Leitsatz (amtlich)
Eine Investitionszulage kann nicht aus Billigkeitsgründen gewährt werden.
Normenkette
AO § 131; BerlinFG § 19
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) stellt Bauelemente her und baut diese auf Baustellen ein. Für die Jahre 1969 bis 1973 beantragte sie die Gewährung erhöhter Investitionszulagen für verschiedene im Fertigungsbereich eingesetzte Wirtschaftsgüter. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das FA) gewährte jedoch nur eine Zulage von 10 v. H. der Anschaffungskosten, weil er der Ansicht war, der Betrieb der Klägerin sei dem Baugewerbe zuzurechnen. Die gegen die entsprechenden Bescheide eingelegten Einsprüche nahm die Klägerin mit Rücksicht auf die Entscheidung des BFH vom 17. Oktober 1973 VIII R 149/71 (BFHE 111, 392, BStBl II 1974, 321), mit der die Verwaltungsauffassung bestätigt wurde, zurück. Für die im Jahre 1974 angeschafften Wirtschaftsgüter beantragte die Klägerin von vornherein nur die Gewährung der Grundzulage. Diesem Antrag entsprach das FA durch Bescheid vom 4. März 1975.
Mit Schreiben vom 23. Mai 1975 beantragte die Klägerin, ihr aus Billigkeitsgründen eine weitere Investitionszulage von 15 v. H. der im Jahre 1974 aufgewendeten Anschaffungskosten zu gewähren. Sie verwies darauf, daß der BFH inzwischen seine bisherige Rechtsprechung durch Urteil vom 14. Januar 1975 VIII R 11/73 (BFHE 115, 167, BStBl II 1975, 406) geändert habe. Dieses Urteil sei ihr erst durch Rundschreiben der Tischlerinnung am 22. Mai 1975 bekanntgeworden. Nur im Vertrauen auf den Fortbestand der bisherigen Rechtsprechung des BFH habe sie lediglich die Gewährung einer Investitionszulage von 10 v. H. beantragt. Nach der neuen Rechtsprechung stehe ihr jedoch eine Investitionszulage von 25 v. H. der Anschaffungskosten zu. Es sei unbillig, ihr diese erhöhte Zulage nicht zu gewähren.
Das FA lehnte den Antrag ab. Die Beschwerde blieb ohne Erfolg. Das FG hat die Klage abgewiesen.
Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin. Sie ist der Ansicht, § 131 der Reichsabgabenordnung (AO) sei nicht nur im Falle der Rückforderung zu Unrecht gewährter Investitionszulage (vgl. BFH-Urteil vom 10. Juni 1975 VIII R 50/72, BFHE 116, 103, BStBl II 1975, 789) anwendbar, sondern ermögliche es auch, die Investitionszulage aus Billigkeitsgründen zu gewähren.
Die Klägerin rügt ferner Verletzung des § 222 Abs. 1 Nrn. 2 und 4 AO. Sie vertritt dazu die Auffassung, daß der Investitionszulagebescheid vom 4. März 1975 deshalb fehlerhaft sei, weil die Änderung der Rechtsprechung bereits durch Urteil vom 14. Januar 1975 erfolgt sei. Die Klägerin ist der Auffassung, daß die Vorentscheidung auch gegen die Vorschrift des § 93 AO und gegen den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung verstoße. Im übrigen ist sie der Ansicht, daß im Streitfall die Vorschriften der Abgabenordnung (AO 1977) anzuwenden seien.
Die Klägerin beantragt,
die Vorentscheidung aufzuheben und das FA für verpflichtet zu erklären, eine zusätzliche Investitionszulage von 33 825 DM zu zahlen.
Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Der Senat ist ebenso wie das FG der Auffassung, daß eine Investitionszulage nach § 19 BerlinFG i. d. F. vom 29. Oktober 1970 (BGBl I 1970, 1482, BStBl I 1970, 1016) nicht aus Billigkeitsgründen gewährt werden kann.
