Entscheidungsstichwort (Thema)
"Danziger Schapp" als Sammlungsstück von geschichtlichem Wert im zolltariflichen Sinne
Leitsatz (NV)
1. Zu den Voraussetzungen für die Anerkennung als (zollfreies) Sammlungsstück von geschichtlichem oder völkerkundlichem Wert (,,Danziger Schapp" - 17. Jahrh.).
2. Bindung des Revisionsgerichts an die durch Rechtsfehler nicht beeinflußte Tatsachenwürdigung der Vorinstanz.
Normenkette
GZT Tarifnr. 99.05; FGO § 118 Abs. 2
Tatbestand
Der Kläger ließ am 3. Januar 1983 einen von ihm in Stockholm für 20 000,- DM ersteigerten Barockschrank - ,,Danziger Schapp" (um 1680)- bei dem Hauptzollamt - HZA - zum freien Verkehr abfertigen. Das HZA erhob zunächst Einfuhrumsatzsteuer nach dem halben Steuersatz - für ,,Sammlungsstücke" -, forderte jedoch nach einer Überprüfung den Unterschied zum vollen Steuersatz nach (Änderungsbescheid vom 18. Februar 1983). Die nach erfolglos gebliebenem Einspruch erhobene Klage führte zur Anerkennung des ermäßigten Steuersatzes. Das Finanzgericht (FG) urteilte, der Kläger habe den für die Steuerermäßigung erforderlichen Nachweis erbracht. Der Schrank sei ein Sammlungsstück von geschichtlichem oder völkerkundlichem Wert i. S. der Tarifnr. 99.05 des Gemeinsamen Zolltarifs (GZT). Er eigne sich zur Aufnahme in eine nach wissenschaftlichen Grundsätzen aufgebaute öffentliche Sammlung, wie auch durch die vom Kläger vorgelegte Bescheinigung des Direktors des Kunstgewerbemuseums der Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz vom 21. Februar 1983 bestätigt und durch das Fachschrifttum belegt werde. Die für die Anerkennung als Sammlungsstück durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) aufgestellten Voraussetzungen seien erfüllt. Das gelte auch für den erforderlichen geschichtlichen oder völkerkundlichen Wert. Ein Möbelstück sei grundsätzlich geeignet, die Entwicklung der Menschheit zu dokumentieren. Nach dem Fachschrifttum sei eine der größten Umwälzungen im Möbelstil in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts die allmähliche Aufgabe der Fassadenschränke gewesen, wofür u. a. die hanseatischen Kleiderschränke (,,Schapp") genannt würden, die als Möbel des gehobenen Bürgertums an die Stelle der Brauttruhen getreten seien. Unter den hanseatischen Dielenschränken weise ein ,,Danziger Schapp" einen besonders geformten Giebel als eigentümliches Merkmal auf. Der Schrank stelle einen Beleg für die Entwicklung der deutschen Möbelkunst dar - vom Renaissance-Möbel mit niedrigen Türen zum hochtürigen, wuchtigen Barock-Giebelschrank, von der Brauttruhe zum Kleiderschrank -. Als Ausdruck einer besonderen bürgerlichen Kultur des 17. und 18. Jahrhunderts habe er geschichtlichen Wert.Mit seiner Revision gegen dieses Urteil wendet das HZA sich gegen die Annahme des FG, daß der Schrank ,,geschichtlichen oder völkerkundlichen Wert" aufweise. Es reiche nicht aus, wenn er einen Beleg für die Entwicklung der Menschheit darstelle. Das FG habe nicht hinreichend dargelegt, durch welche konkreten Merkmale und Umstände ein bestimmter Abschnitt der Entwicklung der menschlichen Errungenschaften - hier: der Technik des Möbelbaus - gekennzeichnet werde und aus welchem Grunde hanseatische Kleiderschränke, insbesondere ein ,,Danziger Schapp", einen bestimmten Entwicklungsabschnitt veranschaulichten. Der Schrank hätte genauer zugeordnet werden müssen. Es wäre auch festzustellen gewesen, welchem Tischler der Schrank zuzuordnen sei oder welcher Persönlichkeit er einmal gehört habe. Im übrigen hätte ein Sachverständigengutachten eingeholt werden müssen, soweit dem FG die eigene Sachkunde gefehlt habe.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Das FG hat rechtsfehlerfrei entschieden, daß der vom Kläger eingeführte Schrank ein Sammlungsstück von geschichtlichem Wert i. S. der Tarifnr. 99.05 GZT ist, dessen Einfuhr dem ermäßigten Steuersatz unterliegt (§ 12 Abs. 2 Nr. 1, Anlage Nr. 47 des Umsatzsteuergesetzes 1980).
Daß unter Berücksichtigung der vom EuGH (Urteile vom 10. Oktober 1985 Rs. 200/84 und Rs. 252/84, EuGHE 1985, 3377, 3382 f. und 3388, 3392 f.) entwickelten Beurteilungsgrundsätze ein ,,Sammlungsstück" vorliegt, wird auch von der Revision nicht in Zweifel gezogen. Das HZA rügt lediglich, daß das FG rechtsfehlerhaft den (geschichtlichen) Wert des Sammlungsstücks anerkannt habe. Diese Rüge greift nicht durch.
