Entscheidungsstichwort (Thema)
Beurteilung einer Zahlung als Darlehensleistung oder als Entgelt für eine Lieferung
Leitsatz (NV)
1. Im Fall einer nicht zur Tilgung sämtlicher Verbindlichkeiten ausreichenden Zahlung kann der Leistungsempfänger bestimmen, welche Leistung mit dem Aufgewendeten abgegolten werden soll.
2. Ein entsprechendes Bestimmungsrecht hat der Leistungsempfänger, wenn er einerseits als Leistungsempfänger aus einem Umsatzgeschäft eine Zahlung schuldet und andererseits im Rahmen eines anderen Umsatzgeschäfts als Leistender eine Zahlung zu erbringen hat.
3. Auslegung von Willenserklärungen zur Bestimmung des Umsatzgeschäfts.
4. Zur rechtsmißbräuchlichen Gestaltung bei der Zuordnung von Zahlungen.
Normenkette
UStG 1967 § 10
Verfahrensgang
Tatbestand
Die in Berlin (West) ansässige Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) lieferte in den Streitjahren 1968 bis 1971 von ihr in Berlin (West) hergestellte Produkte an die X-AG. Über die Bezahlung der Lieferungen der Klägerin an die AG war in den Verkaufsbestätigungen vereinbart worden: ,,Gegen unsere Rechnung, die am 15. des zweiten Monats nach Abgang des Materials von Berlin fällig ist, in DM auf eines unserer Bankkonten. Über eine frühere Zahlung gegen Zinsvergütung erfolgt jeweils freundschaftliche Verständigung."
Die AG überwies der Klägerin jeweils einen Betrag in Höhe des Rechnungsbetrages durch ihre Bankabteilung kurz nach der Lieferung der Produkte. Diese Überweisungen waren als Bankkredite zur Überbrückung der Zahlungsfrist ausgestaltet. Bei Fälligkeit verrechnete die Bankabteilung der AG den Kreditbetrag mit Ansprüchen der Klägerin aufgrund der Lieferungen und berechnete vierteljährlich Zinsen. Die Bankabteilung der AG war als Kreditinstitut i.S. des Gesetzes über das Kreditwesen (KWG) tätig. Sie unterstand der Bankenaufsicht und war Mitglied des Verbandes des privaten Bankgewerbes. Bankgeschäfte gehörten zur satzungsmäßigen Betätigung der AG.
Die Umsatzsteuer und die Umsatzsteuerkürzung nach § 1 des Berlinhilfegesetzes (BHG) 1968 bzw. § 1 des Berlinförderungsgesetzes (BerlinFG) 1970 wurden vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) zunächst erklärungsgemäß aufgrund ungekürzter Rechnungspreise als Entgelt für die von der Klägerin an die AG ausgeführten Lieferungen berechnet. Nachdem das FA während einer Betriebsprüfung die Umstände ermittelt hatte, unter denen die Lieferungen der Klägerin an die AG abgewickelt worden waren, änderte es die Umsatzsteuerfestsetzungen für 1968 bis 1971. Es minderte die Bemessungsgrundlage für die von der Klägerin geltend gemachten Kürzungsbeträge nach § 1 Abs. 1 BHG 1968 bzw. BerlinFG 1970 um die von der Bankabteilung der AG berechneten Zinsbeträge. Dabei vertrat es die Ansicht, die berechneten Zinsen stellten eine schon bei Abschluß des Kaufvertrages vereinbarte Entgeltsminderung dar, die nur die Bezeichnung ,,Kreditzinsen" trage.
Zur Begründung ihrer Klage machte die Klägerin geltend, die AG habe die berechneten Zinsen als Entgelt für umsatzsteuerfreie Bankumsätze behandelt. Folglich müsse den Zinsen auch ein Kredit zugrunde liegen. Es lägen zwei getrennte Umsätze vor, bei denen die AG zum einen als Empfänger einer Lieferung, zum anderen als Kreditgeber aufgetreten sei.