Nach § 19 Abs. 8 BerlinFG sind die Vorschriften des Zweiten Teils der Reichsabgabenordnung entsprechend anzuwenden. Damit ist auf eine entsprechende Anwendung der Vorschriften über den Steueranspruch (§§ 97 ff. AO) verwiesen. Hierzu gehört auch § 131 AO. Die Anwendung dieser Vorschrift setzt voraus, daß ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis entstanden ist. § 131 AO bildet die gesetzliche Grundlage dafür, daß unter den in ihm aufgeführten Voraussetzungen von der Verpflichtung, nach dem Gesetz entstandene Steueransprüche einzuziehen, ausnahmsweise abgewichen werden kann (vgl. Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Rdnr. 3 zu § 131 AO). Er gehört zu der Gruppe von Vorschriften, die die Beendigung, nicht aber die Entstehung des Steuerschuldverhältnisses regeln (vgl. Kruse, Steuerrecht, I., Allgemeiner Teil, 3. Aufl., § 15). Entstehung und Erlöschen eines Schuldverhältnisses können sachlich nicht miteinander gleichgesetzt werden.
Dieser Regelungsbereich des § 131 AO kann aber bei entsprechender Anwendung auf andere Rechtsbereiche nicht weiter ausgedehnt werden, als er bei originärer Anwendung ist. Demzufolge kann die entsprechende Anwendung des § 131 AO im Investitionszulagerecht sich zwar auf das Erlöschen (vgl. BFH-Urteil VIII R 50/72), nicht aber auch auf die Begründung von Investitionszulageansprüchen nach dem Berlinförderungsgesetz beziehen.
Da § 131 AO im Streitfall nicht entsprechend anwendbar ist, ist es nicht mehr entscheidungserheblich, ob Billigkeitsgründe i. S. dieser Vorschrift vorgelegen haben.
2. Das FG hat ferner im Ergebnis zu Recht die Anwendung des § 222 AO verneint.
§ 222 AO betrifft die Änderung eines Steuerbescheids oder eines ihm gleichgestellten Bescheids, Bescheide also, gegen die der Rechtsbehelf des Einspruchs gegeben ist. Diesen Bescheiden würde zwar der Investitionszulagebescheid vom 4. März 1975 entsprechen, nicht aber der Bescheid des FA, mit dem der Antrag der Klägerin, die erhöhte Investitionszulage aus Billigkeitsgründen zu gewähren, abgelehnt worden ist. Gegen diesen war nicht der Einspruch, sondern die Beschwerde gegeben. Die Rechtmäßigkeit des Investitionszulagebescheids vom 4. März 1975 unterliegt aber nicht der Überprüfung im vorliegenden Verfahren.
3. Die Rüge der Klägerin, die Vorentscheidung verstoße gegen § 93 AO, ist ebenfalls unbegründet. Absatz 1 dieser Vorschrift stellt den rechtlichen Grundsatz auf, daß die Behörde Verfügungen, die sie nachträglich für ungerechtfertigt erachtet, zurücknehmen kann. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist jedoch nicht eine vom FA vorgenommene Änderung eines Steuerverwaltungsakts, sondern die Ablehnung des Antrags der Klägerin, ihr die erhöhte Investitionszulage aus Billigkeitsgründen zu gewähren. Diese Ablehnung hält das FA nach wie vor für Rechtens.
4. Da § 131 AO im Streitfall nicht entsprechend anwendbar, mithin eine gesetzliche Grundlage für eine Billigkeitsregelung nicht vorhanden ist, kann die Ablehnung der begehrten Billigkeitsmaßnahme nicht gegen den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung verstoßen.
5. Auf das vorliegende Verfahren finden im übrigen nicht - wie die Klägerin meint - die Vorschriften der Abgabenordnung, sondern die Vorschriften der Reichsabgabenordnung Anwendung (vgl. Art. 97, § 1 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung 1977 vom 14. Dezember 1976 - EGAO -, BGBl I 1976, 3341, BStBl I 1976, 694). Die Voraussetzungen der Sonderregelung des Art. 97, § 9 EGAO liegen nicht vor.
Fundstellen
BStBl II 1978, 272 |
BFHE 1978, 128 |