Entscheidungsstichwort (Thema)
Hinreichende Bestimmung des Klagebegehrens bei Anfechtungsklage
Leitsatz (NV)
Bei einer Anfechtungsklage gegen einen Schätzungsbescheid ist der Gegenstand des Klagebegehrens hinreichend bezeichnet, wenn mit dem Klageantrag die Herabsetzung der Einkünfte auf einen bestimmten, genau bezeichneten Betrag geltend gemacht wird. In diesem Fall sind die Steuerakten beizuziehen, auf die auch zur Auslegung des Gegenstands des Klagebegehrens zurückzugreifen ist (Anschluß an Senatsurteil vom 27. Juni 1996 IV R 61/95, BFH/NV 1997, 232).
Normenkette
FGO §§ 65, 79b
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Ehegatten, die für das Streitjahr 1992 mit Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, nichtselbständiger Arbeit und Kapitalvermögen zur Einkommensteuer zusammenveranlagt wurden. Da sie ihre Einkommensteuererklärung nicht abgaben, schätzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) die Besteuerungsgrundlagen und setzte die Einkommensteuer auf 13 066 DM fest.
Dagegen richtete sich nach erfolglosem Einspruchsverfahren die Klage zum Finanzgericht (FG). Nachdem die Kläger vergeblich zur Vorlage einer Klagebegründung aufgefordert worden waren, setzte das FG den Klägern mit Verfügung vom 26. Oktober 1995 eine Frist von einem Monat zur Bezeichnung des Gegenstands des Klagebegehrens nach §65 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO), die der Prozeßbevollmächtigten der Kläger am 27. Oktober 1995 mit Postzustellungsurkunde zugestellt wurde. Mit einem am 27. November 1995 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz trugen die Kläger vor, die Einkommensteuererklärung für das Streitjahr sei unmittelbar beim FA eingereicht worden, das daraufhin am 17. Oktober 1995 die Aus setzung der Vollziehung verfügt habe; die Einkommensteuer 1992 sei aufgrund der Steuererklärung von 9 146 DM auf 0 DM herabzusetzen. Am 6. November 1995 teilte das FA dem FG mit, daß die Steuererklärung am 6. Oktober 1995 beim FA eingegangen sei, eine Änderung der Steuerfestsetzung aber erst nach Erörterung erfolgen könne.
Das FG erließ zunächst einen mit Postzustellungsurkunde am 17. Februar 1996 zugestellten Gerichtsbescheid; dagegen haben die Kläger mündliche Verhandlung beantragt und vorgetragen, die angeforderte Steuer erklärung liege dem FA bereits vor, eine Abschrift habe nicht nochmals eingereicht werden können und im übrigen habe man darauf vertraut, das FA werde die Erklärung, wie erbeten, fristgerecht an das FG weiterleiten.
Das FG wies die Klage als unzulässig mit der Begründung ab, die Kläger hätten den Gegenstand des Klagebegehrens nicht innerhalb der ihnen gesetzten Ausschlußfrist bezeichnet. Die Steuererklärung hätte innerhalb der Frist beim FG eingereicht werden müssen. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand scheide aus, weil die möglichen Tatsachen zur Begründung des Wiedereinsetzungsbegehrens erst nach Ablauf der Zweiwochenfrist des §56 Abs. 2 Satz 1 FGO vorgebracht worden seien.
Die Kläger rügen mit ihrer vom FG zugelassenen Revision die Verletzung materiellen Rechts.
Die Kläger beantragen sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzu weisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Kläger ist begründet; das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
1. Das FG hat die Klage zu Unrecht durch Prozeßurteil als unzulässig abgewiesen, weil die Kläger den Gegenstand des Klagebegehrens innerhalb der Ausschlußfrist nicht hinreichend bezeichnet haben (§65 Abs. 1 Satz 1 FGO).
a) Wie der erkennende Senat im Anschluß an die Rechtsprechung des I. Senats des Bundesfinanzhofs -- BFH -- (Urteile vom 17. Oktober 1990 I R 118/88, BFHE 162, 534, BStBl II 1991, 242, und vom 17. April 1996 I R 91/95, BFH/NV 1996, 900) entschieden hat, ist bei einer Anfechtungsklage der Gegenstand des Klagebegehrens i. S. des §65 Abs. 1 Satz 1 FGO bezeichnet, wenn die anderweitig anzusetzende Besteuerungsgrundlage dem Betrag nach bestimmt wird (Senatsurteil vom 23. Januar 1997 IV R 84/95, BFHE 182, 273, BStBl II 1997, 462).
