Leitsatz (amtlich)
Wird durch Vertrag die teilweise Aufhebung eines Erbbaurechts vereinbart, so unterliegt der Rechtsvorgang der Grunderwerbsteuer (Bestätigung des BFH-Urteils vom 31. März 1976 II R 93/75, BFHE 118, 480, BStBl II 1976, 470).
Normenkette
GrEStG § 1 Abs. 1 Nrn. 2-3, § 2 Abs. 2 Nr. 1; ErbbauVO §§ 1, 11, 14
Tatbestand
I.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) bestellte im Jahre 1965 ein Erbbaurecht bis zum Jahre 2045 an einem Grundstück, das später in drei selbständige Flurstücke zerlegt wurde. Durch Vertrag vom 12. Juni 1973 wurde vereinbart: "Die Vertragsparteien heben mit Wirkung vom 1. Oktober 1970 an den Erbbauvertrag hinsichtlich der Flurstücke 29/32 und 29/34 hiermit auf. Der Erbbauberechtigte verzichtet insoweit auf das Erbbaurecht an diesen Flurstücken. Der Grundstückseigentümer nimmt diesen Verzicht an." Der Erbbauzins wurde herabgesetzt. Die vereinbarte teilweise Löschung des Erbbaurechts wurde im Grundbuch vollzogen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) erblickte in der Teilaufhebung des Erbbaurechts einen nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) steuerpflichtigen Vorgang. Er setzte Grunderwerbsteuer fest. Als Gegenleistung sah er die Erbbauzinsermäßigung an, die er kapitalisierte. In der Einspruchsentscheidung setzte das FA die Grunderwerbsteuer herab, indem es die Steuer vom "anteiligen" Einheitswert des erloschenen Erbbaurechts berechnete; im übrigen wies es den Einspruch zurück.
Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung der Klageabweisung aus, die rechtsgeschäftliche Aufhebung des Erbbaurechts für die beiden Flurstücke unterliege "in entsprechender Anwendung" des § 1 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 2 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG als Erwerbsvorgang beim Kläger der Grunderwerbsteuer.
Zur Begründung seiner Revision führt der Kläger im wesentlichen aus, in § 1 GrEStG seien lediglich Übertragungstatbestände geregelt, während die Aufhebung des Erbbaurechts zu dessen Untergang führe und somit keine Rechtsübertragung darstelle. Aus demselben Grunde sei auch - entsprechend der jahrzehntelangen früheren Praxis - die Bestellung eines Erbbaurechts nicht steuerpflichtig. Davon sei ersichtlich auch der Niedersächsische Landesgesetzgeber ausgegangen, da er in § 2 des Niedersächsischen Gesetzes über die Befreiung des sozialen Wohnungsbaus von der Grunderwerbsteuer i. d. F. vom 17. Februar 1966 - GrESWG - (BStBl II 1966, 81) bestimmt habe, daß dem Erwerb eines Grundstücks die Übertragung eines Erbbaurechts gleichstehe. - Der Bundesfinanzhof (BFH) habe mit seiner Rechtsprechung zur Besteuerung der Bestellung und Aufhebung von Erbbaurechten einen im Gesetz nicht vorgesehenen Steuertatbestand neu geschaffen. Das verstoße gegen das Verfassungsprinzip des Rechtsstaates.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist nicht begründet. Die teilweise Aufhebung des Erbbaurechts bzw. der vertragliche Verzicht auf dasselbe unterlag der Grunderwerbsteuer.
1) Nach § 1 Abs. 1 GrEStG unterliegen die in der Vorschrift genannten, auf die Übertragung des Eigentums an einem inländischen Grundstück gerichteten oder diese Übertragung herbeiführenden Rechtsvorgänge der Grunderwerbsteuer. Den Grundstücken stehen Erbbaurechte gleich (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG). Demzufolge unterliegt der Grunderwerbsteuer nicht nur der Vertrag, der gegen einen Erbbauberechtigten den Anspruch auf Übertragung seines Erbbaurechts begründet, sondern auch ein Vertrag, der gegen den Eigentümer eines inländischen Grundstücks den Anspruch auf Bestellung eines Erbbaurechts an diesem begründet. In den Urteilen vom 28. November 1967 II R 37/66 (BFHE 91, 191, BStBl II 1968, 223) und vom 9. August 1978 II R 164/73 (BFHE 126, 71, BStBl II 1978, 678) hat der Senat begründet, warum diese Auslegung des § 1 Abs. 1 und des § 2 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG Rechtens ist. Die abweichende frühere Praxis konnte wegen ihres inneren Widerspruchs nicht aufrechterhalten bleiben (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -; BFH-Urteil vom 31. März 1976 II R 93/75, BFHE 118, 480, BStBl II 1976, 470).
