Leitsatz (amtlich)
Eine Körperschaft des öffentlichen Rechts kann nur dann als Gebietskörperschaft angesehen werden, wenn die Körperschaft eine grundsätzlich unbeschränkte obrigkeitliche Allzuständigkeit in einem festumgrenzten Teil des Staatsgebiets gegenüber allen Einwohnern dieses Gebiets besitzt. Diese Voraussetzungen sind bei einer aus den Institutionen des alten deutschen Rechts hervorgegangenen Markgenossenschaft (Märkerschaft) mit selbständiger Rechtspersönlichkeit nicht gegeben.
Normenkette
SHG § 5 Ziff. 1
Tatbestand
I.
Die beschwerdeführende Märkerschaft ist mit ihrem in der Gemeinde belegenen Waldbesitz von 290 ha zur allgemeinen Soforthilfeabgabe herangezogen worden. Der Berechnung der Soforthilfeabgabe wurde der für die Beschwerdeführerin (Bfin.) als Eigentümerin festgestellte Einheitswert von 139 400 RM/DM zugrunde gelegt. Die Bfin. macht wie in dem für sie erfolglosen Einspruchs- und Berufungsverfahren in der Rechtsbeschwerde (Rb.) geltend, als Gebietskörperschaft unterliege sie nach § 5 Ziffer 1 des Soforthilfegesetzes (SHG) mit ihrem forstwirtschaftlichen Vermögen der Soforthilfeabgabe nicht.
Entscheidungsgründe
II.
Die Rb. ist nicht begründet.
1. Die Bfin. ist eine aus den Institutionen des alten deutschen Rechts hervorgegangene Markgenossenschaft. Diese Rechtsgebilde, deren Vermögen ursprünglich im genossenschaftlichen Gesamteigentum aller oder bestimmter Gemeindeangehörigen stand, haben im allgemeinen im Laufe der Zeit eine Entwicklung in der Richtung des Übergangs des Gemeineigentums auf eine Körperschaft, sei es auf eine selbständige Korporation (juristische Person) des privaten oder öffentlichen Rechts, die neben der Gemeinde bestand, sei es auf die politische Gemeinde selbst mit der Maßgabe, daß in der Regel besondere Nutzungsrechte einzelner oder aller Gemeindeangehörigen an dem übergegangenen Vermögen (Gemeindegliedervermögen) bestehen blieben, genommen; vgl. dazu Gierke, Deutsches Privatrecht Bd. 1 S. 576 ff.; Planitz, Grundzüge des Deutschen Privatrechts in Bd. V der Enzyklopädie der Rechts- und Staatswissenschaft, Abteilung Rechtswissenschaft, S. 26 und 27; Haff, Institutionen des Deutschen Privatrechts, Bd. 1 S. 71 ff. Diese Entwicklung zum körperschaftlichen Eigentum kann für die Bfin. unbedenklich angenommen werden. Es liegt auch nahe, entsprechend dem eigenen Vorbringen der Bfin. und den Ausführungen der Vorbehörden davon auszugehen, daß sie nicht unselbständiger Teil einer politischen Gemeinde geworden ist, sondern eine selbständige. Körperschaft, wohl des öffentlichen Rechts, darstellt und als solche Eigentümerin des Märkerwaldes ist. Eine abschließende Entscheidung dieser Frage kann jedoch dahingestellt bleiben, nachdem der Märkerwald bei der letzten Feststellung des Einheitswertes der Bfin. als Eigentümerin zugerechnet worden ist. Daran sind die Finanzbehörden und auch der Bundesfinanzhof nach § 2 Abs. 2 SHG für die Erhebung der Soforthilfeabgabe gebunden, da sich die für diese Zurechnung maßgebenden Verhältnisse bis zum Währungsstichtag nicht verändert haben.
2. Somit bedarf es nur noch einer rechtlichen Nachprüfung des Vorbringens der Bfin., sie sei zwar keine Gebietskörperschaft im rechtstechnischen Sinn, jedoch einer solchen im Sinne des § 5 Ziffer 1 SHG gleichzuachten. Die Märkerschaft habe jedenfalls früher umfassende hoheitsrechtliche Kompetenzen, auch gegenüber den Nicht-Märkern des Kirchspiels, gehabt, deren derzeitige Nichtausübung bzw. Übergang auf andere Hoheitsträger ihre Eigenart nicht habe verändern können. Auch der Umstand, daß auf dem Gebiet der Märkerschaft niemand wohne, könne bei ihren vielgestaltigen Beziehungen zu den Bewohnern der vier Märkergemeinden nicht dazu führen, ihr die Gleichstellung mit einer Gebietskörperschaft abzusprechen.
