Entscheidungsstichwort (Thema)
Im schriftlichen Verfahren ist in der Regel eine ,,rechtzeitige" Rüge nicht erhobener Beweise vor dem Finanzgericht nicht möglich
Leitsatz (NV)
In der durch § 155 FGO gebotenen sinngemäßen Anwendung des § 295 Abs. 1 ZPO ist für das finanzgerichtliche Verfahren davon auszugehen, daß der Verzicht auf mündliche Verhandlung nicht der rügelosen mündlichen Verhandlung gleichsteht. Der Verzicht auf die Rüge der Nichterhebung angebotener Beweise kommt bei dem Einverständnis mit einer Entscheidung des FG ohne mündliche Verhandlung in der Regel nicht in Betracht, weil der Mangel für die Beteiligten nicht vor Erlaß des Urteils erkennbar wird. Für die schlüssige Rüge dieses Verfahrensmangels kann deshalb dann auf Darlegungen zum Gebrauch des Rügerechts verzichtet werden, wenn das FG im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat.
Normenkette
FGO § 155; ZPO § 295 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erzielte in den Streitjahren 1976 bis 1978 als Einzelunternehmerin Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Im Rahmen einer Fahndungsprüfung stellte der Prüfer fest, daß unter der Firma der Klägerin in den Streitjahren Paletten und Gitterboxen veräußert und diese Verkäufe in der Buchführung der Klägerin nicht erfaßt worden waren. 90% der erzielten Erlöse aus dem Palettenhandel stammten von einer GmbH. Zu diesem Unternehmen war am 26. April 1976 erstmals unter der Firma der Klägerin Kontakt aufgenommen worden. In den Gutschriftsabrechnungen war Mehrwertsteuer als Bestandteil des Zahlungsentgelts ausgewiesen. Den Verrechnungsschecks der GmbH war folgender Vordruck beigefügt worden: ,,Der Lieferer bestätigt mit Annahme des Schecks, daß er zum Umsatzsteuerausweis und zur Palettenveräußerung berechtigt ist. Rechte bestehen nicht." Die Verrechnungsschecks waren auf dem Privatgirokonto des Sohnes der Klägerin gutgeschrieben worden.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) erhöhte in den geänderten Einkommensteuerbescheiden für die Streitjahre die Einkünfte aus Gewerbebetrieb um die Einnahmen aus den Palettenverkäufen. Die Einsprüche gegen diese Bescheide hatten keinen Erfolg.
Im Klageverfahren machte die Klägerin geltend, bei den verkauften Paletten und Gitterboxen habe es sich nicht um betriebliches Vermögen, sondern um Nachlaßvermögen ihres verstorbenen Ehemannes gehandelt. Sie biete Beweis durch Vernehmung der Frau Z . . . (genaue Adressenangabe) . . . dafür an, daß ihr verstorbener Ehemann, der bis zu seinem 65. Lebensjahr im Jahre 1969 in ihrem Gewerbebetrieb als Kraftfahrer tätig gewesen sei, sowohl während der Dauer seiner Anstellung wie auch nach Eintritt ins Rentenalter gebrauchte, gelegentlich auch neue Paletten und Gitterboxen gekauft und ihr den wesentlichen Teil ab ca. 1971/72 leihweise zur Verfügung gestellt habe. Die Verkäufe der Paletten und Gitterboxen seien zur Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft zwischen ihrem Sohn und ihr vorgenommen worden.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung als unbegründet abgewiesen. Es führt im wesentlichen aus, den Tatbestand der Erzielung von Einkünften aus Gewerbebetrieb durch Veräußerung von Paletten und Gitterboxen habe die Klägerin erfüllt. Sie sei nach außen hin als Vertragspartner und Veräußerer aufgetreten, wie sich insbesondere aus der Vertragsabwicklung mit der GmbH ergebe. Es gebe keinerlei Hinweis darauf, daß irgendein Dritter die Paletten und Gitterboxen veräußert habe. Daß die Schecks auf dem Konto des Sohnes gutgeschrieben worden seien, sage nichts darüber aus, wer Veräußerer der Paletten gewesen sei. Dafür, daß der verstorbene Ehemann der Klägerin Eigentümer der Paletten gewesen sei, gebe es keine Anhaltspunkte. Dagegen spreche bereits, daß die Paletten im Rahmen des Gewerbebetriebs der Klägerin angefallen seien und es außergewöhnlich sei, daß sie dann nicht in das Eigentum des Inhabers des Gewerbes, sondern eines Angestellten übergegangen sein sollten. Außerdem habe die Klägerin die Paletten unstreitig betrieblich genutzt. Hätten sie im Eigentum des Ehemannes gestanden, so müßte es über die leihweise Überlassung klare und eindeutige vertragliche Vereinbarungen zwischen den Eheleuten geben. Auch hieran fehle es. Die Klägerin habe auch dafür, daß nicht sie der Veräußerer gewesen sei, keinerlei Beweis geboten.
