Leitsatz (amtlich)
1. Ein Rentenstammrecht als Voraussetzung für die Annahme einer Leibrente kann auch durch ein in einer letztwilligen Verfügung ausgesetztes Vermächtnis begründet werden.
2. Werden in einer letztwilligen Verfügung für einen weichenden Erben durch Vermächtnis für die Lebenszeit des Vermächtnisnehmers fortlaufend wiederkehrende gleichmäßige Leistungen ausgesetzt, so sind diese als Leibrente zu beurteilen, wenn die Vermächtnisanordnungen nicht eindeutig erkennen lassen, daß die Leistungen nach Maßgabe der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten und des Unterhaltsbedürfnisses des Berechtigten abänderbar sind.
Normenkette
EStG § 10 Abs. 1 Nr. 1 S. 2
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist testamentarischer Alleinerbe seines verstorbenen Vaters. Das Testament enthält folgendes Vermächtnis zugunsten seiner Schwester:
"... Meine Tochter ..., erhält für ihre Lebenszeit eine monatliche Rente von 1 000 DM ... Mein Erbe soll diesen Betrag nach seinem Ermessen angemessen erhöhen, wenn die Ertragslage meines ... Grundbesitzes ... eine Erhöhung gestattet ...".
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) behandelte die Zahlungen des Klägers auf Grund des Vermächtnisses bei den Einkommensteuerveranlagungen für die Jahre 1967 bis 1970 zunächst entsprechend der Einkommensteuererklärung als dauernde Lasten und setzte sie in voller Höhe als Sonderausgaben ab. Im Anschluß an eine Betriebsprüfung berichtigte das FA die Bescheide. Dabei behandelte es die Zahlungen als Leibrente und ließ nur den Ertragsanteil als Sonderausgaben zu.
Das FG wies die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage ab. Es führte u. a. aus: Der BFH folge in der Bestimmung, was eine Leibrente sei, dem bürgerlichen Recht (Urteil vom 29. März 1962 VI 105/61 U, BFHE 75, 96, BStBl III 1962, 304). Er gehe dementsprechend davon aus, daß wiederkehrende Bezüge nur dann keine Leibrente sind, wenn die einzelnen Leistungen nicht Ausfluß eines einheitlichen Stammrechts sind oder wenn die Leistungen von schwankender Höhe oder an unbestimmte Bezugsgrößen wie Umsatz oder Gewinn geknüpft sind (vgl. Urteile VI 105/61 U und vom 11. Oktober 1963 VI 53/61 U, BFHE 77, 745, BStBl III 1963, 594). Die Rentenverpflichtung des Klägers beruhe auf einem einheitlichen und lebenslänglich nutzbaren Stammrecht, nämlich auf der Vermächtniszuwendung; sie bestehe aus regelmäßigen Zahlungen in gleichbleibender Höhe. Die testamentarische Anordnung, daß der Kläger die Rente bei entsprechender Ertragslage des Grundbesitzes angemessen erhöhen solle, beeinträchtige nicht den Rentencharakter. Diese Anordnung sei wie eine Währungs- und Wertsicherungsklausel zu beurteilen, durch die der innere Wert der Rentenleistungen für die Zukunft gewährleistet werden solle. Auch in Fällen dieser Art habe die Rechtsprechung Leibrenten angenommen, weil etwaige Erhöhungen lediglich zu einem stufenweisen Ansteigen der Rente, jedoch nicht zu Schwankungen in dem Sinne führten, daß die einzelnen Leistungen sich kurzfristig nach oben oder unten verändern könnten (BFH-Urteile vom 11. August 1967 VI R 80/66, BFHE 89, 443, BStBl III 1967, 699, und vom 10. Oktober 1969 VI R 267/66, BFHE 97, 31, BStBl II 1970, 9). Die Regelung im Streitfall lasse keine Erhöhung und Herabsetzung der Rente zu. Mithin sei das dem Vermächtnis zugrunde liegende Rentenstammrecht unabänderlich; es bestehe auch dann uneingeschränkt fort, wenn die einzelnen Rentenleistungen erhöht würden. Die Rentenzahlungen blieben jedenfalls in Höhe der auf Lebenszeit festgesetzten Mindestbeträge Ausfluß des einheitlichen Rentenstammrechts. Es könne oftenbleiben, wie etwaige künftige Erhöhungen steuerrechtlich zu behandeln seien, weil der Kläger keine erhöhten Beträge gezahlt habe.
