Entscheidungsstichwort (Thema)
Inanspruchnahme des Vermögensübernehmers durch Haftungsbescheid
Leitsatz (NV)
1. Der nach § 419 BGB für die Haftungsschuld einer anderen Person haftende Vermögensübernehmer kann nach § 191 Abs. 1 AO 1977 durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden.
2. Zu den Voraussetzungen einer Haftung nach § 419 BGB.
Normenkette
BGB § 419 Abs. 1; AO 1977 §§ 37, 191 Abs. 1, 4
Tatbestand
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) hatte gegen die Eltern des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) be standskräftige Haftungsbescheide für Steuerrückstände einer GmbH erlassen, deren Geschäftsführer sie waren. Die Eltern ver äußerten mit notariellem Vertrag vom ... ihren gesamten Grundbesitz einschließlich der Betriebsgrundstücke samt Inventar unter Zurückbehaltung eines Wohnrechts für ... DM an den Kläger. Das FA erließ daraufhin gegen den Kläger einen auf § 191 der Abgabenordnung (AO 1977) i. V. m. § 419 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) gestützten Haftungsbescheid über die noch offene Summe aus Steuern und steuerlichen Nebenleistungen von ... DM aus den beiden gegen dessen Eltern ergangenen Haftungs bescheiden.
Nach erfolglosem Einspruch trug der Kläger mit der Klage vor, die Voraussetzungen der §§ 191 AO 1977, 419 BGB lägen nicht vor, weil eine entsprechende Gegenleistung an die Eltern geflossen sei. Seine Eltern hätten ihm ausweislich des notariellen Vertrages eine ganze Reihe "nicht fungibler" Gartengrundstücke übertragen. Auf einigen der Grundstücke befinde sich sein heutiger Betrieb. Die Hauptgläubigerbanken seiner Eltern hätten ihre im Veräußerungszeitpunkt auf ... DM aufgelaufenden Kredite durch gleichrangige Grundschuldbestellungen ab gesichert. Das vom FA eingeleitete Zwangsversteigerungsverfahren in den gesamten Grundbesitz habe mangels Bietern nicht zum Erfolg geführt. Auf dessen Durchführung habe das FA dann anschließend verzichtet. Die beiden Gläubigerbanken hätten ihrerseits auf die ... DM übersteigenden Forderungen (mehr als 50 %) verzichtet und erst dadurch den Grundstückserwerb durch den Kläger ermöglicht. Die von ihm für den Grundstückserwerb gezahlten ... DM seien von seinen Eltern den Banken überlassen worden, die dann das Grundstück dinglich freigegeben hätten. Erst dadurch sei der Kaufvertrag ermöglicht worden. Durch den Verkauf des Grundstücks hätte sich die Gläu bigerposition nicht verschlechtert; schon vorher sei die Realisierung der Forderungen aussichtslos gewesen.
Das Finanzgericht (FG) behielt dem Kläger vor, die Beschränkung der Haftung auf den mit dem notariellen Vertrag vom ... von seinen Eltern übernommenen Grundbesitz ge mäß § 419 Abs. 2 BGB geltend zu machen; im übrigen wies es die Klage ab. Das FA habe zwischen dem Erlaß eines Duldungs- oder Haftungsbescheids wählen können und sich deshalb für den Erlaß eines Haftungsbescheids gegen den Kläger entscheiden dürfen. Der erlassene Haftungsbescheid sei rechtmäßig, weil die Voraussetzungen des § 419 Abs. 1 BGB erfüllt seien. Mit dem Verfügungsgeschäft sei das ganze oder nahezu das ganze Vermögen der Eltern auf den Sohn übertragen worden. Dem Sohn seien die Vermögensverhältnisse der Eltern genauestens bekannt gewesen. Auf die Gegenleistung und ihre Gleichwertigkeit komme es nicht an. Der Schutz des Klägers ergebe sich aus § 419 Abs. 2 BGB. Die Frage, ob es auf die Gegenleistung und ihre Gleichwertigkeit ankomme, hätte aber auch offenbleiben können, weil ihre Beantwortung für die Entscheidung des Streitfalls wohl nicht notwendig sei. Das FA habe dargelegt, daß der Kläger den übernommenen Grundbesitz mit ... DM, abzüglich der Bankschulden immer noch mit ... DM unterbezahlt habe; die Gegenleistung sei mithin nicht gleichwertig. Der Erlaß des Haftungsbescheids gegen den Kläger verstoße auch nicht gegen Treu und Glauben. Allerdings sei dem Kläger die Geltendmachung der beschränkten Vermögensübernehmerhaftung nach § 419 Abs. 2 BGB vorzubehalten.
