Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Billigkeitserlaß von Säumniszuschlägen
Leitsatz (NV)
Die Erhebung von Säumniszuschlägen ist grundsätzlich auch insoweit nicht sachlich unbillig, als wegen der Festsetzung der zu Grunde liegenden Steuerschuld ein Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung (AdV) anhängig war; die in Ziff. II i. V. m. Ziff. I 2 des BMF-Schreibens vom 2. Januar 1984 IV A 5 - S 0480 - 87/83, StEK AO § 240 Nr. 7 enthaltene Ermessenseinengung bezieht sich nicht auf die endgültige, sondern nur auf die erste Ablehnung eines AdV-Begehrens (Anschluß an BFH-Urteil v. 17. Juli 1985 I R 172/79, BFHE 145, 1, BStBl II 1986, 122).
Normenkette
AO 1977 §§ 227, 240
Verfahrensgang
Tatbestand
Im Rahmen eines Einspruchsverfahrens hatte der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) beim Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) hinsichtlich der streitigen Beträge (Fälligkeit: 8./9. August 1983) Aussetzung der Vollziehung (AdV) beantragt. Diesen Antrag hatte das FA mit Schreiben vom 16. August 1983 abgelehnt.
Die hiergegen eingelegte Beschwerde vom 18. August 1983 hatte die Oberfinanzdirektion (OFD) am 2. April 1984 als unbegründet zurückgewiesen.
Zuvor, durch Beschluß vom 28. Dezember 1983, hatte das Finanzgericht (FG) den dort gestellten AdV-Antrag abgelehnt. Diese Entscheidung ist dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers am 5. Januar 1984 zugestellt worden. Daraufhin, am 6. Januar 1984, hat der Kläger den streitigen Betrag entrichtet. Die bis zum Zahlungstag errechneten Säumniszuschläge von insgesamt 410 DM zog das FA im Wege der Verrechnung mit einem Guthaben ein.
Den Antrag des Klägers, auf die Erhebung der Säumniszuschläge zu verzichten, lehnte das FA ab. In der Entscheidung vom 29. August 1984 wies die OFD die Beschwerde mit der Begründung zurück, der Kläger könne sich auf das Schreiben des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 2. Januar 1984 IV A 5 - S 0480 - 27/83 (Steuererlaßkartei - StEK -, Abgabenordnung, § 240 Nr. 7) nicht berufen, weil die begehrte Aussetzung der Vollziehung schon mit Schreiben vom 16. August 1983 abgelehnt worden sei, der Kläger aber erst erheblich später gezahlt habe.
Die hiergegen erhobene Klage hatte Erfolg: Das FG verpflichtete das FA zum Erlaß der Säumniszuschläge und begründete dies vor allem damit, die Finanzverwaltung habe sich durch die im BMF-Schreiben vom 2. Januar 1984 getroffene Regelung in der Weise selbst gebunden, daß erst eine endgültige Ablehnung (hier durch den FG-Beschluß vom 28. Dezember 1983) eine angemessene Schonfrist in Gang setze. Die aber sei hier durch die am 6. Januar 1984 geleistete Zahlung eingehalten worden.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts. Es macht unter anderem geltend, das angefochtene Urteil stehe vor allem in Widerspruch zum Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 17. Juli 1985 I R 172/79 (BFHE 145, 1, BStBl II 1986, 122). Danach komme es für die durch das BMF-Schreiben vom 2. Januar 1984 (a.a.O.) begründete Selbstbindung auf die erstmalige Ablehnung des AdV-Begehrens an. Die Entscheidung sei zwar zur Stundung ergangen. Im Streitfall müßten aber die gleichen Grundsätze gelten.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Zu Unrecht hat das FG das FA zum Erlaß der Säumniszuschläge verpflichtet. Die angefochtenen Entscheidungen der Finanzverwaltung lassen keinen Rechtsfehler erkennen.
Gemäß § 227 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis - zu denen auch der Anspruch auf Säumniszuschläge gehört (§ 3 Abs. 3 AO 1977 i. V. m. § 37 Abs. 1 AO 1977) - ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre.
Die Entscheidung über ein Erlaßbegehren ist eine Ermessensentscheidung, die gerichtlich nur in den durch § 102 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gezogenen Grenzen nachprüfbar ist (Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603).
Die Ablehnung des begehrten Erlasses durch FA und OFD hält sich im Rahmen pflichtgemäßer Ermessensausübung.
