Entscheidungsstichwort (Thema)
Rüge der Verletzung der Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens sowie der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung
Leitsatz (NV)
1. Die Rüge der Verletzung des Grundsatzes der Öffentlichkeit der mündlichen Verhandlung ist nicht vorschriftsmäßig erhoben, wenn lediglich vorgetragen wird, daß die Verhandlung nicht durch einen schriftlichen Aushang am Sitzungssaal kenntlich gemacht worden ist. Erforderlich sind vielmehr Darlegungen, aus denen sich ergibt, daß die Verhandlung in Räumen stattfand, zu denen während der Dauer der Verhandlung nicht grundsätzlich jedermann der Zutritt offenstand.
2. Die vorschriftsmäßige Erhebung der Besetzungsrüge erfordert, daß konkrete Anhaltspunkte für die Fehlerhaftigkeit der Besetzung des Gerichts dargelegt werden.
Normenkette
FGO §§ 4, 115 Abs. 1, § 116 Abs. 1 Nrn. 1, 4, § 120 Abs. 2 S. 2; GVG § 21e Abs. 8; BFHEntlG Art. 1 Nr. 5
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) haben nach erfolglos durchgeführtem Einspruchsverfahren gegen den Einkommensteuerbescheid für 1983 Klage erhoben. Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen. Die Revision hat es nicht zugelassen.
Mit der Revision rügen die Kläger, die Vorentscheidung sei auf eine mündliche Verhandlung ergangen, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden seien. Am Tag der mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergangen sei, habe nach der Erinnerung ihres Prozeßbevollmächtigten ein Aushang vor dem Eingang zum Gerichtssaal über den vorliegenden Rechtsstreit gefehlt. Hierin liege eine Verletzung des Öffentlichkeitsprinzips. Darüber hinaus sei die Revision zulässig, weil das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen sei. Am Urteil habe der geschäftsplanmäßige Vorsitzende Richter nicht mitgewirkt. Es sei auch nicht nachvollziehbar, wie der Vorsitzende Richter ersetzt worden sei. Wer von den Richtern, die das Urteil unterschrieben hätten, an die Stelle des Vorsitzenden Richters getreten sei, sei nicht erkennbar.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig. Sie ist durch Beschluß zu verwerfen (§§ 124, 126 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Gegen ein Urteil des FG steht den Beteiligten die Revision zu, wenn das FG oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof (BFH) sie zugelassen hat (§ 115 Abs. 1 FGO i. V. m. Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs - BFHEntlG - vom 8. Juli 1975, BGBl I 1975, 1861, BStBl I 1975, 932 i. d. F. des Gesetzes zur Verlängerung des BFHEntlG vom 20. Dezember 1991, BGBl 1991, 2288, BStBl 1992, 44). Einer Zulassung der Revision bedarf es nicht, wenn einer der in §
116 Abs. 1 FGO genannten Verfahrensmängel gerügt wird.
Im Streitfall ist keine dieser Voraussetzungen erfüllt. Das FG hat die Revision nicht zugelassen. Der BFH hat die von den Klägern eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde durch den Beschluß vom heutigen Tage als unzulässig verworfen.
Die Revision ist auch nicht ohne Zulassung nach § 116 Abs. 1 FGO statthaft. Zwar haben die Kläger die Verletzung der Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens (§ 116 Abs. 1 Nr. 4 FGO) sowie die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des erkennenden Gerichts gerügt (§ 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO) und damit Verfahrensmängel i. S. von § 116 Abs. 1 FGO bezeichnet. Verfahrensmängel i. S. von § 116 Abs. 1 FGO sind jedoch nur dann ordnungsgemäß gerügt, wenn die zur Begründung vorgetragenen Tatsachen, ihre Richtigkeit unterstellt, die Mängel ergeben, d. h., wenn sie schlüssig vorgetragen sind (BFH-Beschluß vom 21. April 1986 IV R 190/85, BFHE 146, 357, BStBl II 1986, 568). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt.
1. Der Grundsatz der Öffentlichkeit des Verfahrens soll gewährleisten, daß sich die Rechtsprechung der Gerichte grundsätzlich ,,in aller Öffentlichkeit", nicht hinter verschlossenen Türen, abspielt, er dient letztlich zur Kontrolle der Gerichte (vgl. BFH-Urteil vom 15. März 1977 VII R 122/73, BFHE 121, 392, BStBl II 1977, 431 unter Hinweis auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 23. Mai 1956 6 StR 14/56, BGHSt 9, 280). Entsprechend diesem Sinn ist der Grundsatz der Öffentlichkeit gewahrt, wenn die Verhandlung in Räumen stattfindet, zu denen während der Dauer der Verhandlung grundsätzlich jedermann der Zutritt offensteht (BFH-Entscheidungen vom 21. März 1985 IV S 21/84, BFHE 143, 487, BStBl II 1985, 551; vom 10. August 1988 IV R 31/88, BFH/NV 1990, 41; vom 27. November 1991 X R 98-100/90, BFHE 166, 524, BStBl II 1992, 411; Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts BVerwG - vom 23. November 1989 6 C 28/88, Neue Juristische Wochenschrift 1990, 1249). Erforderlich ist weiter, daß für jeden Interessenten die Möglichkeit besteht, sich ohne Schwierigkeiten über die anstehende Gerichtsverhandlung rechtzeitig zu informieren. Dem genügt es, wenn ein Unbeteiligter ohne Schwierigkeiten erfragen kann, wann und wo eine Gerichtsverhandlung stattfindet. Eine an jedermann gerichtete Kundmachung über Ort und Zeit einer Gerichtsverhandlung mag nach Art und Gegenstand der Verhandlung in dieser oder jener Form zweckmäßig sein, eine solche Kundmachung wird aber durch die Vorschriften über die Öffentlichkeit der Verhandlungen nicht gefordert (vgl. BFH in BFHE 121, 392, BStBl II 1977, 431; Entscheidung des Bundessozialgerichts - BSG - vom 24. April 1989 5 BJ 331/88, Reg- Nr. 18453, BSG-Intern). Um eine Verletzung über die Öffentlichkeit schlüssig darzutun, hätten die Kläger also vortragen müssen, daß die Verhandlung im Streitfall in Räumen stattfand, zu denen während der Dauer der Verhandlung nicht grundsätzlich jedermann der Zutritt offenstand.
