Entscheidungsstichwort (Thema)
Erstattung von Kirchensteuer als rückwirkendes Ereignis
Leitsatz (NV)
Die Erstattung von Kirchensteuer ist, soweit diese nicht mit der im Erstattungsjahr gezahlten Kirchensteuer verrechnet werden kann, ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977.
Normenkette
AO 1977 § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; EStG § 10 Abs. 1 Nr. 4
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind zur Einkommensteuer zusammenveranlagte Eheleute. Sie zahlten im Streitjahr 1997 Kirchensteuer in Höhe von 2 569 DM und erhielten im selben Jahr eine Kirchensteuererstattung in Höhe von 2 261 DM. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte die Differenz in Höhe von 308 DM als Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Bei der Veranlagung für das Streitjahr 1998 berücksichtigte er gezahlte Kirchensteuer in Höhe von 6 837 DM.
Die Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre wurden bestandskräftig. Sie führten zu Kirchensteuererstattungen in Höhe von 2 314,44 DM für 1997 und 4 158,29 DM für 1998. Da die Erstattungen den Klägern im Jahr 1999 zuflossen, kürzte das FA bei der Veranlagung für 1999 die in diesem Jahr gezahlte Kirchensteuer von 2 071 DM auf 0 DM. Wegen der bei der Veranlagung 1999 nicht voll verrechenbaren Erstattung in Höhe von 4 396 DM änderte das FA die Veranlagungen für 1997 und 1998 gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977). Es berücksichtigte bei der Einkommensteuerfestsetzung für 1997 nur noch gezahlte Kirchensteuer in Höhe von 65 DM. Dabei ging es davon aus, dass die für 1997 erstattete Kirchensteuer mit der 1999 gezahlten Kirchensteuer verrechnet worden ist und kürzte die bisher 1997 als Sonderausgaben berücksichtigte Kirchensteuer in Höhe von 308 DM um den Differenzbetrag von 243 DM. Die Kirchensteuererstattung für 1998 in Höhe von 4 158,29 DM verrechnete das FA voll mit der 1998 gezahlten Kirchensteuer.
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren wies das Finanzgericht (FG) die Klage ab (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2004, 1223).
Mit ihrer Revision rügen die Kläger Verletzung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 und des § 11 EStG. Die Erstattung von Kirchensteuer könne sich nur im Erstattungsjahr steuerlich auswirken. Dies folge aus dem Zu- und Abflussprinzip, das auch für Sonderausgaben gelte. In den Veranlagungszeiträumen 1997 und 1998 seien die Kläger durch die seinerzeit gezahlten Kirchensteuern tatsächlich wirtschaftlich belastet gewesen.
Die Kläger beantragen, das Urteil des FG aufzuheben und den Sonderausgabenabzug für gezahlte Kirchensteuer 1997 in Höhe von 308 DM und für 1998 in Höhe von 6 837 DM zu gewähren.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision der Kläger ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Erstattung von Kirchensteuer --soweit sie nicht mit der im Erstattungsjahr gezahlten Kirchensteuer verrechnet werden kann-- ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 ist.
1. Die Einkommensteuerbescheide 1997 und 1998 waren zu ändern. Ein Steuerbescheid ist zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis; § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977).
Die Erstattung von Sonderausgaben i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG ist ein solches rückwirkendes Ereignis. Aus der Verwendung des Begriffs "Aufwendungen" in § 10 Abs. 1 Satz 1 EStG folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), dass nur solche Ausgaben als Sonderausgaben berücksichtigt werden dürfen, durch die der Steuerpflichtige tatsächlich und endgültig wirtschaftlich belastet ist (vgl. BFH-Urteile vom 26. Juni 1996 X R 73/94, BFHE 181, 144, BStBl II 1996, 646; vom 28. Mai 1998 X R 7/96, BFHE 186, 521, BStBl II 1999, 95, m.w.N.; vom 24. April 2002 XI R 40/01, BFHE 199, 167, BStBl II 2002, 569). An einer endgültigen Belastung fehlt es, wenn Sonderausgaben erstattet werden. Das gilt auch, wenn erst nach Ablauf des Veranlagungszeitraums geklärt wird, ob Sonderausgaben erstattet werden (BFH in BFHE 181, 144, BStBl II 1996, 646).
