Entscheidungsstichwort (Thema)
Billigkeitsmaßnahmen bei Irrtum über Entnahmefolgen?
Leitsatz (NV)
Auch wenn der Steuerpflichtige die steuerlichen Folgen einer Entnahmehandlung nicht überblicken konnte, kann die Entnahme nicht mit steuerlicher Wirkung rückgängig gemacht werden. Die Entnahmefolgen sind jedoch unter gewissen Voraussetzungen im Rahmen einer Billigkeitsentscheidung über die Steuerfolgen zu berücksichtigen.
Normenkette
AO 1977 § 163 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) zu 1, eine BGB-Gesellschaft, ist im Wege der Betriebsaufspaltung entstanden. Sie überläßt der Betriebs-GmbH, die sich der Metallbearbeitung widmet, pachtweise die Betriebsgrundstücke. Diese Grundstücke und die Anteile an der Betriebs-GmbH wurden in die Bilanz der Klägerin aufgenommen. Eigentümer dieser Wirtschaftsgüter sind die Brüder A (Kläger und Revisionsbeklagte - Kläger - zu 2 und 3); sie waren auch die Gesellschafter der Klägerin. Im Betrieb der GmbH waren eine Tochter und ein Sohn der Gesellschafter als Prokuristen tätig.
Im Mai 1978 übertrugen die Kläger zu 2 und 3 diesen Kindern jeweils 15 v. H. ihrer Anteile an der GmbH. Anläßlich einer im Jahre 1980 durchgeführten Betriebsprüfung sah der Prüfer darin eine Entnahmehandlung; den Entnahmegewinn ermittelte er mit 384 480 DM. Aus Anlaß der Betriebsprüfung übertrugen die Kläger zu 2 und 3 im Dezember 1980 zusätzlich jeweils 2/14 Miteigentumsanteil an den Betriebsgrundstücken auf ihre Kinder. Wegen der Hinzurechnung des Entnahmegewinns erhob die Klägerin erfolglos Einspruch und Klage; die Entscheidung des Finanzgerichts (FG) ist rechtskräftig.
Zusätzlich beantragte die Klägerin, im Billigkeitswege vom Ansatz eines Entnahmegewinns in der Gewinnfeststellung 1978 abzusehen. Die Finanzbehörde wies diesen Antrag auch in der Beschwerdeinstanz zurück; die Klage hatte dagegen Erfolg.
Hiergegen richtet sich die Revision des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt - FA -), mit der Verletzung materiellen Rechts gerügt wird.
Das FA beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage.
1. Das FG hat als Klägerin nur die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), nicht aber die Gesellschafter angesehen. Nach der Art der Klageerhebung und der von ihnen ausgestellten Vollmachten kann aber davon ausgegangen werden, daß auch die Gesellschafter Klage erheben wollten; das FG konnte danach von der Beiladung der Gesellschafter absehen, die sonst gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 2, § 60 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) geboten gewesen wäre, da es um die Steuerfolgen einer Entnahme von Sonderbetriebsvermögen der Gesellschafter geht. Das Rubrum des FG-Urteils ist insoweit richtigzustellen; die Gesellschafter sind auch am Revisionsverfahren beteiligt.
2. Die Kläger erstreben eine Billigkeitsmaßnahme nach § 163 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977). Danach können Steuern niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuer erhöhen, bei der Steuerfestsetzung unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falles unbillig erscheint. Die Entscheidung über eine solche Billigkeitsmaßnahme kann mit der Steuerfestsetzung verbunden werden (§ 163 Abs. 1 Satz 3 AO 1977). Über sie kann jedoch auch in einem besonderen Verfahren befunden werden; im Streitfall haben die Beteiligten diesen Weg gewählt. Dabei steht die von den Klägern angestrebte niedrigere Feststellung von Besteuerungsgrundlagen in einem Gewinnfeststellungsbescheid der niedrigeren Steuerfestsetzung gleich (§ 181 Abs. 1 Satz 1 AO 1977).
3. Die Unbilligkeit einer Steuerfestsetzung kann sich aus sachlichen oder aus persönlichen Gründen ergeben. Als persönliche Billigkeitsgründe werden in diesem Zusammenhang nur die wirtschaftlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen angesehen (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 29. April 1981 IV R 23/78, BFHE 133, 489, BStBl II 1981, 726). Der Antrag der Kläger war danach auf Billigkeitsmaßnahmen aus sachlichen Gründen gerichtet, obwohl er auf persönliche Umstände, nämlich die Unkenntnis der Gesellschafter über die steuerlichen Folgen ihrer Maßnahmen gestützt war.
