Entscheidungsstichwort (Thema)
Erwerb des Restitutionsanspruchs und die spätere Veräußerung des rückübertragenen Grundstücks als Anschaffungs- und Veräußerungsvorgang
Leitsatz (amtlich)
Der Erwerb eines Restitutionsanspruchs steht der Anschaffung des von diesem erfassten Grundstücks gleich. Daher ist der entgeltliche Erwerb des Restitutionsanspruchs und die spätere Veräußerung des rückübertragenen Grundstücks grundsätzlich als Anschaffungs- und Veräußerungsvorgang i.S. des § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG anzusehen.
Normenkette
EStG § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Mit notariellem "Abtretungs-/Kaufvertrag" vom 5. November 1993 erwarb der Kläger und Revisionskläger (Kläger) im Wege der Abtretung den Anspruch auf Rückübertragung (nach dem Vermögensgesetz ―VermG―) des Grundstücks B-Straße 18, letztlich von den (insgesamt) Berechtigten i.S. des § 2 Abs. 1 VermG. Als Gegenleistung (Kaufpreis) wurde ein Betrag in Höhe von 1 270 000 DM vereinbart. Dieser Betrag sollte gemäß § 3 des Vertrages eine Woche nach bestandskräftiger Feststellung durch das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen (ARoV), dass Rückübertragungsansprüche für die Veräußerer bzw. aufgrund dieses Vertrages für den Erwerber (= Kläger) bestehen, fällig sein. Der Kaufpreis wurde später wegen wertmindernder Umstände auf 820 000 DM reduziert.
Im Juli 1995 schloss der Kläger einen notariellen Kaufvertrag über das Grundstück B-Straße mit zwei Erwerbern ab. Der vereinbarte Kaufpreis betrug 1 840 000 DM; der Vertrag stand unter der "aufschiebenden Bedingung", dass der Bescheid des ARoV betreffend die Rückübertragung des Grundstücks auf den Kläger "rechtsbeständig wird". Sollte der Vorbescheid zum Restitutionsbescheid des ARoV "nicht bis zum 31.12.1995 vorliegen", hatte nach § 12 des Vertrages "der Käufer das Recht, von diesem Vertrag zurückzutreten".
Anfang Dezember 1995 erließ das ARoV den Rückübertragungsbescheid betreffend das Grundstück B-Straße, durch welchen das Eigentum auf den Kläger Zug um Zug gegen Zahlung eines Ablösebetrages von 39 532,49 DM übertragen wurde; der Bescheid wurde am 4. Januar 1996 bestandskräftig.
Nachdem der Kläger im Januar 1999 den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt ―FA―) über den Erwerb der Rückübertragungsansprüche und die Veräußerung des Grundstücks informiert hatte, änderte dieser den endgültigen Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 1996 gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977), indem er einen Spekulationsgewinn gemäß § 22 Nr. 2, § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von 910 873 DM im Zusammenhang mit der Veräußerung des Grundstücks B-Straße ansetzte und die Einkommensteuer erhöht (von null auf 286 450 DM) festsetzte.
Nach erfolglosem Einspruch wies das Finanzgericht (FG) die Klage ab (Urteil in Entscheidungen der Finanzgerichte 2003, 697). Der Kläger habe nicht nur einen mit dem Grundstück nicht identischen Rückübertragungsanspruch, sondern Eigentum am Grundstück erworben und dieses Grundstück mit Kaufvertrag vom Juli 1995 innerhalb der zweijährigen Spekulationsfrist weiterveräußert. Der im November 1993 geschlossene Abtretungs-/Kaufvertrag komme in seiner Wirkung dem Abschluss eines schuldrechtlichen Kaufvertrages über das zurückzuübertragende Grundstück gleich. Der Eintritt des mit dem Vertrag beabsichtigten Erfolgs ―Übergang des Grundstückseigentums auf den Kläger― sei lediglich noch vom Eintritt einer Bedingung, dem positiven Restitutionsbescheid des ARoV, abhängig gewesen, auf welche die Vertragsparteien selbst keinen Einfluss mehr gehabt hätten.
