltung liegt jedoch im Streitfall schon deshalb nicht vor, weil die nicht fernliegende Möglichkeit besteht, dass die den Beigeladenen gegenüber entstandene Einkommensteuer hinterzogen worden ist. Diese Möglichkeit ist nicht zuletzt deshalb in Betracht zu ziehen, weil der Beigeladene zu 1 unstreitig rechtskräftig wegen Steuerhinterziehung bestraft worden ist, wobei dieses Delikt mit den streitigen Einnahmen im Zusammenhang stand. Sollte aber eine Steuerhinterziehung durch den Beigeladenen zu 1 vorliegen, so könnte sich hierdurch zugleich die Festsetzungsfrist gegenüber dem Beigeladenen und Beschwerdeführer zu 2 (§ 169 Abs. 2 Satz 3 AO 1977) auf zehn Jahre verlängert haben (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO 1977). Diese verlängerte Frist wäre jedenfalls nicht abgelaufen.
Fundstellen
Haufe-Index 547064 |
BFH/NV 2001, 573 |
GmbHR 2001, 537 |