Mit der Revision rügt die Klägerin unterlassene Beweiserhebung, ungenügende Sachaufklärung und Verletzung des rechtlichen Gehörs.
Entscheidungsgründe
Auf die Revision der Klägerin ist die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr.2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Die ausschließlich auf Verfahrensmängel gestützte Revision ist zulässig. Werden Verfahrensmängel gerügt, so muß die Revision oder Revisionsbegründung die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben (§ 120 Abs. 2 FGO). Die Rüge mangelnder Sachaufklärung wegen Nichterhebung angebotener Beweise erfordert folgende Aufgaben: Bezeichnung des Beweisthemas, Angabe des Schriftsatzes mit Datum und Seitenzahl, in dem der Beweisantritt erfolgt sein soll, Ausführungen darüber, was das Ergebnis der Beweisaufnahme gewesen wäre, weshalb das angefochtene Urteil aufgrund dessen sachlich-rechtlicher Auffassung auf der unterbliebenen Beweisaufnahme beruhen kann und daß der Mangel in der mündlichen Verhandlung vor dem FG gerügt worden ist oder daß die Absicht des FG, die angebotenen Beweise nicht zu erheben, nicht so rechtzeitig erkennbar war, um dies noch vor dem FG rügen zu können (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 31. Juli 1990 I R 173/83, BFHE 162, 236, BStBl II 1991, 66). Diesen Anforderungen genügt die Rüge der Klägerin wegen unterlassener Vernehmung der Zeugin Z, obgleich Angaben der Klägerin zur Rüge des Mangels vor dem FG fehlen. Dies ist hier entbehrlich.
Das Übergehen eines Beweisantrags, wie die im Streitfall beantragte Zeugenvernehmung, gehört zu den Verfahrensmängeln, die nach § 155 FGO i.V.m. § 295 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO) nicht mehr gerügt werden können, wenn die Partei auf die Befolgung der Vorschrift verzichtet hat, oder wenn sie bei der nächsten mündlichen Verhandlung, die aufgrund des betreffenden Verfahrens stattgefunden hat oder in der darauf Bezug genommen ist, den Mangel nicht gerügt hat, obgleich sie erschienen ist und ihr der Mangel bekannt war oder bekannt sein mußte. Zur schlüssigen Rüge dieses Verfahrensmangels sind deshalb Ausführungen dazu erforderlich, daß das Rügerecht noch besteht. Es geht nicht nur durch eine ausdrückliche oder konkludente Verzichtserklärung gegenüber dem FG verloren, sondern auch durch das bloße Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge; ein Verzichtswille ist dafür nicht erforderlich (vgl. BFH-Beschluß vom 31. Januar 1989 VII B 162/88, BFHE 155, 498, BStBl II 1989, 372). § 295 Abs. 1 ZPO gilt im Zivilprozeß auch für das schriftliche Verfahren, wobei umstritten ist, welche Ereignisse der rügelosen Verhandlung gleichzustellen sind. Der rügelosen Verhandlung entspricht nicht das Einverständnis zum schriftlichen Verfahren; denn sonst wären damit alle künftigen Verfahrensmängel des schriftlichen Verfahrens, auf deren Geltendmachung verzichtet werden kann, geheilt (vgl. Bischof, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1985, 1143). In der durch § 155 FGO gebotenen sinngemäßen Anwendung des § 295 Abs. 1 ZPO ist für das finanzgerichtliche Verfahren davon auszugehen, daß der Verzicht auf mündliche Verhandlung nicht der zügellosen mündlichen Verhandlung gleichsteht. Der Verzicht auf die Rüge der Nichterhebung angebotener Beweise kommt bei dem Einverständnis mit einer Entscheidung des FG ohne mündliche Verhandlung in der Regel nicht in Betracht, weil der Mangel für die Beteiligten nicht vor Erlaß des Urteils erkennbar wird. Für die schlüssige Rüge dieses Verfahrensmangels kann deshalb dann auf Darlegungen zum Gebrauch des Rügerechts verzichtet werden, wenn das FG im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat.