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts (§ 22 Nr. 2, § 23 Abs. 1 EStG).
Der Kläger beantragt sinngemäß, das FG-Urteil aufzuheben und die Einkommensteuer 1996 abweichend vom Einkommensteuerbescheid 1996 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 5. Juli 2000 ohne Berücksichtigung eines Spekulationsgewinns von 910 873 DM geändert festzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Es ist der Ansicht, im Wege wirtschaftlicher Betrachtungsweise habe der Bundesfinanzhof (BFH) auch die Frage der Nämlichkeit zwischen angeschafftem, unbebautem Grundstück und veräußerter Parzelle beurteilt, obwohl rechtlich ein aliud verkauft worden sei. Danach genüge eine Identität im wirtschaftlichen Sinne. Eine solche liege im Streitfall vor. Das FG habe einerseits die Abtretung eines Rückübertragungsanspruchs mit Vertrag vom November 1993 in seiner Wirkung mit einem Grundstückskaufvertrag gleichgesetzt; im Übrigen betreffe das mit Vertrag vom Juli 1995 abgeschlossene Rechtsgeschäft als Veräußerungsgegenstand eindeutig das Grundstück. Daher werde nicht der entgeltliche Erwerb eines Rückübertragungsanspruchs zur Besteuerung herangezogen, sondern die Veräußerung eines Grundstücks. Auf den Zeitpunkt des Eintritts der Bedingung komme es nicht an.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Das FG ist zu Unrecht vom Vorliegen eines Spekulationsgeschäfts ausgegangen.
1. Spekulationsgeschäfte (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7, § 22 Nr. 2 EStG) i.S. von § 23 Abs. 1 Nr. 1 EStG (in der für das Streitjahr 1996 geltenden Fassung) sind (private) Veräußerungsgeschäfte, bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung bei Grundstücken und grundstücksgleichen Rechten nicht mehr als zwei Jahre und bei anderen Wirtschaftsgütern nicht mehr als sechs Monate beträgt. Unter Anschaffung oder Veräußerung i.S. des § 23 EStG ist die entgeltliche Übertragung eines Wirtschaftsguts zu verstehen.
a) Zweck des § 23 EStG ist es, innerhalb der Spekulationsfrist realisierte Werterhöhungen eines bestimmten Wirtschaftsguts im Privatvermögen des Steuerpflichtigen der Einkommensteuer zu unterwerfen (ausführlich BFH-Urteile vom 30. November 1976 VIII R 202/72, BFHE 120, 522, BStBl II 1977, 384; vom 25. August 1987 IX R 65/86, BFHE 151, 132, BStBl II 1988, 248). Daraus ergibt sich u.a. das Erfordernis der Nämlichkeit von angeschafftem und veräußertem Wirtschaftsgut; da § 23 Abs. 3 EStG ausdrücklich auch Herstellungskosten erwähnt, bedeutet Nämlichkeit lediglich Identität im wirtschaftlichen Sinn (vgl. BFH-Urteile vom 29. März 1989 X R 4/84, BFHE 156, 465, BStBl II 1989, 652; vom 27. August 1997 X R 26/95, BFHE 184, 385, BStBl II 1998, 135). Indes erfordert die Frage, ob die erforderliche Nämlichkeit gegeben ist oder ein anderes Wirtschaftsgut ("aliud") vorliegt, einen wertenden Vergleich von angeschafftem und veräußertem Wirtschaftsgut unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls (vgl. BFH in BFHE 184, 385, BStBl II 1998, 135). Eine derartige Wertung obliegt dem FG als Tatsacheninstanz.