b) Dies gilt insbesondere auch für Anfechtungsklagen gegen Schätzungsbescheide. Zwar reicht nach der Rechtsprechung des BFH im Falle einer wegen fehlender Steuererklärung gemäß §162 der Abgabenordnung (AO 1977) vorgenommenen Schätzung die bloße Ankündigung einer noch einzureichenden Steuererklärung zur Bezeichnung des Klagebegehrens nicht aus (BFH-Beschluß vom 24. März 1995 VIII B 155/94, BFH/NV 1995, 908; vgl. auch BFH-Urteil in BFHE 153, 290, BStBl II 1988, 895). Ebenso unzureichend ist die allgemein gehaltene Behauptung, die Besteuerungsgrundlagen seien zu hoch geschätzt (BFH-Urteil vom 12. September 1995 IX R 78/94, BFHE 178, 549, BStBl II 1996, 16). Wird aber die Herabsetzung der Steuer auf einen bestimmten Betrag, und seien dies auch 0 DM, beantragt, so ist das Klagebegehren hinreichen bezeichnet; die betragsmäßige Festlegung ist dann Indiz für die ausreichende Bezeichnung des Gegenstands des Klagebegehrens (Senat in IV R 84/95). Die Klage ist zulässig, auch wenn die Kläger keine weitere Klagebegründung i. S. des §65 Abs. 1 Satz 2 FGO einreichen.
2. Im Streitfall haben die Kläger einen bezifferten Klageantrag vor Ablauf der nach §65 Abs. 2 Satz 2 FGO gesetzten Frist gestellt. Unter Hinweis auf die dem FA vorgelegte Einkommensteuererklärung haben sie eine Herabsetzung der Einkommensteuer auf 0 DM beantragt und damit zugleich das auf Änderung des angefochtenen Schätzungsbescheids gerichtete Klagebegehren zum Ausdruck gebracht (vgl. auch Tipke/Kruse, Abgabenordnung -- Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., §65 FGO Tz. 4). Entgegen der beiläufig geäußerten Auffassung des FG hält es der Senat nicht für schädlich, daß die Kläger fälschlich die Herabsetzung der Einkommensteuer von dem Betrag beantragt haben, der sich aufgrund der angefochtenen Steuerfestsetzung als Steuernachforderung ergeben hatte. Dieser Irrtum ist offenkundig.
Daß die Kläger keine weitergehende Klagebegründung eingereicht haben, ändert nichts an der Verpflichtung des Gerichts, eine Sachentscheidung zu treffen, mag in einem solchen Fall auch die Amtsermittlungspflicht des FG stark reduziert sein (vgl. BFH-Urteil vom 15. Februar 1989 X R 16/86, BFHE 156, 38, BStBl II 1989, 462). Jedenfalls sind dann die Steuerakten bei zuziehen, auf die auch zur Auslegung des Gegenstands des Klagebegehrens zurückzugreifen ist (Senatsurteil vom 27. Juni 1996 IV R 61/95, BFH/NV 1997, 232). Das Gericht kann aber auch nach §79 b FGO verfahren, um eine minimale Klagebegründung zu erhalten (vgl. Senatsurteil in IV R 84/95, unter 1. c zum Verhältnis des §65 Abs. 1 und 2 zu §79 b Abs. 1 und 2 FGO). Unter den besonderen Umständen des Streitfalls hätte sich ein Vorgehen nach §79 b Abs. 1 und 2 FGO auch durchaus angeboten, weil sich nach Beiziehung der Steuerakten gezeigt hätte, daß die Einkommensteuererklärung zwar bereits vorlag und das FA deshalb die Aussetzung der Vollziehung angeordnet hatte, diese Erklärung aber ergänzungsbedürftig war.
3. Die Vorentscheidung beruht auf einer anderen Rechtsauffassung und ist daher aufzuheben. Der Senat kann jedoch nicht durch erkennen, weil er auf die Prüfung des geltend gemachten Verfahrensfehlers beschränkt ist (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., §119 Rz. 3, m. w. N.).
Fundstellen
Haufe-Index 66869 |
BFH/NV 1998, 37 |