Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Wertminderungen von Waren rechtfertigen eine Teilwertabschreibung, wenn die voraussichtlich erzielbaren Verkaufserlöse die Selbstkosten zuzüglich des durchschnittlichen Unternehmergewinns nicht erreichen. Nur insoweit hält der Senat an den Grundsätzen seines Urteils IV 236/63 S vom 13. März 1964 (BStBl 1964 III S. 426, Slg. Bd. 79 S. 529) nicht fest.
Normenkette
EStG §§ 5, 6 Abs. 1 Nr. 2 S. 2
Tatbestand
Der Revisionskläger (Steuerpflichtige - Stpfl. -) betrieb den Einzelhandel mit Schuhwaren, Textilien und Damen- und Herrenfertigkleidung. Er war im Handelsregister eingetragen und ermittelte seinen Gewinn nach § 5 EStG nach einem vom Kalenderjahr abweichenden Wirtschaftsjahr vom 1. Februar bis 31. Januar. Bei der Warenbestandsaufnahme teilte er die Waren in Gruppen ein, und zwar die Textilien nach Lagerungsalter und die Schuhwaren nach Wertbeständigkeit und Vollständigkeit des Sortiments. Zur Ermittlung der Teilwerte (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG) nahm er von den Einkaufspreisen nach Erfahrungssätzen berechnete prozentuale Abschläge vor. Diese Abschläge sind bei den den Einkommensteuer-Veranlagungen 1952 bis 1955 zugrunde liegenden Gewinnermittlungen streitig.
Eine beim Stpfl. für die Jahre 1952 bis 1956 durchgeführte Betriebsprüfung stellte bei Nachprüfung der Inventur vom 31. Januar 1957 fest, daß der Stpfl. von seinem Warenlager mit einem Einkaufswert von 318 627 DM einen Teilwertabschlag von 79 182 DM (24 v. H. der Anschaffungskosten) vorgenommen hatte. Durch Vergleich dieser Zahlen mit nachgewiesenen Erlösausfällen infolge Preisherabsetzungen im Wirtschaftsjahr 1957/58 in Höhe von 20 128 DM, die bei dem durchschnittlichen kalkulatorischen Rohgewinn der Firma von 28,3 v. H. einem Einkaufswert von 14 432 DM entsprachen, kam der Betriebsprüfer zu dem Ergebnis, daß die Teilwertabschreibung an diesem Bilanzstichtag um 64 750 DM zu hoch sei. Um alle Einwendungen des Stpfl. und alle Risiken zu berücksichtigen, verdoppelte er den nach seiner Ansicht zulässigen Teilwertabschlag von 14 432 DM auf 29 182 DM und erhöhte den Wert des Warenbestandes am 31. Januar 1957 um 50 000 DM. Da die Rohaufschläge in den einzelnen Wirtschaftsjahren schwankten und mit Ausnahme des Wirtschaftsjahres 1954/55 unter dem gewogenen Mittel (31 v. H.) der Richtsätze für den Textil- und Schuhwareneinzelhandel lagen, erhöhte der Prüfer auch den Wert der Warenbestände in den Bilanzen vom 31. Januar 1953 ab um pauschal 30 000 bis 40 000 DM. Dadurch erhöhten sich die Rohaufschläge für die Wirtschaftsjahre 1952/53 von 24,6 v. H. auf 28,4 v. H., 1955/56 von 26,8 v. H. auf 28,0 v. H. und 1956/57 von 28,8 v. H. auf 30 v. H. Für die Wirtschaftsjahre 1953/54 und 1954/55 blieben sie mit 28,8 v. H. und 35,8 v. H. unverändert. Von diesen Werten ging der Revisionsbeklagte (Finanzamt - FA -) bei den Gewinnermittlungen aus.