b) Der Rückübertragungsanspruch nach dem Vermögensgesetz (Restitutionsanspruch) ist ein öffentlich-rechtlicher Anspruch, gerichtet gegen eine Behörde auf Zuteilung von (Grundstücks-) Eigentum durch Verwaltungsakt (Restitutionsbescheid). Mit der Unanfechtbarkeit der (positiven) Entscheidung (§ 33 Abs. 4 VermG) über die Rückübertragung von Eigentum an einem Grundstück durch die zuständige Behörde (ARoV) geht das Eigentum an dem Grundstück außerhalb des Grundbuchs auf den Berechtigten über (§ 34 Abs. 1 Satz 1 VermG), d.h. dieser Verwaltungsakt hat unmittelbar privatrechtsgestaltende Wirkung; das Grundbuch ist lediglich zu berichtigen (vgl. BFH-Urteil vom 10. Dezember 1997 II R 27/97, BFHE 185, 63, BStBl II 1998, 159; Redeker/ Hirtschulz/Tank in Fieberg/Reichenbach/Messerschmidt/Neuhaus, § 3 VermG Rdn. 6, § 34 VermG Rdn. 6, 8; Wasmuth in Rechtshandbuch Vermögen und Investitionen in der ehemaligen DDR ―RVI― Bd. II, B 100 § 3 VermG Rdn. 10, 35, § 34 VermG Rdn. 14, 66).
Im Streitfall kann dahinstehen, ob der Restitutionsanspruch als grundstückgleiches Recht i.S. von § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG anzusehen ist (dazu s. Blümich/Glenk, § 23 EStG Rz. 57, 93; Jacobs-Soyka in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, § 23 EStG Rz. 31). Jedenfalls steht in Anlehnung an das BFH-Urteil vom 28. Juni 1977 VIII R 30/74 (BFHE 123, 27, BStBl II 1977, 827: Abgabe eines Meistgebots als Anschaffungsgeschäft und Abtretung der Rechte daraus als Veräußerung des Grundstücks) der Erwerb eines Restitutionsanspruchs der Anschaffung des von diesem erfassten Grundstücks gleich. Daher ist der entgeltliche Erwerb des Restitutionsanspruchs und die spätere Veräußerung des rückübertragenen Grundstücks als Anschaffungs- und Veräußerungsvorgang i.S. des § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG anzusehen (vgl. Rößler, Deutsche Steuer-Zeitung ―DStZ― 1992, 557, 558; Lindberg in Frotscher, EStG, 6. Aufl., Freiburg 1998 ff. § 23 Rz. 109; s.a. Kube in Kirchhof, EStG, 5. Aufl. 2005, § 23 Rn. 4; Jansen in Herrmann/Heuer/Raupach ―HHR―, § 23 EStG Anm. 83).
c) Für die Berechnung des Zeitraums zwischen Anschaffung und Veräußerung sind nach ständiger BFH-Rechtsprechung grundsätzlich die Zeitpunkte des Abschlusses der obligatorischen Verträge maßgebend (vgl. BFH-Urteile in BFHE 120, 522, BStBl II 1977, 384; vom 15. Dezember 1993 X R 49/91, BFHE 173, 144, BStBl II 1994, 687; vom 30. November 1999 IX R 70/96, BFHE 190, 425, BStBl II 2000, 262; vom 8. April 2003 IX R 1/01, BFH/NV 2003, 1171). Der Normzweck setzt voraus, dass die entsprechenden ―schuldrechtlichen― Vertragserklärungen des Verkäufers und des Erwerbers verbindlich innerhalb der Spekulationsfrist abgegeben worden sind und der Vertrag dementsprechend wirksam geworden ist (vgl. BFH-Urteile in BFH/NV 2003, 1171, unter II. 1. b aa, und vom 2. Oktober 2001 IX R 45/99, BFHE 196, 567, BStBl II 2002, 10, unter II. 1. b bb).