Die Ausführungen der Bfin. können nicht dazu führen, sie als Gebietskörperschaft im Sinne des § 5 Ziffer 1 SHG anzuerkennen. Mit Recht hat das Finanzgericht unter Bezug auf das verwaltungsrechtliche Schrifttum darauf hingewiesen, daß das den Gebietskörperschaften Eigentümliche die Gebietshoheit sei, kraft deren jedermann, der sich auf dem Gebiete aufhalte, der Herrschaft der Körperschaft unterworfen sei. Eine Gebietskörperschaft müsse mithin eine allumfassende (alle öffentlichen Aufgaben) und allerfassende (alle Personen und Sachen innerhalb des Bezirks) Kompetenz haben. Das treffe aber auf die Bfin. jedenfalls in der Gegenwart nicht zu. Diese das Verwaltungsrecht beherrschende Auffassung (vgl. dazu auch Peters, Lehrbuch der Verwaltung, S. 293) hat in der Deutschen Gemeindeordnung (DGO) vom 30. Januar 1935 (Reichsgesetzblatt -- RGBl. -- I S. 49) sowie in dem Selbstverwaltungsgesetz für Rheinland-Pfalz, Teil A Gemeindeordnung -- GO -- (Gesetz- und Verordnungsblatt der Landesregierung Rheinland-Pfalz 1948 S. 335), die nach ihrem § 127 am 1. August 1948 unter gleichzeitiger Außerkraftsetzung der Deutschen Gemeindeordnung in Kraft getreten ist und sich in den hier in Frage kommenden Bestimmungen eng an die Deutsche Gemeindeordnung anlehnt, ihre gesetzliche Bestätigung gefunden. Nach § 1 Abs. 2 DGO sind die Gemeinden öffentliche Gebietskörperschaften, die nach § 2 Abs. 2 in ihrem Gebiet grundsätzlich alle öffentlichen Aufgaben zu verwalten haben. Alle anderen Verbände (Körperschaften) gemeindeähnlicher Art sind nach § 1 der Ersten Durchführungsverordnung (Altreich) zur Deutschen Gemeindeordnung aufgelöst; sie leben auch nach einem etwaigen Außerkrafttreten der Deutschen Gemeindeordnung nicht automatisch wieder auf (Peters a. a. O. S. 293). Im übrigen sind wesentliche Merkmale der Gemeinden als Gebietskörperschaften das Vorhandensein eines Gemeindegebietes (§ 12 DGO) und von Einwohnern und Bürgern (§ 17 DGO). Hiernach umschreibt der Kommentar Sur\'e9n-Loschelder zur Deutschen Gemeindeordnung (Erläuterung 3 zu § 1) den Begriff "Gebietskörperschaft" dahin, daß ein festumgrenzter Teil des Staatsgebiets (Gemarkung) mit allen seinen Einwohnern Gegenstand ihrer grundsätzlich unbeschränkten obrigkeitlichen Allzuständigkeit sein müsse. Diese Stellung als Gebietskörperschaft unterscheide die Gemeinden von sonstigen Körperschaften des öffentlichen Rechts (unter anderem Kirchengemeinden und Realgemeinden), bei denen das Gebiet zwar Tätigkeitsgebiet, aber nicht Objekt der Tätigkeit sei. In gleicher Weise grenzt die Gemeindeordnung Rheinland-Pfalz in § 1 Abs. 2, §§ 6 und 11 die Gemeinden als Gebietskörperschaften gegenüber anderen Körperschaften des öffentlichen Rechts ab. Nach alledem trägt der Senat keine Bedenken, der Auffassung des Finanzgerichts beizutreten, daß bei der Bfin. die Merkmale einer Gebietskörperschaft nicht gegeben sind und daher die Begünstigungsvorschrift des § 5 Ziffer 1 SHG auf die Bfin. keine Anwendung finden kann.
III.
Hiernach mußte die Rb. mit der Kostenfolge des § 307 der Reichsabgabenordnung als unbegründet zurückgewiesen werden. Der Wert des Streitgegenstandes war auf das doppelte der Jahresabgabe festzustellen. Darüber, ob die Bfin. etwa nach Abschnitt 5 Buchstabe f des Fünften Soforthilfeabgabe-Sammelerlasses (Bundessteuerblatt 1952 I S. 105) als Realgemeinde oder realgemeindeähnliches Rechtsgebilde Stundung der Soforthilfeabgabe in Anspruch nehmen kann, haben die Verwaltungsbehörden zu entscheiden.
Fundstellen
Haufe-Index 407406 |
BStBl III 1952, 154 |
BFHE 1953, 396 |