Die Sprungberufung des Stpfl. hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) schloß sich der Auffassung des FA an. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus, gegen die Durchschnittsbewertung des Stpfl. im Schätzungswege sei nichts einzuwenden, wenn das Ergebnis der Wirklichkeit möglichst nahekomme. Das sei jedoch nicht der Fall, was der auffallend große Unterschied zwischen den buchmäßigen und den kalkulierten Rohaufschlägen und der damit in Zusammenhang stehenden hohen Teilwertabschläge zeige. Der Unsicherheit bei der Schätzung der Abschläge und allen den Wert des Warenlagers beeinflussenden Umständen habe das FA dadurch Rechnung getragen, daß es den Wert des Warenbestandes am 31. Januar 1957 nicht um den gesamten Unterschiedsbetrag von 64 750 DM, sondern nur um 50 000 DM erhöht habe. Wenn dem Stpfl. bei der Bewertung der Waren an den einzelnen Bilanzstichtagen auch die später tatsächlich erzielten Verkaufserlöse nicht bekannt gewesen seien, so rechtfertige doch dieser Umstand nicht, die jährlich gemachte Erfahrung, daß die tatsächlichen Verkaufserlöse vielfach erheblich über den Inventurwerten gelegen hätten, bei den Teilwertabschreibungen außer Betracht zu lassen.
In der Revision vertritt der Stpfl. die Ansicht, seine Warenbewertung entspreche dem Niederstwertprinzip und die von ihm angewandten Erfahrungssätze ergäben sich aus den betrieblichen Verhältnissen. Er wendet sich besonders gegen die für die Bewertung von Waren im Urteil des Senats IV 236/63 S vom 13. März 1964 (BStBl 1964 III S. 426, Slg. Bd. 79 S. 529) aufgestellten Grundsätze und gegen die geforderte Glaubhaftmachung der tatsächlich erzielten Verkaufspreise.
Der Bundesminister der Finanzen (BdF), der dem Verfahren nach § 287 Ziff. 2 AO (jetzt § 122 Abs. 2 FGO) beitrat, führte aus, die Teilwertermittlung sei eine Einzelbewertung, obwohl die Legaldefinition des Teilwerts (§ 6 Abs. 1 Ziff. 1 Satz 3 EStG) von einem fiktiven Gesamtkaufpreis für das Unternehmen am Bilanzstichtag ausgehe. Bei der Teilwertermittlung dürfe der Gesamtwert des Unternehmens einschließlich des Geschäftswerts nicht durch Werterhöhung auf die einzelnen Wirtschaftsgüter aufgeteilt werden. Der Teilwert eines Wirtschaftsguts könne nur geschätzt werden (§ 217 AO). Dabei bildeten der Wiederbeschaffungswert die obere und der Einzelveräußerungspreis die untere Grenze. Es sei davon auszugehen, daß an einen Erwerber veräußert werde, der auf derselben Marktstufe stehe. Bei Waren decke sich der Wiederbeschaffungswert grundsätzlich mit dem Einzelveräußerungswert, weil die betriebliche Funktion der Waren in der Regel nicht als wertverändernder Faktor ins Gewicht falle. Eine Teilwertabschreibung sei zulässig bei Sinken der Einkaufspreise, bei Sinken der Verkaufspreise und bei Minderwert der Ware. Insbesondere im letzten Fall sei entgegen dem Urteil des Senats IV 236/63 S (a. a. O.) ein Wertansatz unter den Anschaffungskosten gerechtfertigt, wenn die am Bilanzstichtag erzielbaren Verkaufspreise die Selbstkosten (Anschaffungskosten zuzüglich der Verwaltungs- und Vertriebskosten) und den betriebsüblichen, nachhaltig erzielbaren durchschnittlichen Reingewinnsatz nicht deckten. Die Versagung einer Teilwertabschreibung bei beschädigten oder unmodernen Waren könne nicht damit begründet werden, der Erwerber des ganzen Betriebes werde es bei Bemessung des Kaufpreises für die Waren, wenn im übrigen das Warenlager brancheüblich sortiert sei, im Hinblick auf die Gewinnchancen aus anderen Warenpartien in Kauf nehmen, beschädigte oder unmoderne Waren mit einem geringeren Reingewinn oder ohne Reingewinn zu veräußern. Der auch für die Bewertung des Warenbestandes geltende Grundsatz der Einzelbewertung jedes Wirtschaftsgutes verbiete es, den Minderwert einzelner Waren mit dem Mehrwert anderer Waren auszugleichen.
Entscheidungsgründe
Die Rb. des Stpfl., die als Revision zu behandeln ist (§ 184 Abs. 2 Nr. 1 in Verbindung mit § 115 FGO), ist im Ergebnis nicht begründet.