Die Klage hatte keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) entschied, der Klägerin stehe der Kürzungsanspruch nach dem um die gezahlten Zinsen geminderten Entgelt zu. Zur Begründung führte das FG u.a. aus: In Wirklichkeit habe die Klägerin aufgrund der Vereinbarung in den jeweiligen Verkaufsbestätigungen den Gegenwert ihrer Rechnungen sofort empfangen und für die vorzeitige Zahlung Zinsen entrichtet. Die AG habe deshalb vereinbarungsgemäß nur den Rechnungspreis abzüglich der Zinsen aufgewandt, so daß nur dieser geminderte Betrag Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteuerkürzung nach § 1 BerlinFG sein könne. Es ergebe wirtschaftlich keinen Unterschied, ob der Empfänger einer Lieferung bei vorzeitiger Zahlung vereinbarungsgemäß den Kaufpreis sofort um einen bestimmten Skontoabzug mindere oder ob er den Rechnungspreis zunächst in voller Höhe begleiche und einen Zinsbetrag aufgrund bankmäßiger Abrechnung zurückerhalte. Eine getrennte Behandlung der Geschäfte als Lieferungen und Kreditgewährungen lasse sich nicht aus der Tatsache ableiten, daß die AG eine Bankabteilung unterhalten habe; denn diese habe nur die finanzielle Seite der Industrie- und Handelstätigkeit der AG abgewickelt, wie es in anderen Unternehmen durch die Finanz- oder Kreditabteilung geschehe. Ein von der Bankabteilung der AG der Klägerin gewährter Kredit sei mithin ein Kredit der AG. Da die Kreditgewährung bzw. vorzeitige Bezahlung schon bei Vertragsabschluß vereinbart worden sei, minderten die gezahlten Zinsen das vereinbarte Entgelt für die Warenlieferung. Im Streitfall gehe es nicht - wie beim Abzahlungsgeschäft - um die Frage, ob ein Unternehmer zwei getrennte Leistungen erbringe. Maßgebend sei vielmehr ausschließlich, ob eine Geldüberweisung des Käufers einer Ware an den Verkäufer die vorzeitige Bezahlung des Kaufpreises darstelle oder eine getrennt zu bewertende Kreditgewährung. Für eine getrennte Betrachtungsweise bestehe kein wirtschaftlich vernünftiger Grund. Die formale Ausgestaltung als gesondertes Kreditgeschäft trete bei der im Umsatzsteuerrecht gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise zurück. Selbst wenn in der Branche der Klägerin eine Skontogewährung unüblich sei, hindere dies befreundete Unternehmen nicht, anders zu verfahren und eine sofortige Bezahlung gegen entsprechende Vergütung zu vereinbaren.
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung der Vorschriften über die Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteuerkürzung nach § 1 Abs. 1, § 7 BHG 1968, BerlinFG 1970 i.V.m. § 10 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1967). Das FG habe - so führt sie zur Begründung ihrer Revision u.a. aus - den Charakter der Bankabteilung der AG verkannt. Diese habe bankmäßige Leistungen auch für fremde Personen und andere Gesellschaften ausgeführt. Sie habe ihr, der Klägerin, die Inanspruchnahme einer fremden Bank erspart und habe deshalb andere Aufgaben erfüllt als solche, die von der Finanz- oder Kreditabteilung eines Unternehmens wahrgenommen würden. Die Kreditgewährung durch die Bankabteilung der AG stelle als bankmäßige Leistung einen selbständigen Umsatz mit der Folge dar, daß die dafür geleisteten Bankzinsen das Lieferungsentgelt nicht mindern könnten. Daß Banken Kredite auf der Grundlage von bestimmten Liefergeschäften gewährten, sei üblich. Die Beurteilung der Kreditgewährung als selbständiger Umsatz sei gerechtfertigt, weil die Kredite durch eine Bank gegen Vereinbarung bestimmter und abgerechneter Zinsen überlassen worden seien. Daran ändere sich nichts dadurch, daß die Kreditvereinbarung schon bei Lieferung getroffen worden sei.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Umsatzsteuer abweichend von der Einspruchsentscheidung des FA festzusetzen.
