Leitsatz (amtlich)
1. Die Rüge der mangelnden Sachaufklärung ist nach § 295 ZPO i. V. m. § 155 FGO unzulässig, wenn sie darauf gestützt wird, das FG sei von falschen tatsächlichen Feststellungen ausgegangen, diese Feststellungen aber Gegenstand der mündlichen Verhandlung vor dem FG gewesen und dabei von der Partei, welche die Rüge erhebt, als richtig anerkannt worden sind.
2. Zugehörigkeit von größeren unbebauten Flächen zur wirtschaftlichen Einheit eines Zweifamilienhausgrundstücks.
Normenkette
FGO § 155; ZPO § 295; BewG 1965 § 2 Abs. 1, § 70
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist Eigentümerin mehrerer nebeneinander liegender Grundstücksflächen, von denen eine mit einem Zweifamilienhaus bebaut ist. Die Parzellen sind in ihrer jetzigen Gestaltung durch Neuvermessung und Neuparzellierung im Jahre 1961 entstanden. Damals war der Vater der Klägerin und eine Erbengemeinschaft, zu der auch die Klägerin gehörte, zu je 1/2 Eigentümer der Parzellen. Die Klägerin wurde nach dem Tode ihres Vaters Alleineigentümerin. Zwei der neugebildeten Parzellen wurden veräußert. Von den übrigen sechs Parzellen behandelte der Beklagte und Revisionskläger (FA) bei der Hauptfeststellung des Einheitswerts auf den 1. Januar 1964 durch Bescheid vom 1. August 1968 zwei nebeneinander liegende unbebaute Parzellen in einer Größe von rund 812 qm als eine wirtschaftliche Einheit, bewertete sie als unbebautes Grundstück und stellte den Einheitswert auf 16 200 DM fest. Die anderen unbebauten Parzellen in einer Größe von rd. 750 qm rechnete das FA zu der wirtschaftlichen Einheit des Zweifamilienhauses. Der Einspruch, mit dem die Klägerin begehrte, daß der Einheitswert von 16 200 DM für das unbebaute Grundstück aufgehoben würde, weil die beiden Parzellen ebenfalls zur wirtschaftlichen Einheit des Zweifamilienhauses gehörten, hatte keinen Erfolg. Dagegen hob das FG die Einspruchsentscheidung und den angefochtenen Einheitswertbescheid auf, weil die beiden Parzellen zur wirtschaftlichen Einheit des Zweifamilienhauses gehörten.
Das FA beantragt mit der Revision, die das FG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassen hat, unter Aufhebung des FG-Urteils die Klage abzuweisen. Mit der Revision werden Verfahrensmängel und eine Verletzung des § 96 Abs. 1 FGO geltend gemacht. Es werden ungenügende Sachaufklärung und darauf beruhende unzutreffende Beweiswürdigung gerügt. Die Revision wird im wesentlichen wie folgt begründet: das FG habe den Sachverhalt, insbesondere auch bei der örtlichen Besichtigung des Grundstücks am 29. März 1973, "gemessen an den von dem RFH in den Urteilen vom 10. April 1930, RStBl 1930 S. 298, und vom 26. März 1931, RStBl 1931 S. 802, und von dem BFH in dem Urteil vom 15. Oktober 1954, BFHE 60 S. 1, BStBl 1955 III S. 2, für entscheidungserheblich erachteten Tatsachen" ungenügend aufgeklärt und demzufolge teilweise unzutreffend gewürdigt. Darüber hinaus träfen einzelne "Wahrnehmungen" des Berichterstatters objektiv feststellbar nicht in vollem Umfang zu. Das Urteil werde von den Folgerungen aus diesen teilweise unzutreffenden Sachdarstellungen in dem Tatbestand und der unzureichenden Sachaufklärung getragen. Die Feststellung des FG, daß nach der Verkehrsanschauung in dem betreffenden Wohngebiet auch Teilflächen mit unmittelbarem Zugang zu einer ausgebauten Straße, die als Baugelände genutzt werden könnten, nicht als besondere wirtschaftliche Einheit bewertet würden, treffe nicht zu. Es handele sich um ein allgemeines Wohngebiet i. S. der Baunutzungsverordnung, in dem schon von der Struktur her anders als in reinen Wohngebieten Villen oder Wohnhäuser mit großen Park- - bzw. Gartenflächen - Ausnahmen seien. Zur Erhärtung dieser Feststellung werde eine Kopie