Waren sind mit den Anschaffungs- oder Herstellungskosten zu bewerten; ist der Teilwert niedriger, ist nach dem für Kaufleute geltenden Niederstwertprinzip dieser anzusetzen (§§ 5, 6 Abs. 1 EStG). Das FG ließ die Teilwertabschreibungen von den Warenbeständen mit Recht nur in der auch vom FA anerkannten Höhe zu, weil die vom Stpfl. vorgenommenen Teilwertabschreibungen zu einem mit den tatsächlichen Verhältnissen seines Betriebs nicht zu vereinbarenden Ergebnis führten. An diese tatsächlichen Feststellungen des FG ist der Senat gebunden, weil der Stpfl. gegen sie keine zulässigen und begründeten Revisionsgründe vorbrachte (§ 118 Abs. 2 FGO).
Zwar ging das FG dem FA folgend bei der Bemessung der Teilwertabschläge von der früheren Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs - RFH - (Urteil VI A 128-129/35 vom 6. Mai 1936, RStBl 1936 S. 849) und des Bundesfinanzhofs - BFH - (Urteil I 137/59 U vom 29. November 1960, BStBl 1961 III S. 154, Slg. Bd. 72 S. 416) aus, nach der Waren bereits dann mit dem niedrigeren Teilwert angesetzt werden durften, wenn bei ihrem Verkauf voraussichtlich die Anschaffungskosten zuzüglich der Verwaltungs- und Vertriebskosten (kalkulatorischer Unkostenaufschlag) sowie des betriebsüblichen Rohgewinnsatzes nicht zu erreichen seien. Diese Grundsätze gab der Senat mit seinem Urteil IV 236/63 S auf und ließ eine Teilwertabschreibung auf Waren erst dann zu, wenn die voraussichtlichen Verkaufspreise unter den Anschaffungskosten zuzüglich des kalkulatorischen Unkostenaufschlages blieben. Hierbei ging der Senat von der Erwägung aus, daß sich der gedachte Erwerber des Betriebes, dessen Bewertung der einzelnen Wirtschaftsgüter für die Ermittlung des Teilwertes maßgeblich ist (§ 6 Abs. 1 Ziff. 1 EStG), wenn es sich um ein gut geführtes und rentables Unternehmen mit einem brancheüblich sortierten Warenlager handele, bei einigen Warenpartien mit einem sehr geringen Reingewinn und wenigen Partien auch mit einem Verzicht auf einen Reingewinn einverstanden erklären werde, wenn er zusammen mit dem Erwerb des rentablen Betriebes Waren übernehmen könne, deren Veräußerung mit besonders hohen Rohgewinnaufschlägen einen überdurchschnittlichen Reingewinn zu erzielen erlaube. Der Senat schränkt diese Grundsätze zur Ermittlung des Teilwerts nunmehr ein und schließt sich der Auffassung des BdF an.
Welche Erwägungen der gedachte Erwerber des Betriebes anstellen und auf welchen Kaufpreis für die einzelnen Warenpartien sich die Beteiligten schließlich unter angemessener Berücksichtigung der Einwendungen des Veräußerers und der überlegungen des Erwerbers einigen würden, läßt sich schon deshalb nicht mit Sicherheit bestimmen, weil nicht davon ausgegangen werden kann, daß bei einer Mehrzahl von gedachten Kaufinteressenten alle Käufer des Betriebes bei der Bestimmung des Kaufpreises für jedes einzelne Wirtschaftsgut im Rahmen des Erwerbs des ganzen Betriebes dieselben Erwägungen anstellen würden und sich der Betriebsveräußerer mit jedem der Kaufinteressenten auf denselben Kaufpreis einigen würde. Um nun in jedem Fall sicherzustellen, daß die den Firmenwert des Unternehmens betreffenden Erwägungen des Erwerbers bei der Ermittlung des Teilwerts der einzelnen Warenpartien nach den Grundsätzen der Einzelbewertung ausgeschlossen werden, erscheint es dem Senat in übereinstimmung mit der Auffassung des Stpfl. und des BdF vertretbar, bei der Schätzung des Teilwerts in der Regel davon auszugehen, daß der Betriebserwerber auch die durch Lagerung, Unmodernwerden und aus anderen Gründen im Wert geminderten Warenpartien nur zu einem Preis übernehmen würde, der ihm noch einen Unternehmergewinn zu erzielen gestattet.
