Leitsatz (amtlich)
Die Tätigkeit eines Synchronsprechers ist in der Regel eine selbständige Tätigkeit.
Normenkette
EStG §§ 18-19; GewStG § 24 Abs. 2
Tatbestand
Die Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine KG. Sie betreibt die Synchronisation ausländischer Filme und Fernsehspiele. Für die Synchronisationsarbeiten verpflichtet sie Schauspieler und Rundfunksprecher. Streitig ist, ob die an die Synchronsprecher gezahlten Vergütungen der Lohnsummensteuer unterliegen, also die Frage, ob es sich bei der Tätigkeit der Synchronsprecher um eine selbständige oder um eine nichtselbständige Tätigkeit handelt. Der Revisionskläger (FA) nahm das letztere an und bezog bei der Feststellung des Steuermeßbetrags 1967 die Vergütungen in die Lohnsumme ein.
Mit der dagegen eingelegten Klage trug die Klägerin vor, die Synchronsprecher übten eine selbständige Tätigkeit aus. Sie würden telefonisch für die Synchronisation einer bestimmten Filmrolle verpflichtet. Grundlage für die Bemessung des Umfanges der von dem Synchronsprecher zu erbringenden Leistungen sowie seiner Vergütung sei die Anzahl der unter seiner Mitwirkung zu synchronisierenden "Takes". Bei diesen Takes handele es sich um kurze Dialogstücke, in die ein Film für die Synchronisation aufgeteilt werde. Gegenstand des Vertrages mit dem Synchronsprecher sei daher immer die Synchronisation einer bestimmten Anzahl von Takes einer bestimmten Rolle in einem bestimmten Film. Vereinbarungen über die Dauer der Verträge würden nicht getroffen; die gegenseitigen Pflichten aus den Verträgen bestünden bis zum Abschluß der Synchronisation der vereinbarten Takes. Da der Synchronsprecher meist bei verschiedenen Synchronfirmen, häufig sogar gleichzeitig, und oft noch hauptberuflich als Schauspieler und Rundfunksprecher beschäftigt sei, richte sich der Zeitplan bei den Synchronisationsarbeiten meistens nach den Sprechern insbesondere der Hauptrollen. Infolgedessen gebe es auch keine bestimmte Arbeitszeit für Synchronsprecher. Gegenstand der Verträge sei allein die vereinbarte Anzahl von Takes, für die der Sprecher unabhängig von Zeit, Ort und Zeitaufwand zur Verfügung stehen müsse. Die Beteiligten sähen die Verträge deshalb auch als Werklieferungsverträge an. Für die Synchronisationsaufnahmen eines Filmes würden im Durchschnitt drei bis vier Tage benötigt. Es komme gelegentlich vor, daß einer oder mehrere Sprecher von Hauptrollen während der ganzen Dauer der Synchronisation, also zum Beispiel drei oder vier Tage tätig würden. Diese Fälle bildeten jedoch die Ausnahme. Die meisten Sprechrollen würden, je nach den technischen Fertigkeiten des Sprechers, in Stunden, nicht in Tagen erledigt.
Das FA war dagegen der Ansicht, der Synchronsprecher sei nichtselbständig. Er schulde nicht einen bestimmten Arbeitserfolg, sondern müsse dem Unternehmen seine Arbeitskraft zur Verfügung stellen. Er sei an die ihm gegebenen Weisungen gebunden und habe seine Arbeit so lange zu wiederholen, bis die vom Regisseur oder Tonmeister gewünschte Übereinstimmung in Sprache und Sprachausdruck erreicht sei. Für ein eigenes Wirken bleibe kaum Raum. Der Sprecher sei auch an die Organisation des Unternehmens gebunden. Unterheblich sei, daß die Tätigkeit nur kurz sei und bei Vereinbarung der Arbeitszeit auf Belange der Sprecher Rücksicht genommen werde.