Wie im Urteil BFHE 126, 71, BStBl II 1978, 678, dargelegt, erfordert § 2 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG ein sinngemäß entsprechendes Verständnis des Wortlauts des § 1 Abs. 1 GrEStG für Erbbaurechte. Die sinngemäß entsprechende Anwendung des § 1 Abs. 1 GrEStG ist aber nicht nur bei der Begründung von Erbbaurechten, sondern auch geboten, wenn Erbbaurechte vertraglich aufgehoben werden bzw. wenn auf sie vertraglich verzichtet wird. Von den in § 1 Abs. 1 GrEStG aufgeführten Rechtsvorgängen, an deren Verwirklichung das Gesetz die Entstehung der Steuer knüpft, entspricht, wie im Urteil BFHE 118, 480, BStBl II 1976, 470, dargetan ist, derjenige der Nr. 2 sinngemäß einer vertragsmäßigen Aufhebung des Erbbaurechts. Sofern jedoch unklar bleibt, ob eine vertragsmäßige Aufhebung vereinbart worden ist, kann auf eine entsprechende Anwendung des § 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEStG zurückgegriffen werden, sobald das Erbbaurecht im Erbbaugrundbuch gelöscht ist.
Diese Erstreckung der entsprechenden Anwendung des § 1 Abs. 1 GrEStG auf die Fälle der Aufhebung oder des vertraglich vereinbarten Verzichts von Erbbaurechten ist deshalb geboten, weil der Grundstückseigentümer dadurch - wie bei der Übertragung des Erbbaurechts nach Entstehung des Heimfallanspruchs - die volle rechtliche Macht über das Grundstück zurückerlangt (BFHE 118, 480, 481, BStBl II 1976, 470). Zu Unrecht meint der Kläger, es liege in der entsprechenden Anwendung des § 1 Abs. 1 GrEStG auf die vertragliche Aufhebung bzw. den vertraglichen Verzicht in bezug auf ein Erbbaurecht eine unzulässige steuerbegründende Analogie; denn jede vom Gesetz angeordnete, sinngemäß entsprechende Anwendung einer Norm auf Lebenssachverhalte, die teilweise von den unmittelbar unter die Vorschrift fallenden Lebenssachverhalten abweichen, ihnen aber in bestimmter, vom Gesetz für maßgeblich erachteter Beziehung gleichstehen, macht es erforderlich, die der gesetzlichen Wertung nach unmaßgeblichen Abweichungen bei der sinngemäßen Anwendung zu vernachlässigen. Zufolge der in § 2 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG ausgesprochenen Gleichstellung von Erbbaurechten mit Grundstücken gilt das Erbbaurecht in den einschlägigen Beziehungen des Grunderwerbsteuerrechts nicht in erster Linie als Belastung des Grundstücks (§ 1 Abs. 1 der Erbbaurechtsverordnung - ErbbauVO -), sondern als ein dem Eigentum am Grundstück gleiches Recht (§§ 11, 14 ErbbauVO). Der für die entsprechende Anwendung des § 1 Abs. 1 GrEStG entscheidende Gesichtspunkt ist also nicht, daß das Erbbaurecht "an dem Grundstück" besteht, sondern daß das Erbbaurecht als ein dem Eigentum am Grundstück "gleiches" Recht neben diesem steht. Jedes Rechtsgeschäft, das die aus dem Erbbaurecht fließenden Befugnisse einem anderen zu verschaffen bestimmt ist oder ihm verschafft, ist demgemäß in die entsprechende Anwendung des § 1 Abs. 1 GrEStG einzubeziehen (vgl. BFHE 126, 71, 73, BStBl II 1978, 678).
2) Das FG hat somit zu Recht die einvernehmliche Aufhebung des Erbbaurechts durch den Erbbauberechtigten und den Grundstückseigentümer durch den Vertrag vom 12. Juni 1973 bzw. den darin vereinbarten Verzicht des Erbbauberechtigten auf einen Teil des Erbbaurechts als einen nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 2 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG der Grunderwerbsteuer unterliegenden Rechtsvorgang beurteilt.
Der Hinweis des Klägers auf § 2 GrESWG Niedersachsen rechtfertigt nicht eine andere als die dargestellte Beurteilung. Die Vorschrift erlaubt, (auch) die Bestellung von Erbbaurechten von der Besteuerung auszunehmen. Das folgt aus der Einbeziehung der Erbbaurechtsbestellung in den Begriff der Übertragung von Erbbaurechten. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber in Niedersachsen dem § 11 Abs. 2 Nr. 2 GrEStG einen zweiten Satz angefügt (Gesetz vom 19. März 1970, Gesetz- und Verordnungsblatt 1970 S. 66, BStBl I 1970, 261), kraft dessen Erbbauzinsen nicht mehr als dauernde Lasten gelten. Das geschah ausweislich der Begründung zum Regierungsentwurf des Gesetzes (Drucksache des Niedersächsischen Landtags vom 15. September 1969 Nr. 905, S. 4 und 7) in Kenntnis des Senatsurteils BFHE 91, 191, BStBl II 1968, 223. Somit hat der Gesetzgeber die Steuerpflicht der Erbbaurechtsbestellung bei der Änderung des Grunderwerbsteuergesetzes zugrunde gelegt.
Fundstellen
Haufe-Index 73397 |
BStBl II 1980, 136 |
BFHE 1980, 223 |