Mit der Revision macht der Kläger die Verletzung von § 419 Abs. 1 BGB geltend. Er führt im wesentlichen aus, die vom Bundesgerichtshof (BGH) und Bundesfinanzhof (BFH) offen gelassene Frage, ob Gegenleistungen zu be rücksichtigen seien, wenn sie dem übernommenen Vermögen gleichwertig seien und den Gläubigern des Veräußerers die gleiche Sicherheit und die gleichen Befriedigungsmöglichkeiten böten, hätte das FG dahin beantworten müssen, daß der Kläger im Streitfall nicht nach § 419 Abs. 1 BGB deswegen für fremde Steuerschulden herangezogen werden könne, weil er den Grundbesitz der Eltern übernommen habe. Eine Haftung sei auch dann nicht gegeben, wenn an den Bestandteilen des übernommenen Vermögens dingliche Sicherungsrechte Dritter bestünden. Der Kläger habe eine dem veräußerten Aktivvermögen entsprechende Gegenleistung erbracht. Der Grundbesitz seiner Eltern sei auch im Rahmen einer Zwangsversteigerung nicht verwertbar gewesen. Die Übernahme des Grundbesitzes sei nur dadurch möglich gewesen, daß sich der Kläger in Höhe von ... DM verschuldet habe. Die Grundstücke hätten nicht den vom FA angegebenen Wert gehabt; andernfalls hätten die Banken nicht auf jeweils 50 % ihrer Forderungen verzichtet.
Das FA führt im einzelnen aus, der Kläger habe den übernommenen Grundbesitz unterbezahlt. Ohne die Grundbesitzübertragung habe das FA wesentlich bessere Befriedigungsmöglichkeiten gehabt. Die erbrachte Gegenleistung des Klägers biete nicht die gleiche Sicherheit und Befriedigungsmöglichkeit wie das übertragene Grundstück, weil sie in vollem Umfang zur Abdeckung von Verbindlichkeiten der Grundstücksver äußerer gedient habe und damit dem Zugriff des FA entzogen sei.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Der auf §§ 191 AO 1977, 419 Abs. 1 BGB gestützte Haftungsbescheid des FA gegen den Kläger ist rechtmäßig.
1. § 419 BGB ist nach ständiger Rechtsprechung auch im Steuerrecht anwendbar. Das folgt aus § 191 Abs. 4 AO 1977, der davon ausgeht, daß eine Haftung für Steuern nicht nur im Rahmen der Steuer gesetze, sondern auch außerhalb dieser auf zivilrechtlicher Grundlage in Betracht kommt. Somit kann auch der nach § 419 Abs. 1 BGB Haftende gemäß § 191 Abs. 1 AO 1977 durch einen Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden (vgl. BFH- Urteile vom 5. Februar 1986 I R 78/82, BFHE 146, 199, BStBl II 1986, 504, und vom 31. Mai 1989 III R 184/86, BFHE 157, 301, BStBl II 1990, 355; Tipke/Kruse, Abgabenordnung -- Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 191 AO 1977 Rz. 2). § 191 Abs. 1 AO 1977 schafft nicht die materielle Grundlage für die Haftung. Er setzt diese voraus. Sie kann durch Steuer gesetze und durch zivilrechtliche Vorschriften begründet werden. Die Bedeutung des § 191 Abs. 1 AO 1977 liegt darin, verfahrensrechtlich die Möglichkeit dafür zu schaffen, daß die bestehende Haftung mit einem Haftungsbescheid geltend gemacht werden kann (Senatsurteil vom 24. Februar 1987 VII R 4/84, BFHE 149, 125, BStBl II 1987, 363).