der Flächenkarte des betreffenden Gebiets eingereicht. Das FG gehe bei der Ermittlung der Verkehrsanschauung auch insofern von falschen Voraussetzungen aus, als es auf andere Grundstücke hinweise, denn bei diesen Grundstücken gehörten die angrenzenden Flächen nicht denselben Eigentümern wie die bebauten Flächen. Auch den Feststellungen des FG, daß die wirtschaftliche Einheit des Zweifamilienhauses an Wert verlieren würde, wenn die hier strittigen Flächen veräußert würden, lägen nicht die anzuwendenden üblichen Wertmaßstäbe zugrunde. Der Kanal verlaufe auf der Grenze zwischen den hier strittigen beiden Parzellen und den zwei angrenzenden Parzellen, die zugleich auch die Grenze zwischen den beiden vom FA angenommenen wirtschaftlichen Einheiten bilden. Er mindere keinesfalls den Wert der beiden wirtschaftlichen Einheiten, eher den Wert einer von der Klägerin erstrebten gesamten wirtschaftlichen Einheit, weil er diese durchschneide. Es sei auch unklar, inwiefern der Bach an der rückseitigen Grenze die Bebaubarkeit beeinträchtige. Der vom FG als deutliches Zeichen einer wirtschaftlichen Einheit aller Parzellen gewertete Holzzaun erstrecke sich nicht über die bebaute Parzelle. Das Kriterium der Umzäunung deute also nicht auf eine, sondern auf zwei wirtschaftliche Einheiten. Es sei auch nicht richtig, daß auf sämtlichen Parzellen Rasen und Baumbestände vorhanden seien. Die bebaute Parzelle weise die übliche mit Sträuchern bestandene Rasenfläche auf, und zur Bachseite hin sei ein Garten angelegt. Bei den hier strittigen Parzellen handele es sich dagegen um ein deutlich abgegrenztes wenig gepflegtes Obstgrundstück. Auch dieses Kriterium spreche mehr gegen als für eine wirtschaftliche Einheit aller Parzellen.
Die Klägerin beantragt, die Revision des FA als unbegründet zurückzuweisen. Sie ist der Meinung, daß die gerügten Verfahrensmängel entweder nicht existent oder verspätet und irrelevant seien.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Die Rüge der mangelnden Sachaufklärung ist unzulässig, weil sie im wesentlichen damit begründet wird, es seien bei der örtlichen Besichtigung am 29. März 1973 falsche Feststellungen getroffen worden. Denn nach § 295 ZPO, der gemäß § 155 FGO auch im finanzgerichtlichen Verfahren anzuwenden ist (vgl. Beschluß des BFH vom 5. Oktober 1967 V B 29/67, BFHE 90, 452, BStBl II 1968, 179; und BFH-Urteil vom 18. April 1972 VIII R 40/66, BFHE 105, 325, BStBl II 1972, 572), kann die Verletzung einer das Verfahren betreffenden Vorschrift nicht mehr gerügt werden, wenn die Partei bei der nächsten mündlichen Verhandlung den Mangel nicht gerügt hat, obgleich sie erschienen war und ihr der Mangel bekannt war oder bekannt sein müßte. So liegt der Fall hier bei den Feststellungen, die nach dem Aktenvermerk vom 30. März 1973 bei der örtlichen Besichtigung des Grundstücks am 29. März 1973 vom Berichterstatter im Beisein der Klägerin und eines Beamten des FA getroffen wurden. Denn der Vertreter des FA hat in der mündlichen Verhandlung vor dem FG vom 22. August 1973 diese Feststellungen nicht gerügt, sondern sogar ausdrücklich erklärt, daß die in dem Aktenvermerk getroffenen Feststellungen nicht bestritten würden. Das Vorbringen des FA, daß der Garten nicht einheitlich gestaltet sei, die bebaute Parzelle nicht durch den Holzzaun von dem vorbeiführenden Weg abgegrenzt sei, der Kanal an der Grenze der hier strittigen beiden Parzellen zu den beiden danebenliegenden Parzellen verlaufe, in dem betreffenden Wohngebiet keine offene Bauweise vorherrsche und auch keine anderen Hausanwesen mit relativ großem Gartengelände vorhanden seien, ist deshalb unbeachtlich. Der Senat ist in diesen Punkten an die vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO).