Sachlich unbillig ist die Festsetzung einer Steuer, wenn sie zwar äußerlich dem Gesetz entspricht, den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Falle aber derart zuwiderläuft, daß die Erhebung der Steuer als unbillig erscheint (BFH-Urteil vom 26. Oktober 1972 I R 125/70, BFHE 108, 146, BStBl II 1973, 271). In diesem Zusammenhang kann auch dem Verhalten des Steuerpflichtigen bei der Entstehung des Steueranspruchs Bedeutung zukommen (BFH-Urteil vom 24. März 1981 VIII R 117/78, BFHE 133, 60, BStBl II 1981, 505). Ob die Voraussetzung für eine derartige Billigkeitsmaßnahme vorliegen, entscheidet die Finanzbehörde nach ihrem Ermessen (Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603). Derartige Ermessensentscheidungen kann das Gericht nach § 102 FGO nur darauf überprüfen, ob die Behörde von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist, ob sie im Rahmen des ihr zustehenden Ermessensspielraums tätig geworden ist, dabei Billigkeit und Zweckmäßigkeit beachtet und von ihrem Ermessen in rechtlich vertretbarer Weise Gebrauch gemacht hat (BFH-Urteil vom 15. Februar 1973 V R 152/69, BFHE 108, 571, BStBl II 1973, 466).
Bei Anlegung dieser Maßstäbe ergeben sich gegen die Entscheidung der Finanzbehörde keine Bedenken.
4. Die Finanzbehörde ist in ihrer Beschwerdeentscheidung in tatsächlicher Hinsicht zugunsten der Kläger davon ausgegangen, daß die Gesellschafter eine vollständige Betriebsübertragung auf ihre Kinder beabsichtigten und daß die Übertragung der GmbH-Anteile den ersten Schritt in diese Richtung bildete. Sie hat auch angenommen, daß sich die Gesellschafter über die steuerlichen Folgen dieser Übertragung geirrt haben und hat richtigerweise diesem Umstand bei der Prüfung einer Billigkeitsmaßnahme Gewicht beigelegt, obwohl die Erfüllung des Entnahmetatbestands nicht davon abhängt, daß der Steuerpflichtige die steuerlichen Folgen seines Handelns erkannt und in Kauf genommen hat (BFH-Urteil vom 31. Januar 1985 IV R 130/82, BFHE 143, 335, BStBl II 1985, 395). Die Behörde hat hierzu ausgeführt, daß die Steuerfestsetzung grundsätzlich nicht in Frage gestellt werden könne, weil der Steuerpflichtige mit seinem Handeln nicht die geringstmögliche Belastung erreicht habe. Im Streitfall könne es für die Übertragung der GmbH-Anteile auch nichtsteuerliche Motive gegeben haben. Zu der zunächst unterlassenen Übertragung der Grundstücksanteile sei es erst im Dezember 1980 gekommen; diese Maßnahme könne nicht auf den Veranlagungszeitraum 1978 zurückbezogen werden.
Diesen Überlegungen ist im Ergebnis beizupflichten. Sie knüpfen an Erwägungen an, die auch Rechtsprechung in Fällen angestellt hat, in denen Wirtschaftsgüter unter Verkennung der steuerlichen Folgen entnommen wurden. Die Rechtsprechung hat es früher in Ausnahmefällen zugelassen, daß die Entnahme mit steuerlicher Wirkung rückgängig gemacht wird, sofern der Steuerpflichtige die steuerlichen Folgen seiner Handlungsweise nicht überblicken konnte, diese Folgen ungewöhnlich hart waren und er spätestens bis zur Erstellung der Bilianz den früheren Zustand wieder hergestellt hat; zusätzlich ist verlangt worden, daß sich aus der Entnahme noch keine steuerlichen Folgen ergeben haben (BFH-Urteile vom 22. Oktober 1953 IV 278/53 U, BFHE 58, 176, BStBl III 1953, 359; vom 22. Juni 1967 I 192/64, BFHE 90, 114, BStBl II 1968, 4; vom 10. April 1962 I 65/61 U, BFHE 74, 690, BStBl III 1962, 255, jeweils m. w. N.). Wie der VIII. Senat des BFH in seiner Entscheidung vom 2. August 1983 VIII R 15/80 (BFHE 139, 79, BStBl II 1983, 736) nunmehr hervorgehoben hat, können diese Umstände zwar eine Entnahme nicht hindern, sie sind jedoch bei einer Billigkeitsentscheidung über die Steuerfolgen zu berücksichtigen.