Das FA tritt der Revision entgegen und beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Die Vorentscheidung war aufzuheben, weil das FG aufgrund der getroffenen Feststellungen nicht zu dem Ergebnis hat kommen dürfen, daß die Kürzung der Bemessungsgrundlage durch das FA zu Recht besteht.
a) Nach § 1 Abs. 1 BGH 1968 bzw. § 1 Abs. 1 BerlinFG 1970 ist ein Berliner Unternehmer, der an einen westdeutschen Unternehmer Gegenstände geliefert hat, berechtigt, die von ihm geschuldete Umsatzsteuer um 4,2 v.H. (ab 1971 um 4,5 v.H. gemäß § 1 Abs. 1 BerlinFG 1970) des für diese Gegenstände vereinbarten Entgelts zu kürzen, wenn die Gegenstände - was hier nicht streitig ist - in Berlin (West) hergestellt worden sind und aus Berlin (West) in das übrige Bundesgebiet gelangt sind. Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 BHG 1968/BerlinFG 1970 ist § 10 Abs. 1 UStG 1967 für die Bestimmung der Höhe des der Kürzung zugrunde zu legenden Entgelts anzuwenden.
Entgelt ist nach § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG 1967 alles, was der Empfänger einer Lieferung vereinbarungsgemäß aufzuwenden hat, um die Lieferung zu erhalten. Bei gegenseitigen Verträgen ergibt sich das Entgelt nach Art und Umfang regelmäßig aus der diesbezüglichen Vereinbarung. Werden Preisnachlässe vereinbart, z. B. Skonti, und macht der Leistungsempfänger davon Gebrauch, so bleibt sein Aufwand hinter der ursprünglich vereinbarten Vergütung zurück und ist als Entgelt maßgebend.
Die AG war als Leistungsempfänger vereinbarungsgemäß verpflichtet, innerhalb des festgelegten Zeitraumes den vollen Kaufpreis für die jeweilige Lieferung zu zahlen. ,,Über eine frühere Zahlung gegen Zinsvergütung" sollte ,,jeweils freundschaftliche Verständigung" erfolgen. Angesichts dessen wäre die Kürzung der Bemessungsgrundlage nur gerechtfertigt, wenn sich die vorzeitigen Zahlungen von Beträgen jeweils in Höhe des vollen Kaufpreises in Verbindung mit der späteren Zinsberechnung durch die AG umsatzsteuerrechtlich statt als verzinsliche Darlehensgewährungen bis zur Fälligkeit der Kaufpreise als vorzeitige Kaufpreiszahlung mit nachträglicher Skontogewährung (durch teilweise Kaufpreisrückzahlung) darstellten. Die vom FG getroffenen Feststellungen rechtfertigen eine solche Annahme nicht.
b) Ob und in welchem Umfang ein Leistungsempfänger etwas aufwendet, um eine Leistung zu erhalten bzw. um eine bereits empfangene Leistung abzugelten, ist aus der Sicht des Leistungsempfängers zu beurteilen. Besteht nur eine Zahlungspflicht aus einem einzigen Umsatzgeschäft (vgl. § 3 Abs. 2 UStG 1967), so kann mangels gegenteiliger Anhaltspunkte davon ausgegangen werden, daß eine Zahlung in entsprechender Höhe zur Erfüllung dieser Pflicht und damit zur Abgeltung der empfangenen oder zu empfangenden Leistung erfolgt.
Hat der Leistungsempfänger mehrere Zahlungspflichten aus unterschiedlichen Umsatzgeschäften, so ist umsatzsteuerrechtlich in Übereinstimmung mit der Regelung der §§ 366 f. des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) davon auszugehen, daß im Falle einer nicht zur Tilgung sämtlicher Verbindlichkeiten ausreichenden Zahlung der Leistungsempfänger bestimmen kann, welche Zahlungspflicht getilgt werden soll, d.h. aus umsatzsteuerrechtlicher Sicht: welche Leistung mit dem Aufgewendeten abgegolten werden soll. Von einem entsprechenden Bestimmungsrecht des Leistungsempfängers ist ferner dann auszugehen, wenn er einerseits (als Leistungsempfänger) aus einem Umsatzgeschäft eine Zahlung schuldet und andererseits im Rahmen eines anderen Umsatzgeschäftes als Leistender eine Zahlung zu erbringen hat.
