Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an eine wirksame Prozeßvollmacht; Kostenpflicht bei Zurücknahme des Rechtsmittels
Leitsatz (NV)
Wird ein Rechtsmittel zurückgenommen, so bestimmt sich die Kostenfolge auch dann nach § 136 Abs. 2 FGO, wenn die Kosten des Rechtsmittelverfahrens durch Verschulden des Prozeßbevollmächtigten entstanden sind. Es ist nicht möglich, dem Prozeßbevollmächtigten in entsprechender Anwendung des § 137 Satz 2 FGO die Kosten aufzuerlegen.
Normenkette
FGO § 62 Abs. 2, § 136 Abs. 2, § 137 S. 2, § 144
Tatbestand
Das Finanzgericht (FG) hat die am 12. August 1991 erhobene Untätigkeitsklage und die am 27. Dezember 1991 erhobene Anfechtungsklage der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wegen Einkommensteuer 1988 durch Urteile vom 28. Oktober 1992 - den Klägern zugestellt am 11. Dezember 1992 - abgewiesen.
Das FG hat die Revision nicht zugelassen.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in den Urteilen des FG hat der damalige Prozeßbevollmächtigte der Kläger, der Steuerberater X, durch Telefax vom 11. Januar 1993 Beschwerden eingelegt, denen das FG nicht abgeholfen hat. Zugleich hat er gegen das Urteil vom 28. Oktober 1992 Revision eingelegt.
Der Kläger ist während der Rechtsmittelverfahren verstorben. Alleinige Rechtsnachfolgerin des Klägers ist die Klägerin.
Nachdem die Klägerin ihrem bisherigen Prozeßbevollmächtigten das Mandat entzogen hatte, hat sie mit Schriftsätzen vom 15. Dezember 1993 durch ihre jetzigen Prozeßbevollmächtigten die Rechtsmittel zurückgenommen.
Die Klägerin beantragt, die Kosten des Revisions- und der Beschwerdeverfahren ihrem bisherigen Bevollmächtigten X persönlich aufzuerlegen.
Zur Begründung ihres Antrags trägt sie vor, sie habe gemeinsam mit dem Kläger die Vollmachtsurkunden für den früheren Bevollmächtigten jeweils en bloc unterschrieben. Keine der vorliegenden Vollmachten nehme auf ein bestimmtes Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren Bezug. Es handele sich deshalb um standesrechtlich unzulässige sog. Stapelvollmachten. Teilweise sei ein- und dieselbe Vollmachtsurkunde von dem Bevollmächtigten X für mehrere Verfahren verwendet worden. Tatsächlich habe der Bevollmächtigte in allen Fällen eigenmächtig Rechtsbehelfe eingelegt. Die Klägerin habe von den anhängigen Klage- und Rechtsmittelverfahren zunächst keine Kenntnis gehabt. Anfang Februar 1993 habe sie den Bevollmächtigten X aufgefordert, sämtliche Verfahren betreffend die Einkommensteuer 1988 zurückzuziehen. Der frühere Bevollmächtigte habe seine Pflichten als Steuerberater und Prozeßbevollmächtigter in kaum vorstellbarer Weise verletzt. Er habe Rechtsbehelfe ohne vorherige Prüfung der Sach- und Rechtslage per Vordruck eingelegt und durch bloßes Ankreuzen bestimmter Kennziffern in den Vordrucken begründet. Es sei deshalb gerechtfertigt, ihm die Prozeßkosten nach § 137 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aufzuerlegen.
Entscheidungsgründe
1. Der Senat entscheidet über die Kosten der Rechtsmittel durch Beschluß.
Grundsätzlich wird in den Fällen der vollständigen Zurücknahme eines Rechtsbehelfs nur dann über die Kosten des Verfahrens entschieden, wenn ein Beteiligter Kostenerstattung beantragt (§ 144 FGO). In entsprechender Anwendung des § 144 FGO ist eine Kostenentscheidung auch dann zu treffen, wenn ein Beteiligter eine von § 136 Abs. 2 FGO abweichende Entscheidung über die Kostentragungspflicht beantragt (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 144 FGO Tz. 3).
2. Die Kosten der Rechtsmittelverfahren fallen der Klägerin zur Last. Nach der zwingenden Vorschrift des § 136 Abs. 2 FGO hat derjenige Beteiligte die Kosten zu tragen, der ein Rechtsmittel zurücknimmt.
Entgegen der Ansicht der Klägerin können die Kosten nicht ihrem früheren Prozeßbevollmächtigten auferlegt werden.
a) Der frühere Bevollmächtigte hat im finanzgerichtlichen Verfahren eine von den Klägerin unterzeichnete Prozeßvollmacht vorgelegt, die ihn u.a. zur Einlegung von gerichtlichen und außergerichtlichen Rechtsbehelfen bevollmächtigte. Die im Klageverfahren eingereichte Vollmachtsurkunde genügt den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Prozeßvollmacht.
