Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerbegünstigung für Sammlungsstücke von geschichtlichem Wert
Leitsatz (NV)
1. Zu den Voraussetzungen für die Anerkennung als steuerbegünstigtes ,,Sammlungsstück von geschichtlichem / völkerkundlichem Wert" (hier: Rokokospieltisch/18. Jh.).
2. Revisionssichere Tatsachenwürdigung hinsichtlich des geschichtlichen / völkerkundlichen Wertes (1).
Normenkette
UStG 1983 § 12 Abs. 2 Nr. 1 S. 1; Anlage Nr. 47; GZT Tarifnr. 99.05; FGO § 118 Abs. 2
Tatbestand
Der Kläger ließ einen von ihm in Dänemark bei einer Kunstauktion erworbenen Rokokospieltisch, Mitte des 18. Jahrhunderts im deutsch-dänischen Raum entstanden, zum freien Verkehr abfertigen. Das Hauptzollamt wies den Tisch der Tarifnr. 99.06 des Gemeinsamen Zolltarifs (GZT) - Antiquitäten, mehr als 100 Jahre alt - zu und setzte die volle Einfuhrumsatzsteuer fest. Die nach - insoweit - erfolglosem Einspruch erhobene Klage, mit der der Kläger die Anwendung des ermäßigten Einfuhrumsatzsteuersatzes für ,,Sammlungsstücke" (Tarifnr. 99.05) begehrte, wurde vom Finanzgericht (FG) abgewiesen. Antiquitäten - so das FG - seien nur dann Sammlungsstücke, wenn sie geschichtlichen oder völkerkundlichen Wert hätten. Dafür reiche es nicht aus, daß vergleichbare Gegenstände in Sammlungen zu finden seien. Vielmehr bedürfe es über die typische Stilelemente der jeweiligen Epoche hinaus konkreter Anhaltspunkte, daß gerade der eingeführte Gegenstand in besonderem Maße geeignet sei, den Lebensstil, das Lebensgefühl und die Sitten und Gebräuche der Menschen in der Zeit zu dokumentieren, aus der er stamme und die er verkörpere. Das wäre z. B. der Fall bei einem Werkstück, das besser als andere Möbelstücke gleichen Alters Lebensgefühl und Gebräuche der Menschen in einer bestimmten Kunstsprache widerspiegele, einem Gegenstand mit besonderen, für Möbelstücke des deutsch-dänischen Raumes charakteristischen Merkmalen. Solche Merkmale ließen sich jedoch weder aus der Katalogbeschreibung (mit Literaturhinweis) noch aus der Rechnung des Auktionshauses entnehmen. Auch der vom Kläger gezahlte Preis lasse darauf schließen, daß es sich nicht um ein besonders wertvolles Einzelstück von epochaler Bedeutung handle.
Mit der Revision rügt der Kläger, das FG habe die Bewertung des Begriffs ,,Sammlungsstück" verkannt. Der Tisch sei ein Zeugnis der dänischen Tischlerkunst des 18. Jahrhunderts, in der Fachliteratur erwähnt. Nahezu identische Objekte seien in Museen ausgestellt; aus dieser Vergleichbarkeit ergebe sich auch der geschichtliche und völkerkundliche Wert. Nicht zu rechtfertigen sei die Auffassung, die Anerkennung als steuerbegünstigtes Sammlungsstück erfordere ein Werkstück von größerer Aussagekraft als gleichaltrige andere Möbelstücke. Der eingeführte Tisch weise zwei Besonderheiten auf: die seltene Bauweise und die Konstruktion als Verwandlungsmöbel.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Die Vorinstanz hat ohne Rechtsfehler entschieden, daß der vom Kläger eingeführte Tisch dem vollen Einfuhrumsatzsteuersatz unterliegt.
Die ermäßigte Steuer gilt u. a. für die Einfuhr von Sammlungsstücken der Tarifnr. 99.05 GZT (Umsatzsteuergesetz 1983 § 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1, Anlage Nr. 47), darunter Sammlungsstücke von geschichtlichem oder völkerkundlichem Wert im Sinne der zolltariflichen Vorschriften (Senat, Urteil vom 29. Oktober 1986 VII R 110/82, BFHE 148, 90). Die Begriffe ,,Sammlungsstück" und ,,geschichtlicher / völkerkundlicher Wert" bestimmen sich nach den durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) entwickelten Grundsätzen (Urteile vom 10. Oktober 1985 Rs. 200/84 und Rs. 252/84, EuGHE 1985, 3377, 3382 f. und S. 3388, 3392 f.). Wie der Vorentscheidung zu entnehmen ist, ist das FG davon ausgegangen, daß die Voraussetzungen für die Anerkennung als ,,Sammlungsstück" vorliegen. Soweit die Revision Rechtsfehler bei der Auslegung und Anwendung dieses Begriffes beanstandet, geht der Revisionsangriff ins Leere.