Mit der Revision trägt der Kläger u. a. vor: Das FG unterscheide nicht zwischen entgeltlich und unentgeltlich erworbenen Rentenstammrechten. Es setze sich deshalb auch nicht mit der vom BFH im Urteil vom 16. Juli 1965 VI 286/64 U (BFHE 83, 225, BStBl III 1965, 582) als schwierig bezeichneten Feststellung auseinander, ob bei unentgeltlich begründeten Verpflichtungen durch die Zusage ein eigenes Rentenstammrecht begründet werde. Es unterstelle einfach ein Rentenstammrecht. Unter Hinweis auf die steuerliche Behandlung von Zeitrenten mit Kapitalzuwendung meint der Kläger, daß das bürgerliche Recht keinen Anknüpfungspunkt für die Abgrenzung zwischen einer Leibrente und einer dauernden Last biete. § 759 Abs. 1 BGB besage, daß der Verpflichtete "im Zweifel" für die Lebensdauer des Berechtigten zu leisten habe. Die Abgrenzung müsse daher aus dem Steuerrecht selbst hergeleitet werden. Die durch das Gesetz zur Neuordnung von Steuern vom 16. Dezember 1954 eingeführte Neuregelung der Rentenbesteuerung, die beim Empfänger die Besteuerung der Kapitaltilgung ablehne und nur diejenige des Zinsanteils zulasse, setze notwendig ein Kapital voraus. Im Streitfall habe die Vermächtnisnehmerin auf Grund des Testaments aber nur einen schuldrechtlichen Anspruch (§ 2174 BGB). Das "Rentenstammrecht" erschöpfe sich in diesem Anspruch. Ein dingliches Vermächtnis gebe es nicht. Es sei weder ein Kapital geleistet worden, noch habe der Verpflichtete eine Forderung oder einen anderen Nachlaßgegenstand übertragen. Das FG messe der clausula rebus sic stantibus für den vorliegenden Fall nur im Rahmen einer Erhöhung der Zahlungen Bedeutung bei. Es übersehe hierbei, daß auch der Fall eintreten könne, daß der Grundbesitz keine Erträge mehr abwerfe und somit auch eine Minderung auf Grund der persönlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen eintreten könne. Auch hieraus sei ersichtlich, daß ein Rentenstammrecht nicht bestehe. Im Urteil vom 16. Juli 1965 VI 295/64 U (BFHE 83, 228, BStBl III 1965, 585) habe der BFH ausgeführt, daß für die steuerliche Behandlung von Unterhaltszuwendungen auch die in den persönlichen Verhältnissen liegenden Umstände als Grund einer Änderung der vereinbarten Zahlungen anzusehen seien. Obwohl hier vereinbarte Zahlungen nicht vorlägen, gälten auch für das Vermächtnis die gleichen Grundsätze. Im Urteil des BFH vom 27. September 1973 VIII R 77/69 (BFHE 111, 37, BStBl II 1974, 103) führe der BFH aus, daß bereits die Möglichkeit einer Änderung der Unterhaltszusage nach § 323 der Zivilprozeßordnung (ZPO) genüge, um ein derartiges Schuldverhältnis steuerlich als dauernde Last zu behandeln.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist nicht begründet.
Das FG hat die Leistungen des Klägers an seine Schwester zutreffend als Leibrente beurteilt und nur den Abzug des Ertragsanteils nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG als Sonderausgaben zugelassen. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des BFH, daß der Begriff der Leibrente nach bürgerlichem Recht zu bestimmen ist und daß darunter ein einheitlich nutzbares Recht (Rentenstammrecht) zu verstehen ist, das den Berechtigten für die Lebenszeit eines Menschen eingeräumt ist und dessen Erträge als fortlaufend wiederkehrende gleichmäßige Leistungen in Geld oder vertretbaren Sachen bestehen (Urteil VIII R 77/69). Hieran hält der Senat fest. Da die gesetzliche Regelung in § 759 Abs. 1 BGB, auf die der Kläger hinweist, lückenhaft ist, entscheiden der Sprachgebrauch und die Verkehrsauffassung (vgl. Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 34. Aufl. 1975, § 759 Anm. 1 a; Urteil des BGH vom 16. Dezember 1965 II ZR 274/63, Wertpapier-Mitteilungen Teil IV Wertpapier- und Bankfragen 1966 S. 248).