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist eine Prozeßvollmacht wirksam, wenn sie erkennen läßt, wer bevollmächtigt hat, wer bevollmächtigt ist und wozu bevollmächtigt wurde (BFH-Urteil vom 15. März 1991 III R 112/89, BFHE 164, 210, BStBl II 1991, 726 m.w.N.). Die im finanzgerichtlichen Verfahren vorgelegte Vollmacht entspricht diesen Anforderungen. In der Vollmachtsurkunde ist der Prozeßbevollmächtigte mit Namen und Anschrift bezeichnet. Sie ist von der Klägerin und ihrem verstorbenen Ehemann unterschrieben.
Die Vollmachtsurkunde selbst enthält zwar keinen Hinweis auf den konkreten Rechtsstreit; im Wege der Auslegung läßt sich jedoch feststellen, daß die Vollmacht den früheren Bevollmächtigten zur Durchführung des Klageverfahrens und zur Einlegung von Rechtsmiteln in der Einkommensteuersache 1988 ermächtigte. Denn die Vollmacht war dem FG als Anlage zum Schriftsatz vom 6. März 1992 übersandt worden. In diesem Schriftsatz ist der Rechtsstreit durch Angabe der Steuerart, des Streitjahres, der Beteiligten und des Aktenzeichens genau bezeichnet. Damit hat der Bevollmächtigte den erforderlichen Bezug der Prozeßvollmacht zu einem konkreten Klage- oder Rechtsmittelverfahren hergestellt (BFH-Urteile vom 10. März 1988 IV R 218/85, BFHE 153, 195, BStBl II 1988, 731; in BFHE 164, 210, BStBl II 1991, 726; vom 23. April 1992 IV R 42/90, BFHE 168, 203, BStBl II 1992, 914). Die Rechtsprechung des BFH zur Kostentragungspflicht eines vollmachtlosen Vertreters (vgl. BFH-Beschlüsse vom 10. November 1966 V R 46/66, BFHE 87, 1, BStBl III 1967, 5, und vom 22. Mai 1979 VII B 10/79, BFHE 128, 24, BStBl II 1979, 564) ist deshalb im Streitfall nicht anwendbar.
Ob die von der Klägerin erteilten Prozeßvollmachten standesrechtlich zulässig waren, hat der erkennende Senat im vorliegenden Fall Verfahren zu prüfen.
b) Entgegen einer in der Litaratur vertretenen Ansicht (vgl. Rößler in seiner Anmerkung zum BFH-Beschluß vom 8. Mai 1992 III B 138/92 in Deutsche Steuer-Zeitung 1993, 158) ist es auch nicht zulässig, dem frühereren Bevollmächtigten der Klägerin die Kosten des Verfahrens gemäß § 137 Satz 2 FGO aufzuerlegen. Nach dieser Vorschrift können Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, diesem auferlegt werden. Als Beteiligte i.S. des § 137 FGO kommen nur die in § 57 FGO abschließend genannten Verfahrensbeteiligten in Betracht, also Kläger, Beklagte, Beigeladene oder beigetretene Behörden. Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers gehört nicht zum Kreis der Beteiligten (Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 57 Rz. 6). Das Verschulden ihres früheren Prozeßbevollmächtigten muß sich die Klägerin wie eigenes Verschulden zurechnen lassen (§ 155 FGO i.V.m. §§ 51 Abs. 2, 85 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung).
Eine von § 136 Abs. 2 FGO abweichende Kostenverteilung nach § 137 Satz 2 FGO ist auch deshalb ausgeschlossen, weil diese Vorschrift - anders als § 136 Abs. 2 FGO - nicht eine bestimmte Kostenfolge zwingend vorschreibt. Über die Anwendung des § 137 Satz 2 FGO entscheidet das Gericht vielmehr nach seinem pflichtgemäßen Ermessen im Rahmen der von Amts wegen zu treffenden Kostenentscheidung. Da es in den Fällen der Rücknahme eines Rechtsbehelfs grundsätzlich nur dann zu einer Entscheidung des Gerichts über die Kosten des Verfahrens kommt, wenn ein Beteiligter Kostenerstattung beantragt hat (s. oben unter 1.), würde in diesen Fällen die Auferlegung schuldhaft verursachter Kosten nach § 137 Satz 2 FGO letztlich von einem Antrag nach § 144 FGO abhängen. Eine solche Rechtsfolge entspricht nicht dem Willen des Gesetzgebers und dem Zweck der §§ 136 Abs. 2, 144 FGO (vgl. hierzu im einzelnen BFH-Beschluß vom 19. September 1969 III B 18/69, BFHE 97, 233, BStBl II 1970, 92).
Fundstellen