Das FG gab der Klage statt. Es führte aus, die in § 1 Abs. 2 und 3 LStDV aufgestellten Merkmale einer nichtselbständigen Tätigkeit (Tätigkeit unter der Leitung des Arbeitgebers oder Eingliederung in den Betrieb des Arbeitgebers mit Weisungsgebundenheit) liege nicht vor. Für die oft zweifelhafte Abgrenzung der selbständigen von der nichtselbständigen Tätigkeit sei das Gesamtbild maßgebend. Der Synchronsprecher stelle der Synchronfirma regelmäßig nicht seine Arbeitskraft zur Verfügung. Zwar schließe eine nur kurzfristige Tätigkeit die Eingliederung in den Betrieb einer Firma und damit die Arbeitnehmereigenschaft nicht ohne weiteres aus. Bei einer zeitlich kurzen Tätigkeit sei jedoch für die Frage, ob eine Eingliederung vorliege, die besondere Eingenart der Tätigkeit zu berücksichtigen. Bei einfachen Arbeiten, bei denen das Weisungsrecht des Auftraggebers sich stärker auswirke, sei eher eine Eingliederung in den Betrieb anzunehmen als bei gehobenen Arbeiten, bei denen die Weisungsbefugnis des Auftraggebers sich mehr auf äußere und organisatorische Dinge beschränke, während im übrigen der Beauftragte in der Gestaltung seiner Arbeit freie Hand habe und der Arbeitserfolg wichtiger sei als Dauer und Umfang der Arbeitsleistung (Urteil des BFH vom 24. November 1961 VI 183/59 S, BFHE 74, 97, BStBl III 1962, 37). Darum seien z. B. Aushilfskräfte in Gastwirtschaften oder Musiker, die in Gaststätten oder Cafés spielten, oder landwirtschaftliche Saisonarbeiter in der Regel nichtselbständig (BFH-Urteil vom 10. Juli 1959 IV 73/58 U, BFHE 69, 243, BStBl III 1959, 354); nebenberuflich tätige künstlerische oder wissenschaftliche Kräfte seien dagegen gewöhnlich selbständig (BFH-Urteile vom 3. November 1955 IV 106/54 U, BFHE 62, 296, BStBl III 1956, 110 - betreffend Berufsmusiker, die vorübergehend im Rundfunk mitwirken -, und vom 24. April 1959 VI 29/59 S, BFHE 68, 504, BStBl III 1959, 193). Im Streitfall könne dahingestellt bleiben, ob es sich bei der Tätigkeit des Synchronsprechers um eine künstlerische Tätigkeit handele. Denn jedenfalls stünden bei dieser Tätigkeit Merkmale im Vordergrund, die - wie bei einer künstlerischen Tätigkeit - in starkem Maße auf die Persönlichkeit des Sprechers, insbesondere aber auf den Charakter und die Ausdrucksfähigkeit seiner Stimme bezogen seien. Auch solche Dienstleistungen könnten allerdings im Rahmen eines Arbeitnehmerverhältnisses erbracht werden. So werde z. B. die Tätigkeit des Filmschauspielers nach ständiger Rechtsprechung als nichtselbständige Tätigkeit beurteilt (BFH-Urteile vom 29. November 1966 I 216/64, BFHE 88, 370, BStBl III 1967, 392, und vom 27. November 1962 I 116/61 U, BFHE 76, 266, BStBl III 1963, 95). Dafür sei jedoch der Umstand entscheidend, daß der Schauspieler im Zusammenspiel mit den anderen beteiligten Schauspielern bei der Aufnahme von Filmen weitgehend in den Organismus der Filmproduktion eingegliedert sei und Ort und Zeit seiner Tätigkeit wesentlich von dem filmproduzierenden Unternehmen bestimmt würden (BFH-Urteil I 116/61 U). Bei der Synchronisation fehle es dagegen regelmäßig an einer solchen festen Eingliederung. Die Art dieser Tätigkeit erfordere insbesondere keine so starke zeitliche Abhängigkeit des mitwirkenden Sprechers wie bei der Herstellung eines ganzen Filmes. Denn die Aufnahmen für die Synchronisation eines Films seien im allgemeinen in wenigen Tagen abgeschlossen, so daß selbst