2. Es liegt auch entgegen der Auffassung des FA keine Verletzung des § 96 Abs. 1 FGO vor. Das FG entscheidet nach dieser Vorschrift nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Eine Verletzung dieser Vorschrift liegt dann nicht vor, wenn das FG zu den aus den tatsächlichen Feststellungen gezogenen Schlußfolgerungen kommen konnte; es ist nicht erforderlich, daß das FG zu diesem Ergebnis kommen mußte. In diesem Sinne ist es nicht zu beanstanden, daß das FG aufgrund der Feststellungen bei der örtlichen Besichtigung des Grundstücks zu dem Ergebnis gelangt ist, daß die beiden strittigen Parzellen nicht eine selbständige wirtschaftliche Einheit sind, sondern zu der wirtschaftlichen Einheit des Zweifamilienhauses gehören. Das FG ist dabei zutreffend von den Merkmalen ausgegangen, die nach § 2 Abs. 1 BewG 1965 und nach der Rechtsprechung des Senats für die Abgrenzung der wirtschaftlichen Einheit des Grundvermögens (§ 70 BewG) zu beachten sind. Nach § 2 Abs. 1 Satz 3 BewG ist nach den Anschauungen des Verkehrs zu entscheiden, was als wirtschaftliche Einheit zu gelten hat. Dabei sind nach § 2 Abs. 1 Satz 4 BewG die örtliche Gewohnheit, die tatsächliche Übung, die Zweckbestimmung und die wirtschaftliche Zusammengehörigkeit der einzelnen Wirtschaftsgüter zu berücksichtigen. Es sind also neben objektiven Merkmalen auch subjektive Merkmale maßgebend. Das gilt insbesondere für die Zweckbestimmung, die in erster Linie vom Willen des Eigentümers abhängt. Nach der Rechtsprechung des Senats muß allerdings dieser Wille in der äußeren Gestaltung seinen Ausdruck gefunden haben. Außerdem darf der subjektive Wille des Eigentümers nicht zu der Verkehrsauffassung im Widerspruch stehen, weil dann die Verkehrsauffassung als objektives Merkmal ausschlaggebend ist (vgl. BFH-Uteil vom 2. Oktober 1970 III R 163/66, BFHE 100, 213, BStBl II 1970, 822, und die dort angegebenen Entscheidungen). Es ist nicht zu beanstanden, daß das FG aus den anläßlich der Ortsbesichtigung getroffenen Feststellungen die Schlußfolgerung gezogen hat, daß der Wille der Klägerin am 1. Januar 1964 dahin ging, die strittigen Parzellen zusammen mit den daneben liegenden, ihr ebenfalls gehörenden Parzellen als eine wirtschaftliche Einheit, nämlich als ein Hausanwesen mit Hofraum und Gartengelände zu benutzen, und daß diese Zweckbestimmung auch nach außen erkennbar ist. Das FG konnte zu diesem Schluß aufgrund der Feststellungen kommen, daß alle Parzellen, soweit sie nicht bebaut sind oder als Wege dienen, zu einem Hausgarten gehören und daß die Parzellen, die an dem zu einer ausgebauten Straße führenden Weg liegen, zu dem Weg durch einen einheitlich gestalteten Holzzaun abgegrenzt sind. Es ist ferner nicht zu beanstanden, daß das FG aus der Feststellung, die betreffende Gegend sei ein Wohngebiet mit offener Bauweise und dort auch andere Hausanwesen mit relativ großen Gärten vorhanden seien, von denen einige ebenfalls einen unmittelbaren Zugang zu einer öffentlichen Straße haben und deshalb auch als Baugelände benutzt werden könnten, den Schluß gezogen hat, daß wegen der Größe des gesamten Anwesens weder die Verkehrsauffassung noch eine örtliche Gewohnheit eine getrennte Behandlung der strittigen Parzellen erfordern. Der Senat tritt der auch im Schrifttum (vgl. Gürsching-Stenger, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, Kommentar, 1.