Die Gewährleistung der Öffentlichkeit erfordert regelmäßig nicht, daß die am Sitzungstag stattfindende Verhandlung, zu der jedermann Zutritt hat, durch einen schriftlichen Aushang am Sitzungssaal kenntlich gemacht wird (vgl. BFH in BFHE 121, 392, BStBl II 1977, 431; BFH-Beschluß vom 8. April 1988 III R 43/87, nicht amtlich veröffentlicht).
Darüber hinaus ist zu beachten, daß es sich bei dem einen absoluten Revisionsgrund bildenden Verfahrensmangel der Verletzung der Vorschriften über die Öffentlichkeit des finanzgerichtlichen Verfahrens um einen sog. verzichtbaren Verfahrensfehler handelt (vgl. BFH-Beschluß vom 24. August 1990 X R 45-46/90, BFHE 161, 427, BStBl II 1990, 1032, m. w. N.). Daher erfordert eine schlüssige Rüge den Vortrag, daß der Kläger den Verstoß in der Vorinstanz gerügt hat oder daß und warum ihm eine solche Rüge nicht möglich war. Entsprechende Darlegungen fehlen im Streitfall. Damit entspricht die Revisionsrüge auch aus diesem Grunde nicht den Anforderungen des § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO.
2. Den Verfahrensmangel, daß das erkennende Gericht bei seiner Entscheidung nicht vorschriftsmäßig besetzt war, haben die Kläger ebenfalls nicht schlüssig dargetan. Einer ordnungsmäßigen Rüge genügt es nicht, daß ein Revisionskläger sozusagen ,,auf Verdacht" mögliche Verfahrensmängel behauptet, die das Revisionsgericht dann in tatsächlicher Form zu prüfen hätte. Das ordnungsgemäße Geltendmachen der Rüge setzt voraus, daß konkrete Anhaltspunkte für die Fehlerhaftigkeit der Besetzung des FG dargelegt werden (vgl. BFH-Urteil vom 30. Oktober 1974 I R 40/72, BFHE 114, 85, BStBl II 1975, 232, m. w. N.). Dazu muß der Kläger ggf. eigene Ermittlungen anstellen und auf der Grundlage der ihm erteilten Auskünfte oder der ihm möglichen Einsicht in die Regelungen über die Geschäftsverteilung (§ 4 FGO i. V. m. § 21e Abs. 8 des Gerichtsverfassungsgesetzes - GVG -) Tatsachen darlegen, die seiner Meinung nach den Besetzungsmangel begründen (vgl. BFH- Beschluß vom 18. März 1987 V R 96/86, BFH/NV 1987, 591, m. w. N.). Diesen Anforderungen entspricht der von den Klägern zur Begründung des Verstoßes gegen § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO vorgetragene Sachverhalt nicht. Ihr Vortrag erschöpft sich letztlich in der Behauptung, der geschäftsplanmäßige Vorsitzende des vorinstanzlichen Gerichts habe ohne ausreichenden Grund an der Entscheidung im Streitfall nicht teilgenommen. Dieses Vorbringen ist nicht schlüssig. Wenn den Klägern die Umstände, die zur Ersetzung des geschäftsplanmäßigen Vorsitzenden führten, unbekannt waren, durften sie nicht einfach einen Besetzungsfehler behaupten. Sie hätten vielmehr von sich aus den Sachverhalt ermitteln müssen, insbesondere hinsichtlich der geschäftsplanmäßigen Vertretungsregelungen (finanzgerichtlicher und senatsinterner Geschäftsverteilungsplan) sowie hinsichtlich der Gründe, aus denen der Senatsvorsitzende an der letzten mündlichen Verhandlung nicht teilnahm. Den Klägern wäre es auch möglich und zumutbar gewesen, sich insoweit Aufklärung durch Anfrage beim FG zu verschaffen. Auf der Grundlage dieser Ermittlungen hätten sie die Fehlerhaftigkeit der Besetzung im einzelnen schildern müssen. Ohne entsprechende Darlegungen läßt sich ihrem Vorbringen eine vorschriftswidrige Besetzung des erkennenden FG nicht entnehmen. Es ist denkbar, daß der geschäftsplanmäßige Vorsitzende z. B. infolge von Urlaub, Krankheit, Dienstbefreiung, Ausschließungsgründen oder anderen den Vertretungsfall auslösenden Gründen an der Teilnahme gehindert war und geschäftsplanmäßig von einem anderen Richter vertreten wurde.
Fundstellen