Der Vortrag der Klägerin erfüllt die übrigen Erfordernisse der ordnungsgemäßen Rüge des Verstoßes gegen § 76 FGO wegen Nichterhebung eines angebotenen Beweises. Die Klägerin hat vorgetragen, bei den verkauften Paletten und Gitterboxen habe es sich um Nachlaßvermögen ihres verstorbenen Ehemannes gehandelt, dessen Erben sie und ihr Sohn gewesen seien. Sie habe als Zeugin für ihre Behauptung, daß ihr verstorbener Ehemann während seiner Tätigkeit in ihrem Betrieb und danach Paletten und Gitterboxen gekauft und ihr leihweise für ihren Betrieb zur Verfügung gestellt habe, Frau Z angeboten. Sie hat weiterhin dargetan, daß ausgehend von der Auffassung des FG, wonach keine Anhaltspunkte dafür bestanden hätten, daß ihr verstorbener Ehemann Eigentümer der Paletten gewesen sei, die Zeugin vom FG hätte vernommen werden müssen. Damit wäre klargestellt worden, daß die Paletten und Gitterboxen zum Nachlaß gehört hätten. Dies hinwiederum hätte zur Folge gehabt, daß es sich bei den veräußerten Paletten und Gitterboxen nicht um Betriebsvermögen der Klägerin gehandelt hätte; das abweisende Urteil hätte nicht ergehen können.
2. Die Revision ist begründet. Die Vorentscheidung kann auf der unterlassenen Zeugenvernehmung beruhen. Für die Prüfung dieser Frage kommt es auf die sachlich-rechtliche Auffassung des FG an. Dieses hat seine Entscheidung u.a. darauf gestützt, daß es keine Anhaltspunkte dafür gebe, daß der verstorbene Ehemann der Klägerin Eigentümer der Paletten gewesen sei. Hätte es die Zeugin Z vernommen und hätte diese die Behauptungen der Klägerin bestätigt, so wäre das Urteil möglicherweise anders ausgefallen; denn das FG hat nach seinen weiteren Ausführungen den Eigentumsverhältnissen vor dem Tode des Ehemannes der Klägerin entscheidende Bedeutung beigemessen.
Die Vorentscheidung stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (vgl. § 126 Abs. 4 FGO). Im Hinblick auf die Zeitspanne zwischen dem Tod des Ehemannes im Januar 1975 und dem Beginn der Verkäufe ab April 1976, während welcher die Klägerin die Paletten und Gitterboxen mit hoher Wahrscheinlichkeit in ihrem Betrieb nutzte, ist zwar sehr zweifelhaft, ob - die Richtigkeit der unter Beweis gestellten Behauptungen unterstellt - die veräußerten mit den geerbten Gegenständen identisch waren. Dies läßt sich aber nicht von vornherein ausschließen.
Die Sache wird an das FG zurückverwiesen, damit dieses feststellt, ob die Klägerin und ihr Sohn Paletten und Gitterboxen geerbt haben, ob diese im Betrieb der Klägerin genutzt und welche Paletten und Gitterboxen veräußert wurden. Sollten sie zum Nachlaß des Ehemanns der Klägerin gehört haben, so können Einnahmen aus ihrer Veräußerung der Klägerin nur insoweit zugerechnet werden, als sie auf die Veräußerung von in deren Eigentum stehenden Paletten und Gitterboxen entfielen; Paletten und Gitterboxen, die die Klägerin in ihrem Betrieb nutzte, bildeten - jedenfalls in Höhe ihres Erbanteils - bei ihr notwendiges Betriebsvermögen. Sollten die Paletten und Gitterboxen nicht im Betrieb der Klägerin genutzt worden sein, so wird das FG auch zu prüfen haben, ob nicht die Veräußerung als solche die Voraussetzungen eines Gewerbebetriebs erfüllte.
Fundstellen
Haufe-Index 418904 |
BFH/NV 1993, 483 |