Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Aufhebung der Kindergeldfestsetzung nach § 70 Abs. 4 EStG aufgrund geänderter Rechtsauffassung
Leitsatz (NV)
1. Der BFH hat bereits entschieden, dass ein bestandskräftiger Bescheid, mit welchem die Festsetzung von Kindergeld wegen möglichen Überschreitens des Jahresgrenzbetrags nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG abgelehnt wurde, nicht allein deshalb nach Ablauf des Kalenderjahres aufgehoben werden kann, weil die Familienkasse entgegen der später ergangenen Rechtsprechung des BVerfG die Arbeitnehmerbeiträge des Kindes zur gesetzlichen Sozialversicherung als Einkünfte angesetzt hat.
2. Wird das Kind im Laufe eines Kalenderjahres volljährig, sind bei der Prüfung des Jahresgrenzbetrags nur die in den Monaten nach Eintritt der Volljährigkeit erzielten Einkünfte zu berücksichtigen und dem maßgeblichen anteiligen Jahresgrenzbetrag gegenüberzustellen.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1-3; EStG § 32 Abs. 4 S. 2, § 70 Abs. 3-4
Verfahrensgang
FG des Saarlandes (Urteil vom 13.11.2007; Aktenzeichen 2 K 1345/07) |
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) beantragte für seine in Ausbildung befindliche Tochter (T), die im Juli 2004 das 18. Lebensjahr vollendet hatte, ab August 2004 Kindergeld zu gewähren.
Die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) lehnte mit Bescheid vom 18. Oktober 2004 den Antrag des Klägers ab, da die Einkünfte und Bezüge der T aus dem Ausbildungsverhältnis in den Monaten August bis Dezember 2004 voraussichtlich den anteiligen Jahresgrenzbetrag in Höhe von 3 200 € --entspricht 5/12 des Jahresgrenzbetrags in Höhe von 7 680 € im Jahr 2004-- (§ 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes in der für das Jahr 2004 geltenden Fassung --EStG--) überstiegen. Die Familienkasse ging dabei von maßgeblichen Einkünften und Bezügen in Höhe von 3 853,18 € aus (Bruttoarbeitslohn inklusive anteiligem Weihnachts- und Urlaubsgeld in Höhe von 4 259,43 € abzüglich Werbungskosten in Höhe von 406,25 €).
Am 26. August 2005 beantragte der Kläger erneut Kindergeld für die Monate August bis Dezember 2004 unter Vorlage von Gehaltsabrechnungen, aus denen sich die von T gezahlten Arbeitnehmeranteile zur gesetzlichen Sozialversicherung (985,41 €) ergaben. Mit Bescheid vom 12. Oktober 2005 lehnte die Familienkasse eine Änderung des Bescheids vom 18. Oktober 2004 --mit Ausnahme der Monate November und Dezember 2004-- unter Hinweis auf dessen Bestandskraft ab. Einspruch und Klage blieben erfolglos.
Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde beruft sich der Kläger auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) und die Erforderlichkeit einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO). Da sich die tatsächlichen Einkünfte der T im Zeitraum August bis Dezember 2004 gegenüber den von der Familienkasse prognostizierten Einkünften geändert hätten (statt 3 853,18 € nur 3 821,83 €), sei nach dem Senatsurteil vom 10. Mai 2007 III R 103/06 (BFHE 218, 147, BStBl II 2008, 549) der Anwendungsbereich des § 70 Abs. 4 EStG eröffnet. Damit seien auch die Sozialversicherungsbeiträge (985,41 €) zu berücksichtigen, so dass der anteilige Jahresgrenzbetrag von 3 200 € unterschritten sei. Im Übrigen sei die Berechnung auch fehlerhaft, weil die Familienkasse nicht auf das Jahreseinkommen 2004, sondern nur auf das Einkommen der Monate August bis Dezember 2004 abgestellt habe. Zudem sei die Revision wegen eines Verfahrenfehlers (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) zuzulassen, da das Finanzgericht (FG) den entscheidungserheblichen Sachverhalt (Änderung der Einkünfte gegenüber der Prognoseentscheidung) nicht vollständig festgestellt habe.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet und durch Beschluss zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 FGO).
1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Die vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfragen hat der Senat bereits geklärt. Da das Urteil des FG mit den Grundsätzen des BFH-Urteils in BFHE 218, 147, BStBl II 2008, 549 übereinstimmt, ist auch keine Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO).
a) Ein bestandskräftiger Bescheid, mit welchem die Familienkasse die Festsetzung von Kindergeld wegen möglichen Überschreitens des Jahresgrenzbetrags nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG abgelehnt hat (Prognoseentscheidung), kann nicht allein aufgrund geänderter Rechtsauffassung nach § 70 Abs. 4 EStG aufgehoben werden. Lagen bei der Prognoseentscheidung die Einkünfte und Bezüge des Kindes nur deshalb über dem Jahresgrenzbetrag, weil die Familienkasse entgegen der später ergangenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Januar 2005 2 BvR 167/02 (BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260) die Arbeitnehmerbeiträge des Kindes zur gesetzlichen Sozialversicherung als Einkünfte angesetzt hat, kommt daher eine Aufhebung nach Ablauf des Kalenderjahres nicht in Betracht (z.B. Senatsurteile vom 28. November 2006 III R 6/06, BFHE 216, 138, BStBl II 2007, 717, und vom 15. März 2007 III R 51/06, BFH/NV 2007, 1484).