die Sprecher großer Rollen sich nur in Ausnahmefällen an sämtlichen Aufnahmetagen zur Verfügung halten müßten. In den weitaus meisten Fällen nehme die Synchronisationstätigkeit für den einzelnen Sprecher nur wenige Stunden in Anspruch. Bei der Herstellung eines Films werde eine anderweitige Tätigkeit des Schauspielers hinsichtlich der Arbeitszeit auch weitgehend ausgeschlossen, so daß dieser im allgemeinen in vollem Umfang von dem Zeitplan der Produktionsgesellschaft abhängig sei. Synchronisationsfirmen seien bei ihren zeitlichen Dispositionen dagegen in weitaus geringerem Umfang gebunden. Sie könnten vielfach die Aufnahmezeiten mit den Sprechern abstimmen. Der Synchronsprecher sei auch nicht deshalb Arbeitnehmer, weil er den Anweisungen des Regisseurs oder Aufnahmeleiters unterliege. Zwischen künstlerischer und technischer und wirtschaftlicher Unterordnung müsse in diesem Zusammenhang unterschieden werden. Wesentlich für ein Arbeitnehmerverhältnis sei allein das Vorliegen einer wirtschaftlichen Unterordnung. Weisungen künstlerischer oder technischer Art berührten dagegen nicht den selbständigen Charakter einer Tätigkeit (BFH-Urteil IV 106/54 U). Die äußeren Umstände sprächen dafür, die Tätigkeit des Synchronsprechers als selbständige Tätigkeit zu beurteilen. In den regelmäßig mündlich abgeschlossenen Verträgen würden Vereinbarungen nur über die Anzahl der aufzunehmenden Takes, die Aufnahmezeiten und die Höhe des Entgelts pro Take getroffen. Die Dauer der Aufnahmearbeiten werde nicht geregelt. Der Senat folge daher der Rechtsprechung des BFH, wonach Synchronsprecher eine selbständige Tätigkeit ausübten (Urteil I 116/61 U).
Mit seiner Revision macht das FA geltend, die Arbeit des Synchronsprechers sei eindeutig fremdbestimmt. Ihm werde die Arbeit zum Teil bis ins Detail vorgeschrieben. Das FG habe zu Unrecht angenommen, es komme auf die wirtschaftliche Abhängigkeit des Berufstätigen an. Auch ein selbständiger Unternehmer sei häufig wirtschaftlich abhängig. Auch ein künstlerisches oder technisches Weisungsrecht bewirke eine Abhängigkeit. Würden solche Weisungen erteilt, werde die Arbeit nicht mehr im wesentlichen selbständig ausgeübt. Die Wirkung der Weisungen auf den Arbeitnehmer sei immer dieselbe; sie riefen stets ein Verhältnis der Abhängigkeit hervor.
Entscheidungsgründe
Die Revision kann keinen Erfolg haben.
Die sorgfältig begründete Entscheidung des FG entspricht in allen Punkten der Rechtsprechung des BFH, an der dieser auch in weiteren Entscheidungen festgehalten hat (vgl. BFH-Urteile vom 6. Oktober 1971 I R 207/66, BFHE 103, 421, BStBl II 1972, 88, und vom 20. Januar 1972 IV R 1/69, BFHE 104, 169, BStBl II 1972, 214 - betreffend Schauspieler in Fernsehfllmen, deren Tätigkeit als nichtselbständig angesehen wurde; vom 16. April 1971 VI R 153/68, BFHE 102, 370, BStBl II 1971, 656 - betreffend einen Musiker in einer Tanzkapelle, dessen Tätigkeit als nichtselbständig angesehen wurde; vom 25. November 1971 IV R 126/70, BFHE 103, 570, BStBl II 1972, 212 - betreffend einen Musiker, der gelegentlich in Konzerten mitwirkte, dessen Tätigkeit als selbständig angesehen wurde). In dem weiteren Urteil des erkennenden Senats vom 26. Mai 1971 IV 280/65 (BFHE 102, 509, BStBl II 1971, 703), in dem es um die Frage ging, ob ein Synchronsprecher künstlerisch tätig sei, wurde - ohne nähere Ausführungen - unterstellt, daß er selbständig tätig war.