Es spricht viel dafür, daß der Erwerber dem Einwand des Veräußerers Rechnung tragen muß, daß die im Wert geminderten Waren in der betriebswirtschaftlichen Kalkulation den Waren gleichzustellen sind, die bei der Veräußerung den niedrigsten, im Betrieb vorkommenden Unternehmergewinn erbringen. Das gilt um so mehr, als auch der Erwerber ebenso wie der Veräußerer mit dem Verkauf dieser Warenpartien im Rahmen von Sonderverkäufen oder Ausverkäufen besondere Werbewirkungen zu erzielen bestrebt sein wird. Um aber andererseits bei der Schätzung des Teilwerts auch den Erwägungen des Stpfl. Rechnung zu tragen, der der Auffassung ist, daß der Erwerber den übernahmepreis für die im Wert geminderten Waren so bestimmen wird, daß ihm der bei diesen Waren normalerweise erzielte Unternehmergewinn verbleibt, erscheint es vertretbar, der vermittelnden Auffassung des BdF zu folgen und von dem im Betrieb üblichen durchschnittlichen Unternehmergewinn auszugehen. Dabei spielt die Erwägung eine Rolle, daß die Feststellung der bei den minderwertigen Waren ohne Berücksichtigung der Wertminderung üblichen Aufschläge die Schätzung weiter komplizieren würde, und daß vor allem diese einzelnen Waren auch in dem im Wert nicht geminderten Zustand, also bei normaler Kalkulation, unterschiedliche Unternehmergewinne erbringen.
Wenn man von diesen Grundsätzen ausgeht, ließ das FG mit Recht keinen höheren als den vom FA anerkannten Teilwertabschlag von den Warenbeständen zu, weil der Stpfl. die Berechtigung einer höheren Teilwertabschreibung nicht nachwies. Nach dem Urteil IV 236/63 S, an dem der Senat insoweit festhält, muß der Kaufmann, der sein Warenlager nicht mit den Anschaffungskosten bewerten will, grundsätzlich die Voraussetzungen für eine Bewertung mit dem niedrigeren Teilwert dartun. Dazu muß er in der Regel den Umfang der minderwertigen Ware und die dafür tatsächlich erzielten Verkaufspreise in der Weise und in einer so großen Anzahl von Fällen nachweisen, daß sich daraus ein repräsentativer Querschnitt für die zu bewertende Warenart ergibt und allgemeine Schlußfolgerungen gezogen werden können. Es trifft zu, daß im allgemeinen vom Kaufmann mit einem unzumutbaren Arbeitsaufwand verbundene Aufzeichnungen und Ermittlungen nicht verlangt werden können. Trotzdem kann der Kaufmann nicht Waren mit einem gegenüber den Anschaffungskosten niedrigeren Teilwert bewerten wollen und die mit einem Nachweis der Voraussetzungen verbundene Mehrarbeit ablehnen. Die heutigen betriebswirtschaftlichen Erkenntnisse und technischen Hilfsmittel bieten in der Regel ausreichende Möglichkeiten, die vom Senat und von der Finanzverwaltung verlangten Unterlagen für eine Teilwertabschreibung zu schaffen.
Dem Stpfl. war es nicht möglich, irgendwelche Nachweise für die von ihm verlangten Teilwertabschreibungen vorzulegen. Bei dieser Sachlage bestehen keine Bedenken gegen die vom FG gebilligte Erhöhung des Wertes des Warenbestandes durch das FA in den Bilanzen der Streitjahre.
Fundstellen
Haufe-Index 412104 |
BStBl III 1966, 370 |
BFHE 1966, 28 |
BFHE 86, 28 |
BB 1966, 766 |
DB 1966, 1039 |
DStR 1966, 438 |
StRK, EStG:6/1/2 R 198 |
FR 1967, 17 |
BFH-N, Nr. 6 zu |
NWB/BBK, F. 17 S.723 |