Die genannten Voraussetzungen sind im Streitfall zumindest im letzten Punkt nicht erfüllt, so daß es nicht darauf ankommt, ob die Gesellschafter der Klägerin die steuerlichen Folgen ihres Tuns unverschuldet nicht überblicken konnten und diese Folgen ungewöhnlich hart sind. Die Gesellschafter der Klägerin haben die teilweise Entnahme ihrer der Gesellschaft als Sonderbetriebsvermögen gewidmeten GmbH-Anteile nicht rückgängig gemacht, sondern durch Zuwendung von Anteilen an den ebenfalls in ihrem Sonderbetriebsvermögen stehenden Grundstücken ergänzt. Infolgedessen hat die Entnahme für die Gesellschaft, die Gesellschafter und ihre Kinder auch Steuervorteile dergestalt bewirkt, daß die ihnen zukommenden Gewinnausschüttungen nicht mehr von den Gesellschaftern versteuert wurden und daß die Kinder der Gesellschafter als Beteiligte des Besitzunternehmens für ihre nunmehr eingelegten GmbH-Anteile von Gesetzes wegen den Teilwert anzusetzen haben. Ob eine Billigkeitsmaßnahme unter Einbeziehung der Kinder möglich gewesen wäre, hatte der Senat nicht zu entscheiden, da derartiges von den Klägern nicht begehrt worden ist.
Wie die Finanzbehörde erkannt hat, wollen die Gesellschafter im Streitfall nicht so behandelt werden, als wäre es nicht zur Entnahme der GmbH-Anteile gekommen, sondern als wäre bereits im Jahre 1978 eine Beteiligung am Besitzunternehmen samt Anteilen am Sonderbetriebsvermögen der Gesellschafter zum Buchwert übertragen worden (§ 7 Abs. 1 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung). Sie erstreben damit, so gestellt zu werden, als hätten sie im Streitjahr die steuerlich zweckmäßigste Maßnahme getroffen, nicht aber, von den steuerlichen Folgen einer unzweckmäßigen Maßnahme befreit zu werden. Diesem Verlangen brauchte die Finanzbehörde bei Abwägung der Interessen der öffentlichen Hand und des Steuerpflichtigen nicht stattzugeben. Wie in der Rechtsprechung mehrfach ausgeführt, kann der Steuerpflichtige nicht verlangen, von den steuerlichen Nachteilen einer Maßnahme verschont zu bleiben, gleichzeitig aber deren steuerliche Vorteile in Anspruch zu nehmen (BFH-Urteil vom 18. April 1973 I R 57/71, BFHE 109, 505, BStBl II 1973, 700).
5. Der Senat vermag auch nicht den Erwägungen zu folgen, die die Kläger zur Unterstützung des FG-Urteils vorgetragen haben.
Der vom FG bestätigte Gewinnfeststellungsbescheid entspricht geltendem Recht, so daß nicht auf die Frage eingegangen werden muß, unter welchen Voraussetzungen gegenüber einem unrichtigen, aber bestandskräftigen Steuerbescheid eine Billigkeitsmaßnahme erlangt werden kann.
Die Kläger meinen, das FA hätte auf ihre im Juli 1978 erfolgte Mitteilung von der Übertragung der GmbH-Anteile von sich aus tätig werden und sie auf das Erfordernis der Grundstücksübertragung hinweisen müssen. Auch hierauf kann der Senat nicht eingehen. Das erwähnte Schreiben befindet sich offensichtlich in den Steuerakten der Betriebs-GmbH, die am Rechtsstreit nicht beteiligt ist; es konnte darum vom FG nicht gewürdigt werden. Der Hinweis der Kläger stellt sich damit als neues Sachvorbringen dar, das in der Revisionsinstanz nicht mehr berücksichtigt werden kann (§ 118 Abs. 2 FGO).
Die von den Klägern im Wege der Gegenrüge bezeichneten Verfahrensmängel liegen tatsächlich nicht vor; dies braucht nicht näher begründet zu werden (Art. 1 Nr. 8 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs).
Fundstellen
Haufe-Index 61493 |
BFH/NV 1987, 768 |