Von geschichtlichem oder völkerkundlichem Wert sind nach der Rechtsprechung des EuGH Sammlungsstücke, die einen charakteristischen Schritt in der Entwicklung der menschlichen Errungenschaften dokumentieren oder die einen Abschnitt dieser Entwicklung veranschaulichen. Diese Voraussetzungen hat das FG nicht für gegeben erachtet. Seine Entscheidung begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
Der Senat hält es zwar nicht für ausgeschlossen, daß einem Gegenstand der hier zu beurteilenden Art im Einzelfall ein geschichtlicher oder völkerkundlicher Wert - als Sammlungsstück - beigemessen werden kann; eine Antiquität im zolltariflichen Sinne läge dann nicht vor (vgl. Vorschrift 4 b zu Kapitel 99 GZT). Die Museumseignung oder Vergleichbarkeit mit Museumsstücken läßt jedoch nicht notwendig auf einen solchen Wert schließen (Senat, Urteil vom 6. Dezember 1988VII R 43/86, BFH / NV 1989, 475 f. - Bornholmer Uhr/18. Jahrhundert -). Das gleiche gilt im Hinblick auf das Alter des betreffenden Stücks. Nicht jedes alte Möbelstück verkörpert einen geschichtlichen oder völkerkundlichen Wert in dem hier maßgebenden Sinne (Senat, Urteil vom 23. Mai 1989 VII R 101/86, BFH/NV 1990, 67 - Danziger Schapp /17. Jahrhundert -). Dieser Wert muß sich vielmehr aus - anderen - Merkmalen und Umständen ergeben, die einen charakteristischen Entwicklungsschritt belegen oder einen Entwicklungsabschnitt verdeutlichen. Das setzt voraus, daß - bezogen auf das jeweilige Sammlungsstück - dargelegt wird, welche charakteristischen Entwicklungen insoweit überhaupt in Betracht kommen (Senat, a.a.O.; FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 6. Februar 1986 3 K 263/83, Entscheidungen der Finanzgerichte 1986, 424, Zeitschrift für Zölle + Verbrauchsteuern 1986, 219).
Nach den Feststellungen der Vorinstanz, die das Revisionsgericht binden (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -), hat sich der Kläger allein auf die Katalogbeschreibung und die Vergleichbarkeit mit Museumsstücken, ggf. noch auf die Höhe des für den Tisch gezahlten Preises berufen. Eine Bezeichnung des Rahmens, innerhalb dessen der Tisch sich als Beleg für einen charakteristischen Entwicklungsabschnitt darstellen könnte, wird darin nicht zu sehen sein. Selbst wenn aber auf Grund der allgemeinen Ansprache des Gegenstandes (Rokokospieltisch; 18. Jahrhundert; deutsch-dänischer Raum) von einer entsprechenden Darlegung ausgegangen wird, mußte das FG nicht zu dem Ergebnis kommen, daß der Tisch ein Sammlungsstück von geschichtlichem Wert sei. Die Vergleichbarkeit mit Museumsexponaten zwingt - wie ausgeführt - nicht zu dem vom Kläger gezogenen Schluß, zumal in Museen auch Belegstücke ausgestellt werden. Der vom Kläger gezahlte Preis spricht wenn nicht gegen, so jedenfalls nicht für einen geschichtlichen oder völkerkundlichen Wert. Die Katalogangabe enthält nach den Feststellungen der Vorinstanz außer einer Beschreibung des Tisches nur den Hinweis auf eine - unbestimmte - Literaturangabe, ohne einen näheren Bezug zu dem ersteigerten Tisch. Wenn das FG aus dieser Beschreibung Merkmale für die Anerkennung eines geschichtlichen oder völkerkundlichen Werts nicht zu entnehmen vermochte, so liegt darin kein Rechtsfehler. Eine Tatsachenwürdigung, wie sie das FG vorgenommen hat, ist möglich und damit für die Revisionsinstanz in gleicher Weise bindend wie die eigentliche Tatsachenfeststellung (vgl. Gräber / Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl. 1987, § 118 Anm. 23, 29, 40). Der rechtliche Maßstab, den das FG angewandt hat - Erfordernis besonderer Eignung zur Darstellung einstiger Sitten und Gebräuche bei Sammlungsstücken von geschichtlichem / völkerkundlichem Wert - beruht auf einem zutreffenden Normverständnis; er entspricht der Rechtsprechung des EuGH. Daß es sich um ,,jeweils nur ein Stück, nämlich das beste" handeln dürfe, hat das FG im Gegensatz zur Auffassung der Revision nicht entschieden.
Ohne Erfolg beruft die Revision sich auf die Besonderheiten (Material und Konstruktion), die der Tisch aufweist. Es kann offenbleiben, ob darin neues tatsächliches Vorbringen liegt, das in der Revisionsinstanz nicht berücksichtigt werden kann. Ist es nur als Hinweis auf die festgestellte Beschaffenheit des Tisches zuverstehen, so haben auch diese tatsächlichen Besonderheiten eine Würdigung erfahren, die revisionsrechtlich unangreifbar ist.
Die Einholung einer Vorabentscheidung durch den EuGH ist nicht veranlaßt. Nachdem der EuGH den Begriff ,,Sammlungsstücke von geschichtlichem / völkerkundlichem Wert" geklärt hat, stellen sich keine Fragen zur Auslegung des hier maßgebenden Gemeinschaftsrechts (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81, EuGHE 1982, 3415, 3431). Der Entscheidung liegt der vom EuGH entwickelte Auslegungsmaßstab zugrunde.
Die in BFH / NV 1990, 244 veröffentlichte Entscheidung vom 23. 5. 1989 VII R 67/88 wurde durch Beschluß des BVerfG vom 5. 4. 1990 1 BvR 941/89 aufgehoben.
Fundstellen
Haufe-Index 416709 |
BFH/NV 1990, 407 |