Im Streitfall scheitert die Annahme einer Leibrente nicht schon daran, daß die Rentenverpflichtung des Klägers auf einem Vermächtnis beruht. Zutreffend weist das FA darauf hin, daß auch eine letztwillige Verfügung - wie jede andere bürgerlich-rechtlich wirksame Verpflichtung - ein Rentenstammrecht begründen kann. Die Zahlung eines Kapitals ist dabei nicht Voraussetzung. Ebensowenig kommt der Frage Bedeutung zu, ob der Berechtigte das Rentenstammrecht entgeltlich oder unentgeltlich erwirbt. Denn in § 10 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG wird der Sonderausgabenabzug für Leibrenten schlechthin geregelt, ohne daß zwischen entgeltlich oder unentgeltlich erworbenen Leibrenten unterschieden wird. Auch aus der steuerlichen Behandlung von Zeitrenten kann der Kläger für den Streitfall nichts herleiten, weil Zeitrenten keine Leibrenten im bürgerlich-rechtlichen und damit auch nicht im einkommensteuerlichen Sinne sind; denn sie werden nur für eine bestimmte Zeit, nicht aber für die Lebenszeit eines Menschen eingeräumt.
Der Vorinstanz ist auch darin zuzustimmen, daß die Verpflichtung des Klägers auf die Erbringung von fortlaufend wiederkehrenden gleichmäßigen Leistungen gerichtet ist. Diese Voraussetzung wäre dann nicht gegeben, wenn die Rentenleistungen nach Maßgabe der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten und des Unterhaltsbedürfnisses des Berechtigten abänderbar wären. In diesem Falle würde nämlich der Gedanke der Unterhaltsgewährung im Vordergrund stehen. Hiervon kann aber im Streitfall nicht ausgegangen werden. Die Gestaltung des Testaments, Einsetzung des Klägers als Alleinerbe seines Vaters und Aussetzung eines Vermächtnisses zugunsten der nicht als Erbe eingesetzten Schwester, spricht dafür, daß das Vermächtnis der Schwester eher den Charakter einer Abfindung als den einer Unterhaltssicherung hat. Zwar ist die Rechtsprechung des BFH bei reinen Unterhaltsverpflichtungen davon ausgegangen, daß nur bei einem ausdrücklichen oder einem sich eindeutig aus dem Vertragsinhalt ergebenden Verzicht (vgl. Urteil VIII R 77/69) auf die Abänderbarkeit eine Leibrente angenommen werden kann. Bei Betriebsübergaben im Wege vorweggenommener Erbfolge dagegen ist eine Leibrente - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - schon dann angenommen worden, wenn die Vereinbarungen eine Abänderungsmöglichkeit nicht ausdrücklich oder in anderer Weise eindeutig vorsehen (vgl. BFH-Urteile vom 2. Dezember 1966 VI 365/65, BFHE 87, 563, BStBl III 1967, 243, und vom 16. September 1965 IV 67/61 S, BFHE 83, 568, BStBl III 1965, 706). Diese letzteren Grundsätze müssen entsprechend angewendet werden, wenn für einen weichenden Erben in einer letztwilligen Verfügung eine Abfindung festlelegt wird.
Im Streitfall sieht die testamentarische Vermächtnisanordnung eine Möglichkeit zur Abänderung der Rente lediglich dann vor, wenn diese entsprechend der Ertragslage des Grundbesitzes nach dem Ermessen des Klägers angemessen erhöht werden soll. Eine Möglichkeit, die Rente etwa bei schlechter Ertragslage des Grundbesitzes oder bei wesentlicher Besserung der Einkommensverhältnisse der Schwester zu ermäßigen, ist nicht vorgesehen. Damit fehlt aber eine Anpassungsmöglichkeit der Rente an geänderte Verhältnisse nach unten. Der Senat kommt somit mit dem FG zu dem Ergebnis, daß eine Abänderungsmöglichkeit nach Maßgabe der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten und des Unterhaltsbedürnisses des Berechtigten, wie sie für eine reine Unterhaltsverpflichtung kennzeichnend wäre, nicht Inhalt der testamentarischen Anordnung ist. Ob, wie das FG meint, die vorgesehene Erhöhungsmöglichkeit rechtlich nicht anders zu beurteilen ist wie vertragliche Währungs- und Wertsicherungsklauseln, kann hier dahingestellt bleiben, da Gegenstand des Streitfalls die Rentenzahlung in der ursprünglich vorgesehenen Höhe ist. Eine Abänderungsmöglichkeit unter dem Gesichtspunkt wesentlich veränderter Verhältnisse, die auf § 242 BGB gestützt wird, ist insbesondere bei Dauerschuldverhältnissen regelmäßig Bestandteil der bürgerlich-rechtlichen Verpflichtung. Diese allgemeine Abänderungsmöglichkeit berührt aber, wie das FA zutreffend ausführt, nicht den Charakter der Rente als Leibrente (vgl. BFH-Urteil vom 12. April 1967 I 129/64, BFHE 89, 412, BStBl III 1967, 668).
Fundstellen
Haufe-Index 71569 |
BStBl II 1975, 882 |
BFHE 1976, 505 |
NJW 1976, 79 |