Es ist in den genannten Urteilen stets betont worden, daß die Abgrenzung der selbständigen von der nichtselbständigen Tätigkeit oft schwierig ist, und zwar gerade, wenn es sich um Arbeiten handelt, die wegen ihrer gehobenen Art oft in beiden Erscheinungsformen geleistet zu werden pflegen, und daß daher das Gesamtbild entscheidend ist. In dem vom FG erwähnten Urteil VI 183/59 S sind eine Reihe von Umständen aufgezählt, die für diese Entscheidung jeweils in der einen oder der anderen Richtung von Bedeutung sein können (Dauer der Beschäftigung, Art der Tätigkeit, Arbeit in der Betriebstätte des Unternehmens, Gestaltung der Arbeitszeit, Umfang des Risikos). Das FG hat hier eine entsprechende Gesamtwürdigung vorgenommen, die keine Rechtsfehler erkennen läßt. Es ist bei jeder Gesamtwürdigung denkbar, daß das eine oder andere Merkmal anders gesehen werden könnte, es aber wegen der Gesamtbetrachtung an Bedeutung in der einen Richtung gewinnt oder verliert. Wenn das FA z. B. vorträgt, der Sprecher müsse seine Tätigkeit so lange wiederholen, bis sie ein zufriedenstellendes Ergebnis gezeitigt habe, so kann das - wie das FA meint - dafür sprechen, daß er Weisungen unterliegt. Es kann aber auch dafür sprechen, daß der Sprecher nicht eine nach Zeitabschnitten bemessene Vergütung für seine Arbeitsleistung, sondern eine nach dem Erfolg bemessene Vergütung bezieht, die wiederum eher für eine selbständige Tätigkeit spricht.
Wenn das FG unter Berufung auf das BFH-Urteil IV 106/54 U u. a. ausgeführt hat, es komme auf die wirtschaftliche, nicht die künstlerische oder technische Unterordnung an, so mag es sich dabei zwar im Ausdruck vergriffen haben. Es wendet jedoch im Grunde einen in dem genannten Urteil enthaltenen - im Prinzip richtigen - Gedanken an, der auch in diesem Urteil mißverständlich formuliert sein mag. Der Senat führte damals aus, Musiker, die gelegentlich anderwärts zur Mitwirkung in einem Orchester herangezogen würden, seien selbständig tätig. Es stehe dieser Annahme nicht entgegen, daß sie den Weisungen des Dirigenten zu folgen hätten. Das liege aber auf rein musikalischem Gebiet und sei von der wirtschaftlichen Frage einer Eingliederung aller Mitwirkenden, ggf. einschließlich des Dirigenten, in den Organismus des Musikbestellers zu trennen. Der Ausdruck "wirtschaftliche Frage" erscheint dem Senat bei erneuter Betrachtung nicht richtig. Gemeint ist aber - und dabei ist zu verbleiben -, daß der Unternehmer, der ein ganzes Orchester bestellt, auf organisatorischem (unternehmerischem) Gebiet einen so starken Einfluß haben kann, daß die Tätigkeit des Orchesters nicht mehr als selbständige zu betrachten ist, daß das aber für einen einzelnen, nur gelegentlich und nur zur ihm passenden Zeit herangezogenen Musiker nicht zutrifft. Daß diese Art von Weisungsgebundenheit auf organisatorischem (nicht wirtschaftlichem) Gebiet einerseits und künstlerischem Gebiet andererseits gemeint war, ergibt sich auch aus Ziff. I 3 des Urteils VI 183/59 S, wo - wie auch in dem angefochtenen Urteil - ausgeführt ist, bei gehobenen Arbeiten beschränke sich die Weisungsbefugnis des Arbeitgebers mehr auf äußere und organisatorische Dinge. Richtig ist auch, daß der Unternehmer, selbst wenn er sich des Dirigenten oder des Regisseurs bedient, auf den einzelnen Mitwirkenden in künstlerischer Hinsicht nicht unmittelbar einwirken will, wie das etwa bei rein mechanischen Tätigkeiten der Fall sein wird. Auch hier gilt aber insbesondere der Grundsatz, daß kein Merkmal isoliert betrachtet werden darf.
Fundstellen
BStBl II 1973, 458 |
BFHE 1973, 39 |