Die umsatzsteuerrechtliche Berücksichtigung der zuletzt erwähnten beiden Zahlungspflichten und die Anerkennung eines entsprechenden Bestimmungsrechts ist grundsätzlich auch dann nicht ausgeschlossen, wenn der Empfänger einer Lieferung, statt mit dem Lieferer eine Vereinbarung über die Skontogewährung zu treffen und von dieser Gebrauch zu machen, vereinbarungsgemäß dem Lieferer bis zur Fälligkeit des Kaufpreises einen Geldbetrag in Höhe des vollen Kaufpreises verzinslich als Darlehen zur Verfügung stellt und die Kaufpreisschuld bei deren Fälligkeit durch Verrechnung mit dem Darlehensrückzahlungsanspruch tilgt. Die umsatzsteuerrechtliche Anerkennung entsprechender Regelungen setzt allerdings klare und eindeutige Vereinbarungen sowie einen entsprechenden Vollzug voraus. Ferner ist erforderlich, daß nicht ein Mißbrauch von Gestaltungen des Rechts im Hinblick darauf vorliegt (§ 42 der Abgabenordnung - AO 1977 -), daß sich die Regelung als bloßer Skontierungsfall darstellt.
Die Grundsätze der bisherigen Rechtsprechung stehen der Annahme einer selbständigen Kreditgewährung durch den Leistungsempfänger an den Lieferer für den Zeitraum, in dem dessen Kaufpreisanspruch noch nicht fällig ist, nicht entgegen, wenn ähnlich wie bei einer Kreditgewährung des Lieferers an den Leistungsempfänger beim Ratenzahlungskauf (vgl. dazu Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 18. Dezember 1980 V B 24/80, BFHE 132, 147, BStBl II 1981, 197; Anm. Loewe, Umsatzsteuer-Rundschau - UR - 1981, 55) für die Kreditleistung ein gesondert zu zahlendes Entgelt, das nicht Teil des Kaufpreises ist, vereinbart und berechnet wird sowie die Inanspruchnahme der Kreditleistung dem Belieben des Kreditnehmers (Lieferers) überlassen bleibt (vgl. dazu Völkel/Karg, UR 1983, 125).
c) Das FG hat die in den jeweiligen Verkaufsbestätigungen für die streitigen Lieferungen enthaltene Vereinbarung, nach der über eine frühere Zahlung der AG vor Fälligkeit des Kaufpreises ,,gegen Zinsvergütung" jeweils freundschaftliche Verständigung erfolgen sollte, als Vereinbarung eines Preisnachlasses gewürdigt.
Die Auslegung der vertraglichen Vereinbarung oblag dem FG als Tatsachengericht, soweit es um die Feststellung des Willens der Vertragsparteien ging. Der BFH als Revisionsinstanz darf prüfen, ob das FG die gesetzlichen Auslegungsregeln (§§ 133, 157 BGB) beachtet, nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen hat (ständige Rechtsprechung des BFH, z. B. Urteile vom 11. Februar 1981 I R 13/77, BFHE 133, 3, BStBl II 1981, 475; vom 28. Januar 1986 IX R 12/80, BFHE 146, 68, BStBl II 1986, 348; vom 10. November 1987 VII R 4/85, BFH/NV 1988, 474) und ob das FG die für die Vertragsauslegung bedeutsamen Begleitumstände erforscht (BFH-Urteil vom 4. Dezember 1979 VII R 29/77, BFHE 130, 226, BStBl II 1980, 488), insbesondere die Interessenlage der Beteiligten berücksichtigt hat (BFH-Urteil vom 25. Juli 1979 II R 105/77, BFHE 128, 544, BStBl II 1980, 11). Insoweit handelt es sich um die Frage, ob das FG Bundesrecht verletzt hat (§ 118 Abs. 1 FGO; vgl. BFH-Urteil vom 6. Februar 1985 I R 80/81, BFHE 143, 426, BStBl II 1985, 420). Schlußfolgerungen des FG auf den Willen der Vertragsparteien, die im erwähnten Prüfungsumfang keine Fehler aufweisen, binden das Revisionsgericht (§ 118 Abs. 2 FGO), wenn sie verfahrensrechtlich einwandfrei zustandegekommen sind. Dabei ist ohne Bedeutung, ob die Schlußfolgerungen zwingend sind. Es reicht aus, daß sie für möglich gehalten werden können (BFH-Urteile vom 18. März 1986 VII R 104/82, BFH/NV 1986, 581; vom 1. April 1971 IV R 195/69, BFHE 102, 85, BStBl II 1971, 522).