Unerheblich ist, daß die Schuld, für die eine Haftung nach § 191 AO 1977 i. V. m. § 419 Abs. 1 BGB in Betracht gezogen wird, selbst eine Haftungsschuld für von einer anderen Person geschuldete Steuern ist (Haftung 2. Grades). Der Wortlaut des § 191 Abs. 1 AO 1977 spricht zwar nur von einer Haftung "für eine Steuer". Das schließt aber nicht aus, daß auch die Haftung 2. Grades nach § 191 Abs. 1 AO 1977 mit einem Haftungsbescheid geltend ge macht werden kann. Zwar wird der Haftungsanspruch in § 37 AO 1977 selbständig neben dem Steueranspruch genannt, was zu der Annahme Anlaß geben könnte, er sei von dem Steueranspruch mit der Folge zu unterscheiden, daß im Wege des § 191 AO 1977 nur für die Haftung für den Steueranspruch (Haftung 1. Grades) geltend gemacht werden kann. Geht man aber davon aus, daß es sich bei § 191 Abs. 1 AO 1977 ausschließlich um eine Verfahrensvorschrift handelt, so erlaubt deren Wortlaut keine Differenzierung zwischen Steuer- und Haftungsschulden, zumal auch die Haftung 2. Grades letztlich eine Haftung für Steuerschulden ist (vgl. BFH in BFHE 149, 125, BStBl II 1987, 363). Im Ergebnis bestehen darüber, daß § 191 Abs. 1 AO 1977 auch auf die vorliegende Fallkonstellation anzuwenden ist, keine Meinungsverschiedenheiten (Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 191 AO 1977 Rz. 14; Dumke in Schwarz, Abgabenordnung -- AO --, Kommentar, § 191 Rz. 7; Halaczinsky in Koch/Scholtz, Abgabenordnung, 4. Aufl., § 191 Rz. 1; Klein/Orlopp, Abgabenordnung, § 191 Abschn. 1).
2. Übernimmt jemand durch Vertrag das Vermögen eines anderen, so können dessen Gläubiger, unbeschadet der Fortdauer der Haftung des bisherigen Schuldners, von dem Abschlusse des Vertrags an ihre zu dieser Zeit bestehenden Ansprüche auch gegen den Übernehmer geltend machen (§ 419 Abs. 1 BGB).
Unter dem Begriff des Vermögens werden nur die im Zeitpunkt der Vermögensübertragung vorhandenen aktiven Vermögenswerte des Schuldners verstanden. Sie sind mit den Schulden des Übergebers belastet, für die mit der Übernahme des aktiven Vermögens auch der Übernehmer haftet. Die auf dem Grundbesitz ruhenden dinglichen Lasten haben für die Frage, ob der Übernehmer haftet, nur insoweit Bedeutung, als im Vergleich mit dem dem Veräußerer verbliebenen Vermögen festzustellen ist, ob überhaupt eine Vermögensübernahme i. S. von § 419 Abs. 1 BGB, d. h. die Übernahme des gesamten oder doch nahezu gesamten Vermögens, vorliegt (vgl. BGH-Urteile vom 19. Februar 1976 III ZR 75/74, BGHZ 66, 217, 220 f., und vom 6. Dezember 1984 X ZR 103/83, BGHZ 93, 135, 138 f.).
Ist nach diesen Kriterien eine Vermögensübernahme zu bejahen, so berührt die von dem Übernehmer erbrachte Gegenleistung nach dem Wortlaut der Vorschrift grundsätzlich dessen Haftung nicht. Denn § 419 Abs. 1 BGB stellt nur auf die Übertragung des Vermögens ab, das sich zuvor in der Hand des Schuldners befunden hat, berücksichtigt aber nicht den Ausgleich, den der Schuldner für die Übertragung seines Vermögens durch den Übernehmer des Vermögens etwa erhalten hat. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz wird lediglich in dem Fall für erwägenswert gehalten, daß die Gläubiger durch die dem Veräußerer vom Erwerber erbrachte Gegenleistung die gleichen Sicherheiten und Befriedigungsmöglichkeiten wie zuvor haben. Diese Auslegung des § 419 Abs. 1 BGB entspricht der ständigen Rechtsprechung, der sich der erkennende Senat anschließt (vgl. BGH- Urteile vom 13. Juli 1960 V ZR 19/59, BGHZ 33, 123, 125; in BGHZ 66, 217, 220; in BGHZ 93, 135, 138, und vom 7. November 1990 XII ZR 11/89; NJW- Rechtsprechungs-Report Zivilrecht -- NJW- RR -- 1991, 205, 207; BFH-Urteil in BFHE 146, 199, BStBl II 1986, 504, 506).