-5. Aufl., Anm. 17 zu § 70 BewG; Rössler-Troll, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 9. Aufl., Anm. 6 zu § 70 BewG) vertretenen Auffassung des FG bei, daß in Wohngebieten i. S. der §§ 3 und 4 der Baunutzungsverordnung vom 26. Juni 1962 (BGBl I 1962, 429), also sowohl in reinen als auch in allgemeinen Wohngebieten, mit offener Bauweise i. S. des § 22 Abs. 2 der Baunutzungsverordnung die einzelnen Grundstücke regelmäßig eine Größe haben, die neben dem eigentlichen Platz für das Gebäude die Anlage eines größeren Gartens oder einer Gründfläche gestattet, wobei die Lage des Gebäudes unterschiedlich sein kann, und daß in diesen Fällen die Abtrennung von Teilflächen als besondere Einheit nach der Verkehrsauffassung im allgemeinen auch dann nicht möglich ist, wenn diese Flächen einen unmittelbaren Zugang zu einer ausgebauten Straße haben. Eine Abteilung solcher Flächen kann allerdings in Betracht kommen, wenn sich eine entsprechende örtliche Gewohnheit entwickelt hat oder wenn durch eine katastermäßige Parzellierung erkennbar geworden ist, daß eine weitere Bebauung oder eine Veräußerung dieser Teilflächen in Aussicht genommen ist (so auch Gürsching-Stenger, a. a. O.). Daß sich keine dahin gehende örtliche Gewohnheit gebildet hat, hat das FG mit Recht aus seiner Feststellung gefolgert, in der betreffenden Gegend seien noch andere Grundstücke mit größeren Hausgärten vorhanden. Es ist auch nicht zu beanstanden, daß das FG der Tatsache der Neuvermessung und Neuparzellierung des ganzen Geländes im Jahre 1961 und der anschließenden Veräußerung von zwei der neu parzellierten Flächen im Streitfall keine Bedeutung beigemessen hat. Die Klägerin hat glaubhaft dargetan, daß diese Mäßnahmen nur wegen der Notwendigkeit der Erbauseinandersetzung erforderlich waren, und daß sie selbst nicht die Absicht habe, auch noch die beiden streitigen Parzellen zu veräußern. Das FG konnte diesen Angaben Glauben schenken, weil sie durch objektive Umstände bestätigt werden, nämlich dadurch, daß die Klägerin nach den Feststellungen bei der örtlichen Besichtigung noch nach 1962 neue Obstbäume gepflanzt hat, und zum anderen durch die bei der örtlichen Besichtigung getroffene Feststellung, daß infolge des Zuschnitts das Anwesen ohne diese Flächen im Wert gemindert würde. Die Schlußfolgerung des FG wird schon durch diese Feststellungen getragen, so daß der Senat nicht dazu Stellung zu nehmen braucht, ob - wie das FG meint - auch das Vorhandensein des Kanals und der Verlauf des Baches an der rückwärtigen Grenze des Grundstücks zu dieser Wertminderung beitragen. Es ist schließlich dem FG auch dahin zuzustimmen, daß der Streitfall anders liegt als der Fall, der dem BFH-Urteil vom 11. Oktober 1963 III 32/61 (HFR 1964 S. 188) zugrunde lag. In dem damals entschiedenen Fall handelte es sich um die Zusammenfassung eines bebauten Grundstücks mit einer angrenzenden größeren Fläche, bei der es bereits feststand, daß sie in absehbarer Zeit bebaut werden würde, und die deshalb, obwohl sie am Stichtag noch landwirtschaftlich genutzt wurde, nach § 51 Abs. 2 BewG a. F., der dem § 69 Abs. 1 BewG entsprach, als Bauland dem Grundvermögen zuzurechnen war.
Fundstellen
Haufe-Index 71278 |
BStBl II 1975, 302 |
BFHE 1975, 470 |