Entscheidungsstichwort (Thema)
Doppelte Haushaltsführung eines nicht verheirateten Arbeitnehmers
Leitsatz (NV)
Ein im Haushalt der Eltern wohnender nicht verheirateter Arbeitnehmer kann dort einen eigenen Hausstand i. S. v. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG unterhalten, wenn die besonderen Umstände des Falles die Annahme rechtfertigen, daß er als die Hausstandsführung wesentlich mit- oder sogar allein bestimmender Teil in den Hausstand eingegliedert ist (Abgrenzung zum BFH-Urteil vom 5. Oktober 1994 VI R 62/90, BFHE 175, 430).
Normenkette
EStG § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 5
Tatbestand
Der im Jahre 1953 geborene Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist ledig und wohnt seit seiner Geburt in X in einem gemeinsamen Haushalt mit seinen schwerbehinderten Eltern. Ab dem 1. Januar des Streitjahres 1986 arbeitete er in Y und mietete dort ein Zimmer ohne Kochgelegenheit, Bad und Toilette. Wegen einer Krankheit des Klägers endete das nach einer Probezeit von einem halben Jahr unbefristete Arbeitsverhältnis zum 30. September 1988.
Der Kläger begehrte für die Streitjahre 1986 und 1987 die Anerkennung der Mehraufwendungen wegen doppelter Haushaltsführung.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) berücksichtigte -- im Einspruchsverfahren -- nur Mehraufwendungen wegen doppelter Haushaltsführung für die ersten zwei Wochen und für die Folgezeit die geltend gemachten Familienheimfahrten als Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte.
Die Klage des Klägers hatte teilweise Erfolg. Das Finanzgericht (FG) vertrat die Auffassung, daß zwar die Voraussetzungen einer doppelten Haushaltsführung i. S. von § 9 Abs. 1 Nr. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht erfüllt seien. Es fehle am hauswirtschaftlichen Leben in der auswärtigen Wohnung während der Abwesenheit des Klägers; denn dieser habe dort keine finanziell von ihm abhängigen Angehörigen unterhalten. Aus diesem Grunde könne offen bleiben, ob es sich bei dem Haushalt in X um den des Klägers gehandelt habe oder ob der Kläger noch in den Hausstand der Eltern eingegliedert gewesen sei. Allerdings seien nach den Grundsätzen der quasi-doppelten Haushaltsführung die wegen der halbjährigen Probezeit entstandenen Mehraufwendungen zu berücksichtigen.
Der Kläger rügt mit seiner Revision die Verletzung von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG und Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG).
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Entgegen der Auffassung des FG scheitert die Anerkennung einer doppelten Haushaltsführung gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG nicht daran, daß in der -- offensichtlich den Lebensmittelpunkt des Klägers bildenden -- Wohnung in X während der Woche kein dem Kläger zurechenbares hauswirtschaftliches Leben geherrscht hat.
Abweichend von seiner bisherigen gefestigten Rechtsprechung hat der Senat mit Urteil vom 5. Oktober 1994 VI R 62/90, BFHE 175, 430 entschieden, daß das Unterhalten eines eigenen Hausstandes i. S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG am Mittelpunkt der Lebensinteressen nicht voraussetzt, daß dort auch während der Abwesenheit des Steuerpflichtigen hauswirtschaft liches Leben durch die Anwesenheit von Familienangehörigen herrschen muß.
Die Vorentscheidung ist in Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtsprechung des Senats für den Zeitraum nach Ablauf der Probezeit von anderen Grundsätzen ausgegangen; sie ist deshalb aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat -- von seinem Standpunkt zu Recht -- die Frage offen gelassen, ob der Kläger in X in einem eigenen oder im Haushalt der Eltern lebte. Es wird die hierzu notwendigen Feststellungen nunmehr nachholen müssen. Nicht verheiratete Arbeitnehmer, die nach Beendigung der Schulausbildung weiterhin -- wenn auch gegen Kostenbeteiligung -- ihr Zimmer im elterlichen Haushalt an den Wochenenden bewohnen, unterhalten dadurch zwar regelmäßig keinen eigenen Hausstand i. S. von § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG (vgl. Urteil vom 5. Oktober 1994 VI R 62/90, unter 6.). Im Streitfall bestehen jedoch Besonderheiten, die möglicherweise eine andere Beurteilung rechtfertigen. Der Kläger war in den Streitjahren 33 bzw. 34 Jahre alt und lebte in X, wo er offensichtlich seine gesamte Freizeit verbrachte, in einem gemeinsamen Haushalt mit seinen schwerbehinderten Eltern. Der Kläger hat sich ferner -- nach dem vom FG wiedergegebenen Vorbringen im Klageverfahren -- an diesem Haushalt finanziell dadurch beteiligt, daß er Strom, Heizöl und das Telefon bezahlt hat. Es ist denkbar, daß der Haushalt der Eltern -- in dem der Kläger seit seiner Geburt gelebt hat -- im Laufe der Jahre auch oder sogar nur ein Haushalt des Klägers geworden ist. Das FG wird deshalb die Frage prüfen müssen, ob der Kläger in den Streitjahren unter Berücksichtigung aller Umstände des hier vorliegenden Sachverhalts in den Hausstand in X als die Hausstandsführung wesentlich mit- oder sogar allein bestimmender Teil eingegliedert war. Ist dies zu bejahen, hat er dort einen eigenen Hausstand i. S. von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG unterhalten. Das FG wird dann noch die bisher unterbliebenen Feststellungen zur Höhe der notwendigen Mehraufwendungen anläßlich der doppelten Haushaltsführung zu treffen haben.
Fundstellen
Haufe-Index 420293 |
BFH/NV 1995, 501 |
BFH/NV 1995, 502 |