3. Nach den den Senat bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) hat der Kläger im Streitfall in Kenntnis der Vermögensverhältnisse seiner Eltern deren gesamtes oder nahezu gesamtes Vermögen übernommen und haftet daher in Anwendung der dargelegten Grundsätze für die Steuerhaftungsschulden seiner Eltern. Die von ihm er brachte Gegenleistung in Höhe von ... DM vermag seine durch die Vermögensübernahme begründete Haftung nicht zu berühren.
Auch im Streitfall besteht keine Veranlassung, die bisher von der Rechtsprechung offengelassene -- vom FG allerdings verneinte -- Frage abschließend zu entscheiden, ob eine erbrachte Gegenleistung ausnahmsweise die Haftung des Vermögensübernehmers ausschließen kann. Denn die Voraussetzungen, bei deren Vorliegen eine Berücksichtigung der Gegenleistung allein für erwägenswert gehalten werden kann, sind hier nicht gegeben. Die Eltern des Klägers haben nämlich durch die Zahlung der ... DM durch den Kläger kein dem übertragenen Grundbesitz entsprechendes Vermögen erlangt, das ihren Gläubigern die gleichen Sicherheiten und Befriedigungsmöglichkeiten bietet. Dabei ist im Streitfall unbeachtlich, ob eine Geldzahlung überhaupt ein dem übertragenen Grundbesitz äquivalenter Ausgleich sein kann oder ob die Geldzahlung wertmäßig dem erworbenen Grundbesitz entsprach. Denn der Geldbetrag ist, wie der Kläger unbestritten vorgetragen hat, an die Gläubigerbanken zur (teilweisen) Begleichung ihrer Forderungen als Voraussetzung für die dingliche Freigabe des Grundbesitzes geflossen. Die Eltern als Veräußerer des Grundbesitzes haben schon deswegen keinen dem auf den Kläger übertragenen Vermögen entsprechenden Vermögensersatz erlangt. Für deren Gläubiger ist daher überhaupt keine dem übertragenen Grundbesitz gleichwertige Haftungsmasse mehr vorhanden, die ihnen eine gleichwertige Sicherheit und Befriedigungsmöglichkeit hinsichtlich ihrer Forderungen bieten könnte (vgl. BGH-Urteile in BGHZ 93, 135, 138 und NJW-RR 1991, 205, 207).
Dahinstehen kann auch, ob das Geld unmittelbar vom Kläger oder über dessen Eltern an die Gläubigerbanken gezahlt worden ist. Denn ohne Rücksicht auf das beim Erbringen der Gegenleistung gewählte Verfahren kommt es insofern allein auf den wirtschaftlichen Zusammenhang, in dem die Gegenleistung erbracht worden ist, und auf das wirtschaftliche Ergebnis an, zu dem der Übertragungsvorgang geführt hat. Danach hat der Kläger zwar das wesent liche Vermögen der Eltern in Gestalt des Grundbesitzes übernommen. Diesen ist aber im Ergebnis nicht ein Vermögensausgleich zugeflossen, aus dem das FA Befriedigung seiner Forderung suchen könnte.
Unbeachtlich ist deshalb auch der Einwand des Klägers, daß der übernommene Grundbesitz im Rahmen der gegen die Eltern des Klägers betriebenen Zwangsversteigerung des Grundbesitzes nicht verwertbar gewesen sei. Darauf könnte es nur ankommen, wenn ein Vergleich des übertragenen Vermögens mit der Gegenleistung in Betracht käme. Ein solcher Vergleich ist aber schon deswegen nicht erforderlich, weil den Eltern des Klägers als bisherigen Schuldnern überhaupt kein Vermögensausgleich zugeflossen ist, der als Haftungsmasse für die Befriedigung der Forderungen ihrer Gläubiger in Betracht käme.
Fundstellen