Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifierung von Sammlungsstücken
Leitsatz (NV)
Von geschichtlichem oder völkerkundlichem Wert sind Sammlungsstücke, die einen charakteristischen Schritt in der Entwicklung der menschlichen Errungenschaften dokumentieren oder die einen Abschnitt dieser Entwicklung veranschaulichen.
Normenkette
GZT Tarifnr. 99.05; UStG 1980 § 12 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 Anl. Nr. 47
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) beantragte die Abfertigung zum freien Verkehr mehrerer alter Waffen, einer zweizinkigen Gabel, eines Messers sowie eines Petschafts. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt - HZA -) fertigte die Waren antragsgemäß und entsprechend der Anmeldung (,,Sammlungsstücke von völkerkundlichem Wert zur Tarifnr. 99.05 des Gemeinsamen Zolltarifs" - GZT -) unter Erhebung der Einfuhrumsatzsteuer nach dem ermäßigten Satz von 6,5 v. H. ab. Nach Einholung eines Gutachtens der Zolltechnischen Prüfungs- und Lehranstalt wies das HZA die eingeführten Waren als Antiquitäten der Tarifnr. 99.06 GZT zu und forderte mit Änderungsbescheid vom 17. März 1983 unter Zugrundelegung eines Satzes von 13 v. H. Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von 778 DM nach. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit folgender Begründung ab:
Es könne dahingestellt bleiben, ob Rechtsgrundlage für den Nachforderungsbescheid Art. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1697/79 (VO Nr. 1697/79) des Rates vom 24. Juli 1979 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften - ABlEG - L 197/1) oder § 172 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) sei (vgl. auch Urteil des FG Hamburg vom 21. September 1984 IV 23/83 N, Zeitschrift für Zölle + Verbrauchsteuern - ZfZ - 1985, 123), da nach beiden Vorschriften Steuer nacherhoben werden könne, wenn sie zu Unrecht nicht angefordert worden sei. Diese Voraussetzungen lägen vor. Die Zuweisung der Waren zur Tarifnr. 99.06 GZT (,,Antiquitäten, mehr als 100 Jahre alt") sei zu Recht erfolgt.
Die Zuweisung zur Tarifnr. 99.05 GZT (u. a. Sammlungsstücke von geschichtlichem oder völkerkundlichem Wert) scheide aus. Die vom Kläger eingeführten Waren seien zwar Sammlungsstücke. Sie müßten aber außerdem von geschichtlichem oder völkerkundlichem Wert sein. Das sei nur dann der Fall, wenn sie einen charakteristischen Schritt in der Entwicklung der menschlichen Errungenschaften dokumentierten oder einen Abschnitt dieser Entwicklung veranschaulichten (vgl. Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften - EuGH - 10. Oktober 1985 Rs. 200/84, EuGHE 1985, 3377, 3382). Diese Voraussetzungen erfüllten die eingeführten Waren nicht.
Das Eßbesteck stamme vom Ende des 18. bzw. Anfang des 19. Jahrhunderts. Bereits Mitte des 18. Jahrhunderts sei die zunächst zweizinkige Gabelform von der dreizinkigen bzw. der noch heute gebräuchlichen vierzinkigen Gabelform abgelöst und damit die geschichtliche Entwicklung des Eßbestecks abgeschlossen worden. Der zweizinkigen Gabel und dem Messer könnte daher für die Epoche, der sie zuzurechnen seien, keine exemplarische Bedeutung zuerkannt werden. Das gleiche gelte auch für das Petschaft, da Waren dieser Art seit Jahrhunderten bekannt seien und verwendet würden.
Auch die eingeführten Waffen gehörten nicht zur Tarifnr. 99.05 GZT. Sammlungsstücke aus dem Gebiet der Waffenkunde, die sich primär mit der geschichtlichen Entwicklung des Waffenwesens in technischer Hinsicht befaßten, müßten über ihren waffenkundlichen Wert hinaus von bedeutsamen historischen Interesse sein und somit die geschichtliche Entwicklung der Völker durch wesentliche Veränderung auf dem Gebiet der Waffentechnik veranschaulichen. Daß die vom Kläger eingeführten Waffen eine Weiterentwicklung darstellten (z. B. die Entwicklung von Radschloß- oder Steinschloßwaffen) und daß dieser Weiterentwicklung insbesondere über den augenblicklichen Stand hinaus allgemeine völkerkundliche und / oder geschichtliche Bedeutung zukomme, sei nicht erkennbar.