Für die Prüfung durch den erkennenden Senat, ob die Auslegung der vertraglichen Vereinbarung zwischen der Klägerin und der AG in den jeweiligen Verkaufsbestätigungen durch das FG mit den gesetzlichen Auslegungen vereinbar ist, fehlen in der Vorentscheidung ausreichende tatsächliche Grundlagen.
Bei der Auslegung der Vereinbarung war zunächst von ihrem Wortlaut auszugehen (vgl. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 47. Aufl., § 133 Anm. 5). Der Wortlaut der betreffenden Vereinbarungen legt die Annahme nahe, daß die AG der Klägerin die vorzeitig gezahlten Beträge als Darlehen gegen Darlehenszins überlassen hat. Nach den bisher festgestellten Begleitumständen hat die AG der Klägerin jeweils vor Fälligkeit der Kaufpreisansprüche entsprechende Geldbeträge überwiesen und nach Beendigung der Kapitalüberlassung Zinsen verrechnet.
Nach §§ 133, 157 BGB ist allerdings bei der Auslegung von Willenserklärungen nicht am buchstäblichen Sinn des Wortlauts der Vereinbarung zu haften. Vielmehr ist der wirkliche Wille zu erforschen (§ 133 BGB), wie er nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte für den Erklärungsempfänger erkennbar wird (§ 157 BGB). Dieser Aufgabe genügt der Tatrichter nicht schon durch eine Würdigung des Wortlauts der Erklärung, sondern erst dadurch, daß er darüber hinaus alle erheblichen Umstände außerhalb der Erklärung heranzieht, die zur Aufdeckung oder Aufhellung des wirklichen Parteiwillens dienlich sein können (Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 26. Oktober 1983 IV a ZR 80/82, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1984, 721). Denn der wirkliche Wille der Erklärenden geht, wenn alle Beteiligten die Erklärung übereinstimmend in derselben Weise verstanden haben, nicht nur dem Wortlaut, sondern jeder anderen Interpretation vor (vgl. BGH-Urteil vom 8. Dezember 1982 IV a ZR 94/81, BGHZ 86, 41, NJW 1983, 672). Erst wenn die Beteiligten die Erklärung nicht übereinstimmend verstanden haben, kommt es in einer dritten Stufe des Auslegungsvorgangs gemäß §§ 133, 157 BGB darauf an, wie der Empfänger der empfangsbedürftigen Willenserklärung diese bei objektiver Würdigung aller Umstände mit Rücksicht auf Treu und Glauben verstehen durfte (BGH-Urteil in NJW 1984, 721).