2. Nach Maßgabe der vorstehenden Grundsätze hat das FG zwar zutreffend ein Anschaffungs- und Veräußerungsgeschäft betreffend das Grundstück B-Straße angenommen. Es ist aber zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Veräußerung innerhalb von zwei Jahren nach der Anschaffung stattgefunden hat.
a) Im Streitfall liegt mit dem "Abtretungs-/Kaufvertrag" vom November 1993 die Anschaffung des Grundstücks B-Straße vor. Auch ist das Grundstück B-Straße mit "Kaufvertrag über ein Grundstück" vom Juli 1995 veräußert worden.
b) Entgegen der Ansicht des FG ist jedoch die für Anschaffung und Veräußerung von Grundstücken nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG maßgebende zweijährige Spekulationsfrist nicht eingehalten.
Der Abschluss des "Kaufvertrags über ein Grundstück" vom Juli 1995 hat zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu einem verbindlichen Vertrag geführt. Dabei kann offen bleiben, ob eine unter einer aufschiebenden Bedingung abgegebene Vertragserklärung, deren Wirkung gemäß § 158 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (erst) mit dem Eintritt der Bedingung eintritt ―hier mit Bestandskraft des Restitutionsbescheids im Januar 1996, also erst nach Ablauf der Zweijahresfrist―, stets auch i.S. von § 23 EStG erst mit Bedingungseintritt bindend ist (so HHR/Jansen, § 23 EStG Anm. 53 a.E.) oder ob trotz des Schwebezustands auch das bedingte Rechtsgeschäft tatbestandlich vollendet und voll gültig ist (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs vom 21. September 1994 VIII ZR 257/93, BGHZ 127, 129, 134, Neue Juristische Wochenschrift 1994, 3227; BFH-Urteile vom 18. Mai 1999 II R 16/98, BFHE 188, 453, BStBl II 1999, 606, und vom2. Februar 1982 VIII R 59/81, BFHE 135, 300, BStBl II 1982, 390;Palandt/ Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 65. Aufl. 2006, Einf. vor § 158 Rn. 8; Bamberger/Roth, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. 1, 2003, § 158 Rn. 20, 21).
Jedenfalls stand bei der Veräußerung ―neben der aufschiebend bedingten Abhängigkeit des Vertrages von der Bestandskraft eines "positiven" Restitutionsbescheides― den Käufern ein zeitlich "bis zum 31.12.1995" laufendes Rücktrittsrecht zu (§ 12 des Vertrages vom Juli 1995). Dieses Rücktrittsrecht ist ein (einseitiges) Gestaltungsrecht (vgl. Palandt/Grüneberg, a.a.O., Einf. vor § 346 Rn. 5; NomosKommentar, Bürgerliches Gesetzbuch, 4. Aufl. 2005, § 346 Rn. 3), von dessen Auswirkungen auch die Rechtsposition des Klägers betroffen ist. Denn die Parteien des Grundstückskaufvertrages vom Juli 1995 haben jedenfalls in Verbindung mit der aufschiebenden Bedingung den tatsächlichen und rechtlichen Ungewissheiten des Restitutionsverfahrens Rechnung getragen. Sie haben mit diesem Vorbehalt ihren zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch fehlenden Bindungswillen hinsichtlich der einzugehenden Verpflichtungen zum Ausdruck gebracht. Ohne Einschränkung bindende obligatorische Vertragserklärungen wurden demnach nicht abgegeben.
3. Das FG ist von einer anderen Auffassung ausgegangen, sein Urteil ist aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die Einkommensteuer 1996 ist auf null € (DM) festzusetzen.
Fundstellen
Haufe-Index 1493500 |
BFH/NV 2006, 1000 |
BStBl II 2006, 513 |
BFHE 2007, 127 |
BFHE 212, 127 |
BB 2006, 814 |
DB 2006, 816 |
DStRE 2006, 661 |
DStZ 2006, 281 |
DStZ 2006, 308 |
HFR 2006, 577 |