Bei jährlich wiederkehrenden Sonderausgaben wie z.B. der Kirchensteuer hat der BFH zwar aus Gründen der Praktikabilität und Rechtskontinuität eine Verrechnung erstatteter Sonderausgaben mit gleichartigen Sonderausgaben im Jahr der Erstattung im Grundsatz zugelassen. Die Verrechnung erstatteter mit gezahlten Sonderausgaben ist aber im Jahr der Zahlung insoweit geboten, als andernfalls nicht mehr zu rechtfertigende Steuervorteile eintreten würden. Das ist beispielsweise der Fall, wenn im Erstattungsjahr keine gleichartigen Sonderausgaben angefallen sind (BFH in BFHE 181, 144, BStBl II 1996, 646). Dasselbe gilt, wenn im Erstattungsjahr die gezahlten (gleichartigen) Sonderausgaben niedriger sind als die Erstattung. Auch in diesen Fällen fehlt es an einer endgültigen wirtschaftlichen Belastung im Zahlungsjahr. Das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 11. Juli 2002 IV C 4 -S 2221- 191/02 (BStBl I 2002, 667) enthält insoweit eine zutreffende Gesetzesinterpretation (ebenso Söhn in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, § 10 Rdnr. B 57; Fischer in Kirchhof, Einkommensteuergesetz, KompaktKommentar, § 10 Rdnr. 4). Soweit in der Literatur eine andere Auffassung vertreten wird (vgl. z.B. Nolde in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, § 10 EStG Rdnr. 22a), ist diese durch neuere Rechtsprechung überholt. Zudem wird übersehen, dass die zur Begründung herangezogenen Entscheidungen (z.B. BFH-Urteil vom 22. November 1974 VI R 138/72, BFHE 114, 346, BStBl II 1975, 350, m.w.N.) zwar die Verrechnung im Jahr der Erstattung zugelassen, aber nicht zur Behandlung von Erstattungsüberhängen Stellung genommen haben.
2. Gegenteiliges lässt sich auch nicht aus den Urteilen des BFH in BFHE 181, 144, BStBl II 1996, 646 und in BFHE 186, 521, BStBl II 1999, 95 entnehmen. Zwar lagen diesen Entscheidungen Fälle zugrunde, in denen Sonderausgaben mangels Kirchensteuer- bzw. Sozialversicherungspflicht erstattet wurden. Für die hier allein entscheidende Rechtsfrage, ob "Aufwendungen" i.S. des § 10 EStG vorliegen, ist der Rechtsgrund für die Erstattung aber unerheblich. Der Steuerpflichtige ist in Höhe der Erstattung nicht endgültig wirtschaftlich belastet, unabhängig davon, ob Kirchensteuer mangels Kirchensteuerpflicht oder aufgrund einer Herabsetzung von Einkommensteuer erstattet wird. Auch bei der Verrechnung gezahlter und erstatteter Versicherungsbeiträge im selben Steuerabschnitt wird nicht danach unterschieden, ob die Erstattung ihren Rechtsgrund in der fehlenden Beitragspflicht oder in einer Beitragsermäßigung hat (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 20. Februar 1970 VI R 11/68, BFHE 98, 357, BStBl II 1970, 314; vom 27. Februar 1970 VI R 314/67, BFHE 98, 412, BStBl II 1970, 422).
3. Entgegen der Auffassung der Kläger steht auch § 11 EStG einer Verrechnung von erstatteter und im Jahr der Erstattung nicht verrechenbarer Kirchensteuer mit der bisher im Jahr der Zahlung berücksichtigten Kirchensteuer nicht entgegen. Diese Vorschrift betrifft grundsätzlich nur die zeitliche Zuordnung steuerbarer Einnahmen bzw. steuerlich abzugsfähiger Aufwendungen (vgl. z.B. Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 23. Aufl., § 11 Rdnr. 3). Die Erstattung von Sonderausgaben fällt nicht unter die steuerbaren Einnahmen. Soweit Schmidt/ Heinicke (a.a.O., § 10 Rdnr. 8) rechtssystematische Bedenken geltend machen, beziehen sich diese auf die Verrechnung der Erstattung im Erstattungsjahr.
Fundstellen
Haufe-Index 1277724 |
BFH/NV 2005, 321 |