Das FG hat die Vereinbarung in den Verkaufsbestätigungen - soweit dies erkennbar ist - als nur ,,formale Ausgestaltung" eines gesonderten Kreditgeschäfts beurteilt, das bei der im Umsatzsteuerrecht gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise zurücktreten müsse. Falls das FG damit ausführen wollte, das nach dem Wortlaut der Vereinbarung beabsichtigte Darlehensgeschäft entspreche nicht dem wirklichen Willen der Beteiligten, hat es die Begleitumstände nicht angegeben, die eine derartige Annahme rechtfertigen könnten. Der Hinweis auf die wirtschaftliche Betrachtungsweise kann die Erforschung dieser Begleitumstände nicht ersetzen. Das FG hätte außerdem feststellen müssen, daß eine Darlehensvereinbarung als Grundlage für die vorzeitige Zahlung eines dem Kaufpreis für eine vorangegangene Lieferung entsprechenden Betrages auch nicht auf andere Weise zustande gekommen ist. Falls das FG jedoch zum Ausdruck bringen wollte, daß es die in den Verkaufsbedingungen enthaltene wirklich gewollte und durchgeführte Darlehensvereinbarung, der der Leistungsempfänger seine Zahlung zugeordnet habe, als Mißbrauch von Gestaltungen des Rechts ansehe (§ 42 Satz 1 AO 1977) und daß der Sachverhalt deshalb umsatzsteuerrechtlich wie bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung zu beurteilen sei (§ 42 Satz 2 AO 1977), fehlen ausreichende Feststellungen über den tatsächlich gegebenen Sachverhalt. § 42 AO 1977 ersetzt nicht die Ermittlung des Sachverhalts und seine Subsumtion unter das Gesetz. Der Anwendungsbereich des § 42 AO 1977 beginnt erst dort, wo die Auslegungsmöglichkeit der Steuerrechtsnorm endet (vgl. BFH-Urteile vom 19. Mai 1988 V R 115/83, BFHE 154, 173, BStBl II 1988, 916; vom 26. November 1987 V R 29/83, BFHE 152, 70, BStBl II 1988, 387). Wenn die AG als Leistungsempfänger der Klägerin den dem Kaufpreis entsprechenden Betrag vor Fälligkeit des Kaufpreises als Darlehen zur Nutzung gegen Darlehenszins überlassen haben sollte, wäre diese Gestaltung nach den Maßstäben des § 42 AO 1977 darauf zu überprüfen, ob sie eine dem wirtschaftlichen Vorgang angemessene rechtliche Gestaltung darstellt. Nicht in Betracht käme es, lediglich die Höhe des Entgelts für die Lieferung durch § 42 AO 1977 zu korrigieren, denn die Frage der Angemessenheit der Gegenleistung für die Leistung stellt sich im Umsatzsteuerrecht grundsätzlich nicht (vgl. dazu auch BFH-Urteile vom 25. November 1987 X R 12/81, BFHE 151, 492, BStBl II 1988, 210; vom 3. März 1988 V R 183/83, BFHE 153, 90).
d) Da mithin die getroffenen Feststellungen in Verbindung mit den rechtlichen Erwägungen des FG die Vorentscheidung nicht tragen, war diese aufzuheben.
2. Mangels zureichender Feststellungen ist der erkennende Senat nicht imstande durchzuerkennen. Die Sache wird deshalb zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Das FG wird die erforderlichen Feststellungen nachzuholen haben. Für die Beurteilung, ob die vorzeitige Überweisung eines dem Kaufpreis für eine vorangegangene Lieferung entsprechenden Betrages als Darlehen der AG in Betracht kommt, wird das FG u.a. Feststellungen über die Art und Weise, wie Zinsen vereinbart und geleistet worden sind und wie Kreditgeschäfte von der Bankabteilung der AG mit anderen Darlehensnehmern abgeschlossen worden sind, treffen müssen. Es wird auch der Branchenüblichkeit derartiger Geschäfte nachgehen müssen. Für die Prüfung, ob in der vorzeitigen Überlassung eines Betrages in Höhe des vollen Kaufpreises als Darlehen ein Mißbrauch von rechtlichen Gestaltungen liegen könnte, sind die rechtlichen Verbindungen zwischen der Klägerin und der AG von Interesse. Bedeutsam könnte auch sein, ob die Bankabteilung der AG gleichartige Vereinbarungen mit anderen Lieferern aus dem übrigen Geltungsbereich des BerlinFG durchgeführt hat. Schließlich wird das FG den ,,wirtschaftlichen Vorteilen" der Abwicklung der Liefergeschäfte mit Kreditgewährung nachgehen und diese an den Zielen des BerlinFG messen müssen.
Fundstellen