b) Hätten dagegen bei der Prognoseentscheidung die prognostizierten Einkünfte und Bezüge des Kindes den Jahresgrenzbetrag auch nach Abzug der gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge überschritten, ist nach dem Senatsurteil in BFHE 218, 147, BStBl II 2008, 549 der Anwendungsbereich des § 70 Abs. 4 EStG wieder eröffnet, wenn sich die tatsächlichen Einkünfte und Bezüge gegenüber den prognostizierten Beträgen geändert haben. In diesem Fall hat die Familienkasse bei der Prüfung nach Ablauf des Kalenderjahres, ob die tatsächlichen Einkünfte und Bezüge des Kindes gegenüber der Prognoseentscheidung in entscheidungserheblicher Weise abweichen, die geänderte Rechtsauffassung zur Berücksichtigung der Sozialversicherungsbeiträge zu beachten und den als Prognoseentscheidung ergangenen bestandskräftigen Kindergeldbescheid (hier Ablehnung der beantragten Kindergeldfestsetzung) nach § 70 Abs. 4 EStG aufzuheben, wenn die tatsächlichen Einkünfte und Bezüge abzüglich der Sozialversicherungsbeiträge den Jahresgrenzbetrag nicht überschreiten.
Im Streitfall überstiegen die von der Familienkasse berechneten voraussichtlichen Einkünfte und Bezüge aber nur deshalb den Jahresgrenzbetrag, weil die Familienkasse die von T gezahlten Sozialversicherungsbeiträge entsprechend der damals vorherrschenden Rechtsauffassung nicht von den Einkünften abgesetzt hatte. Auch die nach Ablauf des Kalenderjahres von der Prognose abweichenden Einkünfte und Bezüge unterschreiten den Jahresgrenzbetrag nur nach Abzug der gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge. Wäre die bestandskräftige Ablehnung des Kindergeldes in einem solchen Fall nach § 70 Abs. 4 EStG zu ändern, würde ein materieller Fehler der Familienkasse (Nichtberücksichtigung der Sozialversicherungsbeiträge) rückwirkend berichtigt. Dies widerspräche jedoch dem Zweck des § 70 Abs. 4 EStG und der gesetzgeberischen Wertung in § 70 Abs. 3 Satz 2 EStG (vgl. Senatsurteil in BFHE 218, 147, BStBl II 2008, 549, unter II. 2. d).
Entgegen der Auffassung des Klägers ist die Berechnung der maßgebenden Einkünfte auch nicht deshalb fehlerhaft, weil Familienkasse und FG nicht auf die Jahreseinkünfte, sondern nur auf die Einkünfte der Monate August bis Dezember 2004 abgestellt haben. Denn die Einkünfte sind nur bei volljährigen Kindern von Bedeutung (§ 32 Abs. 4 EStG). Bei minderjährigen Kindern ist Kindergeld unabhängig von dessen Einkünften zu gewähren (§ 32 Abs. 3 EStG). Daher haben FA und FG zutreffend nur die in den Monaten August bis Dezember 2004 erzielten Einkünfte zugrunde gelegt und diese dem anteiligen Jahresgrenzbetrag gegenüber gestellt.
2. Ebenso wenig ist die Revision wegen fehlender Sachaufklärung durch das FG zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Das FG hat seine Entscheidung darauf gestützt, dass ein bestandskräftiger Kindergeldbescheid in Form einer Prognoseentscheidung nicht nach § 70 Abs. 4 EStG geändert werden kann, wenn der Jahresgrenzbetrag nur aufgrund der geänderten Rechtsauffassung zum Abzug der Sozialversicherungsbeiträge unterschritten wird. Es ist nicht erkennbar, ob das FG bei der Beurteilung, ob der Grenzbetrag nur aufgrund des Abzugs der Sozialversicherungsbeiträge unterschritten wird, die tatsächlichen Änderungen der Einkünfte gegenüber der Prognoseentscheidung ermittelt und mit berücksichtigt hat. Selbst wenn das FG dies unterlassen hätte, wäre eine Zulassung nicht möglich, weil das Urteil des FG hierauf nicht beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Denn auch bei Berücksichtigung der tatsächlichen Änderungen wäre das FG-Urteil nach den Grundsätzen des BFH-Urteils in BFHE 218, 147, BStBl II 2008, 549 nicht anders ausgefallen.
Fundstellen
Haufe-Index 2073176 |
BFH/NV 2009, 20 |