In Betracht kam nur ein Erlaß aus sachlichen Billigkeitsgründen, der im Streitfall voraussetzt, daß die Einziehung der für die Streitjahre angefallenen Säumniszuschläge mit Rücksicht auf die dem § 240 AO 1977 zugrunde liegenden Zwecke nicht (mehr) zu rechtfertigen ist (BFH-Urteil vom 13. Juli 1976 VIII R 236/72, BFHE 119, 443, BStBl II 1977, 125, 126) oder den Wertungen dieser Vorschrift zuwiderläuft (BFH-Urteil vom 23. Mai 1985 V R 124/79, BFHE 143, 512, BStBl II 1985, 489).
Allein die Tatsache, daß nach Fälligkeit gezahlt wurde, bewirkt gemäß § 240 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 die Entstehung von Säumniszuschlägen, die nur bei einer Säumnis bis zu fünf Tagen nicht erhoben werden (§ 240 Abs. 3 AO 1977).
Für die bei der Billigkeitsprüfung zu beachtenden gesetzgeberischen Wertvorgaben bedeutet dies, daß es auf ein Verschulden des Steuerpflichtigen, auf die Gründe und Begleitumstände der verspäteten Zahlung grundsätzlich nicht ankommt.
Diese Ausgangslage ist für den Streitfall durch Ziff. II i. V. m. Ziff. I 2 des BMF-Schreibens vom 2. Januar 1984 nicht verändert worden. - Danach kann, wenn ein AdV-Antrag vor Fälligkeit gestellt, aber nach Fälligkeit abgelehnt wird, ebenso wie im Fall der Stundung, eine (über § 240 Abs. 3 AO 1977 hinausreichende) Frist zur Zahlung der rückständigen Steuern bewilligt werden. Auf diese Regelung kann sich der Kläger nicht mit Erfolg berufen.
Es kann unentschieden bleiben, auf welche Weise eine solche Ermessensrichtlinie Selbstbindung auslöst und inwieweit sie demzufolge einer Auslegung durch die Gerichte zugänglich ist (vgl. zu diesem Problem einerseits die BFH-Urteile vom 27. Oktober 1978 VI R 8/76, BFHE 126, 217, BStBl II 1979, 54, 55, und vom 5. September 1989 VII R 39/87, BFHE 158, 182, sowie Tipke/Kruse, Abgabenordnung - Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl. 1965/1988, § 4 AO Tz. 38, und andererseits das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 17. April 1970 VII C 60.68, BVerwGE 35, 159, 161 f. sowie Ossenbühl in H.-U. Erichsen/W. Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht, 8. Aufl., 1988, S. 97 ff. - jeweils m. w. N.). Auch wenn man Verwaltungsvorschriften im Bereich der Ermessensausübung generell für auslegungsfähig hält, führt das hier nicht zum begehrten Erlaß; denn die im BMF-Schreiben vom 2. Januar 1984 enthaltene Sonderregelung für Stundungs- und AdV-Begehren gilt nur für die erstmalige Ablehnung solcher Anträge.
Dies hat der I. Senat des BFH im Urteil in BFHE 145, 1, BStBl II 1986, 122 für die Behandlung eines Stundungsantrags und in bezug auf frühere BMF-Erlasse (vom 15. Februar 1971, BStBl I 1971, 121, und vom 27. Dezember 1977, Betriebs-Berater 1978, 82) ausgesprochen. Der erkennende Senat schließt sich dieser Ansicht für den Geltungsbereich des im wesentlichen gleichlautenden BMF-Schreibens vom 2. Januar 1984 und für den darin der Stundung gleichgestellten Fall der Ablehnung eines AdV-Antrags an.
Eine weiterreichende Bedeutung dieser Billigkeitsregelung aus anderen Gründen (etwa unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes) ist - im Streitfall zumindest - schon deshalb nicht gerechtfertigt, weil das FA die ausstehenden Beträge im Anschluß an die erstmalige Ablehnung des Antrags auf Aussetzung der Vollziehung angemahnt hatte (Mahnschreiben vom 8. September 1983). Im Hinblick darauf ist der hier zu entscheidende Fall auch nicht mit den Fällen vergleichbar, in denen sonst Erlaß von Säumniszuschlägen angenommen wurde (vgl. BFH-Urteile in BFHE 143, 512, BStBl II 1985, 489; vom 14. Mai 1987 X R 26/81, BFH/NV 1988, 411, und vom 21. Oktober 1987 X R 29/81, BFH/NV 1988, 546).
Das angefochtene Urteil ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen und war daher aufzuheben. Die Klage war abzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 143 Abs. 1, 135 Abs. 1 FGO.
Fundstellen
Haufe-Index 423030 |
BFH/NV 1991, 5 |