Seine Revision begründet der Kläger wie folgt:
Die Waren hätten geschichtlichen und völkerkundlichen Wert. Der Radschloßkarabiner sei eine besondere Entwicklung Teschener Gewehre, nämlich ein sog. Petronal. Seine Besonderheit liege darin, daß es sich bei dieser Waffe um eine solche mit außenliegendem Radschloß handle. Hinzu komme, daß diese Waffe ein sehr seltenes Stück der speziellen ,,Teschener Verbeinungstechnik" sei. Diese Jagdwaffe zeige in Kombination mit der seinerzeit aufgekommenen Radschloßtechnik ein besonderes handwerkliches Exemplar für eine hochwertige seltene Jagdwaffe aus jener Zeit.
Das türkische Miqueletschloßgewehr zeige den Kulminationspunkt türkischer Waffentechnik zur Zeit des zweiten Erscheinens der Türken vor Wien. Es handle sich um ein Stück aus der sog. Türkenbeute. Es sei insbesondere deswegen geschichtlich von besonderem Interesse, weil es entgegen dem seinerzeitigen Brauch und entgegen den dadurch auf uns überkommenen Waffen unverändert geblieben sei und daher eines der ganz wenigen Vergleichsstücke sei, an denen die seinerzeitig morgenländische und abendländische Waffentechnik verglichen werden könne. Hinzu komme, daß die Waffe von besonderem technikhistorischem Wert sei, da sie aus einem Spezialstahl gefertigt worden sei, wie er seinerzeit nur damaszener Büchsenmachern zur Verfügung gestanden habe und der in seiner Schmiedbarkeit und Funktionsgeeignetheit allen seinerzeitigen abendländischen Materialien überlegen gewesen sei.
Die Pistole zeige in einer singulären, völkerkundlich prägnanten seltenen Form, wie weit sich Funktion und Dekoration im Zeitgeist ihres Ursprungs entsprechend bereits auseinanderbewegt hätten.
Zu Unrecht habe das FG bei Messer und Gabel das Schwergewicht auf die äußere Form (Anzahl der Zinken) gelegt. Bei diesen Gegenständen handle es sich um seltene und frühe Beispiele besonderer Emailkunst. Hier sei Email auf Silber gebracht worden, eine seinerzeit erstmalig angewandte Technik, die als sog. ,,translucides Email" ein seltenes, die Handwerkskunst dieser Zeit hervorragend dokumentierendes Beispiel sei.
Das Petschaft habe einen Topas von vorzüglicher Reinheit. Es dürfte vermutlich dem Habsburgischen Kaiserhaus zuzuordnen sein. Es handle sich hierbei ebenfalls um ein singuläres Stück.
Der Kläger beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die eingeführten Gegenstände der Tarifnr. 99.05 GZT zuzuordnen.
Das HZA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Es führt aus: Das Revisionsvorbringen lasse keine neuen Gesichtspunkte erkennen. Alle vorgebrachten Einwendungen seien bereits im wesentlichen in den Schriftsätzen an das FG enthalten gewesen. Die Einwendungen seien unbewiesene Behauptungen bzw. Vermutungen. Lediglich dem türkischen Miqueletschloßgewehr könnte der geschichtliche Wert i. S. der Tarifnr. 99.05 GZT unter der Voraussetzung zuerkannt werden, daß die vom Kläger gemachten Angaben (Spezialstahl, wie er erstmals für solche Gewehre durch damaszener Büchsenmacher verwendet worden sei, einziges im Originalzustand erhaltenes Türkengewehr) durch ein Sachverständigengutachten bestätigt würden.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das FG hat ohne Rechtsfehler entschieden, daß die vom Kläger eingeführten Waren dem vollen Einfuhrumsatzsteuersatz unterliegen.