Von geschichtlichem oder völkerkundlichem Wert i. S. der Tarifnr. 99.05 GZT sind Sammlungsstücke, die einen charakteristischen Schritt in der Entwicklung der menschlichen Errungenschaften dokumentieren oder einen Abschnitt dieser Entwicklung veranschaulichen (EuGH, a. a. O., S. 3383, 3394). Das FG hat nach den von ihm getroffenen Feststellungen das Vorliegen auch dieser Voraussetzung bejaht. Das ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Die vom FG vorgenommene Bewertung setzt allerdings voraus, daß dargelegt wird, welche Errungenschaften sich zu einem Abschnitt der Entwicklung zusammenfassen lassen oder zu einem solchen Abschnitt gehören (FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 6. Februar 1986 3 K 263/83, Entscheidungen der Finanzgerichte 1986, 424, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern 1986, 219 - rechtskräftig -; Senat, Urteil vom 6. Dezember 1988 VII R 43/86; BFH/NV 1989, 475: Bornholmer Uhr des 18. Jahrhunderts). Eine solche Darlegung ist der Vorentscheidung indessen zu entnehmen (Stil- und Funktionswandel bei Großmöbeln, verkörpert in hanseatischen ,,Schapps" im ausgehenden 17. Jahrhundert). Innerhalb des so bestimmten Rahmens konnte der vom Kläger eingeführte Schrank als Sammlungsstück beurteilt werden, das (kunst- oder kultur-)geschichtlichen Wert aufweist (zum Begriff Senat, Urteil vom 29. November 1988 VII R 29/86, BFHE 155, 219), und zwar entweder im Sinne eines Beleges für einen charakteristischen Schritt in der Entwicklung der menschlichen Errungenschaften - so das FG - oder im Sinne eines Anschauungsstücks für einen Abschnitt dieser Entwicklung. Zuzugeben ist der Revision, daß keineswegs jedes (alte) Möbelstück - z. B. Barockschrank - diesen Anforderungen genügt. Es mag auch zutreffen, daß noch nicht einmal jedes ,,(Danziger) Schapp" ohne weiteres als Sammlungsstück von geschichtlichem Wert im zolltariflichen Sinne in Betracht kommt. Bezogen auf den vom Kläger eingeführten Schrank war jedoch die Folgerung möglich, daß ein geschichtlicher Wert gegeben sei. Das FG hat sich nicht nur - allgemein für Meisterstücke dieses Möbeltyps - auf das Fachschrifttum gestützt, sondern auch die vom Kläger beigebrachte Sachverständigenäußerung berücksichtigt, in der gerade für dieses Stück, das sich ,,als besonders qualitätvolle Arbeit innerhalb seiner Gattung" darstelle, eine ,,exemplarische Bedeutung für die Möbelkunst des ausgehenden 17. Jahrhunderts" bestätigt wird. Auch die Verwaltung geht - zutreffend - davon aus, daß auf kunsthistorischem Gebiet Gegenstände als ,,Sammlungsstücke" tarifiert werden können, wenn sie für die Epoche, der sie zuzuordnen sind, anerkannt exemplarische Bedeutung haben (vgl. für den Zoll Erläuterungen zum Zolltarif zu Kapitel 99 Teil IV Rz. 3 Abs. 2 Satz 3).
Es ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, wenn das FG unter Berücksichtigung der hier vorliegenden Besonderheiten einen geschichtlichen Wert anerkannt hat. Dazu bedurfte es auch nicht einer Feststellung über den Hersteller des Schranks oder seine Besitzer. Derartige Zuordnungen mögen zwar die Beurteilung erleichtern, ob ein geschichtlicher Wert gegeben ist (Senat in VII R 43/86: Uhr von Otto Arboe), notwendig sind sie jedoch nicht. Gegenstände, die üblicherweise selbst kein entsprechendes Identifizierungsmerkmal aufweisen, können bei Fehlen anderer Zuordnungsmöglichkeiten nicht von vornherein von der Bewertung als ,,Sammlungsstücke" ausgeschlossen werden. Ein Sachverständigengutachtem brauchte das FG nicht von Amts wegen einzuholen. Es ist weder vorgetragen worden noch ersichtlich, daß das Erfordernis der Begutachtung sich dem Gericht, nach dem Kenntnisstand, den es nach der Vorentscheidung besaß, aufdrängen mußte.
Fehl geht schließlich die Rüge der Revision, die Vorentscheidung lasse die hohen Anforderungen unberücksichtigt, die der Senat für die Zuweisung zu Tarifnr. 99.05 GZT aufgestellt habe. Das HZA beruft sich insoweit auf einen Vorbescheid, der als nicht ergangen gilt, nachdem Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt worden war (§ 121, § 90 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). In dem darauf ergangenen Urteil (vom 29. Oktober 1986 VII R 110/82, BFHE 148, 90, 94) hat der Senat, mit dem Vorbescheid nur im Ergebnis übereinstimmend, entschieden, daß auf Grund der ihn gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen der Vorinstanz keine rechtlichen Bedenken gegen die Verneinung des geschichtlichen Werts eines bestimmten Veteranenfahrzeugs beständen. Die Bindung des Revisionsgerichts an die durch Verfahrensrügen nicht angegriffenen Tatsachenfeststellungen und die durch Rechtsfehler nicht beeinflußte Tatsachenwürdigung der Vorinstanz wirkt sich auch im Streitfalle aus, hier dahin, daß revisionsrechtlich unangreifbar von einem geschichtlichen Wert des eingeführten Schranks auszugehen ist.
Eine Vorlage an den EuGH ist nicht veranlaßt. Die Auslegung des Zolltarifs im Lichte der maßgebenden Rechtsprechung des EuGH ist zweifelsfrei; sie erfordert keine Vorabentscheidung (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81, EuGHE 1982, 3415, 3430 f.). Die Anwendung der Tarifierungskriterien im Streitfall ist unter Berücksichtigung der hier vorliegenden tatsächlichen Besonderheiten erfolgt.
Fundstellen
Haufe-Index 416451 |
BFH/NV 1990, 67 |