Die ermäßigte Steuer gilt u. a. für die Einfuhr von Sammlungsstücken der Tarifnr. 99.05 GZT (§ 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Anlage Nr. 47 des Umsatzsteuergesetzes - UStG 1980 -), darunter Sammlungsstücke von geschichtlichem oder völkerkundlichem Wert im Sinne der zolltariflichen Vorschriften (Urteil des Senats vom 29. Oktober 1986 VII R 110/82, BFHE 148, 90). Die Begriffe ,,Sammlungsstück" und ,,geschichtlicher / völkerkundlicher Wert" bestimmen sich nach den durch die Rechtsprechung des EuGH entwickelten Grundsätzen (Urteile in EuGHE 1985, 3377, 3382, und vom 10. Oktober 1985 Rz. 252/84, EuGHE 1985, 3388, 3392). Nach dieser Rechtsprechung sind von geschichtlichem oder völkerkundlichem Wert Sammlungsstücke, die einen charakteristischen Schritt in der Entwicklung der menschlichen Errungenschaften dokumentieren oder die einen Abschnitt dieser Entwicklung veranschaulichen. Diese Voraussetzungen hat das FG für nicht gegeben erachtet. Seine Entscheidung begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
Ob ein Sammlungsstück geschichtlichen oder völkerkundlichen Wert hat, muß sich aus Merkmalen und Umständen ergeben, die einen charakteristischen Entwicklungsschritt belegen oder einen Entwicklungsabschnitt verdeutlichen. Das setzt voraus, daß - bezogen auf das jeweilige Sammlungsstück - dargelegt wird, welche charakteristischen Entwicklungen insoweit überhaupt in Betracht kommen (Urteile des Senats vom 6. Dezember 1988 VII R 43/86, BFH / NV 1989, 475, und vom 23. Mai 1989 VII R 101/86, BFH / NV 1990, 67). Das FG ist davon ohne Rechtsirrtum ausgegangen und hat für den Senat bindend (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) festgestellt, daß für die eingeführten Waren nicht erkennbar sei, daß ihnen geschichtlicher oder völkerkundlicher Wert zukomme.
Die Einwendungen des Klägers gegen die Vorentscheidung hinsichtlich Besteck und Petschaft enthalten keine ausreichenden Darlegungen zu einschlägigen charakteristischen Entwicklungen. Das gilt auch für den Hinweis auf die angeblich seinerzeit - also zur Zeit der Herstellung des eingeführten Bestecks - erstmalig angewandte Emailtechnik. Es kann dahinstehen, ob diese Ausführungen neues tatsächliches Vorbringen sind, mit denen der Kläger in der Revisionsinstanz nicht mehr gehört werden kann. Denn jedenfalls reichen die Darlegungen zur Emailtechnik nicht aus, um daraus entnehmen zu können, daß diese neue Technik einen charakteristischen Schritt in der Entwicklung der menschlichen Errungenschaften dokumentiert oder einen Abschnitt dieser Entwicklung veranschaulicht. Sie können also der Revision nicht zum Erfolg verhelfen. Das gilt entsprechend für die Revisionsausführungen des Klägers zur eingeführten Pistole.
Was den Radschloßkarabiner und dessen angebliche neue Radschloßtechnik anbelangt, hat sich die Vorinstanz bereits mit diesem Argument befaßt. Ihre Feststellungen, es sei nicht erkennbar, daß diese Technik die Ware zu einem Sammlungsstück von geschichtlichem oder völkerkundlichem Wert macht, ist für den Senat bindend; denn allein die entgegengesetzte Darstellung des Klägers in der Revisionsbegründung ist in bezug auf diese Feststellung keine zulässige und begründete Revisionsrüge (§ 118 Abs. 2, § 120 Abs. 2 FGO).
Der Senat braucht nicht auf die Frage einzugehen, ob dem Miqueletschloßgewehr historischer oder völkerkundlicher Wert zuerkannt werden müßte, wenn die Behauptung des Klägers in der Revisionsbegründung zuträfe, die Waffe sei mit einem nur damaszener Büchsenmachern zugänglichen Spezialstahl gefertigt worden. Denn dieses Vorbringen ist neu. Weder aus der Vorentscheidung noch aus dem vom FG in bezug genommenen Gutachten des Waffenexperten X vom 26. Juli 1983 ergibt sich, daß der Kläger dies bereits in der Vorinstanz vorgetragen hat. Er kann also damit im Revisionsverfahren nicht mehr gehört werden.
Der Senat hält die richtige Anwendung des GZT - insbesondere im Hinblick auf die zitierten Urteile des EuGH - für offenkundig. Er ist daher nicht nach Art. 177 Abs. 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) zur Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH verpflichtet (vgl. EuGH-Urteil vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81, EuGHE 1982, 3415).
Fundstellen
Haufe-Index